Kapitel 46

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Erschöpft ließ ich mich zurück ins Kissen fallen und atmete tief durch. Martin tupfte mir vorsichtig die Stirn mit einem Tuch ab, wie er es die ganze Zeit über schon ein paar Mal getan hatte und lächelte. "Du hast es geschafft!", sagte er und und strich mir über die Wange. Wir sahen uns direkt in die Augen und ich blendete alles aus, was um mich herum passierte.
"Herzlichen Glückwunsch zu ihrer Tochter, Frau Morrow.", sagte die Hebamme und legte mir das kleine Wesen auf den Oberkörper. Es war ein unglaubliches Gefühl sie endlich sehen zu können und vorsichtig berührte ich das kleine Mädchen. "Hallo, du kleine Maus.", flüsterte ich und Freudentränen liefen mir über die Wangen. Die Gerüchte stimmten, denn die Schmerzen waren vergessen und ich hatte nur noch Augen für meine neugeborene Tochter. Diese sah mich mit noch ganz zusammen gekniffenen blauen Äuglein ganz neugierig an.
Ich bemerkte auch gar nicht, wie Dr. Wagner mir eine Spritze verabreichte, vor denen ich sonst eigentlich immer zu flüchten versuchte. "Ich habe ihnen Oxytocin gespritzt, das beschleunigt die Nachgeburt.", erklärte er, erhielt aber keine Antwort von mir. Sie sollten mit mir tun was nötig war, ich merkte davon gerade ja sowieso nicht wirklich etwas. "Am besten legen sie die Kleine gleich einmal zum trinken an, das stärkt die Bindung zwischen Mutter und Kind.", meinte nun die Hebamme, deren Namen ich nicht verstanden hatte. Sie zeigte mir wie ich das zu machen hatte und sogleich begann der Säugling gierig zu trinken.
"Du kannst dich ruhig wieder setzten, Martin.", sagte ich nun, da er aufgestanden war um uns ein wenig Privatsphäre zu geben. Er nahm wieder auf dem Stuhl neben uns Platz und begutachtete nun das Baby. "Sie hat deine Augen, die erkennt man jetzt schon.", meinte er streichelte behutsam das winzige Köpfchen. "Jetzt, da du sie im Arm halten kannst, welchen Namen wirst du ihr geben?", fragte Martin mich nun und ich überlegte kurz, hatte nun aber endlich einen passenden gefunden. "Kira-Romy.", antwortete ich. "Kira-Romy Morrow, das hört sich sehr gut an.", wiederholte Martin den kompletten Namen und ich war ebenfalls zufrieden mit meiner Wahl, für die ich so lange gebraucht hatte.
Nachdem man mich weitestgehend versorgt hatte, nahmen sie Kira mit zur U1. Das war die Erstuntersuchung nach der Geburt, bei der die Hebamme die Gesichtsmerkmale und Körperproportionen des Babys überprüfen würde. Außerdem wurden dabei Wirbelsäule, sowie Finger und Zehen untersucht und zum Schluss wurde das Neugeborene noch gemessen und gewogen. Es war schwer mich von meiner Tochter zu trennen, obwohl es nur für ein paar Minuten war. Ich bat Martin bei der Untersuchung zuzuschauen, damit meine Kleine nicht allein war. Denn ich fühlte mich noch viel zu schwach zum Aufstehen.
Beinahe wäre ich eingeschlafen, doch plötzlich wurde ich ganz vorsichtig angestupst. "Da sind wir wieder.", hörte ich Martin sagen und öffnete die Augen. Er stand neben mir mit Kira auf dem Arm und ich setzte mich wieder ein wenig auf. "Für zwei Stunden ungefähr bleibt ihr jetzt noch im Kreißsaal, dann bringen sie euch auf Station.", erklärte er mir und übergab mir mein Kind, das inzwischen sauber gemacht und in ein Tuch gewickelt worden war. Kaum hatte ich sie wieder auf meinen Oberkörper gelegt, öffneten sich die kleinen Äuglein. Man konnte jedoch erkennen, dass sie ebenfalls sehr müde war.
"Sie war übrigens sehr brav und hat alles ohne Geschrei über sich ergehen lassen.", berichtete Martin weiter. "Und ist sie gesund?", stellte ich ihm die für mich relevanteste Frage. "Ja, kerngesund. Der genaue Geburtszeitpunkt war 5:26 Uhr und ihr Gewicht beträgt 3427 Gramm, bei einer Größe von 51 Zentimetern.", antwortete Martin. "Damit liegen wir also im Normbereich.", stellte ich zufrieden fest und gab Kira einen Kuss auf die Stirn, ohne sie dabei aufzuwecken. Denn mittlerweile war die Kleine eingeschlafen und ich konnte einfach nicht mehr aufhören zu lächeln.
"Du siehst so glücklich aus.", meinte Martin. "Das bin ich auch, sogar sehr. Wenn ich daran denke, dass ich sie anfangs nicht wollte und beinahe abgetrieben hätte.. Was hätte ich damit nur getan?!", flüstere ich fassungslos. "Du warst verzweifelt, Gem. Aber jetzt ist sie hier, gesund und munter, also grüble darüber nicht mehr weiter nach." Martin hatte Recht, das war Vergangenheit und meine Zukunft lag hier schlafend in meinen Armen.
Gegen sechs Uhr früh wurden wir schließlich auf unsere jeweiligen Stationen gebracht. Ich auf eine normale und Kira auf die Neugeborenenstation, wir wurden also vorerst voneinander getrennt. Martin war noch etwas geblieben, aber als ich nun aufwachte war er nicht mehr da. Ich hatte gerade einmal fünf Stunden geschlafen, was mich aber nicht davon abhielt aufzustehen. Im Bad machte ich mich etwas zurecht und zog mir frische, bequeme Kleidung an.
Als ich fertig war und mich gerade wieder aufs Bett setzte, kam eine Schwester herein. "Sie haben ja schon ausgeschlafen.", stellte sie erstaunt fest und warf einen Blick in meine Akte. "Ihr Frühstück steht noch dort auf dem Tisch.", erklärte sie mir. "Ich würde gerne gleich zu meiner Tochter.", meinte ich ungeduldig. "Das können sie auch, aber zuerst sollten sie etwas essen. Soweit ich weiß stillen sie und da sollten sie auch auf sich selbst achten. Erst wird gefrühstückt, dann dürfen sie gleich zu ihrem Baby." Die Schwester war bestimmerisch, aber sehr freundlich und irgendwie hatte sie ja auch Recht.
Ich aß das eher gewöhnungsbedürftige Frühstück und sehnte mich jetzt schon wieder nach meinen eigenen vier Wänden, wo ich ungestört war. Aber ich befürchtete, dass wir noch ein paar Tage hier verbringen mussten und stellte mich schon mal widerwillig darauf ein.
Ungefähr eine halbe Stunde später lief ich durch die Gänge der Klinik, in der ich mich inzwischen bestens auskannte und traf sogleich ein paar Kollegen die mir ihre Glückwünsche zur Geburt aussprachen. Endlich bei der Neugeborenenstation angelangt, erkundigte ich mich erstmal bei dem zuständigen Personal nach dem Zustand von Kira und nach wie vor ging es ihr blendend.
Davon konnte ich mich jetzt auch selbst überzeugen, denn nun stand ich vor ihrem Bettchen und streichelte ihr über den Kopf. Sie zappelte unruhig und verzog das Gesicht, weshalb ich sie auf den Arm nahm und mich mit ihr in eine weitestgehend ungestörte Ecke setzte um sie trinken zu lassen. Das klappte schon ganz gut und nachdem Kira fertig war, legte ich sie zurück in ihr Bett. Plötzlich hörte ich ein dumpfes Klopfen und blickte auf, Martin stand draußen vor der Schreibe und winkte mir lächelnd zu. "Ich bin gleich wieder da, dolce cuoricino amato.", sagte ich und hörte bei den drei letzten Worten die Stimme meiner Mutter in meinem Kopf. So hatte sie mich auch manchmal genannt, vor allem als ich noch ein kleines Mädchen gewesen war. Übersetzt bedeuteten diese Worte so viel wie 'süßes geliebtes Herzchen' und mir hatte dieser Kosename immer sehr gefallen.
Ich streichelte Kira noch einmal übers Köpfchen und ging dann hinaus zu Martin. "Ich hab mir schon gedacht, dass ich dich hier finde. Eigentlich solltest du dich noch ausruhen, du hast vor ein paar Stunden erst entbunden.", tadelte er mich, während wir uns zur Begrüßung umarmten. "Ich weiß, aber mir geht es ausgezeichnet und ich wollte sie unbedingt sehen.", erklärte ich und blickte durch die Schreibe in den Raum hinein. Es lagen acht Babys darin, aber ich schaute nur hinüber zu Kira. "Kann ich gut verstehen und das ist bei Mamas ganz normal, vor allem wenn es das erste Kind ist.", antwortete Martin verständnisvoll.
"Ich hab übrigens gerade Dr. Wagner getroffen, er meinte auch ihr zwei seid nach dieser überraschenden Geburt ungewöhnlich fit.", berichtete er mir dann. "Hat er auch gesagt, wie lange er uns noch da behalten möchte?", fragte ich und Martin grinste. "Du bist doch noch nicht mal einen Tag hier drin.", meinte er belustigt. "Trotzdem möchte ich ganz schnell mit Kira nach Hause, hier ist man immer von Leuten umgeben und so fühlt man sich dauerhaft beobachtet.", gestand ich ihm. "Dann wird es dich bestimmt freuen, dass ich mich um eure vorzeitige Entlassung bereits gekümmert habe. Nachdem es euch so gut geht und du mir schon mal einfach aus dem Krankenhaus abgehauen bist, hielt ich das für die beste Lösung."
Darüber freute ich mich jedoch noch nicht, da ich an seinem Blick erkannte das es Bedingungen geben musste. "Wo ist der Haken an der Sache?", fragte ich deshalb und Martin lachte. "Faszinierend, wie gut du mich inzwischen kennst. Dr. Wagner wäre einverstanden, aber ich musste ihm versprechen euch im Auge zu behalten und das ununterbrochen." Eigentlich hatte ich mit mehr und viel härteren Maßnahmen gerechnet.
"Mehr nicht?", fragte ich erstaunt. "Mehr nicht.", bestätige Martin mir glaubhaft. "Und wann dürften wir dann hier raus?", wollte ich wissen. "Heute Mittag schon, wenn du möchtest.", war die Antwort und natürlich wollte ich das. Martin musste nur noch mal in die Praxis und würde uns dann in drei Stunden abholen kommen. In dieser Zeit packte ich alles zusammen und führte noch ein Gespräch mit Dr. Wagner. Meine Tochter wurde noch einmal kurz untersucht und wir bekamen auch grünes Licht von den Kinderärzten für die frühzeitige Entlassung.
Kira hatte ich dann gleich mit auf mein Zimmer nehmen dürfen und saß mit ihr auf dem Bett, als Martin herein kam. Wie ich es ihm gesagt hatte, hatte er den Maxi-Cosi von mir zu Hause geholt und mitgebracht. Ich legte Kira dort hinein und packte sie warm ein, dann konnten wir die Klinik verlassen. Martin trug die Tasche und ich meine Tochter, mit der ich mich hinten ins Auto setzte.
"Musst du dann nochmal in die Praxis?", fragte ich Martin, der gerade vor dem Mehrfamilienhaus parkte in dem sich meine Wohnung befand. "Nein, alle wichtigen Patienten habe ich für heute versorgt und den Rest erledigt Roman für mich. Ich bin ja wirklich gespannt wie das laufen wird, wenn du erstmal bei mir anfängst."
Wir stiegen aus und liefen die Treppen hinauf, es war schön wieder zu Hause zu sein. Natürlich war ich nicht allzu lange weg gewesen, aber hier würden Kira und ich uns ungestört aneinander gewöhnen können. Martin half mir aus meiner Jacke und hängte sie an die Garderobe. "Danke.", sagte ich und ging erstmal in die Küche um dort den Maxi-Cosi auf dem Tisch abzustellen. Kira lag friedlich schlafen darin und ich beschloss, sie gleich einmal in ihr Bettchen zu legen. Ganz behutsam nahm ich sie auf den Arm und lief mit ihr ins Babyzimmer. Sie wachte auch nicht auf, als ich sie ablegte und zu deckte.
"Du behandelst die Kleine wie ein rohes Ei, das ist wirklich schön zu sehen wie behutsam du mit ihr umgehst.", meinte Martin, der in der Tür stand und das Geschehen beobachtete. "Ich bin vielleicht auch zu übervorsichtig, aber ich möchte nichts falsch machen.", gab ich zu. "Du machst das schon sehr gut, als hättest du nie etwas anderes getan.", versicherte Martin mir. "Jetzt übertreib mal nicht.", antwortete ich und lachte. "Meine Beobachtungen sind sehr eindeutig. Ich hab schon von Anfang an gewusst, dass du eine tolle Mama abgeben wirst." Ich sagte darauf nichts, sondern lächelte ihn nur an und sah wieder zu meiner schlafenden Tochter.
"Lassen wir sie etwas schlafen, währenddessen kannst du dich auch noch ein bisschen ausruhen. Du bist hundemüde und das sehe ich dir an, also komm." Jetzt wo Martin das sagte, merkte ich erst wie erschöpft ich war. Leise verließen wir den Raum und gingen ins Wohnzimmer, dort setzten wir uns auf die Couch und Martin schaltete den Fernseher an. Ich gähnte und wollte eigentlich nur kurz die Augen schließen, schlief aber ein.

Die BergdoktorinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt