Kapitel 23

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Er saß noch immer auf der Bank und lächelte, als ich auf ihn zu kam. "Ich hab deine SMS bekommen.", sagte ich, setzte mich und wurde von ihm mit einem Kuss begrüßt. "Das ging ja schnell.", erwiderte Martin. "Ich hatte sowieso nichts zu tun und jetzt bin ich hier, genau wie du es wolltest." Unauffällig sah ich mich um, ob uns vielleicht jemand gesehen hatte. Aber ich konnte Roman, Frau Schneider oder irgendeinen Patienten entdecken. "Was ich sehr schön finde, weil bis heute Abend hätte ich es nicht mehr ausgehalten." Nochmal küsste er mich. "War es also nur ein Vorwand um mich hierher zu locken, dass du mit mir über etwas reden willst?", fragte ich. "Nein, da gibt's schon etwas. Aber zuerst wollte ich dich angemessen begrüßen." Ich musste darüber einfach lachen. "Und das hast du toll gemacht.", lobte ich ihn und hätte so ewig weitermachen können.
Schließlich ließen wir voneinander ab und Martin fing an zu erzählen, was ihm auf dem Herzen lag. "An dem Tag, an dem ich dich eigentlich abholen wollte, war ich wie schon gesagt bei Andrea. Sie hat mich über die Schwangerschaft informiert und mir das Ultraschallbild gegeben, sozusagen als Beweis.", begann er zögerlich, aber das wusste ich ja bereits. "Ich war zuerst sprachlos, hab mich dann aber doch total gefreut und dann hat sie mir eben das mit Kiel gebeichtet." Man merkte wie schwer es ihm fiel, darüber zu sprechen. "Andrea und ich hatten es nie leicht, weißt du? Unsere Beziehung stand meistens auf der Kippe und es war wohl wirklich das Beste, dass wir uns getrennt haben. Aber.." Martin brach ab. "Aber du möchtest nicht, dass sie fort geht. Vor allem, weil sie ein Kind von dir erwartet und in Kiel würde es wahrscheinlich ohne Vater aufwachsen.", beendete ich seinen Satz so, wie es für mich am logischsten war und er nickte. "Genau. Bei dem Gedanken, dass sie unser Kind allein groß zieht oder vielleicht einen neuen Mann kennen lernt, der dann einen auf Papa macht.. Das fände ich grauenvoll! Und jetzt auch noch der Stress mit Hans.. dem ist es scheiß egal wie es mit momentan geht!", meinte Martin wütend. "Aber mir nicht und ich kann dich total verstehen. Mein Kind soll seinen Vater nie kennenlernen, er hat schließlich versucht uns umzubringen. Nur bei dir und Andrea ist das anders, du wärst ein toller Vater und genau deshalb solltet ihr nochmal miteinander reden. Wenn du mich fragst, überstürzt sie das mit Kiel nämlich gewaltig. Und Hans beruhigt sich auch wieder, der wird nur neidisch sein, weil du bei den Frauen so gut ankommst." Darüber musste Martin lachen. "Und woher willst du das wissen?", fragte er. "Ich hab schon so allerhand über dich erfahren und bin dir ja selbst verfallen."
Ich küsste ihn und lehnte dann meinen Kopf auf seine Schulter, er legte einen Arm um mich. Es war schön, aber irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass ihm Andrea doch noch mehr bedeutete als er zugab. Diese Gedanken schob ich aber erstmal beiseite und überlegte stattdessen, ob ich Martin vielleicht ein paar seiner Sorgen nehmen konnte und mir fiel sogleich etwas ein.
"Andrea ist doch Anwältin, oder?", fragte ich. "Ja, warum?", stellte Martin mir die erwartete Gegenfrage, aber ich ging darauf nicht ein und bohrte weiter nach. "Dann wird sie bestimmt auch eine Kanzlei haben, richtig?" "Richtig.", bestätigte Martin mir. "Aber warum willst du das wissen?" Ich zuckte nur mit den Schultern und stand auf. "Einfach so.", log ich und Martin stand ebenfalls auf. "Was hast du vor? Du heckst doch irgendwas aus." Und das stimmte auch, aber was genau wollte ich ihm noch vorenthalten. "Vertrau mir einfach.", bat ich ihn und gab ihm einen Kuss, dann ging ich schnell zu meinem Auto. "Gem.. Falls du zu ihr fahren willst, lass das bleiben!", rief Martin mir nach und hatte damit meinen Plan erraten. Er holte mich ein und hielt mich fest.
"Ich möchte nur mit ihr reden, von Frau zu Frau, mehr nicht.", erklärte ich ruhig. "Aber ich will dich in meine Angelegenheiten nicht mit rein ziehen und wenn du dorthin gehst sieht es so aus, als ob ich ein Feigling wäre.", entgegnete Martin. "Du bist kein Feigling und weiß einfach offiziell nicht, dass ich sie besuche. Ich werde sie davon schon überzeugen und ihr dann klar machen, dass es so nicht geht. Du hast mir das Leben gerettet, lass mich jetzt dir helfen." Er seufzte und nahm mich in den Arm. "Wahrscheinlich wird es sowieso nichts bringen, aber abhalten kann ich dich wohl nicht.", meinte er nachdenklich. "Nein, in der Beziehung bin ich stur. Oder vertraust du mir nicht?", wollte ich wissen. "Doch, natürlich vertraue ich dir.", antwortete Martin lächelnd und strich mir über die Wange. "Gut. Dann lass mich Andrea jetzt einen Besuch abstatten und danach sehen wir weiter."
Zum Abschied küssten wir uns nochmal und ich stieg in mein Auto. Ich machte mich mithilfe meines Handys im Internet schlau und fand die Adresse von Andreas Kanzlei, bei der ich bald darauf ankam. Ein Schild verriet mir, dass ich richtig war und ich betrat das Gebäude. Nachdem ich ein paar Treppen hinter mich gebracht hatte, stand ich nun in einer Art Vorzimmer. Eine Frau saß am Schreibtisch und blickte auf.
"Guten Tag. Haben sie einen Termin mit Frau Dr. Junginger?", fragte sie mich freundlich und ich musste mir was einfallen lassen. "Nein.. also nicht direkt.", erwiderte ich. "Dann kann ich glaube ich nichts für sie tun und Frau Dr. Junginger befindet sich gerade in einer Telefonkonferenz. Falls sie aber einen Termin möchten.." Die Sekretärin warf einen Blick in einen Kalender. "..hätte sie noch einen in drei Wochen frei. Sagen wir um 13 Uhr?" Gerade wurde ich tatsächlich für eine Klientin gehalten und irgendwie musste ich es schaffen, dass sie mich auf der Stelle zu Andrea ließ. Deshalb würde ich es jetzt auf die Mitleidstur versuchen, egal wie bescheuert ich mir dabei auch vor kam.
"In drei Wochen? So lange kann ich auf keinen Fall warten!", stellte ich klar. "Bedauerlicherweise geht es nicht früher, es tut mir leid.", antwortete die Frau und schien über meinen plötzlichen Sinneswandel verwirrt zu sein. "Aber ich brauche dringend einen Anwalt! Wissen sie.. mein Ex-Freund war mir gegenüber gewalttätig und ich bin endlich von ihm los gekommen. Er sitzt jetzt in Untersuchungshaft und wenn ich bei der Verhandlung ohne juristische Hilfe auftauche, kommt er vermutlich wieder frei!" Ich klang unheimlich verzweifelt und das war ich in Wirklichkeit auch. Schließlich konnte das wirklich passieren und deshalb kamen mir auch die Tränen, was mir jetzt zugute kam. "Setzen sie sich am besten und ich werde sehen, was ich machen kann. Aber Frau Dr. Junginger ist wirklich sehr beschäftigt und mit Mandanten ausgelastet, da.." Man merkte, dass sie zunehmend nervöser wurde und genau das wollte ich erreichen. "Sie verstehen offenbar nicht den Ernst der Lage! Wenn er frei kommt, wird er.." Ich wurde einfach von ihr unterbrochen. "Im Moment kann ich ihnen nicht helfen, aber sie können gerne ihre Telefonnummer hinterlassen und Frau Dr. Junginger wird sich sicherlich bei ihnen melden." Nun atmete ich erstmal tief durch und überlegte, was ich jetzt tun sollte.
"Ok, Schluss mit dieser peinlichen Aufführung!", murmelte ich und ging einfach auf die Tür zu, hinter der ich Andreas Büro vermutete. "Sie können da nicht rein!", rief mir ihre Sekretärin hinterher und stand hastig auf, aber da hatte ich schon längst die Tür geöffnet. Dort saß tatsächlich Andrea und telefonierte, schreckte aber nun auf. "Einen Moment, bitte.", sprach sie in den Hörer und hielt den unteren Teil dann zu, damit der Anrufer nichts von unserem Gespräch hier mitbekam.
"Ich befinde mich gerade in einer wichtigen Telefonkonferenz und ich habe ihnen ausdrücklich gesagt, dass ich keinesfalls gestört werden möchte!" Andrea meinte ihre Sekretärin, die neben mir stand. "Das habe ich Frau.." Meinen Namen konnte sie nicht wissen, weshalb ich mich einmischte. "Morrow. Mein Name ist Dr. Gemma Morrow und ich muss dringend mit ihnen sprechen.", erklärte ich sachlich. "Dann können sie gerne einen Termin vereinbaren, aber jetzt.." Ich fiel Andrea einfach ins Wort. "Ihre reizende Sekretärin wollte mir auch schon einen Termin geben. Aber was ich mit ihnen zu besprechen habe ist wichtig und ich werde nicht eher gehen, bis sie mir ein paar Minuten ihrer kostbaren Zeit geschenkt haben."
Warum ich so überschwänglich redete, hatte seine Gründe. "Sie kommen mir irgendwie bekannt vor. Sind wir uns schon mal begegnet?", fragte Andrea mich nun. "Es wäre wohl besser, wenn wir das unter vier Augen klären würden." Martins Ex-Freundin grübelte kurz nach und nickte dann. "In Ordnung.", sagte sie und schickte ihre Sekretärin hinaus. Danach sprach sie noch kurz mit dem Anrufer und so wie ich das verstanden hatte, würde derjenige in einer halben Stunde nochmal anrufen.
"Bitte, setzten sie sich doch.", forderte die Anwältin mich auf und ich ließ mich auf dem Stuhl ihr gegenüber nieder. "Ich werde nicht lange drumherum reden, ich kenne ihren ehemaligen Verlobten.", rückte ich gleich mit der Wahrheit raus. "Dr. Martin Gruber?", fragte Andrea nach und ich nickte. "Er ist ein guter Freund von mir und deshalb ist mir auch die momentane Situation zwischen ihnen beiden bekannt.", offenbarte ich ihr. "Hat er sie geschickt?" Andrea stellte verständlicherweise viele Fragen. "Nein. Martin hat keine Ahnung davon, dass ich hier bin.", log ich wie ausgemacht. "Und sie können ihm keinesfalls vorwerfen das er mit mir gesprochen hat. Weil ihr Vorhaben ist rücksichtslos und das nicht nur Martin, sondern auch ihrem Kind gegenüber."
Andrea schien nun zu begreifen, dass ich wirklich alles wusste. "Sie kennen doch nur Martins Sicht der Dinge und das ist meiner Meinung nach viel zu wenig, um sich ein Urteil bilden zu können!", pampte Andrea mich nun regelrecht an. "Dann nennen sie mir doch mal drei Kriterien, die für diesen Umzug nach Kiel sprechen.", bat ich sie und das fiel ihr anscheinend nicht leicht. "Nun ja.. zum einen wäre die Bezahlung besser und.." Sie überlegte weiter, aber sagte lange nichts mehr. "Was noch? Es kann nicht nur am Geld liegen, dass sie so weit weg ziehen wollen.", meinte ich.
"Das ist doch Humbug! Wofür soll das gut sein?", fragte Andrea genervt. "Damit sie einmal genau darüber nachdenken, warum sie unbedingt nach Kiel wollen. Weil hierbei handelt es sich doch um eine Blitzentscheidung, oder?" Darauf gab mir die blonde Frau keine Antwort. "Martin hat viele Fehler gemacht und ich kann verstehen, dass es sie sehr verletzt haben muss. Aber wenn Martin ihnen wirklich so egal wäre, hätten sie ihm wohl kaum von der Schwangerschaft erzählt, sondern hätten sich unbemerkt aus dem Staub gemacht." Andrea hörte mir aufmerksam zu. "Er hätte wahrscheinlich nie von diesem Kind erfahren, aber sie haben es ihm ganz bewusst gesagt und das zeigt mir das sie im Moment nicht weiter wissen. Denn es war vollkommen logisch, dass er versucht sie davon abzubringen."
Ich machte erstmal eine Pause, damit sie antworten konnte. "Martin ist der Vater und hat ein Recht darauf, von der Existenz seines Kindes erfahren.", entgegnete Andrea. "Natürlich. Nur hätten sie ihm auch einen Brief schreiben können, nachdem der Umzug geschafft gewesen wäre.", hielt ich wieder dagegen. "Worauf wollen sie eigentlich hinaus?", fragte Andrea nun. "Ich will, dass sie sich darüber im klaren sind, dass ihr Kind womöglich ohne Vater aufwachsen wird. Und selbst wenn sie nicht mehr mit Martin zusammen sind.. wenn sie hier weiterhin leben, könnte er sein Kind trotzdem sehen. In Kiel hingegen gar nicht oder sehr selten. Und ich weiß wovon ich rede, weil der Vater meines Kindes hat versucht uns beide umzubringen und sitzt jetzt in Untersuchungshaft."
Andrea war sichtlich geschockt, da sie erstmal schlucken musste. "Soll das bedeuten, dass sie auch schwanger sind?", fragte sie, nachdem sie ihre Sprache wieder gefunden hatte. "Ja, wir sind sogar ungefähr gleich weit." Um es Andrea zu beweisen, holte ich eines meiner Ultraschallbilder aus der Tasche und zeigte es ihr. "Das sieht meinem wirklich sehr ähnlich.", stellte sie fest und ich nahm das Bild wieder an mich. "Aber was ich noch nicht verstehe ist, was das mit Martin und mir zu tun hat.", gestand Andrea mir nun. "Vieles. Denn sie haben die Wahl, ob ihr Kind mit oder ohne Vater aufwachsen soll. Und Martin hat nichts verbrochen, was dem Wohl von diesem kleinen Wesen geschadet hat. Ich bin mir sicher, er würde sich rührend um seinen Nachwuchs kümmern, wenn sie ihm die Chance dazu geben." Ich hoffte, die Anwältin würde alles nochmal genau überdenken.
"Aber es ist so viel passiert, er hat mich so oft enttäuscht!", meinte Andrea und war den Tränen nahe. "Das streite ich auch nicht ab und ich weiß wie weh es tun kann, wenn man laufend belogen wird. Jedoch will Martin es wieder gut machen und sich, trotz das sie getrennt sind, bereitwillig um dieses Kind kümmern. Ich wäre froh, wenn ich so einen Vater für mein kleines Würmchen hätte, nur sieht die Realität leider anders aus und damit muss ich mich abfinden." Da nun das Telefon klingelte, stand ich auf.
"Ich nehme an, das sind ihre zukünftigen Geschäftspartner aus Kiel?" Andrea nickte leicht. "Dann überlegen sie nochmal genau, ob ihnen das Geld wirklich mehr Wert ist als ihr Baby. Weil irgendwann wird ihr Sohn oder ihre Tochter wissen wollen, wer der Vater ist. Und falls sie in Kiel eine neue Beziehung eingehen und mit einem fremden Mann dieses Kind groß ziehen.. die Wahrheit kommt immer irgendwie raus und dann möchte ich nicht in ihrer Haut stecken."
Ohne auf eine Antwort zu warten verließ ich ihr Büro und gleich darauf die Kanzlei. Ob meine Ansage etwas bewirkt hatte oder nicht würde ich bestimmt bald erfahren. Wie es mit Martin und mir weitergehen sollte, falls Andrea wirklich blieb, darüber dachte ich auf dem Rückweg zur Pension nach. Konnte trotzdem mehr aus uns werden oder hatte ich diese Möglichkeit gerade zerstört? Auch das sollte sich bald herausstellen.

Die BergdoktorinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt