Ich setzte mich ins Auto, mein nächstes Ziel war der Gasthof. Auf dem Parkplatz stand bereits der grüne Mercedes von Martin, wahrscheinlich aßen Andrea und er hier gerade gemeinsam zu Mittag. Das machten sie in letzter Zeit öfter, wann immer sie die Chance dazu bekamen.
Ich nahm meine Tasche und stieg aus, die Beiden erblickte ich sofort. Sie saßen draußen an einem der Tische und lachten miteinander, sie wirkten glücklich und das gönnte ich ihnen auch. Andrea sah mich als erstes und winkte mir zu, unser Verhältnis war mittlerweile freundschaftlich. Martin drehte sich um und winkte mir ebenfalls zu, ich erwiderte diese Geste und ging zu ihnen.
"Na, genießt ihr eure gemeinsame Mittagspause?", fragte ich. "Und ob wir das tun.", entgegnete Martin. "Und was machst du hier?", wollte er dann in Erfahrung bringen. "Ich hole Susanne zum Babyshopping ab, ich brauche unbedingt ein bisschen Unterstützung."
Kaum hatte ich meinen Satz beendet, kam die Wirtin schon zur Tür raus. "Und hat's geklappt?" Sie wirkte total ungeduldig und aufgeregt, als ob es sie selbst etwas angehen würde. "Hat was geklappt?", fragten Andrea und Martin gleichzeitig, während ich das Ultraschallbild aus meiner Tasche holte. "Es hat geklappt, endlich!" Susanne stand inzwischen vor mir. "Jetzt rück schon raus mit der Sprache, Mädchen oder Junge?"
Ich wartete noch kurz mit meiner Antwort, um sie noch mehr auf die Folter zu spannen. "Das Würmchen ist ein Mädchen!", rief ich schließlich überglücklich und Susanne fiel mir sofort um den Hals. "Ahhh, wie schön! Ich freue mich so für dich!"
Mit unserer Freude zogen wir die ganze Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf uns. "Davon redet ihr also. Dann auch von mir herzlichen Glückwunsch!" Auch von Andrea wurde ich umarmt. Zunächst ein komisches Gefühl, aber irgendwie auch ein schöner Moment. Als letztes kam noch Martin an die Reihe. "Von mir selbstverständlich auch! Zeig mal." Ich gab ihm das Bild. "Dann können wir ja endlich das Kinderzimmer aussuchen! Ich geh mich nur schnell umziehen." Und schon war Susanne wieder nach drinnen verschwunden. Ich setzte mich währenddessen zu Martin und Andrea an den Tisch, bis Susanne wieder kam.
Nach ein paar Minuten war Sie fertig und wir fuhren zu einem Möbelhaus, in dem ich bereits meine komplette Einrichtung für meine neue Wohnung gekauft hatte. Wir begaben uns gleich zu der Abteilung mit den Kinderzimmern und hier hatte ich wortwörtlich die Qual der Wahl. Letztendlich entschied ich mich für weiße Möbel, denn dazu würde jede Farbe passen und mein eigenes Schlafzimmer war ebenfalls ganz in weiß gehalten.
Das Babyzimmer bestand zum Schluss aus einem kleinen Himmelbett, einer Wickelkommode, ein paar Regalen zum anbringen an die Wand, einem Siteboard und einem gemütlichen Sessel in dem ich die Kleine stillen konnte. Da mein Auto definitiv zu klein war um das alles zu transportieren, würde man es mir wieder liefern.
Zufrieden verließen wir das Möbelhaus und hielten gleich noch bei einem Baumarkt an, um die Farbe des Zimmers auszusuchen. "Wie wäre es mit rosa? Ist ja die Standardfarbe bei Mädchen.", schlug Susanne begeistert vor. "Auf gar keinen Fall bekommt mein Kind einen rosa Albtraum als Zimmer, ich steh nicht auf pink!", stellte ich gleich klar. "Hellblau fände ich schön oder violett, aber definitiv kein rosa."
Ich lief an dem langen Regal voller Farben auf und ab, bis ich endlich eine schöne gefunden hatte. "Türkis, wirklich?", fragte Susanne. "Mir gefällt's.", antwortete ich und sie stimmte dann auch zu. "Kann bestimmt auch schön aussehen, mit den weißen Möbeln dazu. Dann brauchst du noch Pinsel, Abklebeband und das ganze.", erinnerte sie mich. "Davon hab ich inzwischen genug gekauft, manches sogar noch original verpackt. Ich war sparsam."
Wir begaben uns zur Kasse und verladen die Farbe im Auto. "Das werde ich heute noch machen. Damit das Zimmer gestrichen ist, wenn Morgen die Möbel kommen."
Susanne hätte mir dabei auch gerne geholfen, musste langsam aber wieder zurück zur Pension, bei der ich sie ablieferte. Bevor sie ausstieg musste ich ihr noch versprechen, dass ich sie mitnahm, wenn ich die Babykleidung und das Spielzeug kaufen ging. Und das würde ich ganz sicher, denn sie war mir eine große Hilfe gewesen.
Zu Hause angekommen lud ich das Auto aus und begann sofort mit dem streichen des Kinderzimmers, was bis in die Nacht hinein dauerte. Das führte dazu, dass ich am Morgen beinahe zu spät zur Arbeit kam. Aber ich schaffte es noch rechtzeitig, bevor die Visite begann. Ich war total übermüdet, da meine Kollegen mittlerweile jedoch große Rücksicht auf mich nahmen, konnte ich die ein oder andere Pause einlegen.
Gegen Mittag gab Alexander mir die Aufgabe eine Patientin für eine OP an den Stimmbändern vorzubereiten. Nachdem ich noch einen Kaffee getrunken hatte, suchte ich das Zimmer von Frau Rühling auf. Die Patientin hatte gerade Besuch und da die junge Frau ihr so ähnlich sah, vermutete ich das es ihre Tochter sein musste.
"Guten Tag, ich bin Dr. Morrow. Ich wurde geschickt, um sie auf ihre bevorstehende Operation vorzubereiten.", stellte ich mich vor. "Wurde aber auch Zeit, dass da mal jemand kommt!", motzte die Dame mich sofort an. "Ich bin auf die Minute pünktlich, Frau Rühling.", sagte ich, ohne ihr unfreundliches Verhalten zu beachten. "Da wollte schon seit zwei Stunden jemand kommen, weil ich kein Frühstück bekommen habe!" Der Tochter war das sichtlich unangenehm. "Du hast kein Frühstück bekommen, weil du für die OP nüchtern sein musst.", erklärte sie ihrer Mutter. "Das stimmt.", bestätigte ich und begann dann, den Ablauf der Operation zu erklären.
"Das hat man mir alles schon mal gesagt!", unterbrach die Patientin mich. "Ja, aber es könnte sein das jetzt noch Fragen auftreten, die sie beantwortet haben möchten." Frau Rühling war unglaublich schlecht gelaunt, aber ich musste trotzdem freundlich bleiben. "Ich hab keine Fragen!", entgegnete sie schroff. "Gut, dann kann ich mir das erklären sparen."
Ich ging zum Kleiderschrank und holte dort ein OP-Hemd heraus. "Ziehen sie das bitte an, ich bereite inzwischen die Infusion vor." Widerwillig stand die Patientin auf und ging ins Bad. "Ich muss mich für das Verhalten meiner Mutter entschuldigen, sie ist etwas.. schwierig manchmal.", sagte nun ihre Tochter zu mir. "Damit weiß ich umzugehen, sie ist nicht die erste.", beruhigte ich sie und nachdem Frau Rühling wieder kam, legte ich ihr einen Zugang.
"Sie haben also auch nicht aufgepasst, was?", fragte sie mich plötzlich und ich hatte keine Ahnung worauf sie damit jetzt hinaus wollte. "Entschuldigung.. aber was meinen sie damit?" Ich sammelte gerade den Müll zusammen und stand auf, um ihn in den Abfalleimer zu werfen. "Sie sind schwanger.", sagte die Patientin daraufhin. "Genau wie meine Tochter und die weiß nicht, wer der Vater ist.", fügte sie noch hinzu.
"Mama, es reicht!", rief die junge Frau sauer. "Ich mein ja nur. Kinder können einem das Leben verbauen und sie sind meiner Meinung nach noch viel zu jung." Das machte mich gerade ziemlich wütend. "Wissen sie.. ich werde ganz sicher nicht mit ihnen über mein Privatleben reden. Und wann eine Frau bereit ist um ein Kind zu bekommen, das entscheidet jede für sich selbst."
Ich hängte noch die Infusion an und war hier zum Glück fertig. "Eine Schwester kommt sie in einer viertel Stunde abholen, auf Wiedersehen.", verabschiedete ich mich und war froh das Zimmer verlassen zu können.
Plötzlich hörte ich jemanden rufen. "Frau Doktor, einen Moment bitte!" Überrascht drehte ich mich um und die Tochter von Frau Rühling kam angelaufen. "Ich wollte mich nochmals entschuldigen, falls meine Mutter sie jetzt auch noch beleidigt hat.", sagte sie. "Das ist nicht ihre Aufgabe, dazu können sie nichts.", antwortete ich und hatte ganz ehrlich Mitleid mit ihr. "Ihr stand das nicht zu und es stimmt nicht, dass der Vater mir unbekannt ist.. ich will nur nichts mehr von ihm wissen.", stellte sie das Ganze richtig. "Da haben wir ja etwas gemeinsam, aber keine Sorge. Ich habe schon schlimmere Vorwürfe gehört, da waren die ihrer Mutter harmlos."
Nun lächelte sie ein wenig. "Ich würde ihr so gerne mal die Meinung sagen!", gab sie schließlich zu. "Das können sie und zwar nach ihrer OP, da kann sie nämlich keine Wiederworte geben. Ich wünsche ihnen jedenfalls alles Gute und ein gesundes Baby." Die Frau bedankte sich und wünschte mir das Gleiche, danach ging sie wieder zurück zum Zimmer ihrer Mutter.
Zeit zum Durchatmen hatte ich jedoch nicht. Mein Pieper ging und ich wurde in die Notaufnahme beordert, deshalb eilte ich gleich hinunter. Ich sah wie Sanitäter einen neuen Patienten herein brachten, Martin war dabei und vollkommen aufgelöst. Nun sah ich von weitem die blonden Haare und erkannte trotz Atemmaske wer dort auf der Trage lag, es war Andrea.
