Kapitel 75

138 6 0
                                    

Da sie los rannte, musste ich das automatisch auch und vergaß für einen Moment meine privaten Probleme. Nun war mein Können als Ärztin gefragt und da hatten diese Gedanken nichts zwischen drin zu suchen.

"Was ist das für ein Notfall?", wollte ich wissen, als wir den Fahrstuhl erreichten. "Es gibt keinen.", gab Sarah atemlos zu. "Wie jetzt?", fragte ich verwirrt. "Es gibt keinen Notfall. Ich hab euch nur beobachtet und dachte ich hole dich lieber aus der Situation raus, bevor es noch komplett eskaliert wäre.", erklärte sie mir. "Wir Beide holen uns jetzt einen Kaffee und dann kannst du mir erzählen, was das eben sollte. Und du brauchst gar nicht so zu gucken, ich akzeptiere keine Widerreden."

Und deshalb ließ ich das auch bleiben. Wir holten uns in der Cafeteria einen Kaffee und da dort alle Tische besetzt waren, setzten wir uns im Foyer der Klinik auf die Stühle. "Du hast doch sicherlich besseres zu tun, als dir mein Gejammer anzuhören.", sagte ich zu Sarah, die wartete das ich zu erzählen anfing. "Wenn das tatsächlich so wäre, würde ich jetzt im OP sein und nicht hier mit dir sitzen. Ich möchte dir nur helfen, Gemma. Das eben sah mir ganz danach aus, als würdest du jemanden zum Reden brauchen und hier bin ich." Ich musste lächeln, Sarah wollte wirklich für mich da sein und vielleicht ging es mir nach einem Gespräch mit ihr besser.

"Ich habe gerade jemanden behandelt, den ich laut Martin nicht hätte treffen dürfen.", begann ich zögerlich. "Der Typ heißt Distelmeier und anscheinend steht der mit den Grubers seit Jahren auf Kriegsfuß. Jedenfalls hat der sich heute verletzt und ich wollte hin fahren, da ausgemacht war ich übernehme heute die Hausbesuche und Notfälle."

Ich machte eine Pause und trank von meinem Kaffee. "Martin hat aber darauf bestanden, selbst hin zu fahren, aber da hab ich noch nichts von den Schwierigkeiten mit diesem Mann gewusst. Und anstatt mir zu erklären was das Problem ist, behauptet er ich wäre noch nicht soweit und er könnte mich keinesfalls allein solche Dinge erledigen lassen." Erneut stoppte ich. "Und was war da gerade los?", fragte Sarah. "Ich bin nach unserem Streit und nach einem Gespräch mit unserem Kollegen hierher gefahren, in der Hoffnung ihm so erstmal aus dem Weg gehen zu können. Eigentlich dachte ich, er wäre schon wieder gegangen und dann hab ich ihn unten in der Notaufnahme getroffen. Alexander hat mir den Auftrag gegeben, dem Mann in Raum 3 einen Gips anzulegen und dann ist Martin wieder so hoch gefahren. Ich bin trotzdem zu dem Typen rein und der hat mir dann einiges erzählt."

Ich schluckte. "Und was? Es ist wirklich besser, wenn man über solche Sachen redet.", ermutigte meine Kollegin mich. "Er hat mir nichts gesagt, was ich eigentlich noch nicht wusste. Nur.. wenn man ständig damit konfrontiert wird, dass keiner von der Beziehung in der du bist etwas hält.. dann kommen gewisse Zweifel auf. Er meinte es würde nicht lange dauern, bis Martin auch mich betrügt und ich sollte ihn doch gleich verlassen um mir das Ganze zu ersparen. Ich habe einfach Angst, dass er Recht hat.. das sie alle Recht haben und ich ihm nicht das Geringste bedeute."

Wieder kamen mir die Tränen, es war gerade einfach unvermeidbar.

"Komm mal her.", sagte Sarah mitfühlend und nahm mich in den Arm. "Bei euch war doch alles gut, vor ein paar Tagen hast du noch so dolle geschwärmt das sogar ich ein bisschen neidisch geworden bin. Das darfst du dir jetzt auf keinen Fall von solchen Leuten verderben lassen!", versuchte sie mich zu beruhigen. "Aber.. Aber es hört einfach nicht auf! Ich weiß das Martin in der Vergangenheit viele Frauen hatte und ich hab es geschafft darüber hinweg zu sehen. Nur wenn man immer damit konfrontiert wird.. und das von fremden Menschen immer an den Kopf geknallt bekommt.."

Ich wusste nicht wie ich das verständlich erklären konnte und begann stattdessen zu weinen. "Ach, Gem..", seufzte Sarah und drückte mich noch ein wenig fester. "Ich glaube dir ja, dass das nicht einfach ist. Trotzdem musst du auf dich selbst hören, nur du weißt was gut für dich ist. Du liebst Martin doch und vertraust ihm, oder?" Ich löste mich von ihr und nickte. "Also, dann kann dir das was andere sagen sonst wo vorbei gehen. Solange du dich wohl fühlst und ihm vertraust, ist das die Hauptsache. Solltest du selbst irgendwann berechtigte Zweifel bekommen, die nicht von der Meinung anderer ausgelöst wurden, dann erst sind sie berechtigt. Und jetzt.." Sarah holte eine Packung Taschentücher hervor und gab mir eines. "..hörst du auf zu weinen, das ist genau das was solche Menschen damit erreichen wollen."

Ich trocknete erstmal meine Tränen und putzte dann noch meine Nase, ich fühlte mich nun wirklich viel besser.

"Und was soll ich jetzt machen?", wollte ich von ihr wissen. "Auf jeden Fall nicht angekrochen kommen, er muss den ersten Schritt machen. Du hast dich vielleicht auch nicht gerade richtig verhalten, aber er hätte dich trotzdem nicht so abwertend behandeln müssen. Da muss er sich jetzt etwas einfallen lassen. Außerdem wollte ich dich schon mal fragen, wie lange du eigentlich schon nicht mehr ausgegangen bist.", lenkte sie erstmal von Martin ab. "Ausgegangen im Sinne von Party machen?" Sarah nickte. "Puh, das weiß ich schon gar nicht mehr. Das ist jedenfalls schon ewig her.", antwortete ich ehrlich und ahnte das sie gerade etwas plante.

"Dann wird es vielleicht mal wieder Zeit dafür. Hast du heute Abend schon was vor?", fragte sie mich. "Ich glaube nicht, Nein. Warum?" Aber die Antwort hätte ich mir auch so denken können. "Weil wir doch mal zusammen feiern gehen können, was hältst du davon?" Sie war total begeistert von der Idee, ich hingegen eher weniger.

"Ich weiß nicht. An sich hätte ich auch mal wieder Lust auszugehen, aber ich hab ein Kind und außerdem müssen wir Morgen doch wieder arbeiten.", gab ich ihr zu bedenken. "Du wärst Morgen ja eigentlich in der Praxis und wenn Martin meint er kommt so gut allein zurecht, dann kannst du dir Morgen getrost einen Tag frei nehmen falls es nötig ist. Und ich habe haufenweise Überstunden, da könnte ich die mal anfangen auszugleichen. Das mit deiner Tochter lässt sich doch bestimmt auch regeln. Wie wäre es, wenn du sie bei deiner Schwiegermutter ablieferst und dann zu mir kommst? Wir könnten uns fertig machen, dann irgendwo hin Feiern gehen und du vergisst mal deinen ganzen privaten Stress.", erläuterte sie mir ihren Plan.

"Vielleicht ist das schon längst überfällig.", meinte ich dann. "Das ist es definitiv, Gemma. Du bist jung und solltest das noch ausnutzen. Natürlich bist du Mutter und hast Verpflichtungen, aber du solltest dein Wohlergehen dadurch nicht aus den Augen verlieren.", antwortete Sarah. "Aber Martin wird bestimmt was dagegen haben.", befürchtete ich. "Der hat heute nichts mehr zu melden. Du bist erwachsen und kannst selbst entscheiden. Und nach dem was er sich er sich heute geleistet hat, kann er es dir sowieso nicht verübeln das du mal eine Ablenkung brauchst. Also, was sagt du? Bist du dabei oder bist du dabei?" Viel Auswahl gab es da nicht und Sarah hatte Recht, ich konnte machen was ich wollte und ich war ewig nicht mehr feiern gewesen.

"Ich bin dabei.", sagte ich schließlich. "Aber nur wenn Lisbeth wirklich Babysitten kann." Und das würde ich später zu Hause gleich abklären. Wir gingen dann wieder unserer Arbeit nach und ich freute mich mehr und mehr auf den Abend. Deshalb hoffte ich das es auch klappen würde, da ich vielleicht genau das mal wieder brauchte. Einen Abend, an dem ich den Kopf frei kriegen konnte.

Die BergdoktorinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt