Kapitel 36: Verloren

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Keiner von uns konnte es laut aussprechen. Es war ein Arm, auch wenn es nur noch ein Teil davon war. Der Lichtkegel von Ninas Taschenlampe zitterte sichtlich, als sie langsam das Licht zu einer anderen Stelle führte. Als der Kegel den restlichen Teil des Körpers erhellte, ließ sie die Taschenlamoe fallen und drehte sich um. Nina übergab sich augenblicklich und auch Jeta lief sofort ein Stück weiter weg. "Wir müssen die Polizei rufen." Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis der unverkennbare Gestank in meine Nase stieg. Mein Körper schauderte und auch ich musste den Würgereiz unterdrücken. Auch wenn ich den Tod kannte, war dieser Anblick etwas anderes. Auch Aleyna musste sich zusammen reißen. Einen Menschen so zerpflückt zu finden, war nicht das was wir wollten. Der Bauch des Mannes war zerrissen und die Organe hingen heraus.
Es war fast so, als hätte ihn etwas angefangen zu fressen und wurde dann dabei gestört. Die früher gesunde Farbe war verschwunden. Seine Haut war blass und bläulich. Der verwesende Blutgeruch stach in meiner Nase und am liebsten würde ich ihn aus meinen Sinnen für immer verbannen. Doch das würde nicht mehr möglich sein. Beim näheren betrachten erkannte ich, um wen es sich handelte. Es war der vermisste Vater. Mein Herz zog sich zusammen, als ich an seine kleine Tochter denken musste.
Mein Blick wanderte zu Lucas, der such kaum bewegte. Er riss sich deutlich zusammen, denn auch ihm fehlte mitlerweile jegliche Farbe im Gedicht. Es würde mich nicht wundern, wenn er jetzt einfach nach hinten weg klappen würde. Ich hielt mir meinen Pulloverärmel vor dir Nase und bückte mich nach der Taschenlampe. "Äh- Ich geh mal nach Nina und Jeta schauen.", sagte Lucas dumpf und verließ mit schnellen Schritten die Stelle. Sofort wich ich einige Meter nach hinten und leuchtete die Stelle drumherum an. Ich wollte etwas finden. Egal was. Und da war es, der selbe Pfotenabdruck wie auf der Lichtung. "Was bedeutet das?", fragte Aleyna verwirrt. "Ich dachte sie hätten den Mörder erwischt." "Was meinst du damit?" Mein Magen drehte sich auf Links und irgendwie wollte ich den nächsten Satz garnicht erst hören.

"Sie haben den Eindringling getötet. Was denn sonst?" Ich biss mir auf meine Zunge um nicht gleich los zu heulen. Adam war tot. Sie haben ihn getötet. Das durfte einfach nicht wahr sein. Aleyna bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmte und obwohl sie es nicht verstand, tat sie das einzig richtige. Sie ließ mich in Ruhe. Meine Beine ließen mich zu Boden sinken. Ich setzte mich auf den Boden und konnte einfach nicht unterdrücken, dass mir Tränen die Wange herunter liefen. Still weinte ich um Adam. Während die Tränen über meine Wange liefen, kühlten sie aus und hinterließen einen kalten Weg. Sie hatten einen Unschuldigen getötet. Trotz meiner Aussage. Warum nur? Den Schmerz des Verlustes, den ich schon zu gut kannte, brannte sich wieder in mein Herz ein und die Leere, die Nana hinterlassen hatte, wurde noch einmal größer. Als der Schmerz wieder meinen Arm erreichte und er zu pochen begann, drückte ich ihn so fest ich konnte. Es schmerzte noch mehr, doch das war mir egal. Warum taten sie so etwas? Nur um ihre Macht dem Rudel und der Feinde zu demonstrieren? Purer Hass erfüllte meine Gedanken und auch die Leere wurde von Hass gefüllt. Dafür würde das Rudel büßen. Dafür würde der Alpha büßen! Ich spürte wie der Hass mich komplett einnahm und am liebsten würde ich meiner Wut freien Lauf lasse.

Das knacken des Bodens, ausgelöst durch schnelle Schritte, holte mich zurück. Ich wischte die Tränen schnell weg und schaute einem aufgebrachten Lucas an. "Jenna!", rief Lucas atemringend. "Wir können Jeta nicht finden!" "Was?!", ich sprang sofort auf. Ich folgte ihm zu Nina und Aleyna. Sie hatte mitlerweile wieder Farbe im Gesicht und sah besser aus, als noch einige Minuten vorher. "JETA!", rief Nina in den Wald hinein, doch es kam keine Antwort. "Sie muss sich verlaufen haben.", sagte Aleyna besorgt. "Warum läuft sie denn weg?" "Bestimmt wegen der Leiche.", sagte Nina und schluckte schwer, als sie an das Bild zurück dachte. Ich nickte zustimmend. "Wir müssen sie finden, bevor es etwas anderes tut!"

Wir waren schon eine halbe Stunde gelaufen und immer noch gab es keine Spur von ihr. "Vielleicht sollten wir uns aufteilen?", schlug Aleyna vor. Es erhöhte einfach die Chance sie zu finden und so stimmten wir zu. "Wir gehen noch einmal ein Stück zurück, da war eine Weggabelung vielleicht hat sie die genommen." "Okay, wir suchen weiter in dieser Richtung." "Seid vorsichtig.", sagte Nina und zwang sich ein Lächeln auf. "Ihr auch." So ging ich mit Lucas weiter. Ich kannte diesen Teil des Waldes. Es war nicht weit von dem See entfernt. "JETA!" "Wo ist sie nur hin gelaufen?", murmelte ich besorgt. "Ich weiß es wirklich nicht." Lucas hatte gerade den Satz beendet, als ein schriller und doch leiser Schrei ertönte. "JETA!!!", schrie ich zurück. "Schnell! Das kam aus dieser Richtung.", rief Lucas, während er nach vorne präschte, immer näher zu dem Ort von wo der Schrei ertönte. Der Lichtkegel seiner Taschenlampe huschte von einem Punkt zum anderen. "Sie muss hier doch irgendwo sein!", rief er außer Atem. "Lucas da!" Ich deutete auf eine am bodenliegende Jeta. Lucas schmiss das Gewehr neben sich und hockte sich vor sie. "Jeta?!" Sie reagierte nicht und erst jetzt bemerkte ich, dass sie verletzt war. "Sie blutet am Kopf. Es kann sein, dass die Verletzung schlimmer ist als es aussieht." "Scheiße...", murmelte er mit zitternder Stimme. Er war so besorgt um sie und das nicht nur weil sie Freunde sind. Dass es mir vorher noch nie aufgefallen war... "Ich schreibe den anderen. Ruf du einen Krankenwagen!" Ich drehte mich um und kramte mein Handy heraus.

Wir haben Jeta!
Aber sie ist verletzt!
》STANDORT《

Ein dunkles und tiefes Knurren ließ mich von innen heraus erschaudern. Ich drehte mich langsam um und schaute dem riesigen Biest direkt in die Augen. Meine Knie zitterten und meine Sicht wurde nach und nach schwummriger. Ich konnte nicht dagegen ankämpfen. Es war wütend und es wollte töten. So eine bedrohliche Präsenz hatte ich noch nie in meinem Leben gespürt. Vielleicht war es auch das letzte Mal...

Der Wolf in MirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt