#75 - Blitzschnell, Unfall und...oh man, Caro.

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Ich schnappte nach Luft, aber ich hatte ja immer noch keine Möglichkeit, auszuweichen. Der Rand des Waschbeckens drückte sich in meinen Rücken. Ich schloss, ohne es zu wollen, die Augen und vergrub meine Hände in Leos Haaren. Seine Hände umfassten meine Taille und drückten mich noch enger an ihn. Spielerisch stupste er mit seiner Zungenspitze gegen meine Unterlippe. Ich wäre beinahe wirklich in Ohnmacht gefallen.

Ein Gefühl durchzuckte mich wie ein Blitz. So etwas hatte ich noch nie gefühlt.

Es machte mir Angst.

Es war so stark, so intensiv, so real... ich hatte Angst davor. Denn ich wusste, dass das nicht gut war. Das hier war Leo. LEO. Sams Bruder.

Sam würde mir den Kopf abreißen und Leo umbringen, wenn sie das erfahren würde.

Es ging nicht!! Ich musste es stoppen, sofort!

Aber ich konnte mich nicht von ihm losreißen. Ich wollte es, aber ich konnte nicht. Naja, wollte ich mich wirklich losreißen? Es fühlte sich eher so an, als würde ich mich nicht von der Stelle rühren wollen.

Ich wollte für immer hier sein, für immer hier in seinen Armen und nirgendswo anders.

Hier war ich zu Hause, hier fühlte ich mich geborgen.

Ich vergaß alles andere um mich herum.

Mein Bauch kribbelte und meine Hände wanderten zu seinen Wangen. Ich strich über die Bartstoppel und bekam dabei weiche Knie.

Ich hatte noch nie so etwas empfunden.

Der Kuss wurde immer intensiver und-

„Caro!"

Ich zuckte zurück und drehte den Kopf weg.

„Caro?", rief Ali noch einmal. Sie war irgendwo in der Küche oder im Wohnzimmer, zumindest war ihre Stimme ein wenig entfernt.

Leo drückte mich immer noch gegen das Waschbecken und sein Gesicht war nur wenige Millimeter von meinem entfernt. Ich wagte nicht, den Blick zu heben. Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen.

„Ich ...ich muss gehen", sagte ich mit gepresster Stimme und machte mich von ihm los. Ich drehte ihm schnell den Rücken zu.

Einerseits war ich froh, dass er mich nicht festhielt und mit mir reden wollte oder sonst etwas, sondern mich einfach widerstandslos gehen ließ, aber andererseits ...war ich enttäuscht.

Ich war doch nur eine unter vielen, denen er den Kopf verdreht hatte.

Ich verließ das Badezimmer und während ich den Gang zur Küche mit wackeligen Schritten entlang ging, überschlugen sich meine Gedanken.

Wieso hatte er mich geküsst?

Wieso hatte er das getan?

Ich wollte mir nichts vormachen. Ich wusste, dass Leo keine Gefühle für mich hatte. Ich war in seinen Augen immer – genauso wie Sam – „die Kleine" gewesen. Ich war immer seine zweite kleine Schwester gewesen, und das hatte sich sicher nicht geändert.

Für ihn war das nur ein wenig Rumgeknutsche und mehr nicht, dafür würde ich meine Hand ins Feuer legen.

Verdammte Scheiße, ich musste diese Gefühle, die ich für den großen Bruder von meiner besten Freundin entwickelt hatte, schnellstens wieder loswerden, sonst würde ich bald wieder mit einem gebrochenen Herzen dastehen!

Und diesmal würde es schlimmer werden, als es je zuvor gewesen ist, das hatte ich im Gefühl.

Ich hatte Angst. Verdammt, ich hatte eine riesige Angst!

Außerdem sprachen wir hier von Leo.

Leo, dem größtem Mädchenschwarm aller Zeiten. Jede fuhr auf ihn ab. Und das, obwohl er es nicht einmal darauf anlegte! Er war kein Womanizer. Er war keiner, der jede Woche eine andere hatte. Er war keiner, der unbedingt jedes Mädchen um den Finger wickeln wollte. Er war einfach ganz normal, und trotzdem flogen ihm die Herzen konsequent zu.

Deswegen konnte ich mir diesen Kerl schon dreimal abschminken.

Außerdem verliebte sich Leo ungefähr genauso oft wie Sam – nämlich so gut wie nie.

...der nächste Grund, wieso ich möglichst viel Abstand zwischen ihn und mich bringen sollte. Ich musste ihn jetzt meiden, bis Gras über die Sache gewachsen war, sonst würde das irgendwann in einer ziemlich peinlichen Situation enden.

Aber würde ich ihm jemals wieder normal in die Augen sehen können?

Ehrlich gesagt bezweifelte ich das.

Ich seufzte, als ich die Küche betrat, und Ali drehte sich zu mir um.

„Nicht schlapp machen, meine Liebe!", lachte sie und drohte mir mit dem Zeigefinger.

„Keine Angst, mir geht's gut", rutschte mir die größte Lüge des Tages lockerflockig über die Lippen und ich lächelte sie breit.

„Das ist gut, sonst muss ich Sie nämlich feuern, Fräulein Schuster!"

„Niemals, Frau Ferroni, Sir!" Ich salutierte und Ali grinste breit. „Stets zu Ihren Diensten, Ma'am!"

Sie drückte mich einmal an sich und meinte dann: „Die meisten werden in den nächsten zwanzig Minuten eh verschwinden, denke ich, da die ja morgen alle in die Schule müssen", sie griff nach ihrem Saftglas und leerte es in einem Zug, „deswegen haben wir nicht mehr so viel zu tun. Abwaschen müssen wir heute nicht mehr, das mache ich morgen schnell, ich muss erst spätnachmittags in die Arbeit."

„Quatsch, das können wir doch heute noch schnell fertig machen! Das kommt gar nicht in Frage, dass du das alleine machst!", entgegnete ich gerade, als Leo in die Küche kam und sich eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank holte.

Ich drehte ihm schnell und unauffällig den Rücken zu und stellte schnell ein paar Teller in die Spülmaschine, nur damit ich etwas zu tun hatte und ihn nicht ansehen musste.

Mein pochendes Herz und den Kloß in meinem Hals versuchte ich vehement zu ignorieren.

Verdammt, verdammt, verdammt, in was hatte ich mich da schon wieder hineingeritten!

„Wann verschwinden die Kiddies jetzt endlich? Die haben doch morgen Schule!", sagte er an seine Mutter gerichtet und ich konnte das Grinsen förmlich in seiner Stimme hören.

Erst jetzt fiel mir auf, wie gut ich ihn eigentlich kannte. Wie abnormal gut ich ihn kannte. Eigentlich schon beängstigend. Und gleichzeitig löste es ein Kribbeln in meiner Magengegend aus.

„Bald", antwortete Ali, wuschelte ihrem Sohn einmal durch die Haare und verließ dann die Küche.

Ach du.. ach du Kacke!!!

Ooookay, mein Stichwort, ebenfalls so blitzschnell wie möglich zu verschwinden!

So schnell konnte man gar nicht gucken, da hatte ich die Küche ebenfalls verlassen und war durch das Wohnzimmer in den Garten geflüchtet. Ich wollte nicht mit diesem ...Unfall von vorhin konfrontiert werden. Das war es für mich. Ein Unfall. Ein Unfall, den man besser schnellstens vergessen sollte.

Ich nahm mir vor, ihm genau das in den nächsten Tagen irgendwann zu verklickern.

Die Sache war für mich gegessen.

Ich würde schon darüber hinwegkommen und fertig. Punkt, aus, Äpfel, amen, basta.

Ich atmete einmal tief durch und setzte ein breites Lächeln auf, als ich mich wieder unter die Leute mischte.

Ich hielt nach meiner besten Freundin Ausschau, aber die war immer noch nicht wieder aufgetaucht. Also gesellte ich mich zu Manu und Alina, das war Janas siebzehnjährige Cousine von der anderen Seite ihrer Familie.

Hauptsache, der schwarzhaarige Kerl konnte mir nicht noch mehr den Kopf verdrehen.

HeartthrobWo Geschichten leben. Entdecke jetzt