Sofort begann ich mich zu wehren und wollte mich irgendwie befreien, bis ich die Stimme der Person hinter mir vernahm. "Ruhig, Gemma! Keine Angst ich bin's nur, hör auf zu zappeln!" Mir fiel wortwörtlich ein ganzer Felsbrocken von Herzen und ich hörte auf um mich zu schlagen.
Martin nahm die Hand von meinem Mund und ich wirbelte herum. "Bist du komplett irre? Ich dachte du wärst er.. ich dachte gleich ist es vorbei mit mir!" Wir durften nicht zu laut sprechen, da wir sonst unser Versteck verraten hätten. Martin nahm mich erstmal in den Arm, da ich wie verrückt schluchzte. "Hätte ich dir nicht den Mund zu gehalten, hättest du mit Sicherheit geschrien. Aber ich verspreche dir, wir kommen hier raus. Die Polizei hab ich schon informiert, die sind auf dem Weg und damit die uns sehen müssen wir wieder zur Straße kommen. Bist du schlimm verletzt?", fragte er. "Ein paar Schrammen und ich glaube ich hab mir beim Aufprall die Schulter verdreht."
Er ließ mich wieder los und begutachtete flüchtig die Verletzungen. "Normalerweise überlässt man solche Dinge ja den Stuntleuten, das hätte gehörig schief gehen können!", wies er mich zurecht. "Ich hatte keine andere Wahl, Stefan ist unberechenbar und ich musste einfach aus dem Auto raus!", erklärte ich ihm verzweifelt. "Ich weiß und es ist zum Glück gut gegangen. Nur hoffentlich ist dem Baby dabei nichts passiert.", antwortete Martin. "Wenn es überhaupt zu diesem Zeitpunkt noch am Leben war.", flüsterte ich den Tränen nahe. "Stefan, er.. er hat mir genau in den Bauch geschlagen.. das kann es nicht überlebt haben!" Martin sah mich entsetzt an. "Dieses Arschloch!", konnte er noch fluchen, bevor wir ein knackendes Geräusch hörten und vollends verstummten.
Kurz lugten wir über den Baumstumpf und erblickten Stefan, der nur wenige Meter von unserem Versteck entfernt war. Wir machten uns wieder ganz klein, ich zitterte vor Angst am ganzen Körper. Martin legte sich einen Finger auf den Mund um zu zeigen, dass ich keinen Mucks machen durfte. Ich hätte es auch so nicht gewagt, einen Laut von mir zu geben. Stefan war vermutlich stehen geblieben, denn das leise rascheln der Blätter und das gelegentliche knacken kleiner Äste waren verstummt.
"Ich weiß, dass du hier irgendwo steckst!" Der Schrei von diesem Wahnsinnigen ließ mich zusammen zucken. "Komm raus, ich tu' dir schon nichts. Ich will nur ein bisschen spielen, Gem." Ich wagte es kaum zu atmen und ich wollte nichts mehr, als das dieser Horror endlich ein Ende nahm. Wir konnten nicht herauskommen, ansonsten wären wir ganz sicher dem Tode geweiht. Also blieben wir zusammengekauert hinter dem Baumstumpf sitzen und warteten ab.
Martin blickte sich suchend um und fand einen Stein, den er sich schnappte und überlegte. Ich wusste schon was er damit anstellen wollte, ehe er überhaupt einen Ton gesagt hatte. Schnell legte ich meine Hand auf seine, meine stille Art zu sagen 'Tu das bloß nicht!' Er wollte den Stein werfen, um Stefan in eine falsche Richtung zu lotsen. Aber nachdem wir uns tief in die Augen gesehen hatten, nahm ich meine Hand von seiner. Irgendetwas mussten wir tun und ich vertraute ihm.
Schließlich war er hier um mir zu helfen, obwohl er selbst dabei sterben konnte und bei dieser Gewissheit konnte ich eine einzige Träne nicht mehr am hinunter laufen hindern. Martin bemerkte das, legte eine Hand an meine Wange und wischte diese sanft mit dem Daumen weg. Erneut blickten wir uns genau in die Augen und unsere Gesichter näherten sich einander, bis sich schließlich unsere Lippen berührten. Dieser Kuss war kurz und zaghaft, es war gerade auch nicht wirklich der richtige Ort dafür. Trotzdem fühlte es sich in diesem Moment unsagbar gut an, irgendwie richtig.
"Ich werde langsam ungeduldig!" Wieder schrie Stefan und diesmal klang es noch wütender als die Male davor. So holte er mich wieder in die Realität zurück und auch Martin konzentrierte sich wieder auf die eigentliche Situation. Erneut warf er einen kurzen Blick über den Baumstumpf, anscheinend hatte sich Stefan kurz abgewandt und Martin warf den Stein. Man hörte ein rascheln und er duckte sich schnell wieder. "Jetzt hab ich dich!" Mein Ex klang nun siegessicher und entferne sich hörbar.
Martin überprüfte nochmal ob die Luft wirklich soweit rein war und half mir dann beim Aufstehen. Wir wollten uns unbemerkt davon stehlen, aber Martin trat auf einen Zweig und wir wurden nun doch entdeckt.
Stefan kam sofort auf uns zu, die Waffe erhoben. Ich war starr vor Angst und blieb wie angewurzelt stehen, bis Martin mich an der Hand packte. "Lauf!", rief er und gemeinsam rannten wir los. Ein ohrenbetäubender Knall ertönte, Stefan hatte erneut geschossen und uns nur knapp verfehlt. Immer wieder dreht ich mich nach ihm um, stolperte dadurch einmal und fiel hin. Sofort half Martin mir wieder auf und die Hetzjagd ging weiter. Sirenen heulten irgendwo in der Nähe und durch die Bäume konnte Polizeiwägen auf der Straße vorbeirasen sehen.
"Wo wollen die denn bloß hin, wir sind doch hier oben!" Ich hatte Panik, dass sie uns nicht finden würden. "Das können die doch nicht wissen, aber sie werden bei unseren Autos ganz sicher stehen bleiben! Deshalb müssen wir da jetzt runter!" Er deutete auf den Abhang, den wir vorhin hinauf geklettert waren. Martin ging voraus und ich folgte ihm unmittelbar danach. Stefan hatten wir zum Glück erstmal abgehängt, zumindest allem Anschein nach. Langsam tasteten wir uns Schritt für Schritt voran, immer darauf bedacht nicht auszurutschen. Zuletzt mussten wir noch über den kleinen Graben springen und hatten wieder festen Boden unter den Füßen,
"Komm mit!", befahl Martin mir. Wir mussten nur noch dort hin gelangen wo die Autos standen, dort würden wir sicherlich auf die Polizei treffen und die würden Stefan fassen. Nur machte der uns erneut einen Strich durch die Rechnung, denn wir waren noch nicht weit gekommen, da kam Stefan den Hang hinunter und lachte gehässig. "Endstation!", schrie er und zielte auf uns. Martin stellte sich schützend vor mich und Stefan lief langsam auf uns zu. "Ich hab genug Munition, die reicht für euch allemal!" Er entsicherte den Revolver und sagte meinem Leben schon Adieu.
"Da vorne!", rief auf einmal jemand und ich blickte an Martin vorbei, eine Gruppe bestehend aus mehreren Polizisten stürmte auf uns zu. Auch Stefan hatte sie bereits gesehen und wusste, dass er schleunigst verschwinden musste. "Scheiße!", fluchte er und wollte an uns vorbei, aber Martin stürzte sich auf ihn und es entstand eine Rangelei. Mein Ex wollte sich seine Waffe schnappen, die ihm aus der Hand gefallen war und ich kickte sie schnell weg.
Martin hatte Stefan inzwischen unter Kontrolle gebracht und dieser fixierte mich mit einem hasserfüllten Blick. "Weist du, was du bist? Nichts weiter als eine elendige, billige Hure! Ein dreckiges Flittchen, das zu nichts zu gebrauchen ist!" Er warf mit Schimpfwörtern nur so um sich und mich packte die Wut. Ohne großartig über etwaige Folgen nachzudenken, hob ich die Pistole vom Boden auf und richtete sie auf meinen Peiniger.
"Achtung, sie hat eine Waffe!", warnte einer der Beamten seine Kollegen und sie hielten Abstand, die Hände waren bereits an das Holster an ihrem Gürtel gelegt. Dort drin steckten ihre Dienstwaffen, die sie aber noch nicht heraus zogen. "Ich könnte es jetzt einfach beenden!", teilte ich allen Anwesenden mit. "Einfach abdrücken und du würdest nie wieder aufstehen!" Das war jetzt nur an Stefan persönlich gerichtet. "Das traust du dich nicht!", antwortete er und machte mich nur noch wütender. "Werden wir ja sehen!" Meine Hände zitterten und ich entsicherte den Revolver.
"Miss, Nehmen sie sofort die Waffe runter!", forderte mich einer der Polizisten auf, aber ich dachte gar nicht daran. "Gemma, lass den Unsinn!", mischte sich nun auch Martin ein ließ Stefan los, beide standen auf. "Worauf wartest du denn noch? Tu es!", drängte Stefan mich lachend und kam näher. "Bleib weg von mir, du Bastard!", schrie ich. "Du wirst mir nicht mehr weh tun, nie wieder!" Meine Stimme wurde mit jedem Wort leiser.
"Ich sage es jetzt nur noch ein Mal. Nehmen sie die Pistole runter und lassen sie uns das klären, ansonsten werden wir sie auf unsere Art entwaffnen!", drohte der Beamte erneut an. "Sie wissen nicht, was ich die letzten Monate ertragen musste. Dieser Mann hat mich regelmäßig verprügelt und missbraucht, mein Leben zerstört!", herrschte ich ihn an, ohne Stefan aus den Augen zu lassen. "Ich kann sie verstehen, aber das ist keine Lösung!", stellte der Polizist klar und auch Martin schaltete sich wieder mit ein.
"Er hat Recht, Gemma. Wenn du ihn erschießt, wirst du dich nur schuldig fühlen und er wird nie seine gerechte Strafe bekommen. Denk an dein Kind, soll es etwa in einem Heim aufwachsen? Man wird dir einen Mord anhängen und du wirst im Gefängnis landen."
Insgeheim wusste ich, dass sie alle richtig lagen. Würde ich abdrücken, wäre ich eine Mörderin und solchen Menschen drohten jahrelange Gefängnisstrafen. Aber ich konnte gerade einfach nicht klar denken, dieses Gefühl über Stefan bestimmen zu können war stärker als jegliches Fünkchen von Vernunft. "Ich werde kein Kind haben, Martin! Er hat es umgebracht, er allein und dafür wird er büßen!" Das ich einmal kurz davor sein würde jemanden umzubringen, hätte ich von mir selbst nie gedacht.
"Das wird er, Gem." Zum ersten Mal nannte Martin mich bei meinem Spitznamen, den musste er wohl bei meinem Ex aufgeschnappt haben. "Und ob das Ganze deinem Baby wirklich geschadet hat, lässt sich nur im Krankenhaus klären." Martin kam zu mir und hielt mir seine offene Hand hin. "Komm schon, gib sie her. Damit würdest du ihm nur einen Gefallen tun, verstehst du? Er wird seine gerechte Strafe bekommen, versprochen!" Skeptisch blickte ich zwischen Martin und Stefan hin und her, der schien sich köstlich zu amüsieren. Plötzlich erinnerte ich mich wieder an meine Gedanken die mir durch den Kopf gegangen waren, als ich beinahe mein Baby mit einer kleinen Pille umgebracht hätte. 'Ich will keine Mörderin sein!'
Diesen Satz wiederholte ich nun immer und immer wieder still, bis ich schließlich die Waffe runter nahm und sie Martin übergab. Ich wandte mich schon ab, als Stefan mich nochmals provozierte. "Angsthase! Ich hoffe das Balg ist wirklich tot und du kannst von mir aus auch verrecken!" Ich wirbelte herum und schlug ihm hart ins Gesicht, wo Martin schon vorhin seine Spuren hinterlassen hatte. "Und ich hoffe du wirst im Knast verrotten, dafür werde ich jedenfalls sorgen!"
Er wollte wieder auf mich los gehen, wurde aber von den Polizisten überwältigt und ihm wurden Handschellen angelegt. "Irgendwann wird du noch dein blaues Wunder erleben, Gemma-Catherine! Merk dir das und dreh dich immer zweimal um, das zahle ich dir noch heim!" Während er mir seine Drohungen zu schrie, sah ich ihm und den Beamten nach. Er wurde in einen Dienstwagen verfrachtet und von hier weg gebracht.
