Wenigstens gerieten wir in keinen Stau und kamen erstaunlicherweise sehr gut durch, genau wie geplant erreichten wir unser Ziel. Ich koordinierte Martin durch die Straßen bis hin zu meiner Wohnung, die sich ebenfalls in einem Mehrfamilienhaus befand.
Das erste was mir auffiel war der Briefkasten, der am Überlaufen war. "Das nehme ich später mit.", sagte ich zu Martin und schloss die erste Tür auf. Schweigend ging ich die Treppen hoch, Martin folgte mir. "Da wären wir." Ich wollte schon den Schlüssel ins Schloss stecken, als mir tiefe Kratzer drum herum auffielen.
"Was ist?", fragte Martin, während ich ein wenig in die Hocke ging um die Spuren genauer begutachten zu können. "Der Bastard ist wirklich hier eingebrochen!", murmelte ich wütend und mich graute es schon davor, was mich in der Wohnung erwarten würde.
Gerade als Martin sich das ganze auch nochmal ansehen wollte, kam jemand die Treppe hinunter. "Frau Morrow, sie sind wieder da?" Es war eine Frau, der die Wohnung über meiner gehörte. "Ja, aber nur um meine Wohnung zu räumen.", erklärte ich. "Sie ziehen aus?", war ihre nächste Frage. "Wird wohl so sein wenn sie ihre Wohnung räumt, oder?" Martin merkte, dass mir die Fragerei unangenehm war und übernahm deshalb das Antworten.
"Neugierige Schabracke!", entfuhr mir, als sie kaum außer Sichtweite war. "Also, Gemma!", tadelte Martin mich, was er aber nicht ernst meinte, da er grinste. "Ist doch wahr! Die will immer alles wissen und solche Menschen kann ich nicht ausstehen!", erwiderte ich. "Verständlich.", stimmte mein Begleiter mir zu und letztendlich schloss ich doch die Tür auf.
Schon im Flur fielen mir die Scherben auf und ich wollte gar nicht weiter gehen. Trotzdem ging ich langsam hinein, der erste Raum war das Wohnzimmer und das sah aus wie ein Schlachtfeld. Ich schluckte und sah mir das Chaos an, Martin stand unmittelbar hinter mir und brachte nur 'Heilige Scheiße!' heraus.
"Das kannst du laut sagen.", flüsterte ich geschockt. "Wir müssen das halbwegs aufräumen, bevor mein Vermieter kommt. Der.. der wird sonst was von mir denken.. ich.." Martin nahm mich einfach in den Arm. "Ganz ruhig, keine Panik jetzt. Das sieht schlimmer aus als es ist, wir kriegen das hin!" In diesem Moment war ich froh, dass jemand dabei war.
Wir machten uns gleich ans Aufräumen und eine Stunde später sah alles weitestgehend normal aus. "Was sind das für Flecken?", fragte Martin mich plötzlich und deutete auf rote Spuren auf dem grauen Wohnzimmerteppich. "Nach was sieht es denn aus?" Ich kehrte gerade das letzte Häufchen Scherben zusammen. "Wie.. wie Blut.", stammelte Martin ungläubig. "Es sieht nicht nur so aus, es ist Blut.", bestätigte ich nun. "Und ist es.. Naja.."
Martin blickte ziemlich geschockt drein und ich verstand. "Meins? Willst du mich das fragen, ob es von mir ist?" Er nickte leicht. "Ja, es ist Blut und es ist von mir.", fasste ich nochmal alles zusammen. "Stefan war mal wieder betrunken und.. und ich hab nicht gespurt. Da hat er mich geschubst und dann bin ich mit dem Kopf an die Ecke von dem Tisch da geknallt." Ich deutete auf den Glastisch, der vor der Couch stand. Mein Aufprall hatte selbst an dem Spuren hinterlassen, so stark war er gewesen.
"Davon hast du also diese Narbe an der Stirn.", schlussfolgerte Martin und lag abermals richtig. "Der ist doch geisteskrank, du hättest sterben können!" Nun war er außer sich vor Wut. "Das hätte ihn nicht interessiert und mich ganz ehrlich auch nicht. Ich muss ungefähr eine Stunde ohne Bewusstsein da gelegen haben und bin von selbst wieder aufgewacht, er ist einfach ins Bett. Nachdem ich wieder einigermaßen bei Verstand war, hab ich meine Wunde versorgt und das war's. Natürlich hatte ich eine Gehirnerschütterung, aber ins Krankenhaus oder zu einem Arzt bin ich nicht."
Das war ungefähr einen Monat vor meiner Abreise nach Ellmau passiert. "Die Flecken hab ich schon mehrfach mit allen möglichen Mitteln versucht wegzubekommen, ein Ding der Unmöglichkeit." Ich merkte wie mir die Tränen kamen. "Was hat dieses Arschloch dir nur angetan.", murmelte Martin fassungslos. "Vieles, aber es ist besser wenn du nicht alles weist.", antwortete ich und wischte mir mit dem Ärmel über die Wange.
"Und die Nachbarn? Die müssen das doch mitbekommen haben, ich meine.." Sofort schüttelte ich den Kopf. "Die Wohnung nebenan ist leer, genau wie die unten drunter. Alle übrigen hier haben sich nicht darum geschert, außerdem lief meistens sowieso laute Musik und irgendwann schreit man nicht mehr, sondern lässt es einfach über sich ergehen."
Plötzlich klingelte es an der Tür. "Dein Vermieter wollte doch erst um 13 Uhr hier sein.", meinte Martin. "Gem, ich weiß das du da bist!", vernahmen wir eine weibliche Stimme. "Das ist ja auch nicht mein Vermieter.", sagte ich und wollte derjenigen am liebsten nicht die Tür öffnen. "Wer ist es dann?", wollte Martin wissen. "Laura.", erwiderte ich. "Moment mal.. die Laura, mit der Stefan.." Ich lies ihn nicht aussprechen. "Ja, die Laura mit der Stefan mich betrogen hat."
Erneut klingelte es Sturm und zusätzlich klopfte die unerwartete Besucherin noch an die Tür. "Gemma-Catherine, komm schon! Mach auf und lass uns über alles reden!", rief meine ehemalige beste Freundin. "Woher weiß die überhaupt, dass ich hier bin?", murmelte ich und stellte den Besen beiseite. "Hast du jemandem Bescheid gegeben, dass du deine Wohnung heute räumst?" Ich schüttelte den Kopf. "Nein, keinem." Da gab es auch niemanden, dem ich das hätte sagen brauchen. Alle meine Freunde hatten sich vor längerer Zeit von mir abgewandt, nur Laura war übrig geblieben und war dann mit Stefan ins Bett gestiegen.
"Ok, wir machen das folgendermaßen.. Du bleibst einfach hier und ich gehe aufmachen, weil so einfach wird die anscheinend nicht verschwinden.", sagte Martin. "Und du glaubst, das funktioniert?", fragte ich skeptisch. "Ich sag ihr, dass du sie nicht sehen willst und sie soll schleunigst abhauen soll. Das wird sie hoffentlich überzeugen."
Ohne das ich noch einwenden konnte, verließ Martin das Wohnzimmer. An der Wohnungstür bummerte es noch immer, bis er schließlich die Tür öffnete. Ich lehnte mich an den Türrahmen um lauschen zu können, jedoch ohne das Laura mich sah.
"Was soll dieser Lärm?", fragte Martin aufgebracht und Laura schien erstmal nicht zu wissen, was sie davon halten sollte. "Ha.. Hallo, ich suche meine Freundin. Gemma.. Gemma-Catherine Morrow. Sie wohnt hier und war lange im Urlaub, eine Nachbarin hat mich angerufen und gemeint sie wäre wieder da."
Nun hatte ich meine Erklärung bekommen. "Ich kenne Gemma und ich weiß auch, wer sie sind. Aber wie sie sich sicherlich denken können möchte Gemma sie nicht sehen.", antwortete Martin schroff. "Und wer sind sie?", wollte Laura nun wissen. "Ein Freund von ihr." Ich hoffte, Laura würde einfach wieder verschwinden, aber das tat sie nicht. "Aha. Aber sagen sie ihr doch bitte, das ich hier bin. Ich.."
Jetzt musste ich das wohl doch selbst übernehmen und lugte hinter der Ecke hervor. "Lass sie rein.", sagte ich. "Gem..", setzte Martin an, aber ich wusste was ich tat. "Lass sie rein, Martin. Ich will wissen, was diese Person mir zu sagen hat."
Noch immer sah er nicht begeistert aus, ließ sie dann aber durch. Ich ging wieder ins Wohnzimmer und beide kamen ebenfalls herein. "Ich würde mich gerne unter vier Augen mit der unterhalten, wenn das möglich ist.", bat Laura mich und das war Martin überhaupt nicht recht. "Sicherlich nicht!", sagte er, aber ich hingegen wollte es zulassen. "Du kannst ja schon mal die leeren Kartons aus dem Transporter holen und dann anfangen in der Küche das Geschirr einzupacken.", schlug ich vor und er wollte weiterhin protestieren. "Martin, sei so gut.", drängte ich nun. "Okay, einverstanden. Sollte aber irgendetwas sein, dann schrei einfach." Ich nickte.
"Ich werde ihr schon nichts tun!", meinte Laura spöttisch. "Mag sein, aber umgekehrt bin ich mir da nicht so sicher." Das klang wie eine Drohung und Laura wirkte sichtlich erschrocken, dann verließ Martin den Raum.
"Was willst du hier?", fragte ich die Blondine, nachdem die Wohnungstür zugefallen war. "Ich hab mir verdammt nochmal Sorgen um dich gemacht, du warst so lange weg und nicht erreichbar! Die Nachbarin von oben war so nett und ich durfte ihr meine Nummer hinterlassen, damit sie mich anrufen kann wenn du wieder da bist."
Daraufhin konnte ich mir ein spöttisches Lachen einfach nicht verkneifen. "Faszinierend.. wirklich faszinierend. Als Stefan mich hier verprügelt hat, hat es keinen interessiert und keiner hat die Polizei gerufen. Aber dich rufen sie an, das nenn ich Zivilcourage!" Laura schluckte hart. "Naja.. vielleicht haben sie es nicht mitbekommen.", nuschelte sie verlegen. "Ja, natürlich! Den Streit, den Lärm und das ich geschrien habe konnten sie sicherlich ganz leicht überhören! Glaubst du doch wohl selbst nicht!", ging ich sie an. "Und dann fällst du mir auch noch in den Rücken und wagst es hier aufzutauchen!"
So wie sie da gerade stand, hätte ich umhauen können. "Ich hab Scheiße gebaut, das ist mir klar. Aber ich bin hier, um das zu klären und es vielleicht wieder gut zu machen. Du fehlst mir, Gemma. Und wir sind beide nicht unschuldig, das musst du zugeben." Jetzt versuchte sie allen ernstes mich mit in die Verantwortung zu ziehen.
"Was soll das denn jetzt heißen?", fragte ich empört. "Hab ich dir befohlen, mit diesem Arschloch zu schlafen dich vielleicht noch auf ihn drauf gehoben? Du spinnst doch!", herrschte ich Laura nun an. "Nein, aber bei euch lief ja nicht mehr sonderlich viel und du hast ihn nicht verstanden. Im Grunde wollte er dir nie weh tun, du hast ihn nur nicht mehr an dich ran gelassen. Er hat dich geliebt.", wollte sie mir weiß machen.
"Hörst du dir eigentlich selbst zu, was du für eine Scheiße gerade von dir gibst? Er hat mich regelmäßig verprügelt und missbraucht, das hatte nichts mehr mit Liebe zu tun! Du als meine beste Freundin hättest mir beistehen müssen, stattdessen lässt du dich von ihm vögeln! Das ist armselig, mehr nicht!" Ich merkte, dass mir diese Aufregung überhaupt nicht gut tat.
"Ich habe mich in ihn verliebt, gegen Gefühle kann man nichts machen und bei mir hat er bekommen was er gebraucht hat!" Auch Laura wurde jetzt energischer. "Du hast dich in ihn verliebt, ja? Dann kannst du dich auch gleich darum kümmern, dass seine Sachen hier aus der Wohnung geräumt werden. Weil das geht mich nichts mehr an und er selbst sitzt in U-Haft!"
Meine ehemalige Freundin sah mich entsetzt an. "So war das jetzt nicht gemeint, ich will nichts mehr von Stefan! Ich will dich als meine Freundin wieder zurück, sonst nichts!", stellte sie klar. "Da muss ich dich enttäuschen, weil ich möchte dich in meinem Leben nicht mehr haben. Du und Stefan, ihr seid beide für mich gestorben! Ich werde mit meinem Kind einen Neuanfang machen und das weit weg von hier!"
Nun schien sie überrascht zu sein. "Du.. du bist schwanger?", fragte sie mich. "Allerdings.", antwortete ich knapp. "Etwa von dem Typen da? Dann bist du ja auch nicht besser als ich! Kaum für ein paar Wochen weg, schon lässt du dich vom nächst Besten schwängern!"
Kaum hatte Laura ausgesprochen, holte ich aus und verpasste ihr die längst überfällige Ohrfeige. "Das Kind ist von Stefan, um das mal klar zu stellen! Und fast hätte er es geschafft uns Beide umzubringen, wäre Martin nicht gewesen! Aber ich bin dir keine Erklärung schuldig und deshalb verlässt du jetzt auf der Stelle diese Wohnung, bevor ich mich endgültig vergesse!" Laura dachte jedoch gar nicht daran zu gehen. "Gem, jetzt komm mal wieder runter!" Sie hielt sich die schmerzende Wange.
"Hast du nicht gehört, was sie gesagt hat? Du sollst verschwinden!", mischte sich Martin ein, der plötzlich in der Tür stand. "Aber..", begann Laura, jedoch packte Martin sie einfach am Arm und zog sie mit sich. "Dann helfe ich dir eben den Ausgang zu finden!", sagte er sauer und schon waren sie aus dem Zimmer verschwunden.
Ich hielt mir inzwischen den Bauch, weil von dort ein unangenehmes Ziehen ausging. Ähnlich wie das, was damals nach dem Streit mit Hans aufgetreten war, aber glücklicherweise nicht ansatzweise so heftig. Ich setzte mich auf die Couch, vergrub den Kopf in den Händen und begann zu weinen. Die Worte von Laura hatten mich sehr getroffen.
"Die sind wir los, ich.." Martin brach sofort ab, als er mich so da sitzen sah. "Gem, der brauchst du nicht hinterher weinen.", sagte er mitfühlend und setzte sich neben mich, damit er mich in den Arm nehmen konnte. "Vielleicht.. vielleicht hat sie ja Recht!", schluchzte ich. "Womit?", fragte Martin. "Das ich an.. allem Schuld bin!" Ich brachte kaum ein Wort heraus. "Um Gottes Willen, Nein!", entgegnete er und drückte mich noch fester. "Die Schuld liegt allein bei Stefan, niemand darf eine Frau schlagen! Und was diese Laura von sich gegeben hat, ist vollkommener Schwachsinn und nicht wahr!"
Vor lauter Schluchzen bekam ich immer schwerer Luft, was womöglich auch an meinem Asthma lag, das ich zusätzlich zu meiner Herzkrankheit seit meiner Kindheit hatte. Mein letzter Anfall war inzwischen fast schon zwei Jahre her, ich litt eher an der schwächeren Art. Aber trotzdem brauchte ich jetzt meinen Inhalator, der sich in meiner Tasche befand. "In.. in meiner Tasche ist mein Asthmaspray. Hol.. mir das Bitte und zwar schnell!"
Martin fragte nicht weiter nach, sondern kam dieser Aufforderung sofort nach. Während er aus dem Raum eilte, versuchte ich ruhig zu atmen und meine Angst vor dem Ersticken zu unterdrücken. "Hier!" Martin kehrte mit dem verlangten Spray zurück und sofort nahm ich eine Dosis davon. Für ungefähr zehn Sekunden hielt ich den Atem an und atmete dann wieder normal aus.