Kapitel 128

102 7 0
                                    

Martin nahm mich sofort in den Arm und ich weinte mich an seiner Schulter aus.

"Ist ja gut.", flüsterte er, um mich zu beruhigen. "Nichts ist gut!", protestierte ich. "Ich hab so viel verpasst, das.. das hätte nicht passieren dürfen!" Martin drückte mich fest an sich. Zusätzlich kamen nun auch die Erinnerungen an Sonja und Niklas hoch, von denen ich ihm nicht erzählen konnte. Ich konnte ihm nicht erzählen, dass sein Sohn glücklich war, wenn auch nicht hier bei uns. Stattdessen kümmerte er sich so rührend um Kira. Es waren so viele Gefühle, die auf mich einwirkten und ich wusste gerade einfach nicht wie ich damit umgehen sollte.

"Ich weiß doch.", sagte Martin mitfühlend. "Aber die Reha musste sein, Gem. Und ab jetzt kannst du wieder bei uns sein und alles miterleben, das hättest du beinahe nicht gekonnt. Weißt du eigentlich wie dankbar wir alle dafür sind, dass du wieder bei uns bist? Du und ich, wir beide schaffen neue Erinnerungen. Zusammen mit unserer Kleinen und dem Rest der Familie. Zusammen schaffen wir es alles, das ist sicher."

Martin gab mir einen Kuss auf die Stirn. "Natürlich ist es nicht dasselbe, wenn du dir Kiras erste Schritte auf einem Video ansehen musst oder ich dir alles erzähle. Aber wir können es versuchen. Du, die kleine Maus und ich, wir sind eine Familie. Das du wieder bei uns bist, ist das beste was passieren konnte und wir werden diese neue Chance nutzen. Versprochen."

Seine Worte taten gerade unfassbar gut. "Danke!", flüsterte ich und sah ihm tief in die Augen. "Dafür nicht.", antwortete Martin und küsste mich. "Ich werde immer für euch da sein, egal was geschieht. Und jetzt komm, eine Überraschung hab ich noch parat."

Er sah noch ein letztes Mal nach Kira, nahm mich dann an die Hand und führte mich hinaus. Die Tür schloss er leise hinter sich. Die Krücken lehnte Martin dann einfach gegen die Wand. "Die brauchst du heute sowieso nicht mehr benutzen.", meinte er. "Wohin gehen wir? Ich dachte wir wollen ins Bett.", sagte ich verwirrt, als er mich an seinem Zimmer vorbei führte. "Wir gehen ja auch ins Bett.", antwortete Martin amüsiert. "Aber..", setzte ich an, doch Martin ließ mich nicht ausreden. "Abwarten."

Wir liefen weiter bis zum Aufgang zum Dachboden. Die alte Sprossenleiter war gegen eine stabilere Stufenleiter ausgetauscht worden. "Was..", setzte ich an, doch wieder sprach Martin dazwischen. "Sag nichts. Geh nach oben und sieh es dir an.", meinte er. "Ich soll da rauf?", fragte ich skeptisch. "Martin, ich trag immer noch die Schiene. Ich glaube nicht, dass ich da hoch komme." Martin schmunzelte. "Doch, klar schaffst du das. Du bist damals schwanger zu mir auf den Baum geklettert, dann ist das jetzt ja wohl kein Problem für dich." Ich lachte. "Daran kannst du dich wirklich noch erinnern?", fragte ich. "Natürlich!", antwortete Martin. "Ich erinnere mich an jeden unserer gemeinsamen Momente, weil jeder besonders ist."

Ich musste ihn daraufhin einfach küssen. "Du bist der tollste Mann auf der ganzen Welt!", sagte ich glücklich. "Und du die tollste Frau.", antwortete Martin. "Aber jetzt geh schon nach oben, es wird dir hoffentlich genauso gut gefallen wie das Kinderzimmer."

Da mich nun erneut die Neugier gepackt hatte, musste ich einfach herausfinden was dort oben war. Also kletterte ich langsam, sehr langsam, die Treppe hoch. Es dauerte ziemlich lange, aber Martin war die ganze Zeit hinter mir um mir Hilfestellung zu geben.

Die Luke war offen und als ich oben angekommen war, traute ich meinen Augen erst nicht. Denn ich befand mich nicht mehr in einem Dachboden voller Kartons und alten Erinnerungen, sondern es sah inzwischen aus wie ein Schlafzimmer. Ein großes Bett, das zum Träumen einlud, stand an einer Wand. Ein Kleiderschrank war ebenfalls vorhanden und neben dem Bett stand rechts und links ein Nachtschränkchen. Lichterketten an den Wänden und am Bettgestell tauchten den Raum in eine sanfte Helligkeit. Die Wände waren in einer schönen Farbe gestrichen und es hingen Bilder überall verteilt. Es war ein Traum von einem Schlafzimmer.

"Wenn Kira ein neues Zimmer bekommt, dachte ich für uns könnte ich da auch gleich mal was machen. In meinem kleinen Bett hatten wir ja nie genügend Platz.", meinte Martin, der mich die ganze Zeit stumm beobachtet haben musste.

Ich erwiderte erstmal nichts und ging ein wenig im Raum umher. Jedes kleine Detail war einfach perfekt, genau wie im Kinderzimmer. "Es ist unglaublich, dass du das in ein paar Wochen geschafft hast.", sagte ich und strich bedacht über die Bettdecke. Der Stoff der Bettwäsche fühlte sich schön an und erst jetzt merkte ich wieder, wie erschöpft ich eigentlich war.

Martin legte von hinten seine Arme um mich. "Wie findest du es?", fragte er mich. "Wundervoll!", antwortete ich und lehnte mich an ihn. "Du bist müde.", stellte Martin fest. "Setz dich." Ich protestierte nicht gegen diese Aufforderung, da es wohl wirklich das beste war. Also setzte ich mich auf die Bettkante. "Ich frag mich, wann ich endlich wieder in der Lage sein werde, ein komplett normales Leben zu führen.", sagte ich. "Das wird noch ein bisschen dauern, aber die letzte Zeit bis dahin schaffst du auch noch. Du hast so viele Fortschritte gemacht, ich kann dir gar nicht sagen wie stolz ich auf dich bin."

Martin gab mir einen Kuss auf die Stirn. "Und jetzt kommt die Schiene runter, du solltest schlafen." Martin machte mir dann die Schiene an meinem Bein weg und ich konnte es wenigstens ein bisschen freier bewegen. Ganz ohne Schmerzen klappte alles noch nicht so ganz, aber ich war zuversichtlich das ich das Bein demnächst wieder voll belasten konnte.

Martin half mir dann auch beim Umziehen, obwohl ich das inzwischen auch wieder alleine konnte, aber er bestand darauf. Und irgendwie gefiel es mir, dass Martin sich so um mich kümmerte. Ich war wieder bei ihm, nur das zählte und wenn er sich um mich kümmern wollte sollte er das auch tun dürfen.

Wenig später lag ich im Bett und beobachtete Martin dabei, wie er Hose und T-Shirt auszog und anschließend nur mit Boxershorts bekleidet ebenfalls ins Bett kam. Er nahm mich in den Arm und ich kuschelte mich an ihn. "Es hat mir gefehlt, in deinen Armen einzuschlafen.", gab ich zu. Ich hatte die letzten Wochen alleine in einem Bett verbracht und Martin unfassbar vermisst. "Ab jetzt kannst du das wieder, also schlaf jetzt gleich mal, du brauchst es dringend."

Und kurz nachdem Martin das gesagt hatte, fielen mir auch schon die Augen zu.

-----------------------------------------------------------------------------------

Während Gemma bereits eingeschlafen war, lag Martin noch wach. Er musste erstmal realisieren, dass seine Freundin nun tatsächlich wieder in seinen Armen lag und nicht mehr so weit weg war wie in den letzten Wochen. Es war eine harte Zeit gewesen.

Ein paar Tage war nicht einmal klar gewesen, ob Gemma den Unfall überlebt und Martin kamen noch immer die Tränen wenn er daran dachte. Die Situation, als Gemma sich von ihm und ihrer Tochter verabschiedet hatte, bevor ihr Herz aufgehört hatte zu schlagen. Die Reanimation hatte ewig nicht funktioniert und Martin hatte schon gedacht, Gemma verloren zu haben.

Dann die Tage im Koma und diese schmerzende Ungewissheit. Das war jetzt vorüber. Gemma war wieder bei ihm und bis auf ein paar Kleinigkeiten wieder gesund. Ihr ging es gut, von Tag zu Tag besser und nur das zählte jetzt. Sie würden das alles wieder hinkriegen, irgendwie. Es brauchte nur ein bisschen Zeit und Geduld.

Und Martin war glücklich, dass Gemma gefiel was er hier auf die Beine gestellt hatte. Er wollte Gemma und Kira einfach bei sich haben, aber auch seine Familie. Er wusste wie Gemma zu der Tatsache stand, das Martin wollte das sie gemeinsam auf dem Gruberhof lebten. Gemma wollte das noch nicht, jedenfalls nicht dauerhaft. Aber vielleicht würde sie ihre Meinung ändern, jetzt da sie ihre eigenen Rückzugsmöglichkeiten hatten die groß genug waren.

Allerdings wollte Martin Gemma keinesfalls unter Druck setzen und sie erstmal wieder im normalen Alltag ankommen lassen.

Lächelnd beobachtete er seine Freundin, die seelenruhig an ihn gekuschelt schlief. Eine Weile machte er damit weiter, bis ihn selbst die Müdigkeit einholte und er ebenfalls einschlief.

Die BergdoktorinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt