Die Wochen vergingen und inzwischen war ich im neunten Monat meiner Schwangerschaft angelangt. Inzwischen arbeitete ich nur noch halbtags in der Klinik und assistierte nun noch bei ausgewählten Operationen, jedoch half ich beinahe jeden Tag bei Martin in der Praxis aus. Es machte mir einfach Spaß und war eine willkommene Abwechslung zum Klinikalltag, auch wenn mich die zwei Männer mit ihrer speziellen Ordnung manchmal verrückt machten.
Martin hatte den Tod seines Kindes und den Weggang von Andrea weitestgehend verarbeitet, aber ganz darüber hinweg war er noch lange nicht.
Heute hatte ich nach meiner Schicht meinen voraussichtlich letzten Ultraschalltermin bei Dr. Wagner vor der Geburt. Je näher dieser Zeitpunkt kam, desto mehr Angst davor bekam ich. Zwar konnte eigentlich nicht großartig viel schief gehen, trotzdem würde ich allein da durch müssen und es bestand immer ein Risiko für Komplikationen.
Andererseits konnte ich es aber kaum noch erwarten, mein kleines Mädchen endlich im Arm halten zu können. Das Zimmer war inzwischen komplett fertig und bereit für das kleine Würmchen, es war noch schöner geworden als ich es mir ausgemalt hatte. Die Möbel hatten allesamt in den Raum gepasst und harmonierten perfekt mit der Farbe der Wände. Nur für einen Namen hatte ich mich noch nicht entscheiden können. Ob deutsch, italienisch, irisch oder ein Name vollkommen anderer Herkunft.. es war schwierig eine Auswahl zu treffen. Vielleicht würde ich ihr auch einen doppelten Vornamen geben, so wie ich einen hatte. Wie mein Baby letztendlich heißen sollte, würde sich aber bestimmt noch ergeben und deshalb grübelte ich einfach nicht weiter darüber nach.
Ich saß vor Dr. Wagners Büro im Gang der Klinik und sah die Bilder meiner Galerie auf dem Handy durch. Hauptsächlich waren es Bilder von der herrlichen tiroler Landschaft, aber auch viele weitere. Plötzlich entdeckte ich welche, die ich noch nicht gesehen hatte. Sie zeigten mich und Martin, als ich einmal bei ihm zu Hause war. Ich erinnerte mich, Lilli einmal mein Handy überlassen zu haben und da musste sie die wohl gemacht haben ohne das wir es mitbekommen hatten. Sie waren sehr schön, das musste ich zugeben und begann zu lächeln.
Während ich mir die Bilder allesamt nochmal ansah, vibrierte mein Handy. Angezeigt wurde mir eine SMS von Martin, die ich sofort öffnete. 'Mache bald Pause. Hättest du Lust mit mir zusammen bei Susanne Mittagessen zu gehen?', lauteten seine geschriebenen Worte und ich grinste. 'An sich gern, aber ich sitze noch im Krankenhaus fest. Hab doch meinen Ultraschalltermin.', schrieb ich zurück. 'Und danach?', kam nur Sekunden später seine Antwort. 'Danach ja, wenn du solange warten kannst.' Ich wusste das Martin brummelig werden konnte, wenn er Hunger hatte. 'Auf dich würde ich Ewigkeiten warten.' Diese Nachricht brachte mich abermals zum schmunzeln. 'Wie sie wollen, Dr. Gruber. In einer Stunde im Wilden Kaiser.', stimmte ich letztendlich zu. 'Einverstanden, bis später.'
Darauf brauchte ich nichts mehr zurück zu schreiben und konnte auch gar nicht, da Dr. Wagner mich nun in sein Büro holte. Nach dem üblichen Gespräch, ging es gleich ins Nebenzimmer zum Ultraschall. Bis ich auf der Liege lag dauerte es ein wenig, denn mit meinem großen Bauch konnte ich mich mittlerweile nicht mehr wirklich bewegen.
"Gibt es vielleicht Beschwerden, die wir gerade noch nicht angesprochen haben und die ihnen jetzt eingefallen sind?", fragte der Gynäkologe und gab schon das Gel auf meinen Bauch. "Nein, mir geht es eigentlich richtig gut. Außer das die Kleine mich nachts manchmal nicht schlafen lässt, weil sie meint Gymnastik machen zu müssen. Aber sonst fällt mir nichts ein, was gravierend wäre." Dr. Wagner lachte. "Das höre ich gerne und bald haben sie es schließlich geschafft.", meinte er und begann mit dem Ultraschall.
Wie jedes Mal verfolgte ich alles auf dem Bildschirm mit. "Ihr Baby liegt auch schon richtig, sehen sie? Mit dem Kopf nach unten, so wie es inzwischen sein sollte." Also konnte es jetzt jederzeit los gehen. Dr. Wagner war zufrieden mit uns und druckte mir noch das Bild aus, schrieb noch etwas in meinen Mutterpass und dann konnte ich gehen. Das nächste Mal würde ich meinen Arzt erst bei der Geburt wiedersehen, sofern jetzt keine Komplikationen auftraten.
Ich fuhr ich zum Gasthof und sah Martins Auto schon auf dem Parkplatz stehen. Er hatte uns draußen einen Platz gesichert. "Von vorne siehst du gar nicht so schwanger aus." Mit diesen Worten wurde ich grinsend von Martin begrüßt. "Wie kommst du denn jetzt darauf?", fragte ich und setzte mich ihm gegenüber. "Hab ich festgestellt, als du gerade her gelaufen bist.", erwiderte er. "Übrigens hab ich dir gleich einen Latte Macchiato mit bestellt, ich hoffe das ist in Ordnung.", fügte er noch hinzu. "Ist gestattet.", meinte ich und kramte in meiner Tasche nach meiner Handcreme. In letzter Zeit hatte ich sehr trockene Hände, was ich überhaupt nicht leiden konnte.
"Was hast du denn alles da drin, sag mal? Du wühlst da ja rum wie irre.", stellte Martin amüsiert fest, also würde ich es ihm zeigen. Ich musste meine Tasche sowieso leeren um die Tube zu finden, also verteilte ich den Inhalt einfach auf dem Tisch. "Also, da hätten wir.. Geldbeutel, Schlüssel, Kaugummis, Taschentücher, Labello.." Martin nahm sich diesen gleich. "Was ist denn ein Labello?", fragte er mich und begutachtete den Gegenstand in seiner Hand kritisch. "Lippenpflegestift. Kennst du so was nicht oder wie?", wollte ich wissen. "Doch, aber den Ausdruck hab ich ja noch nie gehört!" Ich lachte. "Interessant. Wenn man so spröde Lippen hat wie ich, ist so was ganz hilfreich.", erklärte ich ihm dann und hatte endlich meine Handcreme gefunden. "Wo hast du bitte spröde Lippen? Da hab ich andere Erfahrungen gemacht."
Seine Andeutungen waren mehr als deutlich. "Ach, da bin ich ja beruhigt.", antwortete ich und steckte alles nacheinander wieder ein. Bevor ich den Mutterpass zu fassen bekam, hatte Martin ihn sich schon geschnappt. "Ich darf doch sicher?", fragte er. "Jetzt hast du ihn doch eh schon, also ja." Er begann darin zu blättern und das Ultraschallbild von heute fiel heraus und landete vor ihm auf der Tischplatte. Als Martin es sich ansah, bemerkte ich wie er sich verkrampfte. Das musste etwas mit Niklas zu tun haben, da war ich mir sicher.
"Alles klar?", fragte ich besorgt nach und legte meine Hand auf seine, woraufhin er zusammen zuckte. "Was? Ähm.. ja, alles bestens." Aber das glaubte ich ihm nicht so ganz. Aber da Susanne nun mit unserer Bestellung kam, konnte ich nicht weiter nachfragen. "So, hier dein Kaffee.", sagte sie zu Martin und stellte ihm sein Getränk hin. "Und für dich einen Latte, aber Hallo erstmal."
Susanne umarmte mich kurz zur Begrüßung, dabei musste ich nicht mal aufstehen. "Hallo.", erwiderte ich freudig. "Deine Kugel ist ja seit letztem Mal schon wieder größer geworden.", stellte die Wirtin fest. "Und dabei warst du erst vor ungefähr einer Woche hier.", fügte sie noch hinzu. "Oh ja, ich hab das Gefühl sie wächst momentan ununterbrochen und damit den Alltag zu bewältigen ist nicht einfach.", räumte ich ein. "Bald hast du es ja geschafft, der letzte Ultraschalltermin ist auch abgehakt.", meinte Martin nun.
"Der war heute schon? Wie ist es gelaufen?", wollte Susanne wissen. "Sehr gut. Mittlerweile dreht sie sich mit dem Kopf schon nach unten, es dauert also wirklich nicht mehr lange.", berichtete ich. "Hast du das neue Bild dabei?" Ich nickte und holte es aus dem kleinen Heftchen heraus, dann gab ich es an Susanne weiter.
"Oh, wie süß! Sie sieht dir schon ganz schön ähnlich." Darüber musste ich lachen. "Das kannst du darauf doch gar nicht erkennen.", meinte ich amüsiert. "Ja gut, aber sie wird bestimmt mal ein sehr hübsches Mädchen.", antwortete Susanne. "Bei der Mama kann da nichts schief gehen.", wandte Martin grinsend ein. "Du bist heute so ein richtiger Schleimer!", sagte ich und wir drei mussten lachen. "Aber er hat ja recht." Susanne grinste nun ebenfalls, jedoch glaubte ich aus einem völlig anderem Grund. Inzwischen hatte sie sich neben mich gesetzt, damit wir uns noch etwas unterhalten konnten.
"Hast du jetzt eigentlich schon einen Namen gefunden?", erkundigte sich Susanne. "Nein, weil ich mich einfach nicht entscheiden kann. Ein paar habe ich in der engeren Auswahl, aber ich möchte die Kleine erst sehen bevor ich mich festlege.", antwortete ich. "Und dürfen wir erfahren, welche du schon ausgesucht hast? Vielleicht können wir helfen.", schlug Martin nun vor. "Ich dachte an einen italienischen Vornamen und vielleicht einen irischen Zweitnamen, so wie bei mir. Für den ersten fände ich Lia oder Kira sehr schön, auch Celia würde mir gefallen. Aber ich habe zum Glück noch etwas Zeit zum überlegen, hoffe ich jedenfalls."