Kapitel 66

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Erneut vergingen fast zwei Wochen.
Martin und ich waren nach wie vor glücklich miteinander und da wir uns nicht mehr verstecken mussten, war alles irgendwie einfacher geworden. Jedoch überschattete die Tatsache, das zwischen Martins Familie und uns komplette Funkstille herrschte, die Situation immens.
Vor allem wegen Lilli tat es uns Beiden sehr weh und gerade für Martin war es eine Tortur, seine Tochter nicht mehr sehen zu können. Natürlich hatte Hans nicht das Recht sie ihm vorzuenthalten, aber wir wollten keinen erneuten Streit herausfordern um Lilli zu schützen.
Inzwischen hatte sich das mit der Klinik und der Praxis auch eingependelt, ich arbeitete zwei Tage in Hall und den Rest der Woche über in der Praxis. Je nach Bedarf übernahm ich auch noch Schichten bei Susanne im Gasthof, überwiegend abends.
Aber heute hatte sie mich angerufen und gefragt ob ich nicht früh schon aushelfen konnte, da wieder einige Mitarbeiter ausgefallen waren. Und da ich heute meinen wöchentlichen freien Tag hatte, opferte ich diesen auf um ihr helfen zu können. Ich wusste ja für wen ich das tat und irgendwie war die Arbeit als Kellnerin ein Ausgleich zu meiner Tätigkeit als Ärztin.
Kira hatte ich einfach mitgenommen und gerade schlief sie in ihrem Kinderwagen hinter der Theke. So hatte ich sie eigentlich immer im Auge und die anderen passten nebenbei auch mit auf sie auf, ich konnte das also verantworten. Jedoch verhielt Susanne sich heute irgendwie komisch und war aus einem mir unerklärlichen Grund ziemlich nervös, weshalb ich nun einfach nachfragen musste.
"Susanne, stimmt irgendwas nicht?" Wie erwartet leugnete sie alles. "Nein, alles bestens.", antwortete sie wenig glaubwürdig und schaute wie so oft heute schon auf die Uhr. "Wartest du auf irgendwen?", war nun meine nächste Frage. "Sozusagen, komm mal bitte mit raus. Kira schläft ja und falls was sein sollte bekommen wir es mit."
Neugierig wie ich war folgte ich ihr nach draußen und dort warteten wir ein paar Minuten in der Kälte. "Was sollen.." Aber meine Frage erübrigte sich, als sich ein Auto näherte und vor uns anhielt. Es handelte sich um den Wagen von Lisbeth, die auch ausstieg.
"Das hast du geplant, gib es zu!", murmelte ich Susanne zu. "Es war nicht meine Idee, sondern ihre. Eine Funkstille ist keine Lösung und deshalb halte ich es für besser, dass ihr miteinander redet. Ich geh wieder rein."
Sie drehte sich einfach um und ging davon, ich war also erstmal mit Lisbeth alleine. "Gemma.", sagte diese als eine Art Begrüßung. "Lisbeth.", tat ich es ihr gleich und die nächste Geste überraschte mich etwas. Lisbeth kam schnell näher und schloss mich in eine feste Umarmung, die ich gleich darauf erwiderte.
"Mit dir habe ich nicht gerechnet.", gab ich zu und hatte Tränen in den Augen. Martins Mutter musste sich eine von der Wange wischen, man merkte wie aufgewühlt und verzweifelt sie war. "Ich musst jetzt einfach mit dir reden und Susanne hat letztens erzählt, dass du hier wieder gelegentlich aushilfst. Der Martin geht ja ah net ans Telefon und.. Ach, es ist doch alles so durcheinander grad und der Hans stur wie ein alter Esel!", schimpfte Lisbeth. "Martin ist nicht besser. Magst du vielleicht mit rein kommen und wir trinken einen Kaffee?" Da ich mir auf die Schnelle keine Jacke angezogen hatte, fror ich dementsprechend stark. "Sehr gern.", lautete ihre Antwort und wir gingen in den Gasthof.
"Such du schon mal einen freien Platz, ich besorg uns was zu trinken." Da brauchte ich die anderen Bedienungen nicht damit einspannen, da sie schon genug zu tun hatten und ich es problemlos selbst machen konnte. "Ist Lisbeth schon wieder weg?", fragte Susanne verwirrt. "Nein, wir setzen uns zusammen und reden. Kannst du mich für ungefähr eine halbe.." Susanne unterbrach mich einfach. "Nehmt euch so viel Zeit, wie ihr zum reden braucht. Und das mit den Kaffee übernehme ich, du wirst woanders gebraucht, deine Kleine wird anscheinend wach."
Und wie auf Kommando begann hörte ich aus dem Kinderwagen ein Quengeln. "Danke.", sagte ich schnell und schaute gleich nach Kira. "Da hat ja jemand ausgeschlafen.", stellte ich fest und nahm sie gleich zu mir. Mit ihr auf dem Arm suchte ich dann Lisbeth, die sich einen etwas abgelegenen Tisch ausgesucht hatte und setzte mich zu ihr.
"Susanne bringt uns gleich den Kaffee.", meine ich, um ein Gespräch zu beginnen. "Nur keine Eile.", meinte Lisbeth und lächelte. "Ich bin so froh, dass wenigstens du noch etwas mit uns zu tun haben willst. Nach alledem hätte ich es verstanden, wenn du uns auch zum Teufel jagst." Das Lächeln aus ihrem Gesicht verschwand. "Ihr habt nichts verwerfliches getan, Gemma. Das da mehr zwischen euch ist habe ich von Anfang an gemerkt und ich habe nicht umsonst versucht, euch zu verkuppeln.", gab sie zu und ich musste einfach grinsen. "Wusst ich's doch!", sagte ich triumphierend. "Ja, ich lege hiermit die Beichte ab!", lachte Lisbeth. "Ich hab den Martin noch nie so gesehen, noch nicht mal mit der Andrea. Du hast so eine positive und liebevolle Art an dir, die ihm wohl auch importiert hat. Er hat immer von dir erzählt und dabei so glücklich gewirkt, er war wie ausgewechselt."
Etwas komisch war es schon das gesagt zu bekommen, aber irgendwie auch schön. "Dabei bin ich es ja, die ihm einiges zu verdanken hat.", antwortete ich. "Ihr Beide habt euch gegenseitig Halt gegeben. Er dir, als du hier angekommen und so viele Schwierigkeiten mit deinem Ex hattest. Und du ihm, als Niklas gestorben und Andrea abgehauen ist.", erinnerte sie sich.
"So, hier zwei Kaffee." Susanne stand plötzlich neben uns und stellte vor jedem von uns eine Tasse ab. "Danke.", erwiderten Lisbeth und ich gleichzeitig. "Wir haben schon einiges erlebt in so wenigen Monaten.", knüpfte ich wieder an unser Thema an. "Das ist wahr und da braucht Hans sich nicht aufführen. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie er über dich hergezogen hat und das ohne triftige Gründe. Aber das er sich auch in dich verliebt hätte ich da wirklich nicht für möglich gehalten, irgendwie ist es wie mit Sonja damals."
Die Erinnerungen waren schmerzlich für sie, das erkannte ich daran das sich Tränen in ihren Augen sammelten. Da ihre Hände auf den Tisch abgelegt waren reagierte ich schnell und legte meine Hand auf eine von ihren. "Geht's?", fragte ich mitfühlend und sie nickte. "Gleich wieder, entschuldige.", antwortete sie und ich drückte ihre Hand leicht. "Du brauchst dich für nichts entschuldigen.", gab ich ihr zu verstehen und sie entspannte sich kurze Zeit später wieder.
Wir führten weiterhin ein sehr ausführliches Gespräch. Lisbeth wollte genau wissen wie es uns ging und vor allem wie Martin mit der Situation zurecht kam. "Sagen wir es so.. Er kämpft. Besonders dich und Lilli vermisst er unglaublich, aber er konnte sich bis jetzt nicht überwinden anzurufen. Vielleicht beschäftigt er sich deshalb so ausgiebig mit Kira, die Zwei sind momentan fast unzertrennlich." Lisbeth lächelte. "Die Kleine hat's ihm genauso angetan wie ihre Mama. Und da wir gerade auf die sie zu sprechen kommen fällt mir ein, dass ich ja jetzt ihre Oma bin!", kam Lisbeth plötzlich in den Sinn. "Und ich deine Schwiegertochter.", fügte ich hinzu. "Das kommt mir jetzt erst!", meinte Lisbeth. "Hach, wie schön!" Sie war total aus dem Häuschen und vergaß für einen Moment die schwierige Situation in der wir uns befanden. "Magst du deine Enkelin dann vielleicht auch mal wieder halten?", fragte ich und sofort nickte Lisbeth. Also stand ich auf und gab Kira an sie weiter, die einfach weiter vor sich hin lachte. "Du bist ja groß geworden!"
Martins Mutter begutachtete das kleine Mädchen und wirkte irgendwie stolz. "Ich hab sie jetzt schon so oft im Arm gehalten, aber das gerade ist nicht das gleiche. Jetzt bin ich ihre Oma!" Damit wurde Lisbeth gerade nicht mehr fertig und ich lächelte einfach nur. Das Martin nicht der leibliche Vater war spielte keine Rolle, sie nahm sie als ihre Enkelin an und ich hätte mir weder einen besseren Vater noch eine bessere Oma für meine Tochter wünschen können.
"Wie geht's denn eigentlich Lilli?", fragte ich nun. "Sie hat auch mit der momentanen Situation zu kämpfen. Ihr fehlt ihr genauso wie mir und sie fragt immer, wann ihr wieder vorbei kommt oder wann sie euch besuchen darf. Sie versteht Hans genauso wenig wie ich und ist der Meinung, dass ihr euren Streit beilegen solltet.", antwortete Lisbeth ohne die Augen von Kira abzuwenden. "Wenn das nur so einfach wäre.", seufzte ich. "Hans hat eigentlich kein Recht Martin den Umgang mit ihr zu verbieten.", rutschte mir dann heraus. "Hat er auch nicht. Aber sobald eure Namen fallen tickt er förmlich aus. Wobei ich glaube, dass sich da etwas organisieren lassen würde ohne das er es mit bekommt."
Ich ahnte, dass Lisbeth einen Plan haben musste. "Du hast einen Plan.", meinte ich deshalb und sie nickte. "Ich kann es nicht mehr ertragen Lilli so traurig zu sehen und du kannst es vermutlich bei Martin ebenso wenig." Ich nickte nur, damit sie fortfahren konnte. "Sie möchte euch unbedingt besuchen und sagt das immer, wenn Hans gerade nicht in der Nähe ist. Sie weiß also, dass er unter keinen Umständen von einem möglichen Treffen erfahren dürfte." Erneut nickte ich. "Deshalb vertraue ich auch auf ihr Stillschweigen und hab mir was überlegt. Wenn du nichts dagegen hast könntest du sie am Freitag, also Morgen, nach der Schule abholen und sie würde dann das Wochenende bei euch verbringen."
Ich machte große Augen. "Wirklich? Aber.. Aber wenn Hans davon Wind kriegt.." Lisbeth beruhigte mich sofort. "Hans lässt du mal schön meine Sorge sein, Gemma. Ich werde ihm einfach erzählen, dass Lilli spontan bei einer Freundin übernachtet und sie werde ich vorerst auch im Dunkeln lassen. Du stehst Morgen dann einfach vor der Schule und holst sie ab, ohne das Hans etwas mitbekommt. Sie bleibt die zwei Tage bei euch und ich hole sie dann wieder ab. Ihr müsstet halt nur aufpassen, wenn ihr irgendwo unterwegs seid.", erklärte Lisbeth mir ihre Idee ausführlich. "Das wäre schön, wenn das wirklich klappen würde!", antwortete ich voller Vorfreude. "Das wird definitiv klappen. Ein paar Sachen für sie habe ich schon zusammen gepackt, die Tasche ist draußen im Auto. Es soll ja alles so aussehen, als wäre es spontan dazu gekommen." Ich verstand ihren Plan und es hörte sich wirklich danach an, dass Hans das nicht mitbekommen würde. "Ich wusste gar nicht, dass du solche Pläne schmieden kannst.", gab ich zu. "Du wärst überrascht wenn ich dir erzählen würde, was ich in meinem Leben schon für Sachen ausgeheckt habe.", erwiderte Lisbeth amüsiert.
Wir tranken dann noch gemeinsam unseren Kaffee aus und ich ging noch kurz mit ihr nach draußen, damit sie mir die Tasche übergeben konnte. Mit einer festen Umarmung verabschiedeten wir uns voneinander und ich war gespannt wie Lilli Morgen reagieren würde. Und vor allem Martin, wenn ich überraschend mit seiner Tochter nach Hause kam. Denn auch ihm würde ich zunächst nichts sagen.
Frühs ging ich wie gewohnt meiner Arbeit in der Praxis nach und versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Dies gelang mir aber nur bedingt, da ich wirklich auf die Reaktionen der Beiden gespannt war. "Hast du heute noch einen Termin, weil du ständig auf die Uhr schaust?", fragte Martin mich irgendwann. "Nein.. Also ja.. Ich muss später noch nach Hall in die Klinik.", flunkerte ich notgedrungen. "Heute? Es ist Freitag, du musst nur.." Ich redete einfach dazwischen. "Kahnweiler hat heute eine interessante OP und ich hab ihn gefragt, ob ich nicht die Assistenz übernehmen dürfte.", erklärte ich ihm. "Du hast ihn darum gebeten? Gem, du bettelst doch sonst nie um Operationen und vor allem nicht bei Alexander. Was ist wirklich los?", hakte er misstrauisch nach. "Ich hab später wirklich eine OP, das ist alles.", beteuerte ich weiterhin.
"Und was für eine?", fragte Martin. "Was für eine was?" Da war ich nun wirklich auf dem Schlauch gestanden. "Achso, was für eine OP!", kam es mir und er nickte. "Herztransplantation." Etwas anderes fiel mir auf die Schnelle nicht ein. "Und da willst du freiwillig assistieren? Da gäbe es weitaus interessantere Eingriffe.", meinte Martin. "Man kann nie genügend Erfahrung sammeln, deshalb möchte ich mich weiterbilden so oft es geht. Ich muss jetzt auch los."
Schnell holte ich meine Jacke und zog diese an. Kira saß bereits in ihrer Trage und ich musste sie nur noch mitnehmen. "Bis heute Abend.", sagte ich und gab Martin einen Kuss. "Du nimmst Kira mit?" Er war nach wie vor nicht wirklich von meiner Geschichte überzeugt. "Äh.. Klar. Wenn ich den Platz in der Betreuung schon habe muss ich den ausnutzen."
Nochmal küsste ich ihn zum Abschied und verließ dann das Behandlungszimmer. "Tschüss, bis Montag.", sagte ich noch zu Fräulein Schneider und Roman, ehe ich nach draußen zum Auto ging. Kira schnallte ich fest und fuhr dann los zur Schule von Lilli. Diese musste ich zwar erstmal suchen, stand dennoch pünktlich da und wartete an den Wagen gelehnt darauf das sie heraus kam.
Schulschluss war um 13 Uhr und kaum klingelte es stürmten haufenweise Kinder aus dem Gebäude. Irgendwo unter ihnen musste Lilli sein, aber erstmal konnte ich sie vor lauter Schülern nicht entdecken. Aber nach einigen Minuten wurde es übersichtlicher, da viele in die Autos ihrer Eltern einstiegen oder sich zu Fuß auf den Weg nach Hause oder zur Bushaltestelle machten.
Lilli kam mit als letztes heraus und unterhielt sich mit Freundinnen, dann sah sie sich suchend um. Vermutlich wartete sie auf Hans, da sie ja noch nichts von den Plänen von Lisbeth und mir wusste. "Lilli!", rief ich und sie wusste zunächst nicht was sie davon halten sollte. Doch ich winkte ihr kurz zu und dann schien sie mich erkannt zu haben. Schnell sagte sie noch etwas zu ihren Begleiterinnen und lief dann auf mich zu.
"Gem!", rief sie freudestrahlend und rannte mir inzwischen entgegen. Ich ging in die Knie und empfing sie mit offenen Armen, diese Einladung nahm Lilli nur zu gern an. Es folgte eine feste Umarmung, die schon längst überfällig gewesen war. Wir hatten uns so lange nicht mehr gesehen und es tat gut die Kleine wieder in die Arme schließen zu können.
"Was machst du denn hier?", fragte sie aufgeregt. "Dich abholen. Deine Oma und ich haben nämlich ausgemacht, dass du das Wochenende über mit zu uns kommen darfst. Hast du Lust?" Diese Frage hätte ich mir sparen können. "Ja, ja, ja!", antwortete Lilli und strahlte über das ganze Gesicht. "Aber weiß der Papa davon?", wollte sie dann wissen. "Ehrlich gesagt weiß er davon nichts. Und es wäre auch besser, wenn das unter uns bleibt.", gab ich zu. "Ich sage ihm kein Wort!", versprach Lilli mir hoch und heilig. "Sehr gut.", meinte ich darauf und ganz wohl war mir dabei nicht, da sie ihren Hans sozusagen hinterging. Aber es war die einzige Möglichkeit, damit wir wieder Zeit mit ihr verbringen konnten.
"Und der Martin, wo ist der? Ich hab ja auch gar keine Sachen gepackt!", sprudelte es aus ihr heraus. "Der Martin weiß noch nicht, dass du uns besuchen kommst. Das soll eine Überraschung werden. Und deine Oma hat mir ein paar Sachen für dich mitgegeben, da mach dir mal keinen Kopf." Ich nahm ihr die Büchertasche ab und verstaute sie im Auto. Als wir Beide eingestiegen waren fuhr ich vom Schulgelände.
"Ich war noch nie bei dir zu Hause, da ist es bestimmt total schön!", meinte Lilli noch immer freudig. "Dann wird's dringend mal Zeit, dass du meine Wohnung begutachten kannst. Aber erwarte nicht allzu viel.", antwortete ich belustigt. "Ich werde es ja sehen." Sie konnte nicht mehr aufhören zu lächeln. "Das wirst du. Nur müssen wir vorher noch einkaufen gehen, da ich mir nicht sicher war was du gern isst und ich es deshalb gern mit dir zusammen machen würde."
Dagegen hatte sie nichts einzuwenden und eine Weile lang sagte sie nichts mehr. "Du.. Gemma..", begann sie dann zögerlich. "Ja?", fragte ich und merkte das sie plötzlich ziemlich nachdenklich war. "Warum ist Papa eigentlich so sauer auf den Martin und dich? Das ihr ja jetzt zusammen seid weiß ich, aber irgendwie versteh ich es trotzdem nicht. Die Oma hat es mir zwar erklärt, aber ich würde es gern von dir wissen." Und ich würde es ihr erklären, da sie ein Recht darauf hatte. "Ich kann nachvollziehen, dass du das komisch finden musst. Aber vielleicht solltest du wissen, das Liebe manchmal kompliziert sein kann.", versuchte ich ihr zunächst zu erläutern.
"Der Martin und ich.. Wir sind schon länger ineinander verliebt, das ist euch ja mehr oder weniger aufgefallen." Lilli nickte. "Aber irgendwie hat sich nie wirklich etwas ergeben und es sah auch nicht mehr danach aus, als ob wir je zusammen kommen würden. Dein Papa hat sich dann auch in mich verliebt, dagegen kann man nichts ausrichten und wir wollten ihn auch nie verletzen.." Ich brach ab um die richtigen Worte zu finden, aber Lilli wusste bereits worauf ich hinaus wollte. "Aber du magst den Martin immer noch mehr." Ich nickte. "Simpel ausgedrückt und trotzdem triffst du es damit auf den Punkt.", stimmte ich ihr zu und Lilli hatte alles verstanden. Wir wechselten das Thema und kamen wenig später an einem Supermarkt an.
"Was würdest du denn gerne essen?", fragte ich sie, als wir einen Einkaufswagen holten und ich den Maxi-Cosi hinein stellte. "Ich darf ganz allein aussuchen?", fragte Lilli. "Darfst du.", erwiderte ich. "Wie cool!", rief sie und eilte voraus in den Laden. Ich blieb erstmal verdutzt stehen, dann schüttelte ich lachend den Kopf und folgte ihr.
Wir liefen dann gemächlich durch den Supermarkt und erledigten den Einkauf für das ganze Wochenende. Lilli hatte ihren Spaß und ich ebenfalls, obwohl ich diese Prozedur beim einkaufen nicht besonders leiden konnte. Immer diese Leute die im Stress waren, dann das Einladen und das Schleppen in die Wohnung. Aber zusammen mit Lilli war es schnell erledigt, da sie genau wusste was sie wollte. Auch das Einladen ins Auto ging verhältnismäßig schnell und eine gute Stunde später waren wir schon bei mir zu Hause angelangt.
"Martin ist noch nicht da, oder?", fragte Lilli, die mir tatkräftig beim Tüten tragen half. "Nein, der kommt erst heute Abend. Bis dahin haben wir Zeit zu kochen." Für heute hatte sie sich Spaghetti gewünscht, was natürlich kein Problem war da ich dieses Gericht im Schlaf beherrschte. Während ich die Einkäufe verräumte, sah Lilli sich in der Wohnung um. Kira war inzwischen müde geworden und bereit für ihren Mittagsschlaf, weshalb ich sie gleich ins Bett brachte. Es dauerte nicht lange da war sie eingeschlafen und ich machte mich auf die Suche nach meinem kleinen Gast.
Lilli stand im Wohnzimmer und begutachtete meine Wand, an der viele Bilder hingen. "Wow!", machte sie plötzlich. "Bist du das?", fragte sie und deutete auf ein Bild. Ich hatte mich gerade neben sie gestellt und nickte leicht, nachdem ich sah auf welche Aufnahme sie zeigte. "Das bin ich, ja.", antwortete ich nachdenklich und konnte mich noch genau daran erinnern wann das aufgenommen worden war. Bei einem wichtigen Eiskunstlauf-Wettkampf, kurz nachdem ich 15 Jahre alt geworden war und kurz bevor meiner Karriere schlagartig ein Ende gesetzt wurde. Und das durch einen angeborenen Herzfehler, ohne den ich es vielleicht bei der Weltmeisterschaft aufs Siegertreppchen geschafft hätte. Auf diesem Bild drehte ich gerade eine Pirouette und trug mein allerliebstes Kürkleid. Meine Schwester hatte genau im richtigen Moment den Auslöser der Kamera gedrückt, es war wirklich ein sehr schönes Bild. Meiner Meinung nach das schönste was zu der Zeit entstanden war und deshalb hing es auch hier. Es erinnerte mich immer an diese unvergesslichen Momente auf dem Eis, das ich seit Jahren nicht mehr betreten hatte.
Und das nur, weil die Angst mich regelrecht lähmte. Ich hatte nach meiner Operation und den ganzen Monaten Rehabilitation danach wirklich geglaubt ich könnte meinen Sport weiter betreiben, aber es hatte sich das Gegenteil heraus gestellt. Meine Ärzte hatten mir davon abgeraten, da mein Körper jederzeit wieder hätte schlapp machen können und außerdem hatte ich mich nicht dazu überwinden können wieder in die Schlittschuhe zu schlüpfen. So war der Traum Weltmeisterin zu werden zerplatzt und ein paar Jahre später erinnerte sich nun niemand mehr an mich, obwohl ich mit zu den bekanntesten Läuferinnen Deutschlands gezählt hatte.
"Gemma, bist du noch anwesend?", fragte Lilli und holte mich so in die Realität zurück. "Mh?", war erstmal das einzige was hervor brachte, bis ich begriffen hatte was sie gesagt hatte. "Ja.. Ja, klar. War gerade nur im Gedanken.", antwortete ich. "Ich hätte ja nie gedacht, dass du mal Eiskunstläuferin warst!", meinte Lilli. "Da siehst du mal, eine Pokale stehen da im Regal." Ich zeigte auf die Trophäen, es waren nicht gerade wenige. "Die sind ja schön!" Lilli staunte nicht schlecht. "Und meine Kleider hab ich auch alle noch, genau wie meine Schlittschuhe.", erzählte ich weiter. "Und warum läufst du heute nicht mehr?", wollte sie dann wissen. "Weil es damals einen Zwischenfall gegeben hat, ich bin bei einem Wettbewerb während meiner Kür plötzlich zusammen gebrochen. Das einzige woran ich mich erinnern kann ist, dass ich im Krankenhaus nach meiner Herzoperation aufgewacht bin und den Rest hat mir meine Familie erzählt oder ich habe es aus den Medien erfahren."
Lilli hörte aufmerksam zu. "Und gibt es noch mehr Fotos oder darf ich die Kleider mal sehen?", fragte sie aufgeregt. "Die Kleider sind unten im Keller verstaut und da komme ich jetzt schlecht hin. Aber Fotos habe ich zu Genüge, die darfst du dir gerne anschauen."
Sofort nickte sie, also holte ich meine Fotokiste und einige Fotoalben. Damit setzten wir uns auf Wohnzimmerboden und neugierig schaute sie die Bilder an und hörte meinen Erzählungen zu. Zwei Stunden später begannen wir dann mit dem Kochen, da Martin bald nach Hause kommen würde.

Die BergdoktorinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt