Kapitel 68: Anders

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Ich kann nicht sagen, wann Ethan den Raum verlassen hatte, geschweige denn wann ich eingeschlafen war. Ich bemerkte es erst, als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnten und ich dem mir so bekannten dunklen Weg folgte. Immer in Richtung des kleinen Fleckchens Licht, dass mir am Horizont den Weg wies. Umso länger ich lief umso mehr erhellte es die Bäume vor mir. Ich trat auf die kleine Lichtung, mit dem Blick auf den leeren Felsen gerichtet. Mein Blick schweifte kurz umher, doch von der Wölfin war nichts zu sehen. "Es ist viel heller.", bemerkte ich und schaute in den Himmel. Der sonst normale, und doch immer volle Mond, schien jetzt in seiner ganzen Pracht. Viel größer und heller, als ich es mir erträumen lassen könnte. Während ich so da stand und meine Augen sich in seiner Schönheit verloren, vergaß ich die Zeit um mich herum. Die Lichtstrahlen streichen sanft meine Wange, kühlten und doch erwärmten sie meine Haut. Diese Welt in meinem Inneren hatte keine Sonne, es war immer Nacht, egal wann ich sie aufsuchte. Es hatte mich nie gewundert, da wir die Nacht liebten und für sie Lebten. Doch warum sah es auf einmal so aus, als würde der Mond auf diese Welt brechen...?
"Du hast dich an eine Gottheit gewand." Ihre starke und freundliche Stimme drang so plötzlich zu mir herüber, dass ich zusammen zuckte. Ich drehte meinen Kopf und schaute erneut zu dem Felsen, auf dem jetzt die Wölfin lag. Sie lag dort in einer Gelassenheit, dass man denken könnte sie hätte dort die ganze Zeit gelegen und ich hätte sie einfach übersehen. Ein Zweifel setzte sich in meinem Kopf ab. Vielleicht hatte ich das sogar.
"Ja hab ich.", antwortete ich ihr und schritt ein wenig auf sie zu. Ihre blauen, fast Mond gleichen Augen durchbohrten mich. Doch was sollte sie herausfinden, was sie nicht eh schon wusste? Immerhin war sie ich selbst, oder besser gesagt: ein Teil von mir. Ich kletterte den Felsen empor und ließ mich neben der Wölfin nieder. "War das denn so falsch? Ich habe alles denkwürdige versucht um Nina zu retten. Das kleinste was ich noch für sie tun kann, ist ihr den Weg zu weisen." "Sich den Dingen sicher zu sein, heißt nicht gleich, dass man Recht hat.", sagte sie sanft und doch ausdrucksstärker, als es eigentlich sollte. Was meinte sie nur damit? Bevor ich das erste Wort meiner Frage überhaupt aussprechen konnte, spürte ich es. Eine unsichtbare Macht die meinen Körper streifte. Ich erinnerte mich an sie. Etwas rief mich. Wie an meinem ersten Tag spürte ich die Kraft die an meinem Körper zerrte und mich zurück in die Dunkelheit drängen wollte. Während sie mich packte und zurückzog, schauten mich ihre blauen Augen weiterhin an und verschmolzen mit der zunehmenden Entfernung immer mehr mit dem gewaltigen Mond. "Die Götter lauschen einem mehr, als man erwartet..." Ihre Worte hallten durch die Dunkelheit bis alles vom Schwarz verschlungen wurde. Vorsichtig öffnete ich die Augen und schloss sie sofort wieder, bis sie sich an die plötzliche Helligkeit gewöhnt hatten.

Die frühen Sonnenstrahlen strahlten in jede Ecke des Zimmers und hüllten es in einem wohltuenden Orange, dass einem die Seele wärmte. Mein Körper entspannte und ich atmete tief ein, bevor ich die Stille wahrnahm.  Alle Geräusche die mir vermittelt hatten, dass Nina noch lebte, waren verschwunden. Kein Hecheln oder schmerzliches Stöhnen. Kein schneller Herzschlag, den ich deutlich hören konnte. Nachdem sich meine Augen endlich an das schöne und doch unpassende Licht gewöhnt hatten, brannten sie so stark, dass es nur von meinen vergossenen Tränen sein konnte. Ich sehe bestimmt furchtbar aus und weinen kann ich sicher auch nicht mehr. Mein Körper hatte jegliches Wasser in meinem Körper durch mein Geheule aufgebraucht. Ich rieb mir die kleinen Körnchen aus den Augen und blickte auf Ninas leblosen schlaffen Körper, der in ihrem Bett lag. Ich begann zu zittern und sah ungläubig auf sie herab. Das konnte einfach nicht wahr sein. Ihre offenen Augen starrten mich an und das mit voller Leben. "Guten Morgen." Es war als rauschten tausende Volt durch meinen Körper. Ihre lebendige Stimme und ihr Aussehen ließ nichts auf ihre gestrige Verfassung auch nur irgendwie hin deuten. Ein bezauberndes Lächeln, welches nicht hätte schmerzfreier sein können. Ihr mit Farbe gefülltes Gesicht und die leicht geröteten Wangen, als hätte man ihr gerade hinein gekniffen, strahlten pure Gesundheit aus. Augenringe die kaum vorhanden waren und eher aus mangelndem Schlaf kamen, als von einer schweren Krankheit...
Ich merkte erst was mit mir geschah, als Tränen begannen auf meine Hände zu tropfen und ich anfing zu schluchzen. Ich schrie mir meine Seele aus dem Leib, als ich meine Arme um ihren Hals warf und sie nie loslassen würde. Ich hatte mich geirrt, und zwar in zwei Hinsichten. Erstens konnte ich noch sehr wohl weinen und das, obwohl meine Augen brannten als gäbe es kein Morgen. Und Zweitens war Nina am Leben, was nur an ein Wunder grenzen konnte. Schnelle Schritte und das plötzliche aufreißen der Türe interessierte mich nicht. Auch nicht, dass Ethan einen Teller mit Frühstück fallen ließ, der auf dem Boden zerschepperte, als er Ninas doch so lebendiges Gesicht erblickt hatte. Unglaube zog sich erst über sein Gesicht und als er endlich realisierte, dass sie wirklich Lebte und wohl auf war, zog sich ein kurzes Lächeln über die Lippen.

Ungläubig starrte ich auf die gut verheilte Wunde an Ninas Arm. Ich konnte mir doch nicht alles eingebildet haben?! Ethan hockte neben mir und auch er sah nicht gerade überzeugt aus. Eher verwirrt und überfordert mit der ganzen Situation. "Wie kann das sein?", fragte er, doch ich schüttelte nur den Kopf. Das konnte ich mir auch nicht beantworten. Die dunklen Adern waren ausgeblasst und nur gerade noch so sichtbar, während die Schwellung nicht mehr vorhanden war und von dem schwarzen Blut jegliche Spur fehlte. Eine Gesunde Kruste hatte sich auf die Wunde gelegt und sie verschlossen, fast so als wäre dort nur eine Abschürfung gewesen und keine tiefe Fleischwunde. "Wie fühlst du dich?", fragte ich Nina vorsichtig und konnte meinen Blick nicht von der so schnell verheilten Wunde lösen. Es war als erwartete ich jetzt zu sehen wie die Wunde weiter heilte. Doch ich schüttelte nur den Kopf. Das war wirklich idiotisch. "Ich fühle mich großartig.", sagte sie und als sie merkte, dass mir diese Antwort nicht reichte, sprach sie weiter. "Es ist so, als wäre ich kern Gesund, als wäre ich nie verletzt gewesen. Klar es schmerzt noch etwas, aber es ist ein kleiner Schmerz, der mit einer Schnittwunde zu vergleichen ist. Mein Körper fühlt sich an, als hätte ich eine Woche durch geschlafen und all diese aufgestaute Energie möchte mich endlich verlassen." Der Gestank von Verwesung und Tod, den das schwarze Blut verursacht hatte, war aus dem Raum verschwunden. Doch auch wenn er mir noch deutlich in der Nase lag, roch es jetzt nach meinen Kräutern und der selbstgemachten Medizin. Aber da war noch etwas anderes. An Nina klebte ein Duft den ich nicht zuordnen konnte. Wie als hätte sie sich verändert, oder ihre Seele? Sie war aber kein Wolf. Wölfe werden geboren, nicht geschaffen und ihr Geruch war noch der selbe wie zuvor, bis auf die süßliche Unternote, die mir vertraut und doch Fremd und fehl am Platz vorkam. Doch warum heilte sie so schnell? Hatte meine Medizin etwa gewirkt? Doch welche von meinen Mischungen? Oder lag es doch an meinem Gebet? Es war ja nicht einmal ein Gebet, es war ein Ruf der sie begleiten sollte. Das hatte ich schon einmal bei meiner Großmutter gesehen, sie hatte so eine alte Freundin verabschiedet. War es etwa so wie die Wölfin gesagt hatte? Die Götter lauschen einem mehr, als man erwartet? Es war, als wüsste sie, dass Nina nicht sterben würde. Doch woher? Sie konnte es doch nicht wissen, sie war doch ein Teil von mir... oder etwa nicht?

Der Wolf in MirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt