Die Frau war mir gefolgt und stand ganz in meiner Nähe.
"Gemma, sie lässt sich im Moment nicht öffnen.", sagte sie ruhig. "Ich will hier weg, lass mich raus!", schrie ich und versuchte es erneut, abermals vergeblich. "Ich würde dich gerne gehen lassen, aber im Augenblick ist das nicht möglich. Lass mich dir alles erklären, hör mir einfach nur zu.", bat sie mich. "Ich will dir nicht zuhören, ich will einfach nur raus hier!" Aber die Tür blieb fest verschlossen. "Gemma, bitte." Ich fragte mich woher sie mich kannte und vor allem was ich hier sollte. Aber ich wollte ihr partout nicht zuhören, da kam meine Sturheit wieder durch.
"Beruhige dich und hör dir bitte an, was ich dir zu sagen habe." Langsam kam sie näher und ich drückte mich mit dem Rücken zur Tür hin. Es gab keinen Weg raus. "Komm mir nicht zu nahe!", rief ich. "Bleib weg von mir!" Warum ich so reagierte wusste ich selbst nicht, wahrscheinlich lag es einfach nur an meiner Angst die ich hatte. Obwohl mir hier anscheinend keiner etwas tun wollte, fühlte ich mich in dieser Situation gerade total unwohl. "Okay, ist schon gut. Ich bleibe einfach hier stehen, schau." Sie blieb wirklich stehen. "So können wir uns auch unterhalten, kein Problem." Sie sprach nach wie vor gelassen und irgendwie hatte das eine leichte beruhigende Wirkung auf mich.
Ich hörte auf mich gegen die Tür zu stemmen. Trotzdem blieb ich wachsam und ich merkte, dass ich zu zittern anfing. Vor Kälte und auch aus anderen Gründen, die wohl emotionalen Ursprungs waren. Ich zog das Jäckchen enger um mich, was mir gleichzeitig auch ein stärkeres Gefühl von Sicherheit gab. "Weißt du überhaupt, wer ich bin?", wollte sie nun erst wissen und ich schaute sie nochmal ganz genau an. Gleichzeitig erinnerte ich mich an die Bilder die Martin mir gezeigt hatte. Dann nickte ich.
"Ich weiß wer du bist, ja.", bestätigte ich. "Du bist Sonja, die Frau von Hans und die Mutter von Lilli die vor ein paar Jahren bei einem Unfall ums Leben kam. Du bist eigentlich tot." Nun da ich es ausgesprochen hatte konnte ich es erst glauben.
Die Frau lachte kurz auf, als fände sie meine Wortwahl amüsant. "Dann hat man dir wohl von mir erzählt.", meinte sie. "Es stimmt, ich bin Sonja Gruber. Und tot bin ich tatsächlich, nicht nur eigentlich." Sie redete darüber, als wäre es das normalste der Welt. "Is das so ne Art versteckte Kamera? Weil wenn ja finde ich das überhaupt nicht komisch!"
Sonja schüttelte den Kopf. "Nein, das hier passiert gerade wirklich.", versicherte sie mir. "Okay.", sagte ich und fuhr mir durch die Haare. "Also bin ich jetzt auch tot und das ist der Himmel, oder wie?", fragte ich unruhig. "Nicht ganz. Kannst du dich noch daran erinnern, was passiert ist?" Ich nickte leicht. "Ich war auf der Autobahn unterwegs und irgendwas ist auf meine Windschutzscheibe geknallt. Ich.. ich hab die Kontrolle verloren und bin auf der Intensivstation wieder aufgewacht. Und jetzt bin ich hier, aber warum? Was soll ich hier, wenn ich angeblich nicht gestorben bin?", wollte ich wissen. "Du bist hier, während dein Körper sich erholt. Man hat dich operiert, dann hattest du einen Herzstillstand und warst tatsächlich für viele Minuten klinisch tot. Aber man konnte dein Herz wieder zum schlagen bringen und jetzt liegst du erstmal im künstlichen Koma.", erklärte sie mir.
"Dann träume ich?", fragte ich. Aber woher wusste Sonja dann all das? "Fühlt es sich denn an wie ein Traum?", stellte sie eine Gegenfrage. Diese hätte ich ganz klar mit nein beantwortet, aber Sonja musste mir angesehen haben wie viel Angst mir das machte. "Pass auf.", sagte sie ruhig. "Wenn du dich mit dem Gedanken wohler fühlst das du träumst, dann belassen wir es einfach dabei. Einverstanden?" Ich konnte nur nicken. "Ich glaube wir setzen uns zum weiteren Gespräch lieber in die Küche. Du frierst, ich mache dir einen Tee und dann kannst du mir so viele Fragen stellen wie du möchtest."
Ich fasste langsam Vertrauen zu Sonja, mir blieb auch irgendwie nichts anderes übrig. Nur sie konnte mir im Augenblick sagen was hier vor sich ging.
"Komm.", forderte Sonja mich auf und lief in die Küche. Ich folgte ihr, blieb aber sofort wie angewurzelt stehen. Im Raum saß ein Hund, ein ziemlich großer Schäferhund. Er schaute mich neugierig an und erhob sich. Sonja ging einfach hin und streichelte ihn, ich blieb draußen. "Jetzt komm schon rein und setz dich.", meinte sie lächelnd. "Geht nicht.", antwortete ich und ließ den Hund nicht aus den Augen. Sonja schien zu verstehen. "Stimmt, du hast Angst vor Hunden. Hab ich total vergessen, entschuldige. Ich bring ihn in die Stube." Ich nickte und ging wieder ein paar Schritte vor in den Flur. Woher Sonja von meiner Hundeangst wusste war mir aber trotzdem ein Rätsel. Sie hatte den Hund am Halsband genommen und führte ihn aus der Küche raus in die Stube. Dann machte sie die Tür zu. "Nochmal sorry, daran hätte ich denken sollen. Wobei Rex keiner Fliege was zu leide tut. Er war der Hund von Martin und Hans, als als sie noch Kinder waren. Jedes Tier das auf dem Gruberhof lebt und stirbt kommt hierher oder in unserem Fall auch jeder Mensch der etwas mit dem Hof zu tun gehabt hat."