"Und? Ist's bequem?" Ich zuckte zusammen, als ich Martins Stimme genau neben mir wahr nahm. Ich hatte nicht mitbekommen, dass er zur Fahrerseite gelaufen war.
"Gem, alles klar?", fragte Martin, als ich nicht sofort antwortete. "J.. Ja." Das kurze Stottern ließ sich einfach nicht vermeiden. "Ja, alles klar.", schob ich gleich hinterher und es hörte sich definitiv begeisterter an. Martin beäugte mich trotzdem kritisch. "Wirklich? Du bist ganz schön blass." Ihm blieb natürlich nichts verborgen, aber ich wollte ihm das was ich wirklich empfand jetzt einfach nicht sagen. Ich musste erstmal selbst herausfinden, was das gerade zu bedeuten hatte.
"Ich bin nur überwältigt, das Auto.. Es ist perfekt und so.. modern, ich hab Schiss das ich da irgendwie was kaputt mache.", flunkerte ich und Martin lachte. "Ach Gem, das ist Quatsch. Ich bin mir sicher, dass du das hin bekommst. Ich würde ja sagen wir fahren ein Stück, aber mit deinem Bein geht das nicht und ich will dich jetzt nicht rum kutschieren während du so aussiehst als ob du gleich umfällst."
Das erleichterte mich, denn ich war definitiv nicht in der Lage Auto zu fahren. Körperlich schon mal nicht, das würde noch ein bisschen dauern, aber mental auch nicht wirklich. Nach diesen Bildern, die ich gerade vor mir gesehen hatte, wollte ich keinesfalls auch nur ein Stück fahren. Auch nicht als Beifahrer, auch wenn mir das die ganze Zeit nichts ausgemacht hatte.
Ich kletterte wieder aus dem Auto und Martin gab mir meine Krücken zurück. "Danke, du Verrückter.", sagte ich und gab Martin einen Kuss. "Es freut mich, dass es dir gefällt.", antwortete Martin. Und ja, das Auto gefiel mir wirklich. Ich wäre eine Idiotin, wenn ich keinen Gefallen daran finden würde, nur war ich mir nicht so sicher ob ich je wieder fähig war selbst Auto zu fahren. Der Unfall hatte nicht nur körperliche Schäden hinterlassen, sondern auch seelische und mit denen hatten viele Betroffene noch ewig zu kämpfen. Wie ausgeprägt es bei mir war würde sich noch zeigen.
Ich ließ mir so gut es ging nichts anmerken und wir gingen dann alle wieder hinunter zur Terrasse. Wir aßen das Gegrillte und die Beilagen dazu, die Stimmung war ausgelassen. Es half mir, die Bilder in meinem Kopf irgendwie auszublenden. Ich war hier, bei meiner Familie, der Unfall gehörte bald komplett der Vergangenheit an. Sobald die letzten Verletzungen verheilt waren, würde wieder alles so sein wie vorher. Ganz sicher. Ich musste nur fest daran glauben.
Je länger wir da saßen, desto mehr entspannte ich mich. Kira saß auf meinem Schoß und kicherte vergnügt, bis sie müde wurde und schließlich ein schlief. Mein Baby, wie sehr hatte ich es vermisst. Behutsam strich ich ihr über den Kopf. "Es ist schön zu wissen, dass du sie heute wieder selber ins Bett bringen kannst.", meinte Martin. "Ich glaube, wir räumen am besten mal zusammen.", meinte Lisbeth gleich darauf.
Kein Wunder, schließlich war es schon fast 23 Uhr.
"Geht ihr nur und bringt euer Kind ins Bett, wir machen das hier schon. Gute Nacht.", sagte Lisbeth an mich und Martin gewandt und grinste heimlichtuerisch. "Ja, gehts ihr mal ins Haus.", pflichtete Hans seiner Mutter überraschenderweise bei und beide grinsten nun. Sogar Lilli und ich war mir sicher, dass etwas hier im Busch war. "Ja, wir sollten rein gehen.", meinte nun auch Martin und nahm mir Kira ab. "Okay.", sagte ich verwirrt. Wir wünschten allen noch eine gute Nacht und gingen dann, vor allem wegen mir, sehr langsam nach oben.
Es dauerte nochmals eine gefühlte Ewigkeit, bis wir im ersten Stock ankamen. Wir würden wie Martin es gesagt hatte erstmal hier wohnen, als Untermieter quasi, damit ich nicht alleine war wenn er in der Praxis war. Erschöpft blieb ich oben erstmal stehen.
"Bin ich froh, wenn ich diese blöde Schiene später abnehmen kann!", schimpfte ich und die Krücken nervten mich genauso. Ohne diese Sachen konnte ich mich eindeutig besser bewegen, nur mit einem Arzt als Lebensgefährten hatte ich definitiv keine Chance so herumlaufen zu können. Martin war penibel was so was betraf, besonders bei mir. "Jetzt beschwer dich nicht, bald hast du das Zeug los.", meinte Martin amüsiert. Ich konnte es kaum erwarten.
Ich ging zu Martin und Kira. "Sie schläft immer noch im Gästezimmer.", meinte Martin. "Es wäre mir lieber, wenn sie zu Hause in ihrem eigenen Bettchen schlafen könnte. Ich liebe es hier, wirklich, aber ich will niemandem zur Last fallen." Martin lächelte. "Das tust du nicht. Ihr bleibt jetzt erstmal hier und wer sagt denn, dass sie kein Bettchen hat?" Ich seufzte. "Ich weiß, dass sie auch ein Bett hier hat.", erinnerte ich ihn. "Ja, aber du weißt nicht wie es inzwischen aussieht."
Wir waren zum Gästezimmer gelaufen und ich war überrascht, dass dort an der Tür inzwischen gebastelte Buchstaben hingen. Sie bildeten den Namen 'Kira'. Ich lächelte. "Das ist ja süß.", meinte ich. "Wer hat das denn gemacht?", wollte ich wissen. "Lilli.", antwortete Martin. "Sie wollte uns unbedingt beim Zimmer für ihre kleine Schwester helfen und hat das gebastelt.", erklärte er mir. "Für ihre kleine Schwester, hat sie das wirklich gesagt und warum helfen?", fragte ich überrascht. "Ja, das hat sie wirklich gesagt und bevor ich dir irgendwas sage sieh es dir doch einfach an.", schlug Martin vor.
"Geh rein.", meinte er. "Was ist da drin passiert?" Martin grinste. "Sieh es dir einfach an.", wiederholte mein Lebensgefährte und ich schaffte es die Tür zu öffnen. "Warte, ich mache das Licht an." Ich war bereits ein paar Schritte ins Zimmer gegangen, ehe das Licht an ging. Ich staunte nicht schlecht.
"Wow!", flüsterte ich und blickte mich um. Hier drin hatte sich einiges verändert. Das schlichte Gästezimmer gehörte der Vergangenheit an. Ich stand hier in einem komplett neu eingerichteten Zimmer, genauer gesagt in einem Babyzimmer. Ein regelrechter Traum von einem Kinderzimmer, viel schöner noch als das was sich bei mir in der Wohnung befand. Es wirkte farbenfroh, einfach fröhlich und wie für Kira gemacht. Ich konnte es nicht glauben, dass das wirklich real war.
"Wann habt ihr.. ich meine.. Wow!" Ich hörte Martin lachen. "Gefällt es dir?", fragte er mich und tauchte mit Kira neben mir auf. "Gefallen?", fragte ich ungläubig. "Das ist.. perfekt!", antwortete ich. "Einfach unbeschreiblich schön, ich.. Wow!" Martin legte einen Arm um mich und küsste mich. Das schaffte er auch mit Kira auf dem Arm. "Ich freue mich, dass es dir gefällt. Ich war mir ja nicht so sicher, aber wenn ich so deine funkelnden Augen sehe weiß ich das du wirklich hin und weg bist." Und das stimmte. Ich war überwältigt. Damit hätte ich nie gerechnet.
"Hast du das alles alleine gemacht?", wollte ich wissen und lief mit meinen Krücken langsam im Zimmer umher. Stehen blieb ich an dem kleinen Kinderbettchen. Ein Himmelbett und zusätzlich war noch ein Mobile angebracht worden.
"Lilli, Hans und Mama haben mir geholfen.", hörte ich Martin sagen. "Und Sarah auch. Du warst schließlich ein paar Wochen lang weg, da hatten wir Zeit." Ich stellte meine Krücken zur Seite und berührte das Mobile vorsichtig. "Ist selbst gemacht.", erklärte Martin mir. "Wie einige Möbel auch. Ich dachte das macht es zu etwas besonderem." Ich war sprachlos und mir kamen die Tränen.
Martin kam zu mir. "Du solltest sie heute ins Bett legen.", sagte er und übergab mir die schlafende Kira. Danach machte er das Bett für sie zurecht und ich streichelte sie noch ein wenig, bis er damit fertig war. Kurz darauf legte ich mein Baby behutsam ins Bett und deckte sie zu. Sie war so groß geworden. Konnte inzwischen ein paar Schritte laufen. Hatte so viel gelernt. Und ich hatte nicht dabei sein dürfen. Außerdem hatte Martin gemeinsam mit seiner Familie das hier geschaffen. Ein wunderschönes Kinderzimmer für ein Kind, dass genau genommen nicht zur Familie gehörte. Biologisch gesehen und für mich galt dasselbe. Aber man sah uns als Mitglieder der Familie an.
Vorsichtig streichelte ich Kira über den Kopf. "Gem, alles in Ordnung?", wollte Martin wissen. Jedoch war ich nicht fähig zu sprechen, stattdessen fing ich einfach an zu weinen. Es wurde mir schlagartig alles zu viel. Ich hatte so viel verpasst. Zu viel.