Kapitel 58

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Ich schlief die ganze Nacht durch und wachte erst auf, als ich ein Geräusch hörte.
Meiner Meinung nach war das die Wohnungstür gewesen und noch vollkommen schläfrig setzte ich mich auf. Mein Wecker zeigte mir die Uhrzeit an, es war kurz vor sechs und ich tastete das Bett neben mir ab. Es war verlassen und ich setzte mich auf, da ich mir nun sicher war das tatsächlich jemand die Wohnung verlassen haben musste.
"Martin?", fragte ich, jedoch war das natürlich überflüssig. Ich erhielt keine Antwort und schaltete die kleine Lampe auf meinem Nachttisch ein, nun sah ich das ich wirklich allein war. 'Er ist gegangen ohne mir Bescheid zu sagen!', dachte ich enttäuscht und Verzweiflung machte sich breit. Was, wenn er es erneut bereute das wir uns so nah gekommen waren und deshalb einfach abgehauen ist?
Betrübt ließ ich mich zurück ins Kissen fallen, beschloss dann aber aufzustehen. Vielleicht hatte er mir irgendwo eine Nachricht hinterlassen, jedoch glaubte ich in diesem Moment nicht daran. Ich zog mir meinen Morgenmantel an, der wie üblich am Fußende des Bettes bereit lag und hob erstmal meine Klamotten von gestern auf die noch immer auf dem Boden verteilt waren. Von Martin lag nichts mehr hier, wie auch wenn er vermutlich fluchtartig Reißaus genommen hatte. Anschließend machte ich den Rollo hoch und das Fenster auf, um etwas frische Luft herein zu lassen. Von hier aus sah ich auch, dass Martins Auto nicht mehr vor dem Haus stand. Ich verließ das Zimmer und schaute überall nach, ob er mir nicht doch einen Zettel da gelassen hatte. Aber ich fand nichts und auch auf meinem Handy war keine Nachricht vorhanden.
Kurz überlegte ich ihn anzurufen, entschied mich jedoch dagegen.  Ich wollte nicht als liebesbedürftige Singlefrau abgestempelt werden von einem Mann, der schon einige vor mir gehabt hatte. Und ich war anscheinend erneut auf ihn hereingefallen, obwohl er alles so glaubwürdig rüber gebracht hatte. Ich begab mich in die Küche um mir erstmal einen Kaffee zu machen, als ich hörte wie der Schlüssel ins Schloss der Wohnungstür gesteckt und umgedreht wurde. Derjenige der gerade herein kam, wollte anscheinend keinen Lärm machen, da er die Tür ganz leise wieder zu zog.
Das konnte nur Martin sein, der sich meinen Schlüssel ausgeborgt haben musste. Ansonsten konnte ich mir nicht erklären, wer sonst Zugang zu meiner Wohnung mithilfe eines passenden Schlüssels haben sollte. Um mich zu vergewissern, ging ich sofort hinaus in den Flur. Martin kam genau im gleichen Augenblick um die Ecke und wir konnten einen Zusammenstoß noch rechtzeitig verhindern. "Guten Morgen, du bist ja schon wach."
Er gab mir einen Kuss, den ich durch meine Verwunderung nicht wirklich erwidern konnte. Das blieb Martin nicht verborgen und er löste sich vorerst von mir. "Was ist denn los?", wollte er sich erkundigen. "Du warst weg.", antwortete ich, was aber ziemlich wenig aussagte. "Ja, ich war Brötchen holen." Demonstrativ hielt er nun eine Bäckertüte etwas höher, die er in der Hand hielt. "Eigentlich wollte ich noch schnell duschen und für uns ein Frühstück vorbereiten, solange du noch geschlafen hättest. Aber.." Nun jedoch dämmerte es ihm langsam. "Du dachtest ich wäre abgehauen, oder?"
Ich nickte leicht und merkte, dass mir die Tränen in die Augen stiegen. Die Erinnerungen von damals kehrten mit einem Schlag zurück und sie waren nach wie vor schmerzhaft, das würde ich wohl nie ganz überwinden können. "Als ich aufgewacht bin warst du nicht mehr da, dein Auto war weg, du hast keine Nachricht hinterlassen.. Da dachte ich du hättest es doch bereut und.."
Ich wandte mich von ihm ab und ging zurück in die Küche, da ich mich im Nachhinein für diese Gedanken schämte. "Da war die Vermutung, dass ich mich kommentarlos aus dem Staub gemacht habe, am naheliegendsten."
Martin folgte mir und legte seine Schlüssel, sowie die Tüte auf dem Tisch ab. Ich hatte mich an den Küchentresen gelehnt und fixierte den Boden. "Ach, Gem..", seufzte Martin und kam zu mir. "Komm mal her." Er nahm mich einfach in den Arm. "Jetzt hab ich dir wohl die Überraschung verdorben.", nuschelte ich in die Umarmung hinein. "Naja, ich kann dir dein Misstrauen mir gegenüber nach allem was passiert ist nicht übel nehmen. Aber wenn du dich jetzt nochmal ins Bett legst, mich schnell duschen und dann wie geplant alles vorbereiten lässt ist noch nicht alles verloren.", sagte Martin und lachte ein wenig. "Wie kommst du darauf, dass ich dich hier duschen lasse?", erkundigte ich mich und Martin ließ mich los. "Naja.. darf ich das etwa nicht?"
Ich musste mir das Grinsen verkneifen. "Nachdem du mir so einen Schrecken eingejagt hast, dass ich dachte du hättest mich wieder nur zum Spaß verführt, tendiere ich dazu dich ungewaschen raus zu schmeißen.", sagte ich vollkommen ernst. "Aber du machst das nicht wirklich, stimmt's?", wollte Martin wissen. "Eigentlich wäre mir ja danach. Aber nachdem du extra Brötchen geholt hast und ein Frühstück machen möchtest, will ich Gnade walten lassen." Man sah Martin die Erleichterung an. "Nur hätte da eine etwas andere Idee.", offenbarte ich ihm nun. "So?" Ich legte meine Arme um seinen Hals. "Was würdest du davon halten, wenn ich auch gleich mit duschen gehen würde? Das spart Zeit, Wasser und ich hab dich im Auge."
Er grinste, da ihm der Vorschlag wie erwartet gefiel. "Dein Plan ist viel besser als meiner. Und danach frühstücken wir gemütlich, bevor ich in die Praxis muss.", dachte Martin bereits über den weiteren Verlauf nach. "Wenn wir überhaupt zum frühstücken kommen.", gab ich ihm zu bedenken und küsste ihn. "Und wenn nicht wäre es auch nicht tragisch.", antwortete Martin und küsste mich gleich noch einmal. Ich nahm ihn an die Hand und führte ihn hinter mir her.
"Warte.", sagte er und wir hielten kurz an, damit er eine Tüte vom Boden aufheben konnte die im Gang neben dem Eingang zur Küche lag. "Was hast du denn da drin?", fragte ich ihn. "Wechselklamotten, Zahnputzsachen und Waschzeug.", erwiderte er. "Die hab ich immer im Auto mit dabei, falls ich mal über Nacht in der Praxis oder in der Klinik bleiben muss. Muss mich ja dann wenigstens etwas kultivieren und da du bestimmt kein Duschzeug für Männer hier hast, hab ich die jetzt einfach mal mit Rauf genommen." Das war eigentlich ganz praktisch bedacht und wir setzten dann unseren Weg Richtung Badezimmer fort. Schon jetzt konnten wir die Hände nicht bei uns behalten und ich hatte Martin gerade das Shirt ausgezogen, da vernahm ich eindeutig ein Quengeln aus dem Kinderzimmer.
"Deine Tochter hat ein schlechtes Timing." Martin wollte schon von mir ab lassen, jedoch fiel es mir ziemlich schwer jetzt aufzuhören. "Sie schläft sicher gleich wieder ein, wart es nur ab. Manchmal quengelt sie ein wenig und gleich darauf ist sie wieder ganz fest am Schlummern." Das überzeugte ihn und wir verfielen erneut in einen leidenschaftlichen Kuss.
Gerade als Martin den Gürtel meines Mantels öffnete, meldete sich Kira nochmal zu Wort. Diesmal fing sie sofort das Schreien an und schnell machte ich meinen Morgenmantel wieder zu, indem ich geschwind einen neuen Knoten band. "Die Mamapflicht ruft, entschuldige. Viel Spaß beim Duschen.", sagte ich, gab Martin noch flüchtig einen Kuss und musste ihn einfach stehen lassen. Ich beeilte mich um ins Kinderzimmer zu kommen, wo Kira weinend und zappelnd in ihrem Bettchen lag.
"Shh, shh, shh.. es ist alles gut, meine Kleine.", redete ich beruhigend auf sie ein, nachdem ich sie auf den Arm genommen hatte. Sie brüllte wie am Spieß und die Ursache dafür war eine volle Windel, die ich sofort wechselte. Während sie vor mir auf der Wickelkommode lag versuchte ich alles um sie zum lachen zu bringen, was nach einigen Versuchen endlich klappte. So konnte ich ihr in aller Ruhe eine neue Windel anbringen und ihr gleich etwas anderes anziehen.
"Hunger wirst du doch bestimmt auch haben.", vermutete ich und setzte mich mit ihr in den Sessel um sie trinken zu lassen. Wir waren gerade fertig, als Martin im Türrahmen stand. "Bin fertig. Wenn du möchtest kannst du jetzt unter die Dusche hüpfen, ich mache so lange das versprochene Frühstück und passe auf die Kleine auf." Ich stand auf und ging zu ihm, so ganz begeistert war ich von dieser Idee ja nicht. "Sicher das du das miteinander vereinbaren kannst?" Martin nickte und bedeutete mir, ihm Kira zu geben. "Wäre nicht das erste Mal, dass Kira und ich kurz allein miteinander sind. Und du hast doch selbst gemeint das wir uns gut verstehen, also bekommen wir das hin."
Also gab ich Kira an ihn weiter und ging zunächst ins Schlafzimmer um mir neue Klamotten zu organisieren und anschließend begab ich mich ins Bad um mir wie abgesprochen eine morgendliche Dusche zu genehmigen.
Frisch geduscht und angezogen kam ich dann aus dem Bad und musste zugeben, dass es mir wirklich gut getan hatte. Da Martins T-Shirt das er vor dem Duschen getragen hatte noch auf dem Boden herum gelegen war, trug ich dieses nun und war gespannt ob er es bemerkte. Auffällig war es jedenfalls, denn logischerweise war es mir ein wenig zu groß. Trotzdem fühlte ich mich auf Anhieb wohl darin und das der Geruch seines Aftershaves an dem Stoff haftete war mit der Hauptgrund dafür. Diesen fand ich nämlich äußerst ansprechend und mit einem Lächeln auf den Lippen lief ich durch den Flur zur Küche.
"Das haben wir zwei doch super hin bekommen!", lobte Martin gerade sich und Kira, die er auf dem Arm hatte. Unbemerkt blieb ich zunächst in der Tür stehen, um sie nur einmal zu beobachten. Der Tisch war nun gedeckt und das sehr schön, wie ich zugeben musste. Auf dem Herd stand eine Pfanne, an die Martin sich nun wieder erinnerte. "Fehlen nur noch die Spiegeleier, dann könnte deine Mama auch schon kommen."
Ich fand es einfach total süß, wie Martin mit meiner Tochter umging und sich auch so um mich bemühte. Gerade wirkte er wie ein Vater und den hatte ich mir insgeheim so sehr für meine Kleine gewünscht, nun hatte ich ihn anscheinend wirklich gefunden. Nur wollte ich mich noch nicht zu früh freuen, denn es konnte sich wie letztes Mal schlagartig alles ändern. Jedoch wollte ich daran jetzt nicht denken, da ich gerade überglücklich war.
"Ihre Mama wäre dann jetzt da." Mit diesen Worten machte ich auf mich aufmerksam. "Wie lange stehst du denn schon da?" Martin hatte sich erschrocken herum gedreht, vermutlich hatte er wirklich nicht mit mir gerechnet. "Lange genug um sehen zu können, was ich sehen musste." Ich ging zu ihm, um ihn zu küssen. "Und das wäre?", hakte Martin nach. "Ich habe gesehen, dass ihr zwei sehr gut miteinander auskommt.", antwortete ich  nahm ihm Kira dann ab. "Hast du etwas anderes erwartet? Wir waren ein tolles Team, schau dir mal das Frühstück an."
Martin deutete auf den Tisch und ich grinste. "Ihr habt so wie es scheint meinen ganzen Kühlschrank geplündert.", meinte ich und wir mussten lachen. "Quatsch, ein bisschen was steht noch drin.", stellte Martin die Sache richtig. "Setzt euch doch schon mal hin.", forderte er mich anschließend auf und das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Also setzte ich mich an den Küchentisch und sah Martin dabei zu, wie er die Kaffeekanne aus der Maschine entnahm und  mit dem Deckel verschloss. "Möchtest du Kaffee?", wollte er wissen und ich nickte. "Gerne." Martin füllte meine Tasse, die bereits auf dem Tisch stand und schenkte sich dann ebenfalls etwas ein.
"Spiegelei?", erkundigte er sich weiter und erneut nickte ich. Er schnappte sich meinen Teller, ging zum Herd und gab ein Spiegelei darauf. "Hier Bitteschön.", sagte er, als er meinen Teller wieder vor mir ab stellte. "Du bist ein Schatz, Danke. Aber womit hab ich das eigentlich verdient?" Martin lächelte nur und gab mir einen Kuss. "Das hast du dir einfach verdient, mehr werde ich dazu nicht sagen." Er holte sich dann ebenfalls ein Ei und wir fingen an zu frühstücken.
"Von mir aus könnte jeder Tag so beginnen.", meinte ich und lehnte mich etwas auf meinem Stuhl zurück. Kira, die ich die ganze Zeit über auf dem Arm gehabt hatte, platzierte ich auch etwas anders. "Das können wir auch gerne öfter machen. Moment mal.. was hast du da für ein T-Shirt an?" Nun war es ihm also doch aufgefallen. "Deins.", erwiderte ich und griff nach meiner Tasse. "Das lag auf dem Badezimmerboden herum und du hast mir selbst erklärt, dass man Gefundenes behalten darf." Martin lachte nur. "Ich schenk es dir, ich bekomme es ja vermutlich sowieso nicht so schnell wieder." Nun grinste ich noch breiter. "Schlaues Kerlchen. Aber ab und zu werde ich ein neues brauchen, spätestens wenn es nicht mehr nach dir riecht."
Eigentlich gab ich gerade total alberne Dinge von mir und Martin fand es sichtlich amüsant. "Ihr Frauen klaut prinzipiell T-Shirts und das nur wegen dem Geruch?", fragte er. "Nicht nur deshalb, die sind für uns richtig bequem. Solltest dich geschmeichelt fühlen."
Wir redeten dann noch eine Weile, bis Martin einen Blick auf die Küchenuhr an der Wand warf. "Ich sollte dann mal los.", stellte er fest und es stimmte, ansonsten würde er zu spät in die Praxis kommen. "Stimmt, ansonsten kommst du zu spät. Und ich soll wirklich nicht mitkommen?" Martin stand auf. "Nein, du bleibst hier und kurierst deine Migräne aus.", antwortete er grinsend. "Wie sie wollen, Herr Doktor.", sagte ich frech. "So will ich das und nicht anders."
Er kam zu mir und beugte sich hinunter, um mir einen Kuss zu geben. "Den Tisch sollte ich vielleicht noch abräumen, bevor ich gehe.", fiel Martin auf. "Nichts da. Du hast schon das Frühstück vorbereitet und ich räume deshalb ab." Ich bildete mir ein, dass Martin am liebsten noch länger geblieben wäre. "Das war doch kein Aufwand. Aber wenn du dich unbedingt revanchieren möchtest, hätte ich heute Abend gegen ein Essen von dir nichts einzuwenden."
Das verblüffte mich jetzt etwas. "Soll das heißen, du kommst nach der Arbeit wieder her?", fragte ich und Martin nickte. "Wenn du es mir erlaubst.", erwiderte er. "Nein." Das war natürlich nur Spaß, aber auch diesmal fiel er wieder darauf herein. "Nein?" Er war sichtlich entsetzt über diese Antwort. "Mensch, Martin.. du nimmst mich aber auch jedes Mal für voll, natürlich möchte ich das du wieder kommst. Und kochen werde ich für uns auch was, nur was erzählst du deiner Familie wenn du auch heute nicht zu Hause auftauchst?"
Ich hatte Angst, dass es vorher ans Licht kommen würde als wir ausgemacht hatten. "Das lass mal schön meine Sorge sein, da musst du dir nicht das hübsche Köpfchen drüber zerbrechen." Daraufhin küsste er mich auf die Stirn. "Ich werde es versuchen.", antwortete ich. "Und wünschst du dir was bestimmtes zum Abendessen?", wollte ich nun wissen. "Was typisch italienisches.", lautete seine einzige Bedingung. "Da wüsste ich direkt schon, was ich da mal wieder kochen könnte."
Ich hatte schon lange nichts aufwendiges mehr zubereitet, da es sich für mich allein nicht lohnte. "Ich lass mich überraschen, bis heute Abend." Zum Abschied küssten wir uns abermals. "Bis heute Abend.", antwortete ich. "Tschüss, kleine Maus.", verabschiedete er sich auch von Kira und streichelte ihr behutsam den Kopf. Sie schaute ihn ganz wachsam an und begann dann zu lachen.
Martin musste dann aber dringend los, weshalb ich ihn regelrecht hinaus scheuchen musste.

Die BergdoktorinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt