#69 - Schicksal

58.3K 2.6K 162
                                    

Ich blieb in der Tür stehen und runzelte die Stirn. Das Licht war komplett aus, bis auf eine kleine Stehlampe in der einen Ecke meines Zimmers, die einen schwachen goldenen Schein von sich gab.

Jetzt entdeckte ich meinen Freund unter lauter Kissen und meiner Bettdecke. Ich grinste. Klar, er hatte sich in meinem Bett vergraben, wo denn auch sonst? Jeder, der sich mal auf meinem Bett niedergelassen hatte, ordnete es als das weichste Bett des Universums ein.

Und dann wunderte sich meine Mom, wieso ich so gerne in meinem Bett rumlag.

Er hatte die Augen geschlossen und Ohrstöpsel in den Ohren. Ich wusste nicht, ob er schlief oder ob er wach war, aber ich wollte es auch nicht herausfinden.

Der Anblick war einfach viel zu schön.

Das Licht ließ nur die Konturen seiner Gesichtszüge erkennen. Seine langen, ruhigen Atemzüge verrieten mir, dass er entweder schlief oder komplett entspannt und im Halbschlaf war.

Ich hätte hier noch Stunden stehen bleiben können. Dieser Anblick war wie gemalt. Nein, falsch, kein Künstler der Welt hätte diesen Anblick in seiner kompletten Vollkommenheit auf einer Leinwand festhalten können.

Ich schlich zum Bett (wahrscheinlich hätte ich auch trampeln können, denn Harry hatte ja eh Kopfhörer drinnen) und nahm ein paar der Kissen vom Bett runter. Endlich hatte ich die Bettdecke einigermaßen freigelegt.

Ich entschied, dass ich genug unten bei der Party geholfen hatte. Ich ging schnell zu meiner Zimmertür, sperrte sie ab und schlüpfte anschließend aus meiner Jeans. Ich zog mir eine meiner weichen Jogginghosen an, die ich immer nur zu Hause trug, und tigerte wieder zum Bett rüber. Harry hatte sich keinen Millimeter bewegt.

Wenn ich hier alleine mit ihm war, fühlte es sich an, als würde die Welt sich nicht mehr drehen. Als würde niemand außer uns existieren. Niemand würde uns stören, niemand würde versuchen, uns auseinander zu bringen.

Es gab nur ihn und mich.

Uns.

Wir.

Ich nahm mir einen Moment Zeit, um einfach nur stumm dafür zu danken, dass ich ihm begegnet bin und mir ihm zusammen sein durfte. Ich dankte nicht Gott, ich dankte keinem sonstigen Menschen, ich dankte einfach dem Schicksal. Denn es war wirklich Schicksal gewesen, wie wir uns damals getroffen hatten. Wäre ich mit Jana nicht zur Olympiahalle gefahren, hätte Louis nicht Harrys Ring aus dem Autofenster geworfen, hätte Manu mich nicht angerufen,... – es waren lauter kleine Schritte gewesen, die Harry und mich zusammengeführt hatten. Ohne dass ich es gemerkt hatte, waren wir uns in die Arme gelaufen. Es war nicht geplant gewesen, es war nicht beabsichtigt gewesen – aber es war genau richtig gewesen.

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Gleichzeitig.

Liebe auf den ersten Blick.

Meine Mundwinkel zogen sich automatisch ein wenig nach oben. Wie oft hatte ich bei Kinofilmen und Büchern die Augen verdreht, wenn die Hauptperson von Liebe auf den ersten Blick gesprochen hatte. In meinen Augen funktionierte so etwas auch nicht.

Der Meinung war ich heute immer noch. Zumindest halbwegs. So richtig sicher war ich mir aber noch nicht. Ich hatte Harry nicht vom ersten Moment an geliebt. Man konnte jemanden erst lieben, wenn man ihn kannte, wenn man seinen Charakter kannte. Ich hatte mich zu Harry hingezogen gefühlt, ich hatte mich ein wenig in ihn verliebt, aber die richtigen Gefühle waren erst danach gekommen, ohne dass ich es gemerkt geschweige denn gewollt hatte. Richtig Liebe auf den Blick gibt es nicht, nur eine Art „Vorstufe", bei der man eigentlich schon wusste, dass man kurz davor war, sich in die andere Person, die man gerade erst kennengelernt hatte, zu verlieben.

HeartthrobWo Geschichten leben. Entdecke jetzt