Kapitel 32

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Die Operation verlief gut, es traten keine Komplikationen auf. "Möchtest du ihn zu machen?", fragte Martin mich am Schluss und wirkte unruhig. "Sie müssen mich nicht aus Mitleid bevorzugen!", entgegnete ich wütend, denn aus einem anderen Grund hatte er mir das gerade nicht angeboten. "Nachdem wir hier soweit fertig sind und sofern du mich nicht mehr brauchst, würde ich jetzt gerne den OP verlassen.", teilte ich Alexander mit und kaum hatte er mir zu genickt, stürmte ich hinaus. Schnell befreite ich mich von Handschuhen, Kittel und Mundschutz und warf alles in den dafür vorgesehenen Behälter.
Ich ging in die Umkleide und zog mir meine andere Arbeitskleidung wieder an, danach wollte ich eigentlich kurz in die Cafeteria um etwas zu essen. Daraus wurde aber nichts, da sich mein Pieper auf dem Weg dorthin meldete.
"Maledetto!", nuschelte ich sauer, da ich inzwischen schon wieder Hunger hatte, obwohl mein 'Frühstück' noch gar nicht so lange her war. Auf der Fahrt nach Hall hatte ich nämlich erst eine Packung Kekse gegessen, die eigentlich als kleines Proviant für die Autobahn gedacht gewesen war. 'Und auch noch ein Notfall!', dachte ich wehmütig und rannte sofort Richtung Treppenhaus. In Windeseile hatte ich die Station erreicht und sah Schwester Angelika gerade aus dem Schwesternzimmer kommen. "<
Zimmer 21!", rief sie mir zu und das verwunderte mich etwas, denn dieses Zimmer war meines Wissens nach nicht mehr belegt, der Patient war heute Morgen entlassen worden. Auch das Personal wirkte normal, also als ob kein wirklicher Notfall vorliegen würde. Trotzdem war meine Neugier groß und ich lief den Gang entlang, das besagte Zimmer war eines der letzten. Ich klopfte und öffnete dann einfach die Tür, nachdem ich keine Antwort erhielt.
"Hallo, ist hier jemand?", fragte ich und ging ein paar Schritte vorwärts, dann hörte ich wie die Tür zu gemacht wurde. Erschrocken drehte ich mich um und sah meinen vermeintlichen Notfall dort stehen, der anscheinend hinter der Tür gewartet hatte.
Martin stand noch immer in OP-Kleidung vor mir und machte keine Anstalten, mich wieder raus zu lassen. "Ich hätt's mir ja gleich denken können!", murmelte ich. "Lass mich raus!", befahl ich ihm. "Wir müssen reden!", sagte er bestimmt. "Für mich gibt's nichts mehr zu reden! Lass mich raus oder ich schreie die ganze Station zusammen!"
Martin wich trotzdem nicht von der Stelle. "Gem, bitte!", flehte er schon fast und ich ging kurz in mich, denn in seinem Blick erkannte ich pure Verzweiflung. "Du hast fünf Minuten!", sagte ich und er atmete erleichtert auf. Ich ging zum Tisch und lehnte mich dort an, da mir ein wenig schwindelig war.
"Was ist jetzt?", wollte ich wissen, da er ewig nicht anfing zu erzählen. "Ich musste Andrea gestern her bringen.", begann er zögerlich und mir war klar das dies nichts gutes bedeuten konnte, ließ mir jedoch nichts anmerken. Ich schwieg und wartete ab, was noch kommen würde. "Sie hatte leichte Blutungen und nachdem sie schon mal einen Abort hatte, wollten wir kein Risiko eingehen. Deshalb habe ich es gestern nicht mehr geschafft, in den Gasthof zu kommen."
Man sah ihm an, wie schwer es ihm fiel darüber zu sprechen. "Okay, sonst noch was?", fragte ich kalt, obwohl ich Martin tatsächlich lieber in den Arm genommen hätte. "Mehr hast du dazu nicht zu sagen?", stellte er eine Gegenfrage. "Was soll ich denn sagen, Martin?"
Er wandte sich ab und ging zum Fenster, rieb sich kurz die Augen und drehte sich dann wieder zu mir um. "Irgendetwas, Hauptsache du bist nicht so abweisend mir gegenüber. Das ertrage ich nicht, nicht heute.", meinte er. "Ich habe dir gestern meine Forderungen gestellt, die du nicht eingehalten hast. Du hättest mich auch aufrufen können, wenn es wirklich so dringlich gewesen wäre. Ich bin es leid.. deine ständigen Ausreden, dein hin und her! Dir muss endlich klar werden wen von uns beiden du willst, ansonsten.."
Martin unterbrach mich einfach. "Gemma, Andrea verliert wahrscheinlich unser Kind! Die Werte sind alarmierend und genau wie unsere Kollegen glaube ich, dass es nicht gut ausgehen wird!" Ich schluckte, denn das es so schlimm um das Baby der Beiden stand hätte ich nicht gedacht. Martin hatte Tränen in den Augen und nun hatte ich noch mehr Mitleid mit ihm als vorher. "Es tut mir leid, das habe ich nicht geahnt."
Da ich selbst schon um das Leben meines Kindes hatte bangen müssen, konnte ich mich gut in die Lage von Martin und vor allem in die von Andrea hinein versetzen. Und ich bereute es inzwischen, ihn erneut so angegangen zu sein. "Woher hättest du das auch wissen sollen? Eigentlich dürfte ich dich damit ja nicht belasten, aber ich weiß nicht mit wem ich sonst darüber reden kann.", erklärte Martin mir verzweifelt. "Du belastest mich damit nicht.", antwortete ich ehrlich. "Es ist besser zu verkraften, wenn man drüber spricht."
Das wusste ich aus eigener Erfahrung und da er in dieser Situation für mich da gewesen war, wollte ich das nun ebenfalls für ihn sein. Egal was zwischen uns vorgefallen war, gerade war das Nebensache. "Ich hab wirklich kurz überlegt, wie es wäre wenn ich mich doch von Andrea trennen würde. Aber nachdem ich doch noch Gefühle für sie habe und es jetzt nicht gut um unser Kind steht.. Gemma, ich kann es nicht!"
Instinktiv musste ich ihn jetzt einfach in den Arm nehmen und erkannte, dass wir beide uns in gewisser Weise wie Idioten verhalten hatten. Martin, weil er mir immer wieder neue Hoffnungen gemacht hatte. Und ich mich, weil ich nur an mich gedacht hatte. "Es tut mir alles so leid!", flüsterte ich. Ich hätte ihm dieses Ultimatum nie stellen dürfen, denn es war von vornherein klar das er sich für seine Familie entscheiden würde. Damit hatte ich alles nur schlimmer gemacht und jetzt da Andrea vielleicht das Baby verlieren würde, musste Martin unbedingt für sie da sein. Zwar gab es da etwas zwischen uns und das konnten wir beide nicht leugnen, dennoch hatte er eine große Verantwortung für Andrea und sein ungeborenes Kind.
"Wenn ich euch irgendwie helfen kann, dann sag es." Wir lösten uns voneinander und Martin legte mir seine Hände auf die Schultern, so konnten wir uns direkt in die Augen sehen. "Geh nicht weg von hier!", bat er mich. "Das mach ich nicht!", versprach ich ihm daraufhin. "Ich hab hier schon eine Wohnung gefunden, in die ich Anfang des Monats einziehen kann."
Völlig überraschend gab er mir einen Kuss auf die Stirn, als plötzlich mein Pieper los ging. "Die Arbeit ruft.", meinte ich und Martin ließ mich los. "Hab schon fast vergessen wie praktisch diese Dinger sind. Du warst innerhalb von drei Minuten hier oben." Wir lächelten uns an, dann musste ich das Zimmer schnell verlassen, schließlich wurde ich woanders gebraucht.
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Unsanft wurde von meinem Handywecker aus dem Schlaf gerissen, so wie jeden Morgen. Jedoch hatte ich heute Nacht unheimlich schlecht geschlafen, weshalb ich den nervigen Ton erstmal abstelle und mich dann umdrehe, mit dem Hintergedanken das er in genau fünf Minuten nochmals losgehen würde. Aber die wollte ich unbedingt ausnutzen, wäre da nicht wieder dieses angenehme Kribbeln gewesen.
"Guten Morgen.", murmelte ich verschlafen und legte eine Hand auf meinen Bauch, um vielleicht doch etwas von außen zu spüren. Da es dafür aber noch zu früh war, genoss ich erstmal dieses leichte Flattern, wann immer es auftrat. Auch redete ich inzwischen mit dem Würmchen, als wäre es das  normalste auf der Welt und für werdende Mütter wie mich war es das.
Ich wäre beinahe wieder eingeschlafen, als mein Wecker erneut klingelte und ich mich endlich geschlagen gab. Heute, vier Tage später, würde ich nach München fahren. Mein Vermieter hatte mir diesen Termin mitgeteilt und den wollte ich wahrnehmen, hoffte außerdem inständig er würde mir nicht wieder kurzfristig absagen.
Denn ich würde mir einen kleinen Transporter ausleihen, in den definitiv Kartons rein passten, als in meinen Audi. Diesen Vorschlag hatte Martin mir gemacht, als wir uns in der Cafeteria des Krankenhauses getroffen hatten. Andrea lag nämlich immer noch in der Klinik, aber die Ärzte konnten inzwischen Entwarnung geben und sie würde bald entlassen werden. Außerdem hatte Martin darauf bestanden mitkommen zu dürfen, da ich bestimmt ein wenig Unterstützung beim ausräumen meiner Wohnung gebrauchen konnte. Und damit hatte er gar nicht so unrecht gehabt, weshalb ich einverstanden gewesen war.
Nachdem ich mich fertig gemacht hatte, kam schon eine Nachricht von Martin. 'Hab den Transporter bereits abgeholt, stehe unten.', las ich und seufzte, da er mir irgendwie immer einen Schritt voraus war. Allerdings war ich froh nicht noch extra in der Umgebung herum irren zu müssen, da ich nur mit demjenigen telefoniert hatte. Martin hatte mir die Nummer gegeben und da es ein Bekannter von ihm war, hatte er den Wagen anscheinend anstelle von mir ohne Probleme abholen können. Also begab ich mich gleich nach draußen zum Parkplatz.
Der Kleintransporter war natürlich nicht zu übersehen und ich stieg auf der Beifahrerseite ein. "Guten Morgen. Danke fürs Abholen und das du überhaupt mitkommst.", begrüßte ich den Fahrer, der gerade sein Handy weg steckte. "Kein Thema. Ist mir lieber, als wenn du alleine fahren müsstest.", antwortete er und fuhr los. "Du solltest bei Andrea sein.", meinte ich nachdenklich. "Ihr geht es wieder besser und sie hat auch gesagt, ich soll mitfahren. Sie mag dich und das du sie immer mal wieder in den letzten Tagen besucht hast als ich in der Praxis war, hat ihr sehr geholfen." Ich wusste wie langweilig es im Krankenhaus werden konnte und hatte bei Andrea immer mal vorbei geschaut.
"Sie ist auch in Ordnung, hätte ich anfangs nicht gedacht.", sagte ich ehrlich. "Ja, das glaube ich dir sogar. Ich hab für uns übrigens noch schnell Frühstück organisiert." Martin deutete auf zwei Becher in einem Papphalter und einer Bäckertüte. "Super, ich sterbe vor Hunger!" Sofort nahm ich mir die Tüte, aus der ich mir ein Hörnchen heraus holte.
"Angesichts das es erst sieben Uhr früh ist und du für zwei essen musst, kein Wunder.", meinte Martin amüsiert und nachdem ich das Gebäck verputzt hatte, griff ich nach einem der Becher. "Halt, das ist meiner!", sagte Martin schnell. "Und woran erkennst du das?", fragte ich verwundert. "Da ist ein 'K' für 'Kaffee' auf dem Deckel. Dir hab ich Latte Macchiato mitgenommen, ist wenigstens nicht so stark wie Kaffee.", erklärte er mir und ich seufzte, tauschte die Getränke aber dann aus.
Während der Fahrt unterhielten wir uns nicht wirklich viel, dafür war ich noch viel zu müde. Stattdessen sah ich aus dem Fenster und je näher wir München kamen, desto nervöser wurde ich.

Die BergdoktorinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt