Wir schliefen die Nacht durch, da Kira sich kein einziges Mal meldete und am Morgen ging es mir wieder ein Stück weit besser.
"Und ich kann wirklich gehen?", fragte Martin, der sich gerade zum Aufbruch in die Praxis bereit machte. "Kannst du. Gestern ging es mir wirklich mies, aber heute schaffe ich es bestimmt allein. Das Fieber ist ja auch soweit abgeklungen und sollte etwas sein, rufe ich dich an."
Ich wollte nicht das Roman zu lange die Praxis übernahm. Schließlich war er schon etwas älter und nur mit Fräulein Schneider an seiner Seite konnte das ganz schnell in einer Katastrophe enden. "Ich kann auch wieder Mama anrufen, sie kommt bestimmt.." Ich ließ ihn gar nicht aussprechen. "Lisbeth hat doch alle Hände voll auf dem Hof zu tun, Martin. Wir probieren es einfach und falls es nicht klappen sollte, melde ich mich. Dank den Medikamenten geht's mir gerade wirklich besser, glaub mir." Martin musterte mich skeptisch, dann aber zog er sich seine Jacke an. "Du meldest dich sofort, wenn es dir wieder schlechter geht.", bat er mich eindringlich. "Versprochen.", antwortete ich. "Ich komme zur Mittagspause wieder her, bis später."
Zum Abschied gab er mir noch einen Kuss und nur Sekunden später hörte ich wie die Wohnungstür ins Schloss fiel. Ich stand erstmal von meinem Stuhl auf und machte mir einen Tee, mit dem ich mich dann ins Wohnzimmer begab. Außerdem lagen auf dem Tisch nun haufenweise Taschentücher, mein Handy und das Babyfon. Ich machte es mir auf der Couch gemütlich und schaltete den Fernseher an. Gegen neun wurde Kira wach und ich versorgte sie, ehe ich sie mit ins Wohnzimmer nahm. Dort schlief sie in ihrer Wiege weiter und ich wäre ebenfalls fast eingeschlafen, doch dann bekam ich eine Nachricht und der Ton erschreckte mich ein wenig.
'Hab von Kahnweiler erfahren, dass du mit Erkältung flach liegst. Hast du etwas dagegen, wenn ich auf einen Krankenbesuch vorbei komme?' Sie war von Sarah, die heute ihren freien Tag hatte. Und natürlich würde ich mich freuen, wenn sie vorbei käme. Deshalb schrieb ich ihr genau das zurück und zusätzlich noch meine Adresse, die sie bis jetzt noch nicht bekommen hatte. Wir machten etwas für elf Uhr aus, so hatte ich wenigstens noch etwas Zeit die Wohnung ein bisschen aufzuräumen. Doch das gab ich nach der Küche und dem Wohnzimmer bereits wieder auf, so fit war ich dann nun wirklich noch nicht und ich legte mich stattdessen wieder auf die Couch um in einem Buch weiter zu lesen.
Kira war immer noch am Schlafen, ich sah sogar mehrmals nach ob die Kleine noch atmete. Aber sie hatte schon seit ihrer Geburt gerne geschlafen und war allgemein ein ruhiges Kind. Und ich ließ sie schlafen so lange sie wollte, schließlich schien ihr das sehr gut zu tun und mir ebenfalls.
Ich war wohl unter dem Lesen eingeschlafen, denn als es klingelte setzte ich mich schlagartig auf. Das Buch legte ich schnell beiseite und stand auf. Nachdem ich über die Freisprechanlage nachgefragt hatte wer denn da sei, öffnete ich Sarah mittels eines Knopfdrucks die untere Haustür und wartete oben an der Wohnungstür auf sie.
"Du hast mich ja gefunden.", meinte ich und wir umarmten uns zur Begrüßung. "War nicht allzu schwer.", antwortete sie und wir gingen in die Wohnung. "Magst du einen Kaffee?", fragte ich sie. "Gerne." Sie setzte sich in die Küche an den Tisch und ich kochte den Kaffee, beziehungsweise für mich einen Tee. "Wie geht's dir denn?", wollte Sarah wissen, als ich ihr eine Tasse hin stellte und ich mich mit meiner ebenfalls hin setzte. "Ein wenig besser als gestern, da hat man gar nichts mit mir anfangen können. Aber man hat sich ausgesprochen gut um mich gekümmert, das bin ich gar nicht mehr gewohnt.", erzählte ich ihr. "Ein Arzt als Freund ist in der Hinsicht schon ganz praktisch, obwohl du dich ja selbst damit auskennst.", sagte Sarah belustigt. "Nicht nur in der Hinsicht, Martin ist einfach perfekt und seine Mutter auch. Wie geht's dir, läuft in der Klinik alles?" Sie nickte. "Soweit ja, nur mit Kahnweiler das übliche. Wo ist denn dein Traummann eigentlich? Ich dachte, ich könnte ihn heute kennenlernen."
Nun fiel mir ein, dass sich die beiden nur vom sehen her kannten. "Und das kannst du auch. Martin ist in der Praxis, aber er müsste gleich kommen weil er die Mittagspause zu Hause verbringt.", erwiderte ich nach einem kurzen Blick auf die Uhr. "Vielleicht sollte ich ihm schnell etwas kleines kochen.", fiel mir dann ein und ich stand gleich auf. "Eine sehr fürsorgliche Freundin bist du.", meinte Sarah grinsend. "Natürlich, hast du etwas anderes erwartet?" Wir mussten lachen. "Nein, aber ich glaube ich könnte das nicht. Ich hab schon genug mit mir selbst zu tun und bin ständig in der Klinik, da noch jemanden mit versorgen zu müssen.. Ne, das würde nicht hinhauen.", erklärte sie mir. "Ich hab auch gedacht, dass ich erstmal keinen mehr an meiner Seite haben möchte. Aber es kommt immer anders als man denkt, das hab ich inzwischen gelernt."
Ich machte mich dann an das Mittagessen für Martin. Auf die Schnelle würde ich nur ein Omelette auf die Reihe bekommen, dafür hatte ich wenigstens noch die Zutaten da. Und es war schon fast fertig, als ich hörte wie jemand die Wohnung betrat. "Hallo, Schatz. Ich bin zu Hause für genau eine Stunde und es duftet mal wieder herrlich!"
Sarah grinste wieder und trank von ihrem Kaffee, ich gab das Essen auf einen Teller und stellte es auf den Tisch. Martin kam gleich in die Küche und schien sich etwas über die Besucherin zu wundern. "Hey, wie geht's dir?", wandte er sich dann doch lieber erst an mich. "Ich fühl mich zwar noch etwas matt, aber es geht schon. Ich hab dir Mittagessen gemacht." Ich deutete auf den Teller. "Hab ich schon gesehen, du bist die Beste!"
Er gab mir einen Kuss und drehte sich dann zu Sarah um, um ihr die Hand entgegen zu strecken. "Servus, ich bin der Martin. Wir haben uns glaube ich schon ein paar Mal gesehen?" Sarah stand zur Begrüßung auf und gab ihm die Hand. "Ja, das stimmt und ich habe schon einiges von ihnen gehört. Als Bergdoktor sind sie ja in der gesamten Region bekannt. Sarah Richter, freut mich." Die Beiden verstanden sich anscheinend schon mal, das war wirklich von Vorteil.
Martin setzte sich und begann zu Essen, wir unterhielten uns währenddessen. Dann fing Kira, die noch im Wohnzimmer in ihrer Wiege lag, an zu schreien. Ich wollte schon aufspringen, als Martin mich davon abhielt. "Das mache ich." Er steckte sich die letzte Gabel voll in den Mund und stand auf, um schnell zu Kira zu gelangen.
"Oh, da ist ja noch jemand. Beinahe hätte ich nicht mehr daran gedacht, dass du ein kleines Töchterchen hast.", gab Sarah zu und ich wusste ja wie sie zu Kindern stand. "Keine Angst, sie beißt nicht. Zumindest nicht so fest.", scherzte ich und räumte das Geschirr schon mal weg. "Ich beiße auch nicht, solange man lieb zu mir ist.", antwortete Sarah. "Aber dein Martin scheint sich ja wirklich um die Kleine zu bemühen." Ich nickte. "Er ist wie ein Papa für sie, obwohl sie nicht von ihm ist. Das passiert selten.", entgegnete ich mit einem Lächeln und setzte mich wieder neben sie.
"Es ist wirklich schön, dass du und deine Tochter glücklich sein könnt. Wird sie ein Einzelkind bleiben?" Diesmal schüttelte ich leicht den Kopf. "So wie es aussieht nicht. Seine Mutter wünscht sich weitere Enkelkinder und naja.. Wir Beide sind uns einig, dass es das ein oder andere Geschwisterchen für Kira geben wird. Jetzt noch nicht, aber irgendwann.", erzählte ich ihr. "Dann bin ich mal gespannt wann sich das erste ankündigt. Aber vor der Geburt hätte ich schon Panik, zumal ich schon bei einigen dabei war. Und du musstest da doch allein durch, da.." Damit lag sie aber falsch. "Ich war nicht allein, Martin war dabei. Er hat bei mir geschlafen und hat mich ins Krankenhaus gebracht, ich hab ihn dann gebeten bei mir zu bleiben. Ob ich das alleine durchgestanden hätte weiß ich nicht."
Sarah war sichtlich überrascht, aber da Martin nun mit Kira zurück in die Küche kam ließen wir das Thema lieber erstmal auf sich beruhen. "Windel ist gewechselt und die Kleine wieder besser gelaunt." Er gab sie an mich weiter und setzte sich wieder hin. "Das ist also Kira. Ganz die Mama, wenn ich das mal behaupten darf." Sarah versuchte es zu überspielen, aber eine gewisse Distanz wollte sie zu der Kleinen wahren. Doch das störte Kira keineswegs, da sie Sarah anlächelte und die Arme in ihre Richtung streckte. Sie war anscheinend neugierig und wollte die noch ihr unbekannte Frau kennenlernen. Das war ganz untypisch für sie.
"Komisch, sonst benimmt sie sich bei Fremden nie so.", meinte ich überrascht. Kira konnte gar nicht mehr still sitzen und streckte weiterhin die Arme zu Sarah hinüber. Diese Annäherungsversuche waren der Ärztin aber anscheinend nicht ganz geheuer, weshalb sie meiner Tochter zunächst mit dem Finger ganz leicht auf die Nase stupste. "Du bist ja eine süße Maus und so hübsch wie die Mama.", sagte sie und anscheinend war es für sie damit erledigt. Aber Kira gefiel die Aufmerksamkeit sehr und sie quietschte vor Vergnügen. "Damit hast du jetzt aber was angefangen.", fiel Martin auf. "Ich hab doch eigentlich gar nichts gemacht.", erwiderte Sarah und traute sich nun der Kleinen über die Wange zu streicheln. Auch das gefiel Kira natürlich total.
"Magst du sie vielleicht mal halten? Sie hüpft sowieso gleich zu dir rüber, wenn sie so weiter macht." Erschrocken zog Sarah ihre Hand zurück. "Ich.. ich soll sie halten. Meinst du wirklich?" Ich nickte. "Ansonsten würde ich es dir ja nicht anbieten. Aber wenn du nicht möchtest, dann musst du nicht." Und ich glaubte wirklich sie würde ablehnen, aber damit lag ich falsch.
"Probieren kann ich's ja mal." Ganz unsicher nahm sie Kira dann entgegen und setzte sie sich auf ihren Schoß, sodass Kira sie noch ansehen konnte. Nun war die Kleine zufrieden und gleich bekam sie Sarahs lange Haare in die Finger. Sie spielte auch gerne mit meinen, aber ohne daran zu ziehen, so wie es andere Kinder machten. "Sie scheint dich zu mögen.", wandte Martin ein. "So wie es aussieht hast du Recht und sie ist wirklich niedlich."
Sarah behielt Kira etwas bei sich und fand es wohl nicht mehr so schlimm ein Kind um sich zu haben. Martin musste ungefähr eine halbe Stunde später wieder gehen, wir Frauen waren demnach wieder unter uns und wie üblich verquatschten wir uns. Erst ein paar Stunden später hielt Sarah es für besser, nach Hause zu fahren. "Es war schön, dass du da warst. Das können wir gerne öfter machen." Und dem stimmte sie zu. "Wir sehen uns gesund und munter wieder in der Klinik. Und Tschüss, du kleines Würmchen.", verabschiedete sich meine Freundin auch von Kira.
Mit ihr setzte ich mich wieder ins Wohnzimmer, da wir Beide nun ziemlich müde waren. Es dauerte auch nicht lange, bis erst Kira einschlief und ich es ihr nach machte.
Geweckt wurde ich, als ich merkte wie mich jemand hoch hob und blinzelnd öffnete ich die Augen. "Wie spät ist es?", fragte ich Martin, der mich wohl rüber ins Schlafzimmer tragen wollte. "Kurz nach elf, schlaf weiter.", flüsterte er, aber daran dachte ich nicht. "Bist du gerade erst Heim gekommen?", wollte ich stattdessen wissen. "Es gab einiges zu tun, ich musste noch wegen einem Fall recherchieren. Kira ist schon im Bett und da bring ich dich jetzt auch hin.", erklärte er mir und setzte mich kurz darauf dort ab. "Ich könnte mich wirklich daran gewöhnen. Auf der Couch einschlafen und früh doch im Bett aufwachen, das ist vielleicht ein Service.", scherzte ich und zog mir meine Hose aus, ehe ich unter die Decke kroch. "Ich kann dich ja wohl nicht drüben liegen lassen. Wobei.. gehen würde es schon, aber ich hab dich wie schon gesagt lieber hier bei mir."
Er nahm das Thermometer zur Hand, um bei mir nochmal Fieber messen zu können. "38,1. Ist ganz schön runter gegangen, gefällt mir schon besser. Bald bist du wieder ganz gesund." Er machte noch das Licht aus und legte sich ebenfalls ins Bett. Ganz automatisch rutschte ich hinüber zu ihm, um mich an ihn zu kuscheln und das war ihm natürlich mehr als recht.
"Es kommt mir so vor, als hätte ich eine Heizung im Bett.", murmelte Martin nach ein paar Minuten und wir mussten lachen. "Tja, bin ich wohl zu heiß für dich.", zog ich ihn auf. "Quatsch, noch hab ich zum Glück keine Brandwunden.", entgegnete er amüsiert. "Sag mir Bescheid, falls du etwas dergleichen bemerken solltest.", bat ich ihn. "Versorgst du mich dann auch?", fragte Martin. "Selbstverständlich. Du pflegst mich ja auch gesund, dann ist das das mindeste was ich dann tun kann.", antwortete ich. "Aber jetzt lass uns schlafen, ich bin hundemüde.." Ich musste gähnen und sprach dann weiter. "..dabei schlafe ich seit gestern so viel.", murmelte ich. "Das liegt an deiner Erkältung, viel Schlaf ist da ja sehr wichtig." Den letzten Satz verstand ich kaum noch, da ich mich schon auf dem Weg ins Traumland befand und fest einschlief.
