#56 - Zeit

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Sein Gesicht war meinem so nahe, wie es schon seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gewesen ist. Ich konnte jede einzelne Wimper, die seine Augen umrahmten, erkennen. Ich spürte seinen warmen Atem auf meinen Wangen. Sah seine Lippen, die leicht geöffnet waren.

Die Welt stand mal wieder still, aber ich hielt es nicht aus. Ich konnte es nicht ertragen.

Langsam und vorsichtig zog ich seine Hände von meinen Wangen und ließ ihn los, während ich einen Schritt nach hinten ging. Harrys Schulter sanken ein Stück nach unten und er blickte mich hoffnungslos an.

„Glaubst du mir nicht?", fragte er leise und in seine Stimme schwang so viel Schmerz mit, dass es mir das Herz zusammenzog.

„Doch."

Das war die einfachste Antwort, und die wahre noch dazu.

„Liebst du mich?", fragte er jetzt und ich konnte ihm ansehen, dass er Angst vor der Antwort hatte.

Mir zog es das Herz zusammen. Er zweifelte an meiner Liebe zu ihm? Er zweifelte daran, dass ich ihn liebte? Als hätte ich eine Wahl. Als wäre ich ihm nicht komplett und für immer und ewig verfallen. Als wäre ich diejenige gewesen, die unsere Beziehung so zerstört hatte!

Jetzt war ich diejenige, die wieder auf ihn zuging und sein Gesicht mit den Händen ein Stück zu mir runterzog.

„Natürlich tue ich das", hauchte ich und ich konnte das Glitzern in seinen Augen erkennen. Es erweckte das Leben wieder in mir, das seit etlichen Tagen aus meinen Gliedern gewichen war. Es gab mir meinen Lebensinhalt wieder, es machte mich wieder zu der Person, die ich gewesen war, bevor er mich als Schutz hatte fallen lassen.

„Ich liebe dich, Harry Styles, ich liebe dich so sehr. Aber trotzdem..."

Ich ließ sein Gesicht los und strich eine Haarsträhne aus seiner Stirn.

„Ich weiß nicht, was ich denken soll."

Ich trat wieder einen Schritt zurück. Die räumliche Trennung zwischen unseren Körpern schmerzte schon fast seelisch. Ich wollte ihn so sehr berühren. Aber ich war zu verwirrt. Ich war hoffnungslos überfordert mit der Situation.

„Ich ...ich weiß einfach nicht, was ich jetzt denken soll. Kannst du dir nicht vorstellen, wie es mir geht? Seit Tagen höre ich nichts von dir, kein Lebzeichen. So ganz plötzlich. Ich dachte, ich bin deine Freundin, aber du meldest dich nicht. Nie."

Vor lauter Verwirrung und wirbelnder Gefühle brachte ich nicht einmal mehr korrekte Sätze auf die Reihe.

„Ich war immer für dich da. Ich dachte, du liebst mich – und plötzlich hast du mich fallen lassen. Ich dachte, ich hätte irgendetwas falsch gemacht, oder du hättest kapiert, dass so ein Niemand wie ich zu langweilig und nicht geeignet für dich ist", ich ging mit der Lautstärke meiner Stimme nach oben, weil Harry kurz davor war, mich zu unterbrechen, und hob einen Zeigefinger, „nein, jetzt rede ich gerade. Ich habe dich vorhin auch nicht unterbrochen, also wirst du mich jetzt bitte auch ausreden lassen." Er schloss seinen Mund wieder und nickte nur.

Ich war erstaunt, dass ich nicht weinte. Aber wieso auch. Ich war ja auch nicht verwirrt, verletzt, enttäuscht und alles, nöööö.

Ach Gott, immer dieser Galgenhumor...

„Ich dachte, du würdest jetzt sehen, wie wenig wir zusammen passten. Als dann die Bilder mit Kendall kamen... da war es für mich mehr als klar. Ich war für dich Geschichte und fertig. Ein weiterer Name auf einer imaginären Liste all deiner Exfreundinnen. – Ruhe", befahl ich ihm finster, als er schon wieder den Mund öffnete, um mich zu unterbrechen. Ich ging an ihm vorbei und setzte mich wieder auf mein Bett. Ich atmete tief durch und versuchte, mein Inneres zu ordnen.

HeartthrobWo Geschichten leben. Entdecke jetzt