Kapitel 34

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Das musste ich noch einmal wiederholen, erst dann konnte ich wieder anständig Luft holen. "Geht's?", fragte Martin und ich nickte. "Wenn nicht gib es zu, nicht das du mir komplett zusammen brichst.", sagte er eindringlich. "Es war nur ein Asthmaanfall.. verursacht durch meine Heulattacke. Jetzt.. geht's wieder.", beteuerte ich, obwohl ich noch immer schwer atmete, aber auf keinen Fall ins Krankenhaus gebracht werden wollte. Das würde Martin nämlich tun, das wusste ich mittlerweile schon.
"Du jagst mir jedes Mal aufs Neue einen Schrecken ein.", meinte dieser seufzend. "Sorry, das mache ich sicherlich nicht absichtlich.", antwortete ich und Martin stand erneut auf, um mir ein Glas Wasser zu holen. "Danke.", sagte ich und trank es komplett aus.
"Seit wann bist du Asthmatikerin?", forschte der Arzt nach. "Seitdem ich auf der Welt bin, um genau zu sein. Es ist erblich bedingt, genau wie mein Herzfehler. Ich hab keine guten Gene und deshalb die Veranlagung für die verschiedensten Krankheiten, vor allem was die Familie meiner Mutter betrifft.. da gibt es allerhand Wehwehchen." Darüber wollte ich jetzt gar nicht nachdenken.
"Hui, hört sich ja überhaupt nicht gut an.", meinte Martin daraufhin. "Ich zeig dir irgendwann mal meine Krankenakte.", versprach ich ihm und er grinste. "Das hört sich jetzt vielleicht doof an, aber interessant wäre es für mich schon." Ich puffte ihm dafür fest auf die Schulter. "He, nicht so frech. Immerhin war ich viele Jahre lang Leistungssportlerin, bevor sich das alles bemerkbar gemacht hat!"
Nun wirkte er erstaunt. "Echt jetzt?" Ich nickte und stand auf. "Komm mit." Wir gingen in mein Arbeitszimmer, das ich glücklicherweise immer abgeschlossen hatte. Dort standen in einem Regal all meine Trophäen, die ich in meiner Jugend im Eiskunstlauf gewonnen hatte. "Bis zu meinem 16. Lebensjahr hat es funktioniert und dann bin ich auf dem Eis einfach zusammen gebrochen.", erzählte ich ihm.
"Warum?", fragte Martin. "Mein Herzfehler war bis dahin unentdeckt geblieben, dabei hatte ich ihn schon seit meiner Geburt. Die Anstrengungen waren zu groß und mein Herz hat ausgesetzt, danach folgte eine OP und jetzt hab ich momentan keine großartigen Probleme damit."
Martin und ich packten dann gemeinsam meine wichtigsten Sachen in die Kartons. Da ich nicht viele Habseligkeiten besaß, ging das relativ schnell von Statten. Zwischendurch kam dann mein Vermieter vorbei, der sich die Wohnung ansah, um eventuelle Mängel zu begutachten. Den Teppich mit den Blutflecken hatten wir da schon verschwinden lassen und er fand lediglich Schäden an der Schlafzimmertür und an einer Wand.
Martin fragte mich wie diese entstanden waren, nachdem mein Vermieter wieder gegangen war. Jedoch erhielt er keine aussagekräftige Antwort und das reichte ihm. Ich wollte nicht mehr über meine Misshandlungen reden, sondern einfach nur diesen Ort schnellstmöglich wieder verlassen und endgültig mit meinem alten Leben abschließen. Der Vermieter war sogar einverstanden, dass ich die Möbel bis auf drei Regale stehen ließ und erklärte sich bereit eine Entrümplungsfirma zu organisieren die Stefans Sachen entsorgte. Darum musste ich mich also wirklich nicht mehr kümmern und konnte guten Gewissens meine Schlüssel abgeben.
Bis zum Abend  verluden wir noch alles in den Transporter, danach sah ich nochmal gründlich nach ob ich wirklich nichts vergessen hatte. Zimmer für Zimmer ging ich durch, während Martin schon vor zum Auto gegangen war. Überall hingen Erinnerungen dran, auch gute, aber die schlechten überwiegten um Längen. Im Schlafzimmer hielt ich es nicht aus, da waren die Bilder in meinem Kopf zu lebendig und schlimm. 'Wie er mich in diesem Bett..'
Ich führte diesen Gedanken nicht zu Ende und begab mich zur Wohnungstür. Einen letzten Blick riskierte ich in den Gang, den mich Stefan so oft lang geschleift hatte. Dann zog ich die Tür ein letztes Mal zu und merkte, wie eine große Last von mir ab fiel. Nun konnte ich wirklich neu anfangen und ich musste lächeln.
Ich eilte die Treppen hinunter und setzte mich zu Martin in den Wagen. "Nichts wie weg.", sagte ich und er fuhr sofort los. Die Rückfahrt nach Tirol verlief genauso reibungslos wie die Hinfahrt und Martin half mir noch alles in meine neue Wohnung zu tragen. Dabei achtete er darauf, dass ich nicht zu schwer hob, sozusagen machte also er die ganze Arbeit.
Dann brachte er mich zum Gasthof zurück.
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Zwei Monate später war ich endlich endgültig in meiner neuen Heimat angekommen. Die Wohnung war inzwischen fertig eingerichtet, bis auf das Kinderzimmer. Denn obwohl ich mittlerweile den sechsten Monat überschritten hatte, wusste ich noch immer nicht was mein kleines Würmchen einmal werden wollte. Es wollte das Geheimnis einfach nicht lüften, bei jeder Untersuchung war es bis jetzt falsch gelegen.
Martin und Andrea hingegen wussten inzwischen, dass sie einen Jungen erwarteten und ich kam mittlerweile erstaunlich gut mit dieser Situation zurecht. Der Arzt, der die Schwangerschaft von Andrea festgestellt hatte, hatte sich um einen Monat vertan. Somit war ihr Baby schon beinahe acht Monate alt.
Ich kümmerte mich endlich einmal um mich und mein Wohlergehen, was ich lange nicht hatte tun können. Die Gerichtsverhandlung lag nun schon drei Wochen zurück und auch da hatte Martin mich nochmal nach München begleitet. Stefan zu sehen, gemeinsam mit ihm in diesem Saal zu sein, war beinahe unerträglich gewesen. Aber nach meiner Aussage hatte ich gehen dürfen und Martin war bis zur Verkündung des Urteils für mich drin geblieben.
Drei Jahre und vier Monate waren meiner Meinung nach viel zu wenig, aber Hauptsache Stefan würde erstmal weggesperrt werden. Noch immer arbeitete ich im Krankenhaus und hatte wieder so etwas wie einen geregelten Tagesablauf.
Heute hatte ich den nächsten Termin bei Dr. Wagner und mit Susanne hatte ich ausgemacht heute Abend noch die Einrichtung für das Kinderzimmer kaufen zu gehen, sollte das Baby endlich offenbaren ob es ein Junge oder ein Mädchen wurde. Dementsprechend nervös saß ich auf einem der Stühle im Gang der Klinik und hoffte bald endlich dran zu kommen.
Auf einmal ging die Tür auf und der Gynäkologe verabschiedete sich von einer Patientin, bevor er sich mir widmete. "Frau Morrow, kommen sie doch rein. Mal schauen ob das Kleine heute das große Geheimnis lüftet."
Ich betrat das Büro und Dr. Wagner schloss die Tür. "Das hoffe ich doch, ansonsten bekomme ich das Kinderzimmer vor der Geburt nicht mehr fertig.", scherzte ich und dann unterhielten wir uns wie immer erstmal, bevor es zum Ultraschall ins Behandlungszimmer ging.
"Die Prozedur müsste ihnen mittlerweile ja bekannt sein. Bitte einmal hinlegen.." Da ich wusste was er als nächstes sagen würde, beendete ich einfach seinen Satz. ".. und den Bauch freimachen." Dr. Wagner lachte. "Ich wusste doch, dass sie den Ablauf inzwischen auswendig kennen." Ich legte mich also auf die Liege und zog mein T-Shirt so weit hoch, das mein Babybauch für die Untersuchung frei war.
"Achtung, es wird wieder etwas kalt.", warnte Dr. Wagner mich vor  und drückte etwas Sonographie-Gel aus der Tube. Meine Aufregung wuchs und ich konnte es kaum erwarten, mein Baby wieder auf dem Monitor zu sehen. Mein Arzt nahm die Sonde zur Hand und fuhr damit auf meinem Bauch hin und her, um ein geeignetes Bild zu ergattern.
"Da ist es und gerade sehr aktiv.", sagte er erfreut und ich lächelte. "Heute scheint es zu klappen.", stellte er fest und ich blickte gebannt auf den Bildschirm. "Der Herzschlag ist so, wie er sein soll und auch sonst kann ich nichts auffälliges erkennen." Auch wenn Dr. Wagner inzwischen wusste das ich selbst auch Ärztin war, kommentierte er jede Untersuchung weiterhin mit. Und das fand ich auch gut, denn ich war keine Gynäkologin und konnte so leicht etwas übersehen.
Ich war rundum zufrieden mit meinem neuen Frauenarzt und fühlte mich bei ihm auch sehr gut aufgehoben.
"Dann wollen wir doch mal sehen, was du kleiner Wurm einmal werden möchtest. Tu' der Mama und mir einen Gefallen und mach es nicht weiterhin so spannend." Ich musste über diese Worte einfach schmunzeln. "Ja, ich bitte darum.", sagte ich zustimmend. Dr. Wagner suchte noch die gewisse Stelle und als er sie gefunden hatte, machte ich große Augen.
"Na, geht doch. Sie bekommen ein Mädchen, herzlichen Glückwunsch!" Erst jetzt begriff ich, dass ich eine kleine Tochter erwartete und konnte mir ein paar Freudentränen nicht verkneifen. Insgeheim hatte ich mir nämlich ein Mädchen gewünscht und nun war es sicher, dass dieser Wunsch in Erfüllung ging.
Der Arzt druckte das Ultraschallbild aus und danach konnte ich meinen Bauch säubern. Er übergab mir lächelnd das Bild und ich konnte meinen Blick gar nicht davon abwenden.
Wir vereinbarten den nächsten Termin und ich verließ glücklich die Klinik.

Die BergdoktorinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt