19: All das Ungesagte

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Der erwartungsvolle Blick von Steffen galt seinem Gegenüber, dessen Gedanken sich jedoch überschlugen. Er wusste nicht, wo er anfangen sollte. Zu viele Fragen lagen ihm auf der Zunge, die er sofort loswerden wollte. Außerdem brodelte eine unkontrollierbare Wut, die sich seit gestern Abend in ihm ausgebreitet hatte, weil alte Wunde seiner Kindheit wieder aufgerissen wurden. Er wollte Steffen mit Vorwürfen bombadieren lassen. Die Wut, die er damals gegen seine Mutter gehabt hatte, aber es nicht geschafft sie an ihr auszulassen. Während der Österreicher noch einen Moment brauchte, um seine Gedanken und Gefühle zu ordnen, machte Steffen diese Stille wahnsinnig. Er wollte endlich wissen, was im Kopf seines Mitspielers vor sich ging.

"Niko ich kann verstehen, wenn du mich hasst", begann Steffen und spürte, wie ihn die Sache nun richtig nahe ging. Er hatte echt Mühe, dass seine Stimme nicht brach. Er kämpfte gegen die Tränen an. Was wenn dieser Kuss ihre Freundschaft für immer zerstört hatte? Was wenn Niko ihn jetzt hasst? Was wenn Niko ihm nicht mehr in die Augen sehen konnte, weil er nun die Wahrheit über ihn kannte? Es war schon immer seine größte Angst gewesen, seine Freunde zu verlieren, wenn sie erfahren würde, dass er schwul ist. "Ich hasse dich nicht! Ich bin nur unfassbar wütend", brach Niko nach einer kurzen Zeit, die Stille. Ein erleichtertes Aufatmen entfuhr Steffens Kehle. Er spürte wie sein Körper sich langsam wieder etwas entspannte. "Aber ich bin extrem wütend auf dich und ich weiß nicht wie lange es dauert, bis ich dir verzeihen kann", gestand Niko und machte klar, dass sich die Sache vermutlich nicht in wenigen Minuten aus der Welt schaffen lässt. Doch dies konnte Steffen akzeptieren. Er konnte verstehen, dass Niko sauer war. "Steffen sorry, wenn ich dir diese Frage jetzt so direkt stelle, aber ich muss es jetzt einfach wissen: Bist du schwul oder bi oder ist das nur eine Phase oder wieso zur Hölle hast du Filip geküsst?", sprudelte eine Wörterflut aus Nikos Mund heraus. Seine blauen Augen waren dabei auf seinen Gegenüber gerichtet, der nervös zu Boden schaute. An seiner Reaktion konnte Niko bereits die Antwort erahnen, zu gut kannte er seinen Freund. Aber eine Frage bleibte: Wieso konnte er selbst die Worte nicht aussprechen? Schämte er sich für sein eigenes Ich? Er spürte Steffens Unsicherheit und um seinen Gegenüber zu erlösen, fuhr Niko fort: "Denkst du wirklich, dass ist ein Problem für mich. Du bist und bleibst mein bester Freund und es ist mir egal, ob du auf Frauen, Männer oder was auch immer stehst. Du bist so wie du bist und du solltest dich nicht für dich oder deine Gefühle schämen, denn du bist ein wundervoller Mensch und ich hoffe, dass du das irgendwann auch siehst." Diese Worte trafen Steffens Herz auf direktem Weg. In diesem Moment wusste er wieder, wieso der Österreicher zu seinen engen Freunden zählten. Steffen ergriff die Gelegenheit und überwand die Distanz zwischen den beiden, bevor er seinen besten Freund fest in die Arme nahm und seinen Kopf in dessen Brust vergrub.

"Danke", flüsterte er, während langsam einige Tränen über seine Wangen rollte. Nun brachen sie wie eine Flut aus Steffen heraus. Er spürte, wie langsam eine Last von seinen Schulter abfiel und was für ein befreiendes Gefühl es war, einer weiteren Person sein wahres Ich gezeigt zu haben. "Niko, es tut mir so leid. Ich hätte es dir viel früher sagen müssen, aber ich hatte einfach Angst. Vor dir habe ich dieses Geheimnis nur zwei Leuten anvertraut. Bisher habe ich mich nur zweimal getraut die Worte: Ich bin schwul auszusprechen und zwar vor Toby beziehungsweise eben vor Filip. Es ist nicht einfach. Alle denken es ist doch nicht schwer diese drei Worte auszusprechen, doch diese Worte können dein gesamtes Leben verändern. Und du weißt auch, dass Handball jetzt nicht gerade das Paradise der Toleranz ist. Aus diesem Grund bitte ich dich dieses Geheimnis für dich zu behalten. Auch wenn ich denke, dass jeder von den Jungs, der gerade in der Halle steht,kein Problem damit hätte, aber je mehr es wissen, umso gefährlicher ist es. Ich werde mich irgendwann outen: Ich weiß, dass ich diesen Schritt irgendwann machen muss, aber zuvor gibt es da noch andere Menschen, die zuvor davon erfahren sollten", fuhr Steffen fort, während seine Gedanken seinen Eltern galten. Bisher hatte er es einfach noch nicht übers Herz gebracht es ihnen zu sagen. So oft war er kurz davor gewesen, doch dann war es doch wieder nicht der richtige Moment gewesen. Er hatte einfach nicht die Stimmung ruinieren wollen. Er wusste einfach nicht, wie seine Eltern zu diesem Thema standen. Er hatte es einfach nicht getraut, sie auf dieses Thema anzusprechen. Zu sehr war die Angst für seine Eltern eine Enttäuschung zu sein. Die Angst davor, dass ihr gutes Verhältnis zerstört werden würde, wenn sie ihn wirklich kenne würden. "Dein Geheimnis ist bei mir sicher", vernahm er die ruhige Stimme des Österreichers.

Nachdem diese Sache nun geklärt war und beide sich beim anderen für ihr kindisches Verhalten entschuldigt hatten, setzten sie sich vor der Halle auf die Stufen, denn es gab weiterhin noch einiges zu klären. Diesmal war es Niko, der zuerst das Wort ergriff. "Wegen der Sache, die ich da gestern gesehen habe", kam er auf die Sache zu sprechen, die für die angspannte Situation zwischen den beiden gesorgt hatte. Weil Niko inne hielt warf Steffen Niko einen abwartenden Blick zu. Als Niko sich wieder gefasst hatte, fragte er schließlich die Frage, die ihn wohl am meisten beschäftigte: "Wie bist du da verdammt nochmal hineingeraten?" Steffen konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. "Wie und weshalb das zwischen uns angefangen hat, kann ich dir nicht wirklich sagen. Es hat sich einfach mit der Zeit entwickelt. Wir hatten diese tiefe Verbundenheit. Vermutlich hat es mir gefallen, jemanden zu haben, der mit denselben Problemen zu kämpfen hatte. Der mich verstanden hat. Dem ich meine Sorgen und Gedanken erzählen konnte. Und irgendwann hat es mit einem Kuss angefangen, der dann irgendwann im Bett geendet ist und aus einer Sache, die für uns anfangs keine großartige Bedeutung hatte ist dann etwas entstanden. Wir haben beide Gefühle füreinander entwickelt. Aber dann ist er nach Barcelona, der Kontakt ist abgebrochen und dann gestern Abend: Kurz bevor du gekommen bist hatten wir noch eine heftige Auseinandersetzung, doch dann hat es diesen Moment zwischen uns gegeben. Und ich musste einfach noch wissen, ob da noch irgendwelche Gefühle sind und dann habe ich ihn geküsst", fasste Steffen das Geschehene der letzten Jahre im Schnelldurchlauf zusammen. Nachdem er seine Erzählung beendet hatte, herrschte erstmal wieder Stille. Niko musste das Gesagte erstmal verdauen und auch Steffen musste gegen den stechenden Schmerz in seiner Brust ankämpfen.

Doch in diesem Moment kamen bei Niko so viele Erinnerungen wieder. Das Gespräch mit seinen Eltern, als sie ihm und seiner Schwester versucht haben zu erklären, weshalb es für sie besser wäre, wenn sie sich scheiden lassen. Und auf einmal kochte die Wut in Niko hoch: Die Angst um Filips Familie. Er wollte nicht, dass seine Kinder, dasselbe durchmachen müssen wie er. Er wollte nicht, dass sie denselben Schmerz spüren müssen. "Hast du einen Moment an Filips Familie gedacht oder ist dir dein eigenes Glück so viel wichtiger, dass dir egal ist, dass du eventuell eine glückliche Familie zerstörst. Dass du eventuell seinen Kindern einen grausamen Schmerz zufügst und ihnen ein glückliches Elternpaar nimmst", vorwurfsvoll funkelte Niko seinen besten Freund an. Er wusste, dass seine Vorwürfe hart waren, doch er musste sie loswerden. Sie hatten sich seit seinem zwölften Lebensjahr in ihm versteckt. Nun musste er sie endlich loswerden. "Jaa Niko: ich weiß, was ich verdammt nochmal aufs Spiel gesetzt habe. Wieso habe ich wohl nie jemanden davon erzählt? Weil ich nicht gerade stolz darauf bin, was geschehen ist, aber ich kann es nicht mehr rückgängig machen und ich kann nichts gegen diese Gefühle machen. Ich wünschte sie wären nicht", entgegnete Steffen. Der pure Hass auf sich selbst sprach aus ihm. Er hasste sich dafür, was er Filips Familie angetan hat. Er verabscheute dieses Ich! Niko wollte nur noch eins wissen: "Liebst du ihn?" Ihre Blicke trafen sich. Und in diesem Moment konnte Steffen die Wahrheit nicht mehr leugnen. Steffen musste nichts sagen, denn Niko konnte die Antwort aus Steffens Reaktion ablesen. Erneut kullerten Tränen über Steffens Wangen: "Es hat aber eh keine Bedeutung mehr. Es ist Aus und vermutlich ist es auch besser so", schluchzte Steffen laut auf. Auch wenn der Schmerz noch immer in Nikos Brust brannte und er noch immer enttäuscht war, dass Steffen so etwas getan hat, verletzte es ihn Steffen so fertig zu sehen. Er schloss den schluchzenden Steffen in seine Arme, der seinen Gefühlen freien lauf ließ und den ganzen Schmerz, den ihm das gestrige Gespräch und die letzten fünf Jahre zugefügt haben, rausließ. Steffens Herz begann in tausend Teile zu zerfallen und in diesem Moment realisierte er erst, welche Auswirkungen das gestrige Gespräch hat.

Einige Minuten saßen die beiden Freunde einfach vor der Halle und trösteten sich gegenseitig um den Schmerz, der ihnen zugefügt wurden verdauen zu können. „Du brauchst einfach Ablenkung: Wenn wir in Kiel sind, dann gehen wir beide mal aus ne Runde feiern", schlug Niko vor und Steffen war von dieser Idee gar nicht so abgeneigt. Wer weiß vielleicht läuft da draußen jemand rum, den er auch lieben darf.

So heut mal wieder ein Kapitel🙈 Hoffe es hat euch gefallen🥰 Eure Meinung zu den beiden Spielen der Deutschen gegen Spanien und Ungarn?
Leider reichen gute 15 Minuten nicht um ein Handballspiel zu gewinnen. Gegen Spanien war wenigstens die Abwehr wieder bissle besser, aber einfach zu viele technische Fehler und nicht genutzte Chancen und teilweise finde ich spielen sie leider etwas zu standhaft🥴. Naja Viertelfinale können wir uns abschreiben, wenn nicht ein wunder geschieht 😂 Aber die Schiedsrichter... no kommentar wehe die pfeifen das nächste Spiel heute wieder dann raste ich aus😂😂 Dieser Moment wenn man eigentlich ausschlafen könnte und dann um 8 wach liegt und nicht mehr schlafen kann - scheiß innere Uhr😂 Naja ich setze mich jetzt mal hin und schaue ob ich bissle weiterkomme an dieser Story🥰 Schönes Wochenende🥰

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