Als ich früh aufwachte, war Martin allerdings nicht mehr da. Ich vermutete, dass er noch bevor seine Familie nach und nach aufstand, das Bett verlassen hatte. Und das war auch von Vorteil, denn jederzeit hätte jemand uns hier zusammen liegend erwischen können und wir hätten bestimmt keine passende Ausrede parat gehabt die das hätte erklären können.
Die Uhrzeit auf dem Handy verriet mir, dass es kurz nach sechs war und ich langsam mal aufstehen sollte. Mein Wecker hätte in 10 Minuten sowieso geklingelt und da rentierte es sich nicht mehr sonderlich sich nochmal umzudrehen.
Kaum hatte ich mich auf die Bettkante gesetzt klopfte es leise an und Martin lugte durch einen Türspalt ins Zimmer hinein. Dadurch fiel ein wenig Licht in den Raum und ich konnte das nötigste erkennen. "Guten Morgen.", sagte er leise zu mir, um Kira nicht aufzuwecken. Aber gleich musste ich sie sowieso wecken, also machte das keinen großen Unterschied.
"Guten Morgen.", erwiderte ich und hatte mich mittlerweile angezogen. Dann ging ich zum Fenster, um den Rollo hoch zu ziehen. Martin schloss die Tür hinter sich und gab mir zunächst mal einen Kuss. "Ich wollte dich grade wecken.", meinte er. "Da war ich wohl etwas schneller.", antwortete ich amüsiert. "Anscheinend, ja."
Auf einmal wirkte er sehr nachdenklich. "Stimmt was nicht?", fragte ich sofort nach. "Die Lilli hat mich heute früh erwischt, wie ich ins Bad schleichen wollte." Mein Herz rutschte mir augenblicklich in die Hose. "Sie hat aber nicht gesehen, aus welchem Zimmer du gekommen bist.. oder?" Aber Martin nickte nur. "Doch, hat sie. Bin ihr ja direkt in die Arme gelaufen, als ich zur Tür da raus bin.", zerstörte er meine Hoffnung. "Na klasse!", entfuhr es mir. "Und was machen wir jetzt?", wollte ich von ihm wissen. "Keine Sorge, ich konnte mich noch raus reden. Habe gemeint du hättest schlecht geträumt und ich hab dich bis rüber im Schlaf weinen gehört.", konnte er mich aber beruhigen. "Und das hat sie dir abgenommen?" Erneut nickte er. "Ja. Sie war auch noch total verschlafen und hat das gar nicht so genau registriert."
Nun war ich etwas erleichtert, auch wenn es mir ein schlechtes Gewissen bereitete das er Lilli hatte anlügen müssen. "Lilli ist ein schlaues Mädchen, so leicht kann man sie nicht täuschen.", widersprach ich ihm nun. "Schlau ist sie, aber sie wird bestimmt nicht darüber nachdenken ob wir zusammen sein könnten. Aber wenn sie es wüsste, wäre sie glaube ich die letzte die dagegen ist. Sie mag dich nämlich sehr gerne und das will was heißen."
Er lächelte ein wenig. "Das hast du mir schon einmal gesagt und genau deshalb fühlt es so schlecht, weil wir sie belügen. Wir belügen sie und den Rest deiner Familie, das fühlt sich nicht richtig an." Zwar war es meine Idee gewesen es vorerst geheim zu halten, aber inzwischen war mir nicht mehr ganz wohl dabei.
"Du wolltest es, das wir es zunächst für uns behalten.", sagte nun auch Martin. "Weil es für mich in dem Moment als gute Lösung ausgesehen hat. Aber mittlerweile ist es die reinste Tortur, mich in der Gegenwart von dir und von anderen normal zu verhalten."
Martin legte seine Hände an meine Taille und zog mich näher zu sich. "Für mich ist es auch nicht einfach und ich denke lange werden wir es nicht mehr verheimlichen können. Deshalb sollten wir es in näherer Zukunft vielleicht doch auffliegen lassen, wenn der richtige Zeitpunkt da ist." Ich seufzte. "Und wann ist der?", fragte ich. "Das werden wir dann schon wissen."
Martin küsste meine Stirn. Ich hatte das Gefühl es war so eine Art Angewohnheit für ihn geworden und ich liebte es, denn es vermittelte mir irgendwie Sicherheit. "Und jetzt sollten wir langsam nach unten gehen, es gibt gleich Frühstück."
Widerwillig ließen wir voneinander ab und Martin ging schon nach unten, während ich meine Tochter versorgte. Das Stillen dauerte heute ungewöhnlich lange und auch so schien sie heute sehr schlechte Laune zu haben. Sie hatte weniger als sonst getrunken, verweigerte es aber nach wenigen Zügen vollkommen und so würde das nichts bringen. Bevor sie alles wieder erbrach, würde ich es lieber später in der Klinik nochmal probieren. So hatte ich wenigstens ein Alibi, um kurzzeitig dem stressigen Arztalltag zu entfliehen.
Als ich mit Kira in die Küche kam, saßen bereits am Tisch und frühstückten. "Guten Morgen ihr drei.", begrüßte ich die Anwesenden. "Guten Morgen.", antworteten sie gleichzeitig und ich setzte mich auf den noch freien Platz neben Martin. Da Lilli bereits neben Hans saß, erntete ich deshalb auch keine komischen Blicke seinerseits und ich fühlte mich wirklich wohler wenn ich ihm gegenüber und nicht unmittelbar neben ihm sitzen musste.
"Ihr wart aber noch lange oben, in 20 Minuten musst du los." Das es so spät war, hatte ich gar nicht registriert. "Das wird eng.", stellte ich fest und nahm mir ein Brötchen, nebenbei hatte ich Kira noch auf dem Arm. So ein Brötchen aufzuschneiden war nicht gerade einfach, zumal sie wie ich vorhin schon bemerkt hatte sehr unruhig war. Zu allem Überfluss begann sie dann auch noch zu weinen und ich konnte mein Frühstück erstmal wieder auf dem Teller ablegen.
"Da hat wohl jemand schlechte Laune.", meinte Lisbeth und ich nickte. "Ja und ich weiß nicht ob ich sie so in die Betreuung bringen kann. Sie wollte vorhin auch nichts trinken, ist ganz untypisch für sie." Ich merkte selbst, dass ich in solchen Situationen noch leicht überfordert war. "Gib mir die Kleine, dann kannst du etwas essen.", forderte Martin mich auf einmal auf und nahm mir Kira dann einfach ab.
Diese brüllte weiter, das störte Martin aber keineswegs. "So, es ist auch mal wieder gut jetzt. Deine Mama hat nicht viel geschlafen und mag außerdem, im Gegensatz zu dir, etwas essen. Und da brauchst du nicht so schreien, dazu gibt's gar keine Rechtfertigung."
Obwohl Kira ihn noch nicht verstehen konnte, blickte sie ihn neugierig an und verstummte kurz darauf. Das weinen war nur aus Trotz gewesen, wie ich nun erkannte und nun sah es so aus als würde sie Martin an lachen. "Wie um Himmels Willen kriegst du das nur immer hin?" Es war für mich wie ein Phänomen, da sie sonst bei anderen Menschen eher noch lauter brüllte. "Das frag ich mich auch.", nuschelte Hans und war wieder sichtlich eifersüchtig auf seinen Bruder. Bei ihm hatte Kira nämlich mal sofort zu protestieren angefangen und bei Martin war es das genaue Gegenteil, da musste er auch nicht viel zu beitragen. Ich war allerdings froh, dass Kira ihn anscheinend akzeptierte.
"Ich hab ehrlich gesagt nicht die leiseste Ahnung, ich rede einfach mit ihr und schon hört sie auf." Ich lächelte einfach nur in mich hinein und schwieg. Da Martin sich nun um Kira kümmerte, konnte ich nun mein Brötchen essen und eine Tasse Kaffee trinken. Die anderen waren inzwischen beinahe fertig, nur Lisbeth aß noch.
"Der Martin hat eben eine besondere Bindung zu deiner Kleinen.", wandte diese noch ein und grinste verräterisch. Langsam glaubte ich wirklich daran das sie sich für uns freuen würde und Lilli genauso. Aber nachdem Hans gerade schon so impulsiv reagiert hatte, würde er bei der Tatsache das ich mit Martin zusammen war vermutlich explodieren. Und ich war nicht ganz unschuldig daran, denn ich hatte ja behauptet das zwischen uns beiden nichts wäre und die Vergangenheit der Brüder tat ihr übriges dazu.
"Sie merkt eben, dass der Martin ihre Mama beschützt." Dank Lillis Aussage blieb mir der Bissen von meinem Marmeladenbrötchen kurz im Hals stecken und ich hustete leicht. Martin war für einige Sekunden ebenfalls wie erstarrt, fasste sich jedoch wieder. "Wie ist das jetzt gemeint, Lilli?", fragte Hans gleich nach und ich nahm einen Schluck aus meiner Tasse, um unbeteiligt zu wirken. "Ich hab Martin heute Nacht gesehen, wie er gerade bei Gemma raus gekommen ist."
Der Blick von Hans verfinsterte sich, aber Lilli war glücklicherweise noch nicht fertig mit ihrer Erklärung. "Sie hat wohl einen ganz schlimmen Albtraum gehabt und geweint, deshalb ist der Martin nach ihr schauen gegangen." Und das glaubten ihr Vater und ihre Oma tatsächlich. "Du hast immer noch Albträume?", fragte Lisbeth besorgt und ich nickte. Ganz gelogen war es ja nicht, da ich wirklich noch unter den Albträumen litt, zumindest wenn ich allein schlief.
"Vielleicht solltest du dich damit mal an einen Fachmann wenden.", schlug Hans vor. "Ich gehe zu keinem Psychologen, irgendwann wird es schon aufhören.", antwortete ich und spürte plötzlich Martins Hand auf meinem Bein. Die anderen unterhielten sich und bekamen das dadurch nicht mit, trotzdem schob ich sie schnell weg. Er wollte mir damit zeigen das er bei mir war, nur war es gerade viel zu unangebracht.
Noch halbwegs pünktlich machte ich mich dann auf den Weg nach Hall. Kira brachte ich gleich in die Betreuung und hoffte inständig sie würde nicht den ganzen Laden auf Trab halten. Sie war eigentlich ein pflegeleichtes Baby, aber an solchen Tagen wie heute konnte sie unausstehlich sein.
Die Erzieherin versicherte mir aber das sie mit solchen Fällen umzugehen wusste und mittlerweile vertraute ich den Mädels, die meine Tochter betreuten. Sie waren alle sehr nett und kompetent, das war mir vor allem wichtig weil Kira noch so klein war.
Lisbeth hatte zwar angeboten das ich sie heute bei ihr hätte lassen können, nur gäbe es dann ein Problem mit dem Stillen. In der Klinik war ich binnen von Minuten bei ihr, immer bis zum Gruberhof zu fahren und dann wieder zurück zur Klinik war nicht schaffbar. Da würde ich nur unterwegs sein und brauchte dann eigentlich gar nicht mehr im Krankenhaus arbeiten. Jedoch wollte ich das und wenn es sich irgendwann einpendeln würde, waren es ja nur noch zwei Tage in der Woche. In die Praxis konnte ich sie problemlos mitnehmen, denn entweder konnte ich selbst auf sie schauen oder entweder Martin oder Roman übernahmen das.
Mit Fräulein Schneider hatte ich mich bis jetzt immer noch nicht wirklich anfreunden können, da sie sich bereits einige Fehltritte geleistet hatte. Nur da ich von Anfang an gesagt habe ich würde mich nicht einmischen, tat ich das auch nicht. Nachdem ich mich umgezogen hatte, ging es gleich zur Visite und danach in den OP.
Zeit zum kurzen durchschnaufen gab es nicht und gegen Mittag konnte ich mich für eine kurze Pause mal in die Cafeteria begeben. Heute würde ich vermutlich länger hier bleiben müssen, weshalb ich Martin gleich eine Nachricht schrieb und dann eine Kleinigkeit aß. Das Essen hier konnte man durchaus genießen, da waren mir schon andere Kantinen untergekommen.
Da alle Tische bereits voll besetzt waren, saß ich nun an dem noch einzigen der frei gewesen war. Ich tippte gerade auf meinem Handy herum, als ich angesprochen wurde. "Hallo, was dagegen wenn ich mich zu dir setze? Die übrigen Tische sind voll." Es war Sarah, die mich gestern davon abgehalten hatte den Aufzug zu demolieren.
"Überhaupt nicht.", antwortete ich und lächelte. "Danke." Sarah stellte ihr Tablett gegenüber von mir ab und setzte sich. "War es bei dir bis jetzt auch so stressig, weil du auch so spät zu Mittag isst?", fragte sie und trank erstmal von ihrem Glas Saft. "Und wie. Ich warte ja nur darauf, dass gleich wieder der Pager los geht." Die Ärztin lachte. "Geht mir auch so. Ich dachte in Berlin war der Alltag schon hart, aber jetzt bin ich seit gestern hier in der Klinik und fange schon an meine Behauptungen nochmal zu überdenken." Wie ich gestern schon festgestellt hatte verstanden wir uns prächtig und plauderten die ganze Pause lang ausgelassen miteinander.
Als ich ihr erzählte das ich mit Martin Gruber zusammen arbeitete war sie ziemlich überrascht, denn anscheinend hatte sie schon einiges über ihn gehört. Und das war auch kein Wunder, in der Gegend hier verbreiteten sich Informationen wie ein Lauffeuer.
"Und wie kommt ihr bis jetzt miteinander klar?" Ich zuckte leicht mit den Schultern, um entspannt rüber zu kommen. "Wie es in einer Arztpraxis mit zwei Ärzten eben ist, manchmal sehr chaotisch und wir sind uns über manche Dinge uneinig. Aber ansonsten läuft die Zusammenarbeit bestens, ich hab's mir schlimmer vorgestellt.", gab ich zu.
"Eine Praxis wäre ja nichts für mich.", sagte Sarah nun. "Ich brauch den Alltag in der Klinik, egal wie kraftraubend der manchmal sein kann. Aber ich brauche die Leute um mich, die Patienten, das Adrenalin bei einem Notfall und die Operationen." So wie sie gerade redete, erkannte man das sie eine Chirurgin war. "Ganz habe ich das ja auch nicht aufgegeben und ich bin zufrieden, so wie es momentan ist. Allein schon wegen meiner Tochter ist es einfacher, ich kann sie einfach mit in die Praxis nehmen und.."
Sarah fiel mir ins Wort. "Halt, warte mal. Nochmal zurück zu 'Allein schon wegen meiner Tochter'. Du hast ein Kind?" Ich hatte das wohl noch nicht erwähnt gehabt und nickte. "Ja, sie ist erst.."
Weiter kam ich nicht, da mein Handy klingelte und ich gleich abnahm als ich sah das es Martin war. "Was gibt's, verehrter Herr Kollege?" Er klang ganz aufgebracht und ich verstand nur die Hälfte, aber es ging um Fräulein Schneider.
"Martin, ich verstehe nichts von dem was du mir sagen möchtest. Jetzt atme mal tief durch und fang nochmal an.", bat ich ihn noch vollkommen gelassen, doch das sollte sich nun schlagartig ändern. "Sie hat was?!", rief ich aufgebracht und registrierte gleich darauf, dass ich mich in der Cafeteria befand. Jeder hatte sich zu mir umgedreht und ich lächelte entschuldigend.
"Sie hat was?", fragte ich nochmals aufgebracht, nur diesmal einige Oktaven leiser.
Martin wiederholte alles nochmal und ich merkte, dass Sarah gerade ziemlich neugierig war zu erfahren was passiert war. "Pass.. pass auf.." Martin ließ mich kaum einen Satz beenden. "Gruber, jetzt halt mal die Luft an!", befahl ich ihm und es wurde still am anderen Ende der Leitung. "Ich hätte jetzt gleich eigentlich noch eine OP, aber ich werde Alexander schon irgendwie bequatschen können. Bleib so lange einfach ruhig, fasst nichts mehr an und ich komme sofort in die Praxis. Ich muss nur noch schnell mit Alexander reden, Kira holen und dann bin ich auch schon unterwegs.", versuchte ich ihn zu besänftigen. Martin blieb nichts anderes übrig als zuzustimmen und gleich darauf legten wir auf.
"Tut mir leid, ich muss los.", entschuldigte ich mich bei Sarah und nahm schon mein Tablett in die Hände. "Hab ich mitgekriegt.", antwortete sie sichtlich amüsiert. "Was ist denn passiert?", fragte sie anschließend. "Unsere Sprechstundenhilfe hat Mist gebaut und mein Kollege dreht am Rad. Ich muss also sofort dahin, ansonsten gibt's womöglich Tote." Zwar war das übertrieben, jedoch wollte ich nun wirklich keine Zeit mehr verlieren.
"Bei euch ist ja was los.", meinte Sarah. "Und ich hab zufällig das mit der OP mitbekommen, wenn du willst springe ich da für dich ein. Meine nächste ist in vier Stunden und so kann mich wenigstens keiner für anderweitige Arbeiten einspannen.", schlug sie vor. "Das würdest du machen?" Sie nickte. "Ich bin dir was schuldig!", sagte ich und war schon aufgesprungen. "Keine Ursache und jetzt mach die Biege.", entgegnete sie lachend und das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich räumte wenigstens noch mein Tablett auf und eilte dann durch die Flure auf der Suche nach Alexander.
"Alexander, das ist ein Notfall!" Ich hatte Dr. Kahnweiler inzwischen gefunden und rannte ihm hinterher, da er einfach nicht stehen bleiben wollte. "Ich brauch dich im OP.", beharrte er erneut. "Da müssen Praxisangelegenheiten jetzt einfach hinten an stehen und fertig." Er versuchte gerade den Chef raus hängen zu lassen, aber bekanntlich hatten solche Leute bei mir schlechte Karten und Alexander erst recht. "Dir ist hoffentlich klar, dass ich mir von dir nichts vorschreiben lasse. Ich teile dir hiermit nur höflich wie ich bin mir das ich früher gehen muss und das werde ich auch. Frau Dr. Sarah Richter wird mich bei der OP vertreten." Dann ging ich einfach in die entgegengesetzte Richtung davon. "Du schaust dir einiges bei Martin ab, hab ich das Gefühl!", rief er mir hinterher. "Ich war schon immer so, aber bis jetzt hab ich mich zusammen gerissen. Gewöhn dich lieber dran."
Ich drehte mich nochmal um und grinste ihn an, aber ohne stehen zu bleiben. Denn ich hatte es ja eilig und zunächst musste ich erstmal in die Umkleide und mich umziehen. Im Anschluss daran holte ich Kira ab und es ging für uns zurück nach Ellmau.
Ich hatte die Befürchtung das dieses hin und her ihr sehr zusetzen würde, aber bis jetzt hatte sie es gut verkraftet. Sollte ich jedoch merken das es ihr deshalb schlecht erging, würde ich etwas ändern. Kira war für mich das wichtigste und ich hatte mir geschworen alles für ihr Wohlbefinden zu tun. Ich parkte den Wagen und stieg aus, um Kira ebenfalls heraus zu nehmen. "Na endlich!", sagte Martin, der bereits zur Tür heraus kam. "Was für eine schöne Begrüßung.", meinte ich und man sah sofort seinen reumütigen Blick.
"Ich würde dich angemessen begrüßen, wenn ich könnte.", antwortete er und war darauf bedacht leise genug zu sprechen, dass uns die anderen drinnen nicht hören konnten. "Das meinte ich eigentlich gar nicht, ich hatte nur etwas gegen dieses 'Na endlich'.
"Ich bin so schnell hergekommen wie es ging und du kannst froh sein, dass eine Kollegin für mich einspringt." Wir betraten dann die Praxis, wo Fräulein Schneider an ihrem Schreibtisch saß und Roman stand hinter ihr. Beide blickten sie auf, als wir herein kamen.
Ich übergab Kira an Martin und zog meine Jacke aus. "Aufstehen!", fuhr ich Fräulein Schneider an und sie hüpfte regelrecht vom Stuhl auf. Das noch einige Patienten im Wartebereich saßen bemerkte ich erst jetzt und kam mir vor wie vorhin in der Cafeteria. "Entschuldigung, Hallo zusammen.", sagte ich schnell und sie erwiderten alle etwas. Ich wollte wegen Nicole auf keinen Fall als Tyrannenchefin abgestempelt werden, auch wenn ich gerade drauf und dran war sie vor versammelter Mannschaft zu feuern. Stattdessen setzte ich mich hin und drückte auf den Knopf des Computers, der Grund für diesen Aufstand hier war.
Aber es passierte rein gar nichts, so wie Martin es mir geschildert hatte. Fräulein Schneider hatte nämlich offensichtlich unser ganzes System hier lahm gelegt und ohne das würde alles viel länger dauern als nötig. Wir waren also auf den PC angewiesen, auf dem sich unsere kompletten Daten befanden und auf altmodische Methoden wollte ich ungern zurückgreifen bis das Problem behoben war.
"Der fährt sich nicht mal mehr hoch!", nuschelte ich sauer. "Sag ich doch.", antwortete Martin, der neben mir stand. Nochmal drückte ich auf den Powerbutton, aber der Rechner begann nicht wie sonst immer zu leuchten oder zu brummen. Da ich eine Vermutung hatte, überprüfte ich erstmal alle Kabel und fand heraus das das Stromkabel nicht in der Steckdose steckte.
"Da kann ja auch nix funktionieren, wenn der Stecker nicht eingesteckt ist!", offenbarte ich meinen Kollegen und Roman verkniff sich sichtlich das Lachen. "Das hab ich nicht gesehen.", murmelte Martin peinlich berührt. Nachdem der Rechner am Strom angeschlossen war, ging er auch an und ich dachte schon das Problem wäre gelöst. Aber da lag ich gehörig daneben, wie sich gleich darauf herausstellen sollte. Ich gab die Zugangsdaten ein und wandte mich wieder an Martin, Roman und Fräulein Schneider.
"Und dafür habt ihr mich jetzt von Hall hierher fahren lassen? Ganz toll, wirklich!" Keiner sagte etwas und ich drehte mich wieder um Richtung Bildschirm, da ich gleich etwas nachschauen wollte und entdeckte gleich die nächste 'Katastrophe'. "<
Martin, unsere ganzen Daten sind weg!", teilte ich ihm unverbindlich mit."Was meinst du damit?", fragte er nervös. "Ich meine damit, dass all unsere Daten weg sind! Daran kann man doch nichts falsch verstehen!", herrschte ich ihn an. "Schau nochmal nach.", bat er mich und ich tat es, aber alles war vom Rechner gelöscht.
"Fräulein Schneider, ich glaube sie sind uns eine Erklärung schuldig!", wandte ich mich nun an die Übeltäterin. "Ich hab nur was ausprobiert.", antwortete sie kleinlaut. "Ahja, und was?", verlangte ich zu wissen. "Ich wollte mich eben ein bisschen mehr einarbeiten und hab ein bisschen experimentiert. Dann hat der plötzlich total gesponnen und ich hab den Stecker gezogen. Zwischendurch hat dann auch noch das Telefon geklingelt und da hab ich total vergessen den wieder einzustecken.", erklärte mir Fräulein Schneider.
"Mhh, eigentlich ist ja nichts verwerfliches daran sich etwas mit der Arbeit vertraut zu machen. Aber da hätten sie die zwei Herren da Fragen können, anstatt auf gut Glück loszulegen!", wies ich sie sauer zurecht. "Sie hat einen Fehler gemacht, aber wir sollten jetzt lieber gleich was unternehmen.", wandte Roman nun ein. "Und was?", fragte Martin. "Wir müssen eine Computerfirma kontaktieren und die werden feststellen ob die Daten wirklich unwiderruflich vom Server entfernt wurden, allein können wir da nichts mehr ausrichten." So eine Situation hatte ich schon einmal miterlebt.
"Bin ich jetzt gefeuert?" Fräulein Schneider ahnte wohl, dass ich kurz davor war sie raus zu schmeißen. "Wenn es nach mir ginge ja!", entgegnete ich. "Aber nachdem ich gesagt habe ich werde mich nicht einmischen, liegt es an meinen beiden Kollegen. Sie sollten sich aber vielleicht gleich ans Telefon hängen und zusehen, dass sie eine Firma ausfindig machen!" Die Sprechstundenhilfe nickte. "Natürlich!"
Sollten sich die drei damit herumschlagen und ich würde mich um die Patienten kümmern. Das ich die Daten bereits an meinem ersten richtigen Arbeitstag auf einer externen Festplatte gesichert hatte, behielt ich vorerst für mich. Roman und Martin sollten nun einmal erfahren was passieren konnte, wenn man unqualifiziertes Personal einstellte und ich spielte die Rolle der wütenden Chefin ziemlich überzeugend.
Aber sauer war ich nicht mehr wirklich, sondern eher amüsiert und ich würde mir jetzt einfach mal einen Spaß daraus machen die drei zu veräppeln. Fräulein Schneider rief sofort sämtliche Firmen in der Gegend an und Martin, sowie auch Roman, schlugen sich weiterhin mit dem PC herum. Sie hofften die verschwundenen Daten doch noch zu finden, aber die Suche verlief erfolglos und genau das Gleiche war es mit einer Computerfirma.
Keiner hatte heute noch Zeit vorbeizukommen und waren so gefragt, dass vor dem Wochenende wohl nichts mehr passieren würde. Das bedeutete für uns, dass wir alles per Hand dokumentieren mussten und das war wesentlich zeitaufwendiger. Nachträglich musste dann trotzdem alles im Computer eingegeben werden und ich wusste schon jetzt das Martin und auch die anderen dabei wahnsinnig werden würden.
Das zeigte sich schon gute zwei Stunden später, da herrschte bereits etwas Chaos und ich grinste mittlerweile unaufhörlich. Die Patienten handelte ich einen nach dem anderen ab und kümmerte mich anschließend gleich um den Papierkram. Natürlich war es einfacher einfach alles in das Programm einzugeben, aber wenn ich den zwei Ärzten und auch Fräulein Schneider so eine Lektion erteilen konnte, war es mir das allemal wert. Als Kira sich zu Wort meldete überließ ich Martin den nächsten Patienten und verzog mich mit ihr zum Stillen in eine ungestörte Ecke.
Als ich gerade fertig war und kurz ins Behandlungszimmer ging, saß Martin am Schreibtisch und war offenbar am verzweifeln. "Alles in Ordnung bei dir?", fragte ich ihn. "Ja.", antwortete er knapp und zerknüllte ein Stück Papier. "Schaut aber nicht so aus.", stellte ich grinsend fest. "Doch, doch. Ich muss mich nur erst wieder daran gewöhnen, alles ohne PC zu machen." Ich stand nun neben ihm und warf unauffällig einen Blick auf das was er gerade versuchte auszufüllen.
Dann gab ich ihm einfach einen Kuss, da die Tür sowieso geschlossen war und uns keiner sehen konnte. "Du packst das schon, Herr Doktor." Ohne das er etwas erwidern konnte verließ ich den Raum wieder und setzte mich mit Kira an Fräulein Schneiders Platz, da diese gerade in die Pause gegangen war.