Kapitel 30

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Das er aber gerade telefonierte, kam mir ganz gelegen und ich ging zur Tür. Dabei merkte ich wie mich sein Blick regelrecht verfolgte und war froh erstmal nach draußen zu Roman gehen zu können. Eigentlich hätte ich gleich auf die Idee kommen können, anstatt Martin ihn zu fragen. Aber das war mir erst nun im Nachhinein eingefallen, momentan brauchte ich viel länger zum denken.
"Roman, ich brauche mal kurz deine Hilfe.", sagte ich. "Klar, worum geht's denn?", fragte er mich lächelnd. "Die Hand des Jungen ist geprellt und ich möchte ihm einen Salbenverband machen und ihm außerdem noch ein leichtes Analgetikum verabreichen." Roman nickte. "Würde ich genauso machen, falls du das wissen wolltest.", meinte er. "Das ist gut zu wissen, aber ohne die nötigen Materialien kann ich nicht weitermachen. Ich finde weder eine Salbe, noch Kompressen oder Mullbinden in eurem Durcheinander!", erklärte ich ihm beinahe schon verzweifelt, da ich jeden Schrank durchsucht hatte. "Frag Martin, ist schließlich seine Praxis.", entgegnete Dr. Melchinger und wandte sich grinsend ab. "Der telefoniert."
Ich war zunehmend genervt, da auch noch er anfing mich zu veräppeln. Und natürlich kam Martin gerade jetzt heraus, sein Telefonat war beendet. "Jetzt anscheinend nicht mehr, also frag ihn. Ich genieße noch ein wenig die Sonne.", sagte Roman und somit war die Sache für ihn erledigt. "Was sollst du mich fragen?" Martin war hellhörig geworden. "Ich finde in deinem Verhau da drin nichts, du müsstest mir sagen wo ich was finde."
Er ging sofort mit mir rein und gab mir alles, was ich für die weitere Behandlung brauchte. "Das müsste alles sein. Falls noch was ist, scheu dich nicht zu fragen." Ich sah nochmal nach, ob ich wirklich alles hatte und konnte mich sogar zu einem 'Danke' durch ringen.
Gerade als ich mich wieder auf dem Hocker vor Riccardo nieder gelassen und seiner Mutter mein weiteres Vorgehen erklärt hatte, klingelte ihr Handy. Sie entschuldigte sich und verließ den Raum, somit war ich mit dem Kleinen allein.
Während ich den Verband an brachte, lenkte ich meinen kleinen Patienten ab, indem ich mich mit ihm über seinen Urlaub unterhielt und das klappte erstaunlich gut. Lediglich als ich ihm die Spritze geben wollte weigerte er sich zunächst, ließ es dann aber doch über sich ergehen. Danach führte ich noch ein kurzes Gespräch mit den Eltern und sie versprachen mir sofort ein Krankenhaus aufzusuchen, falls sich die Schmerzen ihres Sohnes zu Hause verschlimmern oder sie anderweitige Komplikationen bemerken sollten.
Zum Abschied schenkte ich Riccardo noch ein paar Bonbons, die er von Martin ja nicht angenommen hatte, sich aber bei mir riesig darüber freute. Die kleine Familie stieg ins Auto und fuhr davon, nun brauchte ich erstmal eine Pause und setzte mich zu Roman auf die Bank. "Das hast du gut gemacht.", lobte er mich. "Danke, da bin ich ja erleichtert. Der Kleine war so süß, ich bin froh das ich ihm helfen konnte.", schwärmte ich und nahm mir eine Tasse vom Tisch, die augenscheinlich unbenutzt war.
"Gehört die jemandem?", fragte ich Roman und er grinste. "Die hat Martin sich vorhin mit raus genommen, aber dann sind unsere unangemeldeten Patienten aufgetaucht.", lautete seine Erklärung. "Pech gehabt.", meinte ich und schenkte mir Kaffee ein, zu dem ich noch Milch und Zucker gab.
"Jetzt schau nicht so, nur weil ich Kaffee trinke, obwohl ich schwanger bin. Eine Tasse am Tag macht dem Würmchen nichts aus und ich bin definitiv auf Entzug." Roman lachte daraufhin. "Damit hab ich kein Problem. Mich freut es nur, dass du trotz allem her gekommen bist und geholfen hast." Ich tat so, als würde ich nicht wissen wovon er sprach, was aber nichts brachte.
"Martin hat mir alles erzählt, ich bin also involviert." Das erleichterte mich irgendwie, so musste ich ihm nicht länger etwas vormachen. "Ich wollte dem Kind helfen, mehr nicht." Aber war es wirklich nur deshalb gewesen? "Selbstverständlich wolltest du das." Es klang, als würde er sich darüber amüsieren. "Genau wie Martin nur Andrea liebt. Kinder, ihr macht euch das Leben selbst schwer." Roman schüttelte leicht den Kopf und stand auf, erst jetzt bemerkte ich Martin der heraus kam. "Ich geh mal neuen Kaffee machen.", meinte Roman und ließ uns allein.
Martin setzte sich hin, hielt aber einen gewissen Abstand. "Roman und seine schlauen Sprüche.. Denk dir nichts dabei.", sagte er. "Warum nicht? Ich würde schon gern wissen, wie er zu solchen Aussagen kommt.", antwortete ich in einem ziemlich unfreundlichen Ton. "Gem, ich möchte jetzt nicht schon wieder mit dir streiten!", stellte Martin unmissverständlich klar. "Ich streite doch gar nicht!", entgegnete ich, da ich mir von jemandem wie ihm sicherlich nicht den Mund verbieten ließ. "Du legst es zumindest auf einen Streit an!"
Auch Martin war gereizt. "Dann rede doch nicht mit mir!", meinte ich herausfordernd und tatsächlich verstummte er, jedenfalls für genau zwei Minuten. "Es ist unfassbar, wie schnippisch du sein kannst!", murmelte Martin beleidigt. "Das war noch gar nichts!" Er hatte mich noch nie richtig in Rage erlebt, bis jetzt waren es immer nur Unterstufen gewesen. Ein paar mal in meinem Leben war ich schon ordentlich ausgerastet, da war auch mal etwas zu Bruch gegangen. Vielleicht sollte ich jetzt einfach aufstehen und gehen, schließlich war meine Arbeit hier getan. Aber nun wollte ich doch noch bleiben, ohne erklärbaren Grund. Es war als würde mich irgendetwas auf dieser Bank halten, als würde ich fest kleben.
"Du.. du..Zicke!", betitelte Martin mich nun und das konnte ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen. "Blödmann!" Wieder wurde es kurz still, dann begannen wir beide gleichzeitig zu lachen. "Wir benehmen uns wie Kleinkinder.", meinte ich und er stimmte mir sofort zu. "Stimmt, aber du bist das größere Kleinkind!"
So ging es noch eine Weile hin und her, die Stimmung lockerte sich allmählich auf. "Ich wollte mich noch für deine Hilfe bedanken, eigentlich hatte ich gedacht du würdest ablehnen.", sagte Martin plötzlich. "Wollte ich zunächst auch. Aber Alexander hat mir gedroht, mich an die Schwestern zu verleihen, falls ich mich geweigert hätte."
Er wusste natürlich, was mich dann erwartet hätte.
Auf einmal fühlte ich mich jedoch komisch und setzte mich ein wenig auf. "Was ist?", fragte Martin sofort. "Ich weiß nicht, irgendwas fühlt sich anders an." Ich legte meine Hand auf meinen Bauch, von dem dieses plötzliche Gefühl ausging. Aber es war keinesfalls schmerzhaft, eher war es ein leichtes und angenehmes Kribbeln, das von außen nicht zu spüren war.
"Gemma, hast du Schmerzen?", fragte Martin mich und man hörte ihm an, wie alarmiert er war. Er holte sogar schon sein Handy hervor, anscheinend um einen Krankenwagen zu rufen. "Nein, es fühlt sich an wie.." Ich überlegte, wie ich es am besten beschreiben sollte. "Wie, als würden Schmetterlinge in meinem Bauch herum flattern oder als würden Seifenblasen platzen." So hatten es zumindest werdende Mütter beschrieben, die erste Bewegungen ihres Babys wahrgenommen hatten. Und nun war es anscheinend bei mir soweit.
"Das ist mein Baby, es bewegt sich!", flüsterte ich ungläubig und konzentrierte mich vollkommen auf meinen Körper, immer noch spürte ich dieses sanfte Kribbeln. "Das ist möglich, ja.", meinte Martin nun und steckte das Telefon wieder ein. "Aber du hättest mich nicht so erschrecken müssen!", tadelte er mich, was ich aber ignorierte. "Hörst du mir eigentlich.." Ich ließ ihn nicht aussprechen. "Pscht!", machte ich und Martin hielt endlich mal den Mund.
"Bis jetzt habe ich es mir nicht vorstellen können und mich nur an Erzählungen von Patientinnen erinnert, sie haben nicht übertrieben.. Dieses Gefühl ist unglaublich! " Martin lächelte, es sah sehr liebevoll aus und über irgendetwas dachte er wohl nach. "Warte ab, bis das Kleine erstmal anfängt zu treten. Darauf freue ich mich ja jetzt schon, wenn es bei Andrea soweit ist.", meinte Martin nachdenklich und unwillkürlich stellte ich mir vor, wie er seine Hände auf Andreas Bauch legte, um die Tritte seines Kindes zu spüren. Dafür beneidete ich sie jetzt schon, denn der Vater meines Babys würde das nicht erleben. Auch war sonst niemand da, ich würde ganz auf mich gestellt sein. Und auch wenn der Mann in den ich mich verliebt hatte genau neben mir saß, so war er doch unerreichbar und die Stimmung kippte augenblicklich.
"Musstest du das jetzt unbedingt sagen?", fragte ich Martin und Tränen kullerten mir plötzlich über die Wangen. "Ich bin so ein Trottel!", murmelte Martin. "Es tut mir leid, ich hab gerade nicht nachgedacht!", sagte er unbeholfen. "Ist ja nicht das erste Mal! Aber falls du jetzt denkst ich heule wegen dir, irrst du dich! Das sind.. sind nur die Hormone!", log ich und wischte mir die Tränen ab.
Aber das half nichts, denn sie waren einfach nicht zu stoppen. Ich begann hemmungslos zu weinen und Martin war mit der Situation anscheinend total überfordert. "Beruhige dich, es ist alles gut!", redete er auf mich ein, aber das klappte ebenfalls überhaupt nicht. "Gem..", setzte Martin an und wollte mich berühren, was es aber noch schlimmer machte. "Fass mich nicht an!", schrie ich und sofort zog er seine Hände wieder zurück. "Okay, okay.", murmelte er erschrocken.
Im Augenwinkel sah ich, wie Martin in seine Kitteltasche griff und eine Packung Taschentücher heraus holte. "Aber ein Taschentuch darf ich dir schon geben, oder?" Vorsichtig hielt er mir eines hin, das ich ohne ihn anzusehen entgegen nahm. Aber gerade war ich nicht in der Lage mir die Tränen damit zu trocknen oder ähnliches, stattdessen legte ich einfach den Kopf in die Hände und sah wie die Tropfen auf dem Tisch landeten.
Ein paar Minuten blieb ich in dieser Position sitzen und es war nichts zu hören, außer mein gelegentliches Schluchzen. In meinem Kopf pochte es schmerzhaft, immer wenn ich weinte bekam ich diese eigenartigen Kopfschmerzen, die Stunden danach noch ihre volle Wirkung beibehielten. Also war mein freier Nachmittag somit versaut und an die bevorstehende Nacht wollte ich gar nicht erst denken. Morgen wollte ich nach München fahren, jedoch würde ich dies kaum umsetzen können, wenn ich nichts schlief. Auch wenn nur knapp eineinhalb Stunden Fahrt vor mir lagen, sollte ich wieder im Stau landen, würde ich das womöglich nicht durchhalten.
"Geht's wieder?", fragte Martin mich, als ich mich wieder aufsetzte. "Kann dir doch egal sein!", erwiderte ich trotzig und wollte schon aufstehen, aber Martin hielt mich fest. "Bleib bitte noch, ich möchte nicht das du so Auto fährst." Es klang wie ein Befehl, nicht wie eine Bitte. "Dann fahre ich halt gegen einen Baum, wen kümmert's." Martin hielt mich weiterhin an der Hand fest und zog mich zurück auf die Bank. "Mich.", antwortete er, obwohl es keine Frage gewesen war. "Du lügst, ich bin dir doch scheiß egal! Für dich war ich doch nur eine, mit der du dich über Andrea hinweg trösten kannst! Und ich bin so bescheuert.. gehe zu ihr und verteidige dich noch!"
Martin musste erstmal schlucken. "Du verarschst mich von hinten bis vorne und trotzdem springe ich, sobald du pfeifst! Bin ja jetzt hier, obwohl mir deine Patienten egal sein könnten.. obwohl du mir egal sein könntest, genauso wie ich dir egal bin!" Komischerweise fiel mir auf, dass Roman schon ewig Kaffee holte. Wahrscheinlich war das auch wieder nur ein Vorwand gewesen, damit wir miteinander redeten.
"Du bist mir nicht egal!", herrschte Martin mich nun an. "Im Gegenteil, ich.." Er brach mitten im Satz ab. "Sag schon!", forderte ich ihn sauer auf. "Du bedeutest mir viel, sehr viel sogar! Und wenn ich alles rückgängig machen könnte, würde ich es tun. Mich nicht wie das letzte Arschloch verhalten, das dir weh tut und dich ständig abweisen muss!" Martin blickte mich eindringlich an. "Diese Nacht mit dir war eine der schönsten, die ich je erleben durfte und ich muss jede Sekunde in der ich mit Andrea zusammen bin an dich denken!"
An seinen Augen erkannte ich, dass er die Wahrheit sagte. "Warum bleibst du dann noch bei ihr? Eure Beziehung ist schon mal gescheitert, mehrmals!", versuchte ich ihm klar zu machen. "Weil.. weil sie mir ebenfalls etwas bedeutet, schließlich ist sie die Mutter meines ungeborenen Kindes!", meinte er daraufhin und ich wusste, dass ich ihm ein Ultimatum stellen musste. Natürlich hatte er recht, Andrea trug sein Kind in sich und dafür hatte er eine gewisse Verantwortung. Trotzdem konnte es nicht so weitergehen, dieses Durcheinander musste ein Ende finden.
"Okay, hör zu. Du wählst ganz einfach zwischen ihr und mir.", erklärte ich ruhig. "Und ich bin sicher sie ist wirklich toll, aber Martin.. ich liebe dich!" Nun traute ich mich, es ihm zu sagen. "Es ist so eine wahnsinnige, verrücktgewordene Liebe, die es mir unmöglich macht dich zu hassen! Also wähl mich, nur mich! Liebe mich!"
Ich gab ihm einen Kuss und ich spürte, dass er meine Gefühle erwiderte. "Ich warte heute Abend im Gasthof auf dich. Und solltest du dich entschließen Andrea zu verlassen, dann kommst du da hin!" Martin war total sprachlos und das nutzte ich aus. Ich musste nun unbedingt hier weg, weshalb ich auf stand, mich ins Auto setzte und davon fuhr.

Die BergdoktorinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt