Wie befürchtet mussten wir operieren, da unser Patient einen komplizierten Unterschenkelbruch erlitten hatte und das war bei weitem nicht alles. Jedoch hatte dies erstmal die höchste Priorität und wieder assistierte ich Dr. Kahnweiler, der sich seit vorhin irgendwie anders mir gegenüber verhielt. Mir kam Martins Verdacht wieder in den Sinn, aber dieser war einfach absurd. Ich konzentrierte mich so gut wie es ging auf die Operation und alles verlief tadellos.
"Das wär's.", sagte Alexander und legte die Instrumente beiseite. "Wir müssen ihn nur wieder zu machen. Wollen sie das übernehmen, Gemma?" Mich wunderte es, dass mich mein Oberarzt beim Vornamen nannte. "Ich soll die Naht machen?", fragte ich und er nickte. "Ehm.. ja, warum nicht." Ich stellte mich neben ihn und Schwester Angelika reichte mir das, was ich zum nähen der Wunde benötigte. Da ich das schon lange nicht mehr gemacht hatte war ich mit unsicher, ob ich es noch beherrschte.
Aber so etwas verlernte man nicht so leicht, jeder Handgriff ging wie von selbst und Dr. Kahnweiler hatte nichts zu bemängeln. Es erfüllte mich in gewisser Weise mit Stolz und meine Laune besserte sich schlagartig wieder. Nachdem wir fertig waren, ging ich mich umziehen und verließ den OP-Bereich. Als ich auf einen Aufzug wartete, tauchte plötzlich Alexander neben mir auf.
"Sie haben gerade wirklich gute Arbeit geleistet.", lobte er mich, was ich dankend annahm. Aber es kam mir so vor, als ob er noch etwas zu sagen hatte außer das. "Gibt es noch was?", fragte ich und er nickte. "Nein.. also doch.. Würden sie mal mit mir essen gehen?" Damit hatte ich zwar nicht gerechnet, aber meine Antwort musste ich mir nicht großartig überlegen. "Verzeihen sie mir, dass ich ihr Angebot ablehne. Nur habe ich im Moment genug von Männern und außerdem sind sie mein Oberarzt."
Glücklicherweise kam in diesem Moment ein Aufzug, der die nächste Überraschung beinhaltete. Darin standen Martin und Andrea, die beiden küssten sich gerade. Aber sie hörten sofort auf, als sie uns erblickten. "Oder.. wissen sie was. Es ist unverbindliches Abendessen mehr nicht, holen sie mich um 19 Uhr beim Gasthof 'Wilder Kaiser' ab. Bis dahin nehme ich die Treppe."
Und ohne auf irgendeinen Kommentar zu warten, ging ich in Richtung Treppenhaus davon. Dort war ich wenigstens außer Sichtweite, konnte erstmal durchatmen und überlegen was ich da jetzt eigentlich gemacht hatte. Ich würde tatsächlich mit meinem Oberarzt essen gehen, obwohl ich das eigentlich nicht wollte.
Nur hatte mich der Anblick dieses vermeintlich glücklichen Paares so in Rage versetzt, dass ich einfach zugesagt hatte. Denn was Martin konnte, konnte ich schon lange. Unsere gemeinsame Nacht als One-Night-Stand abstempeln und mich anderweitig vergnügen. Und wenn es nur ein Abendessen war, Martins Blicke gerade hatten Bände gesprochen und deshalb würde ich das heute Abend auch durchziehen.
Entschlossen brachte ich nun die Treppen bis zur chirurgischen Station hinter mich und erledigte routiniert meine noch anfallenden Arbeiten. Nach Dienstschluss setzte ich mich ins Auto und grübelte darüber nach, ob ich überhaupt etwas passendes zum Anziehen hatte. Da ich immer noch nur meine mitgebrachten Kleidungsstücke aus München hatte, entschied ich mich für einen Zwischenstopp bei einer kleinen Boutique, in deren Schaufenster ich letztens ein wunderschönes Kleid entdeckt hatte.
Dieses war sogar in meiner Größe noch einmal vorhanden und so nahm ich es gleich mit in die Umkleide, um es anzuprobieren. Es war lila und ging mir bis zu den Knien, also es war keinesfalls zu offenherzig. Zufrieden betrachtete ich mich im Spiegel und dabei fiel mir etwas auf. Ich stellte mich seitlich hin und man konnte deutlich ein kleines Bäuchlein erkennen, es sah so aus als hätte ich ein wenig zu viel gegessen. Unwillkürlich begann ich zu lächeln und strich mit einer Hand liebevoll darüber. Er würde noch größer werden und irgendwann würde ich das kleine Wesen in mir spüren können, diesem Moment fieberte ich schon jetzt entgegen.