#82 - Der Haufen Scherben, der sich mein Leben nennt

46.8K 2.6K 138
                                    

„Ja, klar, wieso?"

Ich sah ihn von der Seite ganz kurz an und dann wieder nach vorne. Mir war es egal, ob das verdächtig war oder nicht, ich hatte eh keine Lust, ihm irgendeine Auskunft über mein Leben zu geben. Das ging ihn nämlich einen feuchten Kehricht an. Ganz einfach.

„Sicher?", hakte er auch schon nach und atmete unauffällig einmal tief durch. Meine Nerven waren eh schon aufs Äußerste gespannt, da war es nicht so gut, wenn Philipp die jetzt auch noch auf die Probe stellen würde.

Ich strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr (die natürlich gleich wieder nach vorne hüpfte, blöde Locken) und nickte.

„Ach komm schon, ich weiß doch, dass irgendetwas nicht stimmt."

Okay, nein, mal dir jetzt nicht aus, wie du ihm den Kugelschreiber in...

„Sam."

„Was?!"

Ich drehte mich zu ihm und funkelte ihn böse an. Unwillkürlich zuckte er ein wenig zurück und sah mich erstaunt an. So hatte er mich noch nie erlebt. Meine hellgrünen Augen strahlten ihn genervt an und gaben ihm das Signal, dass er besser nicht weiter nachbohren sollte.

Was er natürlich eiskalt übersah, dieser Idiot.

„Du hast momentan Beziehungsstress, oder?"

Wieso trafen Leute bei sowas eigentlich immer sofort ins Schwarze?! Stand das auf der Stirn, wenn man Liebeskummer hatte?! Ich hasste es so sehr, das ging niemanden etwas an!!

„Das geht dich rein gar nichts an", grummelte ich und sah wieder nach vorne.

Es juckte mich herzlich wenig, was der Professor da vorne laberte. Ich wollte hier eigentlich einfach nur raus.

Ich wollte in einen Flieger steigen und nach London fliegen. Ich wollte zu meinem Freund rennen und ihm erklären, was es mit diesem Vollidioten auf sich hatte, der gestern mit seinem texanischen Akzent eine Liebeserklärung nach der anderen geschmettert hatte.

Ich wollte ihm alles erklären – aber es ging nicht. Ich saß hier in der Uni fest.

Ich saß hier in meinem Leben fest. Ich hatte meiner Familie versprochen, dass ich das Studium dieses Jahr ernsthaft durchziehen würde. Denn wenn es mit dem Tanzen und dem dazugehörigen Studium nichts wurde, musste ich Anglistik fertig studieren.

Ich durfte nicht schlapp machen.

Ich saß fest und ich musste jetzt das Beste daraus machen, aus diesem Haufen Scherben, der sich mein Leben nannte.

Ohne es gemerkt zu haben, hatte ich geseufzt. Ich drehte den Kopf und sah in Philipps Augen, die mich besorgt ansahen. Ich wusste, dass er es nicht böse meinte, dass er mich so löcherte.

„Ja, habe ich", beantwortete ich ihm seine Frage kaum hörbar. „Und jetzt tu mir den Gefallen, und frag nicht weiter, okay? Ich will nicht darüber reden."

„Okay... auch wenn es mich echt interessieren würde...", murmelte er und ich wusste, dass er damit die Antwort aus mir herauskitzeln wollte, was momentan bei mir los war. Aber lieber würde ich meine Zunge verschlucken, als ihm davon zu erzählen. Es ging ihn nichts an, das musste er jetzt endlich raffen.

„Sam, jetzt sag."

„Nein!?"

Entgeistert sah ich ihn an. Ich hatte ihn nicht so aufdringlich und nervig in Erinnerung?!

„Okay okay."

Er zuckte mit den Schultern und widmete sich wieder der Vorlesung. Ich beobachtete ihn noch zwei Sekunden lang, aber weil er keine Anstalten mehr machte, mich nochmal anzusehen, sah ich wieder hinunter auf mein Blatt.

HeartthrobWo Geschichten leben. Entdecke jetzt