Kapitel 28

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Mit schnellen Schritten stapfte sie, vorbei an etlichen Bäumen und Sträuchern, Richtung Fluss. Die kleinen Äste und Steine am Boden, auf die sie ständig trat, ignorierte sie gekonnt, während sie über eine Wurzel stieg. Ihr Herz schmerzte. Sie fühlte sich verwirrt und zugleich verletzt, konnte aber nicht sagen, welches der beiden Gefühle überwog. Er hatte nicht mal in Erwähnung gezogen, sein zukünftiges Kind, als Geschenk der Götter zu betrachten. Den Worten seines Vaters hatte er auch nicht widersprochen. Stattdessen hatte er sein eigenes Kind ein Monster genannt und es als Problem abgestempelt. Dabei war Astrid weder schwanger noch hatten sie ein Kind geplant. Mit Hicks geschlafen zu haben, kam ihr immer mehr wie ein Fehler vor. Was, wenn es wirklich passiert wäre? Wenn sie wirklich ein Kind erwartet hätte, es Hicks noch nicht erzählt hätte und dann sowas von ihm zu hören bekommen hätte. Sie wäre ratlos, am Boden zerstört und tief traurig. Astrid hatte es nicht übers Herz gebracht, es ihm zu erzählen. Im Gedanken, dass er das Baby nicht wollen würde und es abschieben würde, wie ein verstoßenes Wolfsbaby, hätte sie es verschwiegen, bis es zu spät gewesen wäre. Sie wollte an Hicks' Reaktion nicht eine Sekunde denken. Aber zu ihrem Glück befand sie sich nicht in so einer Situation.
Am reißenden Fluss angekommen, drehte sie sich nach links und ging das Ufer entlang. Sie hob einen  der vielen Steine auf , welcher ihr zu Füßen lag und warf ihn zornig in das tobende Wasser. Der große Fluss war heute wohl nicht so ruhig. Die Strömung war stärker als sonst. Ein Blick in den Himmel verriet ihr, dass heute noch ein Unwetter bevorstand. Welches Ausmaß der Sturm haben würde, war ihr aber nicht bekannt. So gut kannte sie sich mit der Wetterdeutung nicht aus. Pütz, der einen Helm auf den Kopf tragen musste, weil ein Drache seinen Kopf wie eine Nuss aufgeknackt hatte, war für das Wetter zuständig. Bei jedem Unwetter, das drohte, verengte sich sein Helm und bereitete ihm somit schlimme Kopfschmerzen. Je stärker die Schmerzen, desto größer das Unwetter.
Wie sehr sie sich doch wünschte, normal leben zu können. Im Dorf - und zwar mit Hicks. Das Leben im Wald war toll, aber auf die Dauer konnte es langweilen. Es gab nichts zutun. Astrid saß ständig am Bett und krümmte keinen Finger. Würde sie doch nur etwas tun können, wie zum Beispiel Weben, waschen oder putzen. Dann wäre ihr gelangweiltes Gemüt zufrieden. So blöd es auch klang, sie wollte putzen. Hicks hätte sie dafür schief angeblickt und ihr diese bescheuerte Idee ohne zu zögern ausgeredet. Er hasste es, wenn sie Sachen tat, zu denen ihr Vater sie mit Gewalt gedrängt hatte. Deshalb versuchte er, ihr alles abzunehmen.

Ein weiterer Stein landete mit viel Schwung im Wasser. Sie stand am Rande des Ufers, während der Wind ihre blondes Haare zur Seite wehte und ihr rotes Kleid in die Höhe trieb. Tränen  kullerten vereinzelt, über ihre Wangen, ihr Kinn hinab und tropften zu Boden.

Haudraufs Verbot ging ihr nicht aus dem Kopf. Sie konnte nichr begreifen, warum er sowas sagte. Der Häuptling sollte froh sein, wenn ihm ein weiterer Erbe geschenkt werden würde. Aber das junge Mädchen hatte gehört, was seine wirkliche Meinung dazu war und das konnte sie nicht.
Er verlangte von ihnen, ihren Wunsch, eine Familie zu gründen, in den Sand zu werfen. Ihn bis zum endgültigen Ersticken zu begraben und nicht einen Gedanken daran zu verschwenden.
Schniefend, wischte sie sich mit dem linke  Handrücken den Rotz von der Nase und steckte ihre Hände in den Fluss, um sie zu waschen. Den ekligen Schnodder wollte sich die Neunzehnjährige definitiv nicht in ihr schönes Kleid wischen und außerdem hatte sie Durst. Nachdem sie ihre Hände gesäubert hatte, formte sie diese zu einer Art Schale und schöpfte die klare Flüssigkeit aus dem Fluss, bevor sie sich die Handballen an die Lippen legte und zügig trank. Das Wasser war kalt, hatte aber eine erfrischende Wirkung.
Nach einigen weiteren Schlücken, stand sie schließlich auf. Der Wind hatte deutlich an Stärke zugelegt, was kein gutes Zeichen dafür war, dass es nur ein leichtes Unwetter werden würde.
Sie ging weiter das Ufer entlang, während sie ihr Kleid nach unten drückte, als sie schnelle und lauter werdende Schritte vernahm. Sie drehte sich um und da sah sie ihn. Schnell wie ein Drache, raste er auf sie zu. Seine braunen Haare flatterte im Wind in alle Richtungen, während seine Kleidung immer mehr Falten bildeten. Sie blinzelte  und ehe sie sich versah, stand er vor ihr.
»Hey ist alles in Ordnung?«, fragte er sie und ergriff  sanft ihren Oberarm. Sie trat einen Schritt zurück und sah ihn mit ernstem Blick an. Ihr hüftlanges Haar wehte im Wind umher, während ihr Kleid weiterhin von ihr runtergedrückt wurde. Sie wusste nicht, wie sich verhalten sollte, also blieb sie vorerst still. Seinem Gesichtsausdruck zufolge, schien er sich Sorgen zu machen. Er musterte sie auf mögliche Verletzungen, die sie sich in den letzten Minuten zugezogen haben konnte, entdeckte aber glücklicherweise keine.
»Astrid, was ist los? Sag es mir bitte.«, begann er und platzierte seine Hand an ihrer Wange. Ihre Haut fühlte sich so seidig weich an, dass es Hicks glatt ein Lächeln ins Gesicht trieb. Er liebte es, ihre Hand zu nehmen, ihre Wange zu streicheln, sie zu umarmen oder zu küssen. Ihre Nähe war das, was ihn glücklich machte.
Aber im Moment war sie ihm zu ruhig. Er hatte etwas gesagt, was sie verärgert hatte und das wollte er herausfinden und wieder gut machen. »Sag mir, was ich falsch gemacht habe. Nur dann kann ich den Fehler korrigieren.«
Einzelne Tropfen prasselten auf die beiden herab. Und mit jeder Sekunde wurde der Regen stärker. Astrid blieb stumm. Eine Minute darauf, schüttete es bereits wie aus Eimern und Hicks begann der Geduldsfaden zu reißen. Auch er hatte den drohenden Sturm bemerkt und er war nicht dazu gewillt, hier zu stehen und mit seiner Freundin das Spiel 'Wer-am-längsten-schweigen-kann' zu spielen. So ein Sturm war nicht lustig. Er hatte schon einige Male erlebt, wie Löcher in sein Dach gerissen wurden, alleine wegen solch einem Unwetter. Und im Dorf sah die Situation auch nicht anders als, als er noch dort gewohnt hatte. Zerstörte Futterkarren bis über halb niedergerissene Häuser, war alles dabei.
»Astrid, das ist kein Spaß. Da kommt ein Unwetter auf uns zu und ich will hie richt mit dir rumstehen und darauf warten, dass du den Mund mal aufmachst. Entweder du sagst mir, was los ist oder ich werd dich über meine Schulter werfen und nach Hause tragen. Dort können wir uns liebend gerne anschweigen! Also such es dir aus. Sprich oder Sprich!«

Seine Stimme klang lauter als sonst, aber so wollte er bei ihr das erzielen, und das tat  ihm vermutlich mehr weh als ihr, was ihr Vater bei ihr erzielt hatte. Gehorsam.
Sie sah ihn an.
Donner grollte am Himmel.

»Du hast unser Baby als Monster bezeichnet, anstatt es zu verteidigen.
Ich weiß genau, dass wenn ich schwanger werde, du nicht für mich da sein wirst. Du wirst nicht zu mir halten. Ich werde alleine sein.
Dein Vater wird es auch nicht als Enkel und das hat er auch schon gesagt. Ich kann es nicht begreifen. Wie kannst du unser zukünftiges Baby nur als Problem abstempeln?!« begann sie und schniefte. Vielleicht hatte sie da etwas übertrieben und machte aus der Mücke einen Elefanten, aber so sah sie es nunmal. Es machte sie fertig.
»Was ist so schlimm daran, wenn es so wird wie du? Ich würde das sehr schön finden. Es würde ein Teil von dir sein. Und auch ein Teil von mir. Aber so wie du es gesagt hast, geht dir das am Arsch vorbei. E-es war ein Fehler mit dir geschlafen zu haben. Ich kann nur hoffen, nicht schwanger zu werden. Dann hast du kein Problem, das dir zur Last fällt. Mich macht das fertig Hicks. Es tut weh.«
Hicks sah sie sprachlos an. Er dachte sich bereits, dass es in diese Richtung ging, aber dass sie so sensibel darauf reagierte, war ihm nicht klar. Das, was sie ihm da an den Kopf warf, versetzte ihm einen regelrechten Stich ins Herz. Wie sie soetwas nur denken konnte. Wenn er darüber nachdachte, hatte er sich wirklich nicht korrekt ausgedrückt.
Der Griff um ihren Oberarm löste sich und er ging einen Schritt näher. Sie sah ihn verunsichert an. Er griff nach ihrem Kinn, hob es sanft an und legte dann seine Lippen auf ihre. Ihr Herz schlug ihr heftig gegen den Brustkorb und sie erwiderte den Kuss zögernd.
Als sie sich lösten, drückte er ihr noch ein zarten Kuss auf die Wange und schloss sie dann in seine Arme. Astrid war verwirrt. Sie wusste nicht, was sie tun soll.
»Denk sowas bitte nie, nie wieder. So war und wird es nie gemeint sein, Astrid. Ich liebe dich und wenn du wirklich ein Baby erwarten solltest, dann kann ich mir nichts besseres vorstellen, als es mit dir großzuziehen. Aber du musst mich verstehen, ich habe nur Angst, dass es so endet wie ich. Alleine in einem Wald. Dann dir und Ohnezahn habe ich wieder einen Sinn zum Leben gefunden.«
Alles, was ihm am Herzen lag, sprach er sich von der Seele und Astrid war so gerührt, dass sie sich ihm um den Hals warf.
Sie hatte sich umsonst in Rage geredet.
Gerade, als Hicks etwas sagen sollte, ertönte ein zischende Geräusch hinter Hicks und er drehte sich um. Ein kurzer Schmerz durchzog ihn und er sah an sich heran. Ein grüner Pfeil hatte sein Bein gestriffen. Hicks sah zu Astrid und direkt hinter ihr stand jemand, dem der Braunhaarige am Liebsten direkt den Hals umgedreht hätte.  »Ludwig«, knurrte er wütend und packte Astrid, um sie hinter sich zu ziehen, aber er begann sich seltsam zu fühlen. Gelächter erklang. Aus den Büschen jagten mindestens zehn Fremde. Astrid schrie nach ihrem Freund, als dieser von einem der Leute, geschlagen wurde und er dann zu Boden ging.  Sie wollte zu ihm, aber Ludwig hatte sie gepackt und verschleppt.
Verzweifelt trat sie um sich. Sie versuchte sich zu wehren.
Betäubungsmittel, schrie Hicks innerlich und versuchte sich aufzurappeln. Er wollte nicht aufgeben. Es ging um die Frau, die er liebte. Und er wusste genau, was passieren würde, würde er sie nicht retten.
Aber er war nicht im Stande sich zu bewegen. Um ihn herum standen die  Verbündeten.
Tritte gingen gegen Hicks' am Boden liegenden Körper, bis Ludwig die Fremden zurückrief.
Mit einem Lachen, verschwanden die Täter mit ihrer Geisel und ließen Hicks im Regen zurück. Der Sturm wurde weiterhin stärker. Blitz und Donner zierten den verdunkelten Himmel. Der Regen prasselte unaufhaltsam auf Hicks' Körper hinab, während er nur da lag und sich schreckliche Sorgen machte.

Monster Inside Me - Hiccstrid❤️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt