Kapitel 77: Eine weitere Narbe

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Die plötzlichen Gefühle ließen mich an mir selbst zweifeln. Welche davon waren real? Welche waren meine? Die ganzen Bilder, dieser verschiedenen Frauen und alle sahen mir auf eine bizarre Art und Weise ähnlich. Die Eine hatte meine durch und durch blauen Augen mit dem selben kleinen goldenen Ring um die Iris, eine Andere hatte die selben Gesichtszüge und wieder eine Andere hatte das selbe Muttermal. Fast schon unbewusst hob sich meine Hand und ich berührte die kleine Stelle unter meinem Kinn, an der sich das Muttermal befand. Doch sue waren trotzallem unterschiedlich. Das was sie miteinander verband, war der gleichen Ausdruck in ihren Augen. Und genau das ließ mich von oben herab erschaudern. Ob ich ebenso schaute? Diese Frage hallte durch meinen Kopf mit noch mehr Gefühlen, die auf mich einschlugen. Es nahm einfach kein Ende. Das ist einfach zu viel für mich. All diese Gefühle ohne Halt. Sie brachen auf mich ein, zogen mich in ihre tiefe, sodass ich in ihnen langsam erkrank. Ich wollte einfach nur raus. Raus aus dieser tief schwarzen Masse aus purem Hass. Stop. Das Summen wurde immer lauter. Hört auf, hört auf... Ich schnappte nach Luft, doch die flüssigen Gefühle drangen in meine Lunge. Es tut weh... Hört auf! Stop, stop, stop! STOP! Die Verzweiflung packte mich und ich konnte nichts anderes mehr, außer zu schreien. Ich schrie so laut es ging. Ich wollte dass sie gehört werden. Der Schmerz, der Hass, die Liebe... Nach und nach verstummte das Summen und die unruhigen Gefühle legten sich langsam nieder. Die schwarze Masse beruhigte sich und schwallte wie ein kleiner See sachte umher. Endlich bekam ich wieder Luft. Ich würde nicht an ihnen ersticken. Dennoch hörte ich nicht auf zu schreien und als sich meine Sicht klärte und ich den Wolf vor mir erblickte, der einen Schritt zurück gewichen war, zog ich all diesen Hass in mich auf. Aber ich würde mich nicht einfach unterwerfen und den Stimmen in meinem Kopf, die mir sagten Ich solle auf ihn zu stürmen und ihm die Kehle herausreißen, freien lauf lassen. Denn genau dieser Hass war verantwortlich dafür gewesen, dass jede einzelne meiner Vorgängerinnen ihr Leben lassen musste. Ich würde nicht so enden! Das sagte ich zwar, aber die Chancen dazu standen gegen mich. Ich sank meine Stimme und stoppte den Schrei. Das Biest, oder auch Nahuc genannt, stand in seiner vollen Größe vor mir. Größer als jeder Wolf den ich bisher gesehen hatte und pure Muskeln die unter seinem Fell pulsierten und sich ungeduldig anspannten. Seine Augen waren von Zorn getränkt. An seiner Brust und seiner Pranke verklebt dunkles Blut sein Fell, während sich seine brust, durch die tiefen atemzüge hob und wieder senkte.

Nahuc stand starr auf der Stelle. Seine überraschte Starre schenkte mir einige Sekunden Zeit, die ich benötigte um mir über Benjamins Zustand noch einmal bewusst zu werden. Er lag unter einem Baum und regte sich nicht. Keine Spur, dass er noch atmete. Der Baumstamm der alten Eiche, war an der Stelle zerbrochen, an dem er Bens Körper voller Wucht abgefangen hatte.
Mein Herz wurde schwer und die Kälte die meinen Körper übernahm machte mir bewusst, dass ich Angst hatte. Nicht um mein Leben, sondern um das der Person die da am Boden lag. Wenn er sterben würde, wäre es meine Schuld. Nicht nur hatte ich seine schwester getötet, sondern ihn mit in mein Verderben gerissen. Bens Gesicht war mir nicht zugewandt, jedoch roch ich das frische Blut, dass der Wind an mich heran trug. Scharf zog ich die Luft ein und wandte meinen Blick ab.
Noch vor wenigen Monaten habe ich ihm sogar mit dem Tod gedroht, aber jetzt... ich spürte nichts als Leere. Ich hasste ihn nicht mehr. Klar, er hatte mir mehr als nur ein Mal gesagt, dass er mich töten wird, aber er hatte seine Gründe. Immerhin habe ich ihm seine Schwester genommen und nachdem Adam wieder aufgetaucht war, verschwand auch das letzte bisschen Wut aus mir. Für einen Moment schloss ich meine brennenden Augen und ballte meine Fäuste. Als ich sie wieder öffnete, sah ich eine Regung in meinem Augenwinkel, genau an der stelle an der Ben lag. Augenblicklich drehte ich meinen kopf zu ihm um, er war nicht tot! Doch was mir erst bewusst wurde, als ich Bens Röcheln vernahm, war, dass ich nicht nur mich selbst, sondern auch Nahuc wieder zu Sinnen gebracht habe.

Seine Pupillen zogen sich zusammen und sein verstummtes Knurren erblühte lauter und zorniger als zuvor. Er zögerte keine Sekunde mehr, sondern drückte sich ab und kam mit schnellen Sätzen auf mich zu. Erschrocken riss ich die Augen auf und sprang im letzten Moment aus dem Weg. Seine scharfen Krallen erwischten mich am Arm während sein warmer fast heißer Atem meinen Nacken streifte. Schmerz schoss durch meinen Arm und ließ mich für einen Moment aufschreien. Ich stürzte in dem Moment zu Boden, als er sich erneut zu mir umdrehte. Ich durfte ihn nicht aus den Augen lassen, sonst ist das mein Ende. Schnell bewegte ich meinen Kopf in seine Richtung, was eindeutig ein Fehler war. Schwarze Pünktchen füllten mein Sichtfeld und Schwindel packte mich. Nahuc machte sich wieder bereit. Als sich seine Muskeln anspannten und er wieder auf mich zu kam. Mit letzter Kraft entkam ich ihm gerade so, dass sich sein Kiefer, statt in meine Seite, in mein Bein bohrte. Erneuter Schmerz schoss durch meinen Körper und trieb Tränen in meine Augen. Ein entsetzlicher Schrei wich aus meiner Kehle. Meine Finger Gruben sich in den weichen Waldboden und das wenige Laub was am Boden lag.

Das war also wirklich mein Ende. Ich würde hier sterben. Meine Augen schlossen sich vor Schmerz, während ich noch immer entsetzlich schrie. Das war mein letzter Abend an dem ich meine Eltern gesehen habe. Meinen Bruder, der mich immer versucht hat zu beschützen. Meine Freunde, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Adam, der mich auf eine Art und Weise einfach verrückt gemacht hat. Ethan, den ich bedingungslos Liebe.
Sie würden... nein ich konnte es ihnen nicht antun. Ich kann doch nicht aufgeben, ohne es probiert zu haben. Ich würde kämpfen und ich will, dass sie wenigstens wissen dass ich mit all meiner Kraft gekämpft habe. Meine Finger gruben sich noch tiefer hinein. Ich schlug die Augen auf und biss meine Zähne so stark zusammen, dass ich das Gefühl hatte sie würden zerbrechen. Ruckartig drehte ich mich um und zog meine Krallen über die empfindliche schnauze des Monsters vor mir. Eine Narbe mehr, die ihn bestückte. Sein Kiefer lockerte sich, wodurch ich die wenige Kraft die ich hatte, dazu bündelte ihm mit meinem anderen Bein gegen die freiliegende Kehle zu treten. Er taumelte zurück, wodurch ich nach vorne krabbelte und mich auf die Beine aufrichtete.

Wütend hob er die Lefzen und leckte sich über die kleine Wunde an seiner schnauze, dabei beobachtete er mich intensiv. Ich erwiderte seinen Blick und schaute ihm in die bedrohlich roten Augen, die mich belustigt anfunkelten. Ich stand wenige Meter von ihm entfernt, mein Gewicht nur auf ein Bein stützend, während sich meine Fingernägel in meine Hand bohrten. Er wollte mich leiden sehen. Ich schluckte den Schmerz herunter und atmete tief ein, bevor ich mit geballter Stimme sprach:
"Ich habe nicht vor mich dem Tod einfach so hinzugeben. Ich werde mich bis zu meinem letzten Atemzug wehren und dir gewaltig in den Arsch treten! Mach dich darauf gefasst, dass dein entstellter Körper noch mehr Narben davon tragen wird!"

Der Wolf in MirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt