Kapitel 78: Gebündelte Kraft

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Erneuter schwindel packte mich und als Ich meine Hand auf die Wunde presste, spürte ich die warme flüssigkeit, die nun auch an meinem Arm herab lief. Es hatte wieder abgefangen zu bluten, oder hatte es überhaupt aufgehört?
Unsicher hielt ich meinen Kopf um die Blutung zu stoppen und dem wankenden Bild entgegen zu wirken. Ich musste mich verwandeln, doch die Kraft und Zeit hatte ich nicht. Nahuc schnaubte verächtlich und sprang knurrend auf mich zu. Ich werde wohl wirklich sterben...

Irgendwie akzeptierte ich dann doch mein schicksal. Ruhig blieb ich stehen und beobachtete den näher kommenden Wolf. Doch er erreichte mich nicht. Unerwartet wurde ich von den Füßen gerissen. Jemand drückte mich fest an seine Brust. Mein ausgekühlter Körper wurde durch die plötzliche Hitze so überwältigt, dass es brannte. Doch das brennen verwandelte sich augenblicklich in ein wohltuendes Gefühl. Während sich die Hitze in meinem Körper mit einem Kribbeln ausbreitete, beruhigte mich der vertraute Geruch. Nahuc brüllte vor Wut und holte mit seinen Klauen aus. Die Person drückte mich mit ihrem Gewicht zu Boden und wich so aus. Ein Schrei entwisch meinen Lippen, als die Klauen auf den Baum über uns trafen und ein gewaltiges krachen des Holzes ertönte. Im nächsten Moment ein Knurren, dann einen Aufschrei und Kampfgeräuche. Ein Wolf... nein Zwei! Ich öffnete die Augen und schaute unter dem muskulösen Arm hervor, der mich noch immer an seine Brust presste. Ein brauner Wolf war auf Nahucs Rücken gesprungen und hatte sich in seinem Nacken verbissen. Doch ihn schien es nicht zu stören, denn er holte aus und schlug nach einem zweiten Wolf am Boden, der geschickt unter seiner Pranke hindurch tauchte und nach seinem Bein schnappte. Meine Augen weiteten sich. Aidan und Isaac! Sie waren deutlich kleiner als Nahuc, trotzdem konnten sie mit seiner Geschwindigkeit mithalten.
"Geht es dir gut?", fragte die Stimme über mir. "Ich glaube schon.", sagte ich und schaute auf. Jace musterte mich besorgt. "Jenna du blutest!", zischte er und begann unweigerlich zu Knurren, als er meine Kopfverletzung betrachtete. "Dafür bring ich ihn um!", knurrte er aggressiv und begann sich zu verwandeln. "Du bleibst hier!" Ohne dass ich auch nur widersprechen konnte, preschte er auf Nahuc zu. Er hatte Isaac mittlerweile abgeworfen und während dieser sich in seinem Bein verbiss, zog Nahuc Aidan seine Klauen durch das Vorderbein. Dieser Heulte vor Schmerz auf und schon war Jace da, der mit voller wucht gegen seinen Hals rammte und ihn so zum taumeln brachte. Auf allen vieren kroch ich zu Ben. Scharf zog ich die Luft ein und biss mir kräftig auf die Unterlippe. Von nahm betrachtet sah er noch schlimmer aus. Über seinen linken Arm und seine Schulter zogen sich tiefe Krallenspuren, die jegliche Nerven durchtrennt haben mussten. So vorsichtig wie nur möglich drehte ich ihn um, zog seinen Oberkörper auf meinen Schoß und positionierte seinen Kopf so, dass er atmen konnte. Meine Augen hingen an dem immer tief rotblauen Bluterguss, der sich über seine Brust und Taille zog. Drei Rippenbrüche. Ausgekugelte Schulter. Prellungen an Brust, Taille, beiden Armen und einem Bein. Rechter Oberschenkelknochen gebrochen und zersplittert. Quetschung der Lunge und Leber. Innere Blutungen. Überlebenschance gleich Null...

Ich schloss die Augen und lauschte dem rasselnden Atem. Beruhigend begann ich ihm durch seine unordentlichen blonden Haare zu streichen. Wenn er schon sterben würde, dann wenigstens nicht alleine. Ich öffnete die Augen und während ich Bens Atmung lauschte beobachtete ich angespannt den Kampf, der über mein Leben entscheiden würde. "Jenna-", die zerbrochene Stimme ließ mich vor schreck zusammen zucken. Schnell schaute ich hinunter in Bens blutiges Gesicht. Müde, eisblaue Augen schauten mich eindringlich an. Ich hielt den Atem an und mein schneller schlagendes Herz übertönte Bens Atmung. Seine Augen fesselten mich und bohrten sich immer tiefer in meine Seele.
"Es tut mir leid." Mein Herz setzte aus. Er entschuldigte sich? Warum das?! Er sollte sich nicht entschuldigen, wenn dann müsste ich die sein, die... 
"Was sagst du denn da?", flüsterte ich und strich weiter über seinen Kopf. "Hör nicht auf.", seine Stimme war nur noch ein gebrochenes Flüstern. Ich presste die Lippen zusammen. Langsam schloss er die Augen und während ich gespannt seiner Atmung lauschte, begann ich zu summen. "Werde ich nicht.", murmelte ich.

Ich summte selbst dann weiter, als seine Atmung flacher wurde und letztendlich im takt mit dem Herzen verstummte. Meine Stimme brach ab, als ich hinunter in sein Gesicht schaute. Seine Augen waren geschlossen, während sein Mund einen Spalt offen stand. Dreck und frisches Blut verunstalteten ihn. Wäre es nicht da, könnte man meinen er würde nur schlafen. Ich schluckte, was bei meinem trockenen Hals kaum möglich war, griff behutsam unter seinen Kopf und legte ihn auf den Boden ab. Ohne dass ich es bemerkt hatte, hatte sich sein Blut auf meinen Beinen verteilt. Ich strich über die dunkelrote Flüssigkeit, hob meine Hand und malte eine Sichel auf seine Stirn, bevor ich auch über seine Augen strich. "Mögest du zur Göttin geleitet werden und deine Liebsten wiedersehen.", flüsterte ich und legte meine Stirn an seine. Sofort stellten sich meine Haare auf, es war als würde die letzte Wärme aus seinem Körper weichen und in mich hinein gleiten. Ein gebrochenes Lachen fuhr über meine Lippen. Natürlich... Ich hatte vergessen, dass ich ihre Reinkarnation war. Ich würdigte Benskörper einen letzten Blick bevor ich ihn hob und aufstand. 

Nahuc stand auf seinen Hinterbeinen und erwischte Isaac mit seiner Pranke. Seine unglaubliche Kraft schleuderte ihn durch die Luft. Er winselte auf, als er unglücklich auf dem Boden aufkam und sein Hinterbein gefährlich wegknickte. Aidan stieß ein erschüttertes Knurren aus und warf sich auf Nahuc, während Jace ihm an die Kehle ging. Kalter Schweiß brach auf meinem Körper aus, als ich zum ersten mal den Größenunterschied zwischen ihnen erkannte. Aidan und Isaac waren nur halb so groß wie er und auch Jace, der zwar größer war als die Beiden, war noch ein ganzes Stück kleiner als er. Nein so wird das nichts. Sie konnten ihm schon beim letzten Kampf nichts anhaben. Jace knurrte und versuchte mit aller Kraft seinen Kiefer noch mehr zu schließen, jedoch gelang es ihm nicht. Nahuc schüttelte sich, trat nach hinten aus und erwischte Aidan, dem die Luft aus dem Körper gepresst wurde, auch seine Wunde blutete stark und ließ ihn so zu Boden gehen. Erneut holte Nahuc mit seinen Klauen aus. "Pass auf!", schrie ich. Für einen Moment trafen sich unsere Blicke und ich hielt den Atem an.

Der Wolf in MirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt