Kapitel 59: Gebrochen

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Für eine geraume Zeit lagen mein Blick auf den Alpha vor mir. Seine Haare waren durch den ganzen Stress heute Abend leicht strubbelig, während eine Strähne in sein Gesicht viel, was ihn nicht zu stören schien. Seine müden Augen waren noch immer auf Adam gerichtet und durch das matte Licht sahen sie viel dunkler aus und schimmerten wie flüssiger Honig. Sein Brustkorb hob und senkte sich in einer beruhigenden Art und Weise, sodass ich anfing über meine Frage nachzudenken. Hatte ich überhaupt das Recht ihn das zu fragen? Zweifel überkamen mich und die Gedanken schossen mir nur so durch den Kopf. Ich versuchte die Reaktionen von Ethan abzuwägen und nach einigen Sekunden, als ich mir sicher war ihn nicht zu Fragen, hob ich meinen Kopf. Augenblicklich war mein Kopf wie leer gefegt. Keine Zweifel mehr, nur das verlangen danach, meinen Mate zu beschützen. Vor all dem Schmerz im inneren seiner Seele. Es war das erste mal, dass ich ihn so sah. Vielleicht lag es auch daran, dass er erschöpft war, aber all sein Schmerz, der Verlust und die Angst es noch einmal zu erleben schwall in seiner Seele an und trat schlussendlich hervor. Seine Augen zeigten mir all das, was ich zuvor bei ihm noch nicht gesehen hatte. Seine tiefsten Erinnerungen. Langsam öffnete sich mein Mund und automatisch stellte ich ihm die Frage, die ich ihm nicht stellen wollte. "Wer ist Ben für dich?"

Die Frage war wie der Kaffee am frühen Morgen. Sie weckte ihn auf. Seine Körperhaltung spannte sich an und er blinzelte einige Male bevor er wieder bei Besinnung war. Seine Augen wurden wacher und fanden seinen Weg zu meinen. Mittlerweile schossen die kleinen Sorgen wieder durch meinen Kopf und verwüsteten meine Gedanken aufs Neue. Ethans Augen schimmerten und es war als würden Stunden vergehen, bevor er anfing zu Sprechen. "Er...", begann er mit einer Stimme die viel tiefer klang als normal. "Er war der Mate meiner Schwester." Es brauchte einen Moment bis die Zahnräder in meinem Kopf zu rattern begannen und ich die Information aufnehmen konnte. Schwester? Ich habe noch nie von einer Schwester gehört... "Du... hast eine Schwester?", fragte ich vorsichtig und stellte mir dabei das Mädchen vor, welches in meinem Kopf viel Ähnlichkeit mit Ethan besaß. Schwarze lange Haare die ein schmales Gesicht einhüllten und atemberaubend schöne Bernsteine als Augenpaar, die durch lange Wimpern untermalt wurden, während ihre herzförmigen Lippen sich zu einem Lächeln formten. "Ich hatte.", sprach er leise und wendete sich wieder Adam zu. "Sie ist gestorben." Ein dicker Kloß blieb mir im Hals stecken und ich spürte wie das Blut mein Gesicht verließ und ich immer bleicher wurde. Ich stellte mir Jace an der Stelle seiner Schwester vor und spürte wie sich mein Herz zusammen zog. Was würde ich nur ohne ihn tun? Ohne meinen Bruder? "Wie ist es passiert?", flüsterte ich und lehnte mich wieder zurück an den Schrank, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen. Als Ethan nicht antwortete, beschloss ich nicht noch einmal zu fragen. Es riss zu viele Wunden auf...
"Du erinnerst dich daran wie meine Großeltern starben?", sagte er leise, seine Augen immer noch starr nach vorne gerichtet. Vor ungefähr zehn Jahren wollte ein Wolf dem Rudel beitreten, doch als er abgelehnt wurde, griff er das Rudel an und tötete dabei seine Großeltern bevor ihn Shila verjagen konnte. "Sie starben durch diesen Wolf." "Nicht ganz..." Ich bemerkte wie Ethan versuchte eine starke Stimme zu behalten, jedoch gelang es ihm kaum. "Ich habe meine Großeltern nie kennengelernt. Ich weiß nicht einmal ob sie am leben oder bereits tot sind. Wobei ich jedoch nicht gelogen habe, war der Angriff, nur der Zeitpunkt stimmte nicht. Es geschah vor drei Jahren als der Wolf bei uns aufkreuzte, er war ein Verstoßener, genau wie du, jedoch wurde er verbannt und durfte sich nicht mehr auf unserem Territorium blicken lassen. Doch er kehrte zurück und bat meine Mutter ihn und seine Leute wieder auf zu nehmen. Sie weigerte sich seinem Wunsch nach zu gehen. Es geschah nachts, als..." Ethans Stimme versagte und seine Stärke bröckelte von ihm ab, wie trockene Erde von einem Pelz. Vor mir saß nur noch ein Alpha, dessen inneres gebrochen war. Voller Hass und Liebe. Voller Traurigkeit und Verzweiflung. Die letzten Jahre hatte er sich einen Schutzwall aufgebaut, der nach und nach Risse bildete und nun endgültig zerbrach und dass nur durch die Rückehr einer Person.
"Sie war mit Benjamin unterwegs, als er sie packte und vor seinen Augen zerfetzte. Er konnte nichts tun, als dabei zusehen wie seine Mate den letzten Atemzug machte..."  Ich hatte schon längst meine Kraft verloren und während mein Gesicht immer nasser durch die stillen Tränen wurde, setzte mein Herz aus, als sich eine Träne aus Ethans roten Augen löste und mir das erste mal alles von ihm preisgab. Vorsichtig hob ich meine Hand und fing die Träne an seiner Wange auf. Bei meiner Berührung schloss er die Augen und genoss meine Nähe. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und richtete mich auf, damit ich mich auf seinem Schoß niedergelassen konnte. Er hob seinen Kopf und blickte tief in meine Augen. Die rot unterlaufenen Augen enthüllten all den Schmerz den er niemals freien Lauf lassen konnte und brachte meinen Magen dazu sich zu verkrampfen. Ich hielt seine Hände an seinem Kopf und wischte ihm erneut die Tränen aus dem Gesicht.
"Es tut mir so leid was deiner Schwester widerfahren ist.", flüsterte ich unter Tränen erstickt und versuchte mich zusammen zu reißen. "Sie hat so ein Schicksal nicht verdient und du hast es nicht verdient alleine zu sein! Ich werde dich niemals verlassen hörst du! Ich bleibe bei dir und verspreche dir, dass wir das Monster finden werden..." Wie ein Funke der neu erwachte, blitzte es in seinen Augen auf. Seine Aura wurde wieder stärker, als das Ziel in seinen Augen wuchs und die Mordlust, dem Wolf gegenüber sich in seinem Inneren ausbreitete, mit dem Ursprung seines kläglichen Schmerzes. Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus und sofort griff er nach meiner Hand die noch immer an seiner Wange lag und senkte sie.

"Du bist wirklich etwas, Jenna Blake..." Ich wusste nicht ganz was er damit meinte und Verwirrung breitete sich in mir aus, doch bevor ich fragen konnte, was er damit meinte, zog er mich zu sich herunter und presste seine Lippen auf meine. Sofort ströhmte seine Wärme auf mich über. Von seinen Lippen über meine fand sie ihren Weg immer tiefer in meinen Körper, bis zu meinem Bauch, der zu kribbeln begann und ein süßliches Gefühl in mir auslöste. Ohne zu zögern erwiderte ich den Kuss, der nun immer härter wurde. Ich wollte seine Nähe. Seinen Körper näher an meinem spüren. Seine Wärme, sein Duft, sollte mich von oben bis unten einhüllen. Mein Körper presste sich nach Wärme suchend näher an seinen, während seine Finger über meinen Rücken strichen und ihren Weg unter mein Shirt fanden. Seine Fingerspitzen lösten an meiner nackten Haut ein kribbeln aus und ein leises Stöhnen entwich meinen Lippen. Doch nicht nur mein Stöhnen nahm ich war, sondern auch ein lautes hinter mir, welches durch knacken begleitet wurde. Auf einen Schlag, war alle Luft aus meinem Körper entwichen und brachte mich zurück auf den Boden der Tatsachen. Ich hatte meinen Patienten vergessen. Ich drehte mich um und blickte auf Adams verkrampften Körper, der sich langsam zurück in seine menschliche Gestalt verwandelte.
"Scheint so, als kann ich mich endlich um Adam kümmern.", sagte ich lächelnd und gab Ethan noch einen schnellen Kuss bevor ich aufstand und mich Adam zuwandte.

Der Wolf in MirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt