Kapitel 61

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Ich konnte mich erstmal nicht rühren und zitterte am ganzen Körper. Dann kam die Erkenntnis, dass Martin dort oben lag, schlagartig wieder und ich richtete mich wieder auf.
Ich wagte einen Blick hinter dem Auto hervor und Tränen stiegen mir in die Augen. Martin lag noch immer regungslos da, genau wie die Frau. Neben ihr brannte und rauchte der Boden ein wenig, das musste die Stelle sein wo der Blitz eingeschlagen hatte.
Mein einziger Impuls den ich gerade verspürte war, dass ich ihm helfen musste. Der Regen, der Wind und die Kälte waren mir gerade mehr als egal. Auch wenn ich mich selbst in Gefahr bringen würde, dieses Risiko nahm ich freiwillig auf mich.
"Martin!", schrie ich entsetzt und rannte ohne großartig drüber nachzudenken los. Doch weit kam ich nicht, denn ich wurde gepackt und wieder hinters Auto gezerrt. "Du bleibst hier!" Nun erkannte ich Hans, der vor mir stand und mich am Arm fest hielt. "Nein, wir müssen ihnen doch helfen!", herrschte ich ihn an. "Das werden wir, aber du bleibst hier!", wiederholte er und ließ mich dann los.
Hans und ein paar der andere der Bergrettung eilten den Verunglückten zur Hilfe. Aufgelöst lehnte ich mich erstmal am Auto an, während der Regen mir weiterhin ins Gesicht peitschte. "Martin? Martin!" Gedämpft hörte ich die Rufe von Hans und riskierte erneut einen Blick hinüber auf den kleinen Hügel. Hans kniete inzwischen neben seinem Bruder, der sich bei genauerem Hinsehen bewegte. Ich atmete erleichtert auf und konnte die Tränen nun nicht mehr halten. Mein Herz klopfte wie wild, es mussten sich gerade Unmengen an Adrenalin in meinem Körper befinden und ich war dankbar das man aufgrund des Regens meine Tränen nicht bemerkte. Zwar war ich kein besonders gläubiger Mensch, schickte aber ein Stoßgebet nach dem anderen zum Himmel hinauf.
Als erneut ein Blitz über uns aufleuchtete, fuhr ich in mir zusammen und versuchte mich dann aber ganz schnell wieder einigermaßen zu beruhigen. Martin schien es soweit gut zu gehen und das war ein Wunder, denn es hätte ihn genauso hart treffen können wie die Frau. Und hätte Hans mich nicht aufgehalten, hätte ich meine Emotionen bestimmt nicht im Griff gehabt und es wäre alles aufgeflogen.
Wir verständigten zusätzlich noch den Rettungsdienst, da wir die Frau unmöglich so nach Hall bringen konnten. Nun erst bemerkte ich, dass ich sie kannte. Sie hieß Melanie und arbeitete bei Susanne im Gasthof, wir waren sozusagen einmal Kolleginnen gewesen und sie war eine sehr liebe Person.
Martin war tatsächlich unversehrt geblieben, stand meiner Meinung nach zwar etwas unter Schock, aber körperlich hatte er nichts abbekommen.
Ich hatte seit vorhin kein Wort mehr gesprochen und lief stumm neben Martin und den Sanitätern her, die Melanie mit hier eingeliefert hatten. Alexander stieß dazu und Martin klärte ihn sofort über seine neue Patientin auf. "Melanie Wedekind, 24 Jahre alt, vom Blitz getroffen." Er schnaufte ein bisschen schwer dabei. "Herzstillstand und Reanimation vor circa 15 Minuten, seitdem ist sie bewusstlos. Verbrennungen zweiten und dritten Grades an Schulter, Brust und dem rechten Fuß. Druck 80/40 bei 120er Frequenz." Kahnweiler nickte, er hatte also alles verstanden.
"Und wie geht's dir?", fragte unser Kollege Martin dann. "Geht so, stand knapp dahinter.", antwortete dieser und lenkte sogleich wieder vom Thema ab. "Sag der Anästhesie, sie sollen sie im künstlichen Koma lassen.", wies er Alexander an. "Wenn sie überhaupt überlebt.", wandte der Arzt ein. "Kennst du sie eigentlich?", fragte er gleich darauf. "Nein, nicht direkt. Aber die arbeitet bei der Susanne im Wilden Kaiser.", erklärte Martin ihm. "Daher kenne ich sie, hab ja mal dort gekellnert.", wandte ich nun ein. "Dann werde ich dir den Fall überlassen. Kümmerst du dich mit um die Diagnostik und Martin, du dich um die Familie?"
Sofort nickten wir beide, obwohl ich eigentlich gerne wieder gegangen wäre. Mir war gar nicht nach arbeiten zumute, nach dieser Aufregung.
Martin blieb stehen und wir liefen weiter, aber dann hielt er mich auf. "Gemma, warte nochmal kurz.", bat er mich und Alexander sah mich fragend an. "Ich komme gleich nach.", sagte ich und er nickte. Ich ging die paar Schritte zurück zu Martin, der sichtlich fertig war. Genau wie ich war er durchnässt und außerdem an einigen Stellen voller Matsch.
"Sag mal willst du, dass ich vor Angst um dich sterbe?", entfuhr es mir aufgebracht. "Es ist nichts passiert.", sagte er ruhig. "Nichts passiert? Martin, ein Blitz ist eingeschlagen und du standest direkt dahinter!" Ich war außer mir, da ich wohl noch ein wenig unter Schock stand. "Ich hab gedacht, dich hätte es erwischt! Ich..ich.."
Mehr als dieses Gestammel brachte ich gerade nicht mehr heraus. "Du bist ja vollkommen durch den Wind." Martin zog mich einfach in seine Arme und ein paar Tränen liefen mir die Wangen hinab. "Mir geht's gut, es ist doch alles gut.", redete er beruhigend auf mich ein. "Überhaupt nichts ist gut!", widersprach ich ihm. "Du hättest drauf gehen können, ist dir das eigentlich klar? Und Hans hat mich nicht da rauf gelassen, um dir zu helfen!" Noch immer hielt er mich fest im Arm. "Da hat er ja zur Abwechslung mal alles richtig gemacht.", flüsterte Martin nachdenklich. "Es hätte nichts gebracht, wenn du dich auch noch in Gefahr begeben hättest. Ganz ehrlich finde ich, dass du bei der Bergrettung nichts zu suchen hast.", fügte er dann noch hinzu und ich löste mich von ihm.
"Wie bitte?", fragte ich nochmal nach. "Es ist so, Gem.. das ist einfach viel zu gefährlich für eine Frau wie dich.", erklärte er mir nun. "Für eine Frau wie mich? Du hast dich doch in Lebensgefahr gebracht, indem du Melanie hinterher gerannt bist und nicht ich!", ging ich ihn an. "Das mag sein, aber ich könnte es nicht ertragen wenn dir etwas passiert.", antwortete Martin. "Aber ich soll damit zurecht kommen, wenn du in den Tod rennst ja? Das hätte schief gehen können, aber mal vollkommen!"
Die Familie von Melanie stand nur ein paar Meter von uns entfernt und auch sonst musste ich aufpassen, nicht zu laut zu werden, da sich hier überall Personal und andere Personen aufhielten. "Ich gehe jetzt mal zu meiner Patientin, das wird mir zu.. egal, lassen wir es einfach nur!"
Ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte ich in Richtung Aufzüge davon. "Gemma, jetzt bleib doch hier!", rief Martin mir noch hinterher, aber ich hörte nicht und erwischte gerade noch einen Aufzug. Er hatte mir hinterher geschaut und wir sahen uns so lange an, bis sich die Türen schlossen. Trotz, dass ich auf die Tasten einhämmerte, ging das nicht wirklich schneller als sonst.
"Egal wie sehr sie auf die Tasten ein ballern, die Türen schließen sich trotzdem nicht schneller.", machte mich nun auch eine junge Frau darauf aufmerksam. "Ach, was sie nicht sagen!", blaffte ich sie spöttisch an, da ich gerade ziemlich sauer war. "War nur ein kleiner Tipp am Rande.", entgegnete sie und schien sich gut zu amüsieren. "Sie hatten wohl gerade eine kleine Auseinandersetzung mit ihrem.. Kollegen?", fragte sie mich und endlich schlossen sich die Aufzugtüren. "Ich wüsste zwar nicht was sie das angeht, aber ja.", antwortete ich und stellte fest, dass wir beide die einzige hier drin waren. "Mich geht es wirklich nichts an, aber ich wollte nur verhindern das sie den Aufzug demolieren." Sie lachte leicht und ich musste das ebenfalls. "Manchmal kommt das italienische Temperament wohl doch in mir durch. Tut mir leid, dass ich sie gerade so angeschnauzt habe.", entschuldigte ich mich nun. "Schon verziehen. Ich bin übrigens Dr. Sarah Richter.", stellte sich die Frau nun vor und hielt mir ihre Hand entgegen. "Dr. Gemma Morrow.", sagte ich und nahm ihre freundliche Geste an.
"Sie sind neu hier." Sarah nickte. "Ja, ich arbeite heute den ersten Tag hier. Ich glaube ich habe sie heute Morgen mal kurz gesehen, da sahen sie aber.. etwas mehr nach einer Ärztin aus." Die Sympathie zwischen uns war schon jetzt vorhanden. Ich sah mich nun im Spiegel des Aufzugs an und erschrak. "Per l'amore del Cielo!", fluchte ich und konnte mich nicht einmal mehr ein bisschen zurecht machen, da der Aufzug anhielt und ich auf der Station angekommen war auf die ich musste. Auch Sarah stieg hier aus und musste sogar in die gleiche Umkleide.
"Sie sind also nebenbei bei der Bergrettung tätig?", erkundigte sie sich. "Seit kurzem und eigentlich bin ich auch nur zwei Tage die Woche hier in der Klinik angestellt. Aber nachdem es so viele Ausfälle gibt, springt man doch gerne mal ein." Ich befreite mich erstmal von der nassen Jacke. "Stimmt, war in meiner alten Klinik auch nicht anders. Wo arbeiten sie normalerweise dann die restliche Zeit über? Weil da bleiben ja noch fünf Tage übrig."
Da ich mich mit jemanden unterhalten konnte, vergaß ich meinen Zorn auf Martin erstmal. "Ich bin Teilhaberin einer Arztpraxis. Eigentlich müsste ich deshalb nicht mehr hier arbeiten, aber es ist erst mal auf Probe und außerdem möchte ich mich trotzdem weiterbilden." Zum Glück hatte ich immer Klamotten zum wechseln in meinem Schrank, die ich gerade heraus suchte. "Wow, da haben sie aber reichlich Abwechslung. Krankenhaus, Bergrettung und in einer Praxis.. das ist bemerkenswert." Sarah war ziemlich beeindruckt. "Danke.", sagte ich und lächelte.
"Und sie sind hier als Chirurgin?" Dies hatte ich ihrem Namensschild entnehmen können. "Richtig und so darf ich mich erst seit wenigen Wochen nennen. Ich war Assistenzärztin in Berlin und bin direkt nachdem ich jetzt meinen Facharzt habe hierher gekommen. Mich hat es immer nach Österreich gezogen und dann kam plötzlich dieses Angebot von der Klinik, das konnte ich einfach nicht abschlagen." Ich schätzte Sarah ungefähr auf mein Alter, aber sie danach fragen würde ich nicht. Aber dafür das wir uns erst wenige Minuten kannten, verstanden wir uns doch recht gut.
"Ich bin auch erst seit einem dreiviertel Jahr hier und möchte nicht mehr weg.", erklärte ich ihr. "Wer einmal in Österreich landet, der kommt auch nicht mehr so schnell weg. Das sagt meine Oma immer, die auch hier lebt." An diesem Satz war definitiv etwas wahres dran. "Ich fahr dann mal nach Hause, es war schön sie kennen gelernt zu haben. Wir werden uns in Zukunft bestimmt öfter sehen.", meinte Sarah und machte ihre Jacke zu, dann hängte sie sich ihre Tasche über die Schulter. "Es war auch schön, dich kennen gelernt zu haben. Ich finde wenn wir uns ab jetzt öfter über den Weg laufen, können wir uns auch duzen." Damit war sie auf Anhieb einverstanden. "Dann wünsche ich dir jetzt noch eine ruhige Schicht und wir sehen uns.", verabschiedete sie sich und ich lächelte nur, dann verließ Sarah die Umkleide. Ich zog mir dann schnell die trockenen Sachen an und begab mich wieder nach unten. Alexander hatte ich schnell gefunden und ich half ihm bei den Untersuchungen von Melanie.
Bis 22 Uhr war ich somit beschäftigt und nachdem ich mich wieder in meine Alltagskleidung geworfen hatte, lief ich nun müde durch die Eingangshalle zum Ausgang. Schlagartig fiel mir nun ein, dass ich ja zurück zum Gruberhof musste und keiner mehr da war der mich hin bringen konnte. Mein Auto stand nämlich noch dort herum und auch Kira befand sich noch in Lisbeths Obhut. Ein Taxi konnte ich mir auch nicht rufen, da ich kein Geld bei mir trug. Also war ich gezwungen Martin anzurufen, der mich abholen musste und holte deshalb mein Handy aus meiner Jackentasche. Er hatte schon mehrfach versucht mich zu erreichen, der letzte Anruf war knapp eine Viertelstunde her. Anscheinend quälte ihn das schlechte Gewissen und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
Ich rief ihn nun zurück und war irritiert, dass genau jetzt ein Handy irgendwo im Foyer zu klingeln begann. Dem Geräusch folgend lief ich auf die andere Seite wo sich noch mehr Stühle befanden und entdeckte Martin auf einem von ihnen. Vermutlich hatte er geschlafen, denn er suchte total aufgeschreckt nach seinem Handy und sah außerdem sehr müde aus.
Bevor er abgeben konnte, legte ich auf und ging zu ihm. "Na.", war das einzige was ich von mir gab und setzte mich einfach neben ihn. "Na.", entgegnete er und gähnte. "Sitzt du schon länger hier rum?", fragte ich ohne jegliche Freundlichkeit in meiner Stimme. "Seit knapp zwei Stunden, wusste ja nicht wann du fertig bist."
Er war zwischenzeitlich also zu Hause gewesen, umgezogen hatte er sich nämlich auch. "Konnte dir auch nicht Bescheid geben.", antwortete ich. "Wo ist Kira?", wollte ich nun in Erfahrung bringen. "Immer noch bei Mama auf dem Hof. Sie ist eingeschlafen und sie hat sie ins Kinderbett gelegt, das seit Weihnachten ja im Gästezimmer steht. Für alle Fälle hat sie für dich auch das Bett zurecht gemacht, falls du jetzt nicht noch Heim fahren möchtest."
Lisbeth war einfach die gutmütigste Person die mir je untergekommen war. "Ich werde definitiv Heim fahren, auf die paar Kilometer kommt's nicht an." Martin seufzte und stand auf. "Wie du willst.", sagte er und lief einfach voraus. Schweigend verließen wir das Krankenhaus und stiegen dann in Martins Auto ein. Wir redeten auch während der Fahrt nicht mehr miteinander und kamen einige Zeit später beim Gruberhof an.
Es war nur noch Lisbeth wach, die in der Küche gerade noch das gespülte Geschirr in die Schränke verräumte. "Na, ihr zwei. Ihr schaut ja ganz schön erledigt aus." Sie musterte uns kritisch. "Das sind wir auch.", antwortete Martin und setzte sich an den Tisch. "Und ob. Deshalb fahre ich jetzt auch gleich weiter, nachdem ich Kira geholt habe." Sofort versuchte Lisbeth mich davon abzubringen. "Die Kleine schläft mittlerweile schon fest und ihrer Mama würde das auch nicht schaden.", meinte Lisbeth. "Ich hab das Bett oben für dich schon zurecht gemacht. Weil Gemma, sei doch mal ehrlich zu dir selbst. Bis du jetzt nach Hause fährst, die Kleine wieder zum schlafen bewegt hast, dich hingelegt hast.. das rentiert  sich nicht mehr sonderlich. So kannst du jetzt noch in Ruhe duschen, falls du das möchtest und dich danach aufs Ohr hauen."
Eigentlich hörten sich ihre Begründungen plausibel an und ich war drauf und dran hier zu bleiben. "Wenn sie nach Hause will, dann lass sie fahren. Ihren Sturkopf kann man nicht umstimmen und ich weiß wovon ich rede.", mischte sich nun Martin in unser Gespräch ein. "Ich bin um Längen nicht so stur wie du.", erwiderte ich provokant. "Habt's ihr euch gestritten?", fragte Lisbeth sofort nach. "Nein.", behaupteten Martin und ich gleichzeitig. "Danke für dein Angebot, Lisbeth. Ich werde es annehmen und wirklich noch schnell duschen gehen." Martin blickte erstaunt drein. "Keine Ursache, gute Nacht." Ich wünschte ihr ebenfalls eine gute Nacht und würdigte Martin keines Blickes mehr.
Schnell ging ich dann nach oben ins Bad und bemerkte, dass ich keine Schlafklamotten dabei hatte. Aber mein T-Shirt würde dazu schon reichen, also stellte ich mich unter die warme Dusche und fühlte mich danach gleich viel besser. Da es nun komplett still im Haus war, schlich ich durch den Flur zum Gästezimmer. Zuerst sah ich nach Kira, die friedlich schlief und sah dann auf dem Bett ein Kleidungsstück liegen. Es war ein Shirt von Martin, der es mir wohl vorhin noch schnell hingelegt hatte. Dieses zog ich an und kuschelte mich dann in die warme Decke, aber schlafen konnte ich nicht und auf einmal leuchtete mein Handy auf, das auf dem Nachttisch lag.
Sogleich verdunkelte sich das Display wieder und ich streckte meinen Arm aus, um an mein Handy heran zu kommen. Zunächst blendete mich das Licht etwas und ich kniff die Augen zusammen, gewöhnte mich aber nach und nach daran. Nun konnte ich erkennen, dass Martin mir eine Nachricht geschickt hatte und demnach auch noch wach sein musste. So recht wusste ich nicht ob ich sie lesen sollte, aber die Neugier siegte.
'Schläfst du?', lautete sie und ich wollte das Handy schon beiseite legen ohne zu antworten, überlegte es mir dann aber doch anders. 'Nein.', schrieb ich kurz angebunden zurück und drückte auf senden. Es dauerte nicht lange, bis eine Antwort von ihm kam. 'Dachte ich mir. Ich kann auch nicht schlafen, das Bett neben mir ist so seltsam leer.' Ich schmunzelte und ließ meine Finger über die Tasten schnellen. 'Du Armer. Und jetzt?' Worauf es hinaus laufen würde konnte ich bereits erahnen und mit seiner nächsten Nachricht belegte er meine Vermutungen. 'Komm rüber und das Problem ist gelöst.' Aber so leicht würde ich es ihm nicht machen. 'Seit wann kommt der Knochen zum Hund?' Das ich ihn damit rasend machte war mir bewusst und es kam auch wirklich keine Antwort mehr zurück.
Fünf Minuten später legte ich das Handy wieder zurück auf den Nachttisch und drehte mich auf die andere Seite, sodass ich bequem lag. Ich grübelte darüber nach ob ich nicht doch zu ihm gehen sollte, denn sein Zimmer war ja nicht weit von meinem entfernt. Aber nachgeben wollte ich jetzt auch nicht so einfach, zumal ich dafür auch zu stolz war.
Müde schloss ich die Augen und probierte es nochmal mit dem Schlafen, aber plötzlich hörte ich wie die Tür geöffnet wurde und vernahm leise Schritte im Zimmer. Es konnte sich logischerweise nur um Martin handeln, der hier umher schlich.
Ich gab keinen Laut von mir, stellte mich einfach schlafend und wartete ab was passieren würde. "Wenn der Knochen zum Hund kommen würde, dann wäre es auch mal eine super Sache. Au!", jappste er, da er sich gerade irgendwo gestoßen haben musste und ich verkniff mir das Lachen. "Und ich weiß das du nicht schläfst, rutsch mal ein Stück."
Martin flüsterte um Kira nicht aufzuwecken und wortlos kam ich seiner Bitte nach. Auch wenn das jetzt bedeutete, dass ich nun direkt an der Wand lag. Denn das Gästebett war nun einmal nicht besonders groß und eigentlich war hier nur für eine Person Platz, aber das interessierte Martin in diesem Moment überhaupt nicht. Ich konnte ihn nicht sehen, aber konnte anhand eines Knarzen des Bettes vermuten das er sich hingesetzt hatte. Das Bett quietschte nämlich ab und zu, deshalb vermied ich es eigentlich immer mich großartig zu bewegen.
"Bekomm ich auch ein bisschen Decke ab?", fragte Martin nun, aber ich blieb still und er atmete genervt aus. "Dann eben nicht!" Nun musste er sich weg drehen, denn das Bett knarzte erneut. Daraufhin war es komplett ruhig, ich hörte nur wie er atmete und es war irgendwie beklemmend. Ohne Grund war er nicht hier rüber gekommen und ewig konnte ich ihn auch nicht mit Schweigen bestrafen, weshalb ich meine Decke nun doch mit ihm teilen wollte und sie deshalb ein Stück abhob.
"Los, komm mit drunter.", sagte ich leise und er schien darauf gewartet zu haben. Sofort kam er mit unter die warme Bettdecke und legte seine Arme um mich. "Viel besser.", sagte er zufrieden. "So schlimm kann's doch gar nicht sein, du schläfst öfter allein.", meinte ich. "Schon, aber da bist du bei dir in der Wohnung und nicht gleich ein paar Zimmer weiter." Er verkeilte seine Hand mit meiner und erneut trat erstmal Schweigen ein.
"Ich hatte heute so eine scheiß Angst um dich!", traute ich mich schließlich mit dem Thema anzufangen. "Mir ist nichts passiert und das gehört nun mal zum Job dazu.", antwortete Martin flüsternd. "Einer Frau hinterher zu rennen, die mehrmals aufgefordert wurde gefälligst zurück zu kommen? Das gehört nicht dazu, von mir aus hätte die draufgehen können!"
Das meinte ich eigentlich nicht so, aber gerade war ich einfach wieder total wütend. "Wir wissen doch beide, dass du das jetzt nicht so gemeint hast." Auch Martin durchschaute mich. "Hab ich auch nicht.", gab ich nuschelnd zu. "Trotzdem war es mehr als leichtsinnig von dir Melanie einfach zu folgen. Was wenn der Blitz nur ein paar Meter weiter hinten.."
Diese schrecklichen Gedanken führte ich nicht zu Ende." Aber das ist er nicht.", antwortete Martin ruhig. "Allein schon das es so weit hätte kommen können, macht mich fertig!", ging ich ihn mit erstickter Stimme an, da ich wieder kurz vor einem Heulanfall  stand. "Das dich das so mit nimmt, habe ich nicht gedacht." Martin drückte meine Hand noch etwas fester. "Ich will dich einfach nicht verlieren, nachdem es mit uns jetzt so lange gedauert hat.", flüsterte ich. "So schnell wirst du mich schon nicht mehr los. Ich gebe zu, dass es unüberlegt war Melanie einfach hinterher zu laufen. Aber in dem Moment habe ich nicht über das Risiko nach gedacht, sondern einfach gehandelt.", erklärte er mir.
"Aber mir sagen ich soll mich zurück halten.", verhöhnte ich ihn nun. "Weil ich auch nicht will, dass dir etwas zustößt." Martin hatte anscheinend genauso viel Angst um mich, wie ich um ihn. "Ich war kurz davor alles auffliegen zu lassen.", sagte ich dann nachdenklich. "Als ich dich da oben liegen sah und du dich nicht bewegt hast.. in dem Moment war mir es so egal, ob das mit uns raus kommt. Es war mir verdammt nochmal so egal, weil ich dachte du würdest mich wieder verlassen und das diesmal nicht wegen einer anderen Frau.. sondern endgültig."
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter. "Was bei dir da im Oberstübchen vor sich geht, ist manchmal echt überzogen." Er beugte sich über mich und küsste mich auf die Wange. Ich drehte mich so, dass ich seine Lippen erreichen konnte und gab ihm einen langen Kuss. "Und jetzt denkt da nicht mehr drüber nach, ich hätte etwas viel schöneres mit dir vor."
Wir küssten uns wieder und wieder. "Wenn jemand rein kommt sind wir geliefert.", meinte ich erschrocken. "Die schlafen alle.", entgegnete er und machte unbeirrt weiter. Nun wollte sich Martin über mir platzieren und hatte schon seine Hand unter mein Oberteil geschoben, als das Bett wieder anfing zu knarren.
"Echt jetzt?" Martin hielt kurz inne und bewegte sich dann absichtlich, erneut folgte ein unüberhörbares Knarzen und ich begann zu lachen. "So wird das nichts, wir würden alle aufwecken."
Und Martin stimmte mir zu, weshalb wir uns dann einfach aneinander kuschelten und wenig später schon eingeschlafen waren.

Die BergdoktorinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt