Kapitel 53: Der zweite Wolf

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Während ich von der Dunkelheit verschluckt wurde, bewegte ich mich auf den mir so bekannten Lichfleck hin. Ich fand mich in dem ach so grünen Fleckchen Wald wieder. Die weiße Wölfin war nirgends zu sehen und so fing ich an mich etwas umzuschauen. Ich kletterte auf den gewaltigen Felsen, auf dem die Wölfin immer saß und setze mich an ihre Stelle. Ich schaute in den Himmel und blickte den gewaltigen Mond an, welcher auf uns herab zu stürzen drohte. "Vollmond", flüsterte ich. Wie jedes mal wenn ich hier bin. Ich spürte eine Einbuchtung im Felsen, die sofort größeres Interesse weckte. Mit meinen Fingern strich ich über den Pfoten Abdruck, der wie eingemeißelt am Felsen hängte. Die Pfote, welche plötzlich in den Abdruck trat und perfekt hinein passte, ließ mich herum schrecken. Die weiße Wölfin blickte mich mit ihren blauen Augen an, die mir einen Schauer über den Rücken jagte. Ihr warmer und doch frischer Atem brachte meine Haarsträhnen dazu, sich zu bewegen. Ich hatte noch nie so nah vor ihr gestanden.
"Ich habe dich nicht erwartet.", sprach sie und ließ ihren Körper neben meinem sinken. Verwundert schaute ich sie an. "Was meinst du?"
"Ich habe dich nicht gerufen." "Aber wenn du mich nicht gerufen hast..., wieso bin ich dann hier?", fragte ich verwirrt. Ihre blauen Augen strahlten im Mondlicht, als sie mich anschaute. Die Stille zerriss mich innerlich mit Fragen und bevor ich den Mund öffnen konnte, um eine weitere fragte zu stellen, fing sie an zu sprechen. "Ich kenne die Antwort auf deine Frage nicht. Du bist aus eigenem Willen hierher gekommen." Verdutzt ließ ich den Blick nicht von ihr ab. "Wieso sollte ich das machen?", fragte ich und realisierte sofort, dass ich auch darauf keine Antwort erhalten würde. Die Wölfin legte ihren Kopf auf ihre Vorderbeine und schaute in den grünen Wald hinein. Nach einigen Minuten Stille, unterbrach ich diese. "Ich weiß nicht was ich hier dann soll. Schick mich lieber zurück."
"Das kann ich leider nicht.", sagte sie ohne den Kopf zu heben. "Du bist aus eigenem Willen hier und kannst nur aus eigenem Willen wieder gehen." "WAS!?", brüllte ich, wodurch die Ohren der Wölfin zuckten. "Ich kenne ja nicht einmal den Grund warum ich hier bin. Wie soll ich dann bitte wissen, wie ich nach Hause komme?"
"Dies ist ein Ort geschaffen im tiefsten deiner Seele. Ein Rückzugsort, ein Geheimnis, eine Heimat. Hier sind Gedanken und Gefühle verankert, die der Grund dafür sind, weshalb du freiwillig an diesen Ort gekommen bist. Diesen Gedanken musst du auf den Grund gehen, um deine Antwort zu erhalten.", ihre weise Stimme, war wie ein Funken Hoffnung und Beruhigung in meinen Ohren. Ich war froh nicht alleine an diesem Ort zu sein.

"Hilst du mir?", fragte ich entmutigt. Die Wölfin hob ihren Kopf und blickte mir in die Augen. Es war als könnte sie meine Seele lesen. "Zuerst musst du selber nach der Antwort suchen, danach werde ich dir behilflich sein." "Na gut.", sagte ich nickend und stand auf. Ich ließ die Wölfin hinter mir und ging tiefer in den Wald hinein. An einen Ort bei dem ich noch nie zuvor gewesen bin. Er war wunderschön und beruhigend. Selbst das Geräusch eines Astes, welcher zerbrach, brachte mich nicht aus der Ruhe. Mein Kopf drehte sich in Richtung des Geräusches, welches sich anhörte, als würden Blätter im Wind rascheln. 
Ein schimmernder Fuchs schaute mich an und rannte dann los. Vor Erstaunen weiteten sich meine Augen, als ich sah, wie die verschiedensten Tierarten schimmernd durch den Wald huschten und miteinander tollten. Hasen, Vögel, Wildschweine, Fuchse, sogar ein Dachs lag zusammengerollt auf einem Hügel. Ich schritt durch die Menge an Tieren, doch sie schienen mich kaum zu beachten, nur der Fuchs kam immer mal wieder neugierig auf mich zu und rannte dann weg. Ich setzte mich auf den Boden und beobachtete ihn dabei. Langsam setzten seine Pfoten vor mir auf und liefen um mich herum, bis er neben mir stehen blieb und sich setzte. Seine Augen erinnerten mich an die von Ethan, was mich unbewusst zum Lächeln brachte. Ich streckte meine Hand aus, doch der Fuchs drehte sich rasch weg und lief in den Wald hinein. Etwas enttäuscht schaute ich ihm hinterher und dann geschah es. Dunkle Augen trafen meine. Während sein Fell weiß schimmerte und er leichtfüßig über den Boden schritt, hatte ich das Gefühl mich in diesen Augen zu verlieren. So dunkel wie die Nacht selbst, so geheimnisvoll und genauso schön. Meine Augen harrten weiter an dem König des Waldes, als er an mir vorbei strich und tiefer in den Wald hinein ging. Als ich das gewaltige Geweih sah, wusste ich sofort, um wen es sich handelte. Schon damals fand ich ihn faszinierend und so majestätisch. Aber wie kam er hier her? Ich schaute noch einmal auf die Tiere welche gelassen auf dem Boden saßen und schimmerten. Sie waren an einem Ort in meiner Seele, doch warum?...

Der Wolf in MirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt