66: ... dass ich dich liebe

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Der eiskalte herbstliche Küstenwind prasselte Steffen mit diesem typischen Norddeutschen eckelhaften Regen entgegen, während Steffen planlos durch die Straßen Kiels lief. In seinem Kopf überschlugen sich seine Gedanken. Immer wieder hörte er Alex Worte: "Du liebst ihn. Nur ihn." Die letzten Wochen hatte sich Steffen immer vor diesen Gedanken gedrückt. Er hatte seine Gefühle für Filip verdrängt, weil er wirklich versucht hatte, dass die Sache mit Alex funktionieren könnte. Er hatte den Krankenpfleger in den wenigen Wochen, die sie sich erst kannten, mittlerweile sehr ins Herz geschlossen. Doch zum ersten Mal fragte er sich, ob Alex Recht hatte. War Alex für ihn immer nur ein Überbrücksspielzeug gewesen, um die Gefühle für Filip verdrängen zu können? Hatte er Alex wirklich die ganze Zeit nur ausgenutzt? Tiefe Schuldgefühle brannten sich mit diesem stechenden Schmerz in seiner Brust fest. Langsam stiegen Steffen die Tränen in die Augen. Langsam rollte eine Träne nach dem anderen über seine Wange und mischte sich mit den Regentropfen, die auf ihn hinabprasselten. Die Straßen waren verhältnismäßig ruhig, was jedoch auf die weiter steigenden Infektionszahlen und den verschärften Kontaktbeschränkung zurückzuführen war. Steffen war sogar froh, dass er aktuell sich wenig Sorgen machen musste, irgendeinem Bekannten oder noch schlimmer einem Fan über den Weg zu laufen. Er lief einfach weiter, als würde er vor seinen Problemen beziehungsweise vor der Auseinandersetzung mit seinen Gefühlen weglaufen wollen. Er konnte jetzt nicht wieder einen Rückschritt machen. Die letzten Wochen war es ihm abgesehen von winzigen Ausnahmen gelungen, die Vergangenheit mit Filip ruhen zu lassen. Er hatte es geschafft diesen tiefen Gefühlen, die immer noch in seinem Unterbewusstsein vorhanden waren zu verdrängen. Er wollte diesen nicht wieder Gewicht schenken. Doch er wusste, dass Alex Recht hatte. Er sollte sich Gedanken darüber machen, was er wirklich wollte.

Bereits mehrfach hatte Steffen überlegt wieder zu seinem Auto zurückzukehren und Richtung Klinikum zu fahren. Er wollte die Sache mit Alex klären. Es machte ihn fertig, dass ihre Beziehung nun am Rande des Abgrunds stand. Er hatte doch alles dafür getan, dass es funktionierte. Er wollte sich voll und ganz auf die Sache mit Alex einlassen, doch anscheinend war ihm dies nicht gelungen. Selbst Alex hatte gespürt, dass ihn irgendwas aufhielt. Und diese Person war Filip. In seinem Unterbewusstsein, hatte er für Filip immer wieder die Handbremse angezogen. "Wieso kannst du mich nicht endlich in Ruhe lassen? Wieso kann ich dich nicht endlich vergessen?", schrie Steffen wütend in die Welt hinaus. Er wollte, dass der Tscheche aufhörte in seinem Unterbewusstsein herumzuirren. Immer wieder war Steffen kurz davor zu Alex zu fahren. Er wollte die Sache jetzt klären. Er hasste dieses Gefühl, dass da diese Ungewissheit war. Doch er wusste auch, dass er Alex nicht gegenüber treten konnte und ihm sagen könnte er hätte keine Gefühle mehr für Filip. Weil dies einfach nicht der Wahrheit entsprach. Noch immer sorgte der Tscheche dafür, dass sein Herz schneller zu schlagen begann, wenn er in Steffens Nähe war. Noch immer sehnte er sich nach der Nähe des Tschechens. Er schaffte es einfach nicht loslassen zu können. Würde er jemals überhaupt jemand anderen so lieben können wie er Filip liebte? Steffen würde so gerne anders fühlen. Er wünschte er hätte diese Gefühle nicht. Doch er konnte sie einfach nicht leugnen.

Diese Erkenntnis sorgte dafür, dass Steffen noch mehr in Tränen ausbrach. Er sah wie seine Zukunft mit Alex immer mehr zu wackeln begann. War das bereits das Ende? Gab es für sie noch irgendein bisschen Hoffnung. Wie könnte er die Beziehung noch retten? Gab es dafür überhaupt noch eine Gelegenheit oder hatte er es erneut verkackt? Steffen spürte wie diese Angst vor dem Alleinsein wieder größer wurde. Er wollte nicht wieder an diesen Punkt zurückkehren. Er wollte weiterhin dieses Gefühl haben, jemanden an seiner Seite zu haben. Er wollte morgens nicht wieder alleine aufwachen müssen. Unter all seine Gedanken drängte sich jedoch immer wieder diese Frage: Was wollte Filip ihm sagen, bevor Alex reingekommen war? Diese Frage ließ Steffen einfach nicht los. Er würde so gerne wissen, was der Tscheche ihm sagen wollte. Auf einmal fiel sein Blick auf die Uhr. 9:50! In zehn Minuten würde das Training beginnen. Ein genervtes Stöhnen entfuhr Steffens Kehle. Er hatte die Zeit vollkommen vergessen. Er würde wieder zu spät kommen. Wo war er aktuell bloß mit seinen Gedanken? Aktuell hatte er das Gefühl, dass der Handball bei ihm nicht mehr an erster Stelle stand. Er hatte seinem privaten Leben und Problemen Vorrang gelassen. Dies spiegelte sich auch in seinen Leistungen wieder. Aktuell hatte er fast ausschließlich nur noch Einsatzzeiten in der Abwehr. Harald hatte seine Position schon vor langer Zeit eingenommen. Während seine Leistungen schwanken wies Harald aktuell eine Konstanz auf. Im Gegensatz zu ihm kam er auch nicht gefühlt zu jeder Trainingseinheit zu spät. Er war auch im Gegensatz zu Steffen nicht immer mit den Gedanken irgendwo anders. Wo war der Steffen geblieben, der für den Sport lebte. Der seinen Kopf im Training vollkommen ausschalten konnte und sich nur auf das sportliche konzentrierte. Diesen Steffen vermisste Steffen. Würde er diesen überhaupt noch wiederfinden oder war dieser auch für immer verschwunden?

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