Kapitel 38

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Drei Behandlungen standen dann noch bevor und die Patienten waren einverstanden, dass ich dabei blieb. Roman ließ mich einiges selbst machen und ich merkte schon hierbei den klaren Unterschied zu meinen Tätigkeiten im Krankenhaus.
Nun saßen wir in meinem Auto und fuhren zu einem Patienten, vorausgesetzt ich fand die richtige Adresse. Denn der Akku meines Handys war fast leer und den wollte ich nicht für das Navi verbrauchen.
"Früher musste ich auch ohne solchen technischen Kram auskommen.", meinte Roman lachend, nachdem ich erneut wenden musste. Er wollte mir erst helfen, wenn ich den Weg wirklich nicht fand. "Da frag ich mich, wie du das geschafft hast.", antwortete ich frustriert. "Mensch Roman, jetzt sag mir bitte wo es langgeht!", flehte ich ihn an. "Du wohnst doch jetzt schon eine Weile hier, ungefähr müsstest du dich schon auskennen."
Der Arzt machte sich tatsächlich einen Spaß daraus, mich hier verwirrt durch die Gegend fahren zu lassen. "Ungefähr schon, aber das nützt uns jetzt überhaupt nichts!", stellte ich klar. "Stimmungsschwankungen sind das schlimmste an einer Schwangerschaft." Roman musste erneut lachen und ich ebenso. "Komm schon, Roman! Jetzt sei gnädig mit mir und sag mir, wo ich lang fahren muss.", bat ich ihn erneut. "Na schön, ich will mal nicht so sein. Du bist schon richtig, aber da vorne kommt gleich eine Kreuzung, da nach rechts.", erklärte er mir und so kam es dann auch. Es ging ein wenig bergauf, so wie es in Tirol ja üblich war. Ein paar Abzweigungen später, sollte ich am Straßenrand anhalten.
"Hier wohnt doch keiner.", stellte ich überrascht fest, da ich kein Haus entdecken konnte. "Doch, wir müssen nur ein bisschen wandern." Roman zeigte auf einen Hügel, der sehr steil war. "Das ist jetzt ein Scherz, oder?", fragte ich wenig begeistert. "Nö, da müssen wir hoch.", antwortete er und lief schon voraus. "Ich bin schwanger, das wird kaum gehen!", rief ich ihm nach. "Schwanger sein ist keine Krankheit, Gemma!", kam seine belustigte Antwort und hatte einen ordentlichen Vorsprung. Also fügte ich mich meinem Schicksal und folgte ihm, wenn auch sehr langsam da ich schnell schon außer Puste war.
Er wartete bereits, als ich endlich oben ankam. "Macht keiner auf.", sagte er. "Wie jetzt?", fragte ich schnaufend und stützte mich am Geländer der kleinen Terrasse ab. "Ist anscheinend keiner da.", erklärte Roman schulterzuckend. "Und wofür sind wir dann hier rauf gelaufen?!", wollte ich wissen. "Gib nicht mir die Schuld, der Patient wusste Bescheid."
Gerade als ich mich weiter aufregen wollte, klingelte das Handy des Arztes. Ich hörte nur nebenbei zu, da ich erstmal wieder anständig Luft bekommen wollte. "Das war Frau Schneider, unser Patient hat eben den Termin kurzfristig abgesagt.", berichtete er. "Ernsthaft? Das ist doch wirklich unverschämt!", erwiderte ich. "Das gehört zum Alltag, wenn man Hausbesuche macht. Geht's dir gut?", fragte Roman nun. "Klar, alles bestens. Ich setze mich nur mal kurz da hin, der Aufstieg war bisschen anstrengend."
Zum Glück stand neben der Tür eine Bank, auf die ich mich erschöpft nieder ließ. Zur Sicherheit holte ich mein Asthmaspray aus der Tasche, um es griffbereit zu haben. "Du bist Asthmatikerin?", erkundigte sich Roman und ich nickte. Aber nach ein paar Minuten ging es wieder, weshalb ich mein Spray überhaupt nicht benutzen musste. Roman hatte sich neben mich gesetzt, da er sicherheitshalber noch mit dem runter laufen warten wollte.
"Die Aussicht ist traumhaft.", stellte ich fest. "Oh ja, das ist sie.", pflichtete Roman mir bei und plötzlich wurde die Idylle vom Klingeln eines Handys zerstört. Diesmal war es meins und der Anrufer war Martin. "Hallo Martin.", meldete ich mich gleich. "Wo bist du?", fragte er und ich merkte, dass wohl etwas nicht stimmte. "Mit Roman bei einem Patienten, warum?" Mein Handy piepte verdächtig, gleich würde es ausgehen. "Komm in die Klinik!", lautete sein Befehl. "Was, warum? Martin, bist du noch dran?"
Aber er hatte aufgelegt und gleich darauf ging mein Telefon aufgrund des leeren Akkus aus. "Was ist los?", wollte Roman wissen. "Das war Martin, ich soll sofort ins Krankenhaus kommen. Irgendetwas stimmt da nicht." Ich stand auf und war in Windeseile unten am Auto, diesmal musste ich auf Roman warten. Nachdem ich ihn schnell noch bei der Praxis abgesetzt hatte, fuhr ich so schnell es ging nach Hall.
Während der Fahrt grübelte ich darüber nach, warum ich jetzt unbedingt in die Klinik kommen sollte und malte mir die schlimmsten Szenarien aus. War etwas mit Andrea, hatte sich ihr Zustand verschlechtert? War sie genau wie ihr Kind.. 'Nein, denk jetzt nicht wieder gleich an sowas!', ermahnte ich mich still und parkte meinen Wagen.
Sofort stieg ich aus und sprintete sofern es mir möglich war hinein. Gleich merkte ich, dass mich das ziemlich anstrengte, aber ich wollte jetzt in Erfahrung bringen was los war. Ich vermutete Martin bei Andrea auf der Intensivstation, aber das Zimmer war leer.
"Scheiße!", entfuhr es mir und ich suchte nach einer Schwester oder einem Pfleger, um von ihnen Auskunft zu erhalten. Es lief sogleich auch eine Schwester vorbei, die ich ausbremste. "Entschuldigung.. wo ist die Patientin aus diesem Zimmer, Frau Andrea Junginger." Ich hoffte inständig, dass sie mir jetzt nicht sagte sie hätte es nicht geschafft. "Die Patientin wurde heute Morgen auf eine andere Station verlegt.", erklärte sie mir und ich konnte erstmal aufatmen. Das musste passiert sein, als ich schon in der Praxis war.
Ich fragte noch auf welche Station ich nun musste und machte mich dann gleich auf den Weg dorthin. Martin und Alexander erblickte ich gleich, sie standen im Gang und diskutierten miteinander. "Was ist hier los?", fragte ich ohne Umschweife. "Andrea ist verschwunden!", herrschte Martin mich an. "Wie verschwunden?" Zunächst war ich erstmal ordentlich verwirrt. "Na, was bedeutet das wohl? Sie ist weg, nicht aufzufinden, vermutlich abgehauen!", zählte Martin aufgebracht ein paar Erklärungen auf.
"Ich weiß was 'verschwunden' bedeutet, Martin! Nur ist Andrea frisch operiert, da wird sie nicht einfach abgehauen sein und hör auf mich so anzuschreien!" Bevor das Ganze eskalierte, mischte sich Alexander ein. "Gemma hat recht, dazu kann jetzt keiner etwas! Vielleicht ist sie doch nur mal raus in den Garten oder in die Cafeteria.", meinte er. "Da waren wir doch grade!", entgegnete Martin sauer. "Dann schauen wir eben nochmal nach, sie wird bestimmt irgendwo hier im Haus sein." Das hoffte ich jedenfalls, denn ansonsten würde Martin vor Sorge durchdrehen.
Wir teilten uns dementsprechend auf, baten auch einige Mitarbeiter um Hilfe. Ich fragte auf mehreren Stationen nach und schaute in der Cafeteria, aber Andrea war unauffindbar. Genauso ging es den Anderen, denn als wir uns in der Eingangshalle trafen war sie bei keinem von ihnen dabei. "Und?", fragte ich sicherheitshalber, aber alle schüttelten den Kopf. "Mist!", fluchte Martin. "Wir finden sie bestimmt.", versuchte Alexander ihn zu beruhigen. "Und wo sollen wir noch suchen?", wollte Martin aufgebracht wissen. "Am besten wir fahren mal zu ihrer Kanzlei und zu ihr nach Hause, kann ja sein das sie es im Krankenhaus nicht mehr ausgehalten hat.", schlug ich vor. "Gute Idee. Und ich bleib hier, falls sie doch noch auftaucht rufe ich euch an. "So machen wir's!", stimmte ich zu und gleich ging ich mit Martin nach draußen.
"Wir nehmen mein Auto, oder?" Da es am schnellsten zu erreichen war und ich ihn jetzt auf keinen Fall allein lassen wollte. Wir stiegen ein und zunächst fuhren wir zur Anwaltskanzlei, die jedoch verlassen war. Um keine Zeit zu verlieren ging es gleich weiter zu ihrem Haus, Martin erklärte mir aufgeregt den Weg. "Ich hab solche Angst, dass sie irgendeinen Blödsinn anstellt!", sagte er aufgelöst. "Keine Panik, wir werden sie finden.", erwiderte ich, machte mir aber langsam ebenfalls Sorgen. "Warum hab ich nicht besser aufgepasst, ich bin so bescheuert!", machte sich der Arzt nun Vorwürfe. "Hör auf dich jetzt verrückt zu machen, du trägst keine Schuld! Andrea hat viel durch gemacht, euer Kind ist verstorben. Morgen ist die Beerdigung, vielleicht will sie davor einfach noch etwas für sich sein." Martin nickte nachdenklich. "Vielleicht.", flüsterte er. "Da jetzt links abbiegen.", dirigierte er mich in die richtige Richtung und ich folgte wortlos seiner Anweisung.
Wir hielten schließlich vor einem Haus, sofort stiegen wir aus und klingelten. Von drinnen kam kein Anzeichen dafür, dass jemand da war. Martin holte daraufhin den Ersatzschlüssel aus seinem Versteck, um uns Zugang zu verschaffen. "Andrea?", rief Martin, aber auch darauf bekamen wir keine Antwort. "Geh du nach oben, ich schaue hier unten nach." Also teilten wir uns erneut auf.
Ich folgte den Treppen hinauf ins erste Stockwerk. "Andrea?", rief ich und vernahm von unten ebenfalls weitere Rufe von Martin. "Andrea, bist du hier?" Aber noch immer keine Reaktion. Ich öffnete nun eine der Türen, die nur angelehnt war und erschrak. Die Schränke standen allesamt offen, überall lagen Klamotten und andere Dinge verstreut. Es sah nach einer überstürzten Flucht aus, denn es erinnerte mich an den Zustand meiner Wohnung, nachdem ich meine Sachen gepackt hatte und abgehauen war.
Langsam betrat ich den Raum und riskierte einen Blick in den Kleiderschrank, dieser war weitestgehend ausgeräumt. Bevor ich Martin jedoch Bescheid sagte, wollte ich auch noch in den anderen Zimmern nachsehen. Im Bad sah es genauso aus, die wichtigsten Utensilien waren verschwunden.
Letztendlich landete ich in einem Raum, der ziemlich sicher das zukünftige Kinderzimmer hatte sein sollen. Es war schon komplett eingerichtet und das sehr liebevoll, ich traute mich beinahe gar nicht hinein zu gehen. Aber ich tat es trotzdem und entdeckte etwas im Kinderbettchen, was da nicht hin gehörte.
Es stellte sich als ein Umschlag heraus, auf dem 'Für Martin' stand. Nun war ich überzeugt davon das meine Theorie stimmte, Andrea war Hals über Kopf abgehauen. Und das obwohl sie gestern erst operiert worden war, das Krankenhaus eigentlich hätte noch nicht verlassen dürfen.
"Gemma?", hörte ich Martin nun. "Hier bin ich.", antwortete ich nach kurzem zögern. "Ihre ganzen Klamotten sind weg, das Auto auch.. was hat das zu bedeuten?" Er kam nun ins Zimmer und ich nahm einfach nur den Brief, um ihm diesen zu geben. "Vielleicht findest du deine Erklärung hier drin.", sagte ich schweren Herzens und Martin  öffnete das Kuvert sofort. Aufmerksam begann er zu lesen, lief an mir vorbei und setzte sich auf die kleine Couch.
Ich verhielt mich still und beobachtete, wie sein Gesichtsausdruck sich veränderte. "Das kann unmöglich ihr ernst sein! Sie kann doch nicht einfach abhauen, das.." Er fand kaum die richtigen Worte, um seine Fassungslosigkeit zu beschreiben. Martin zerknüllte das Blatt Papier und warf es weg, dann vergrub er den Kopf in den Händen.
"Das ist jetzt nicht wahr!", murmelte er vor sich hin.

Die BergdoktorinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt