81: Totalausfall

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Steffen:
Der Schweiß tropfte mir von der Stirn - mein Trikot klebte an meinem verschwitzten Oberkörper - auf meinen Händen hatte sich eine klebrige Schweiß-Harzmischung gebildet. Mein Blick wanderte erschöpft zu dem Videowürfel nach oben. 31:22 - lautete das enttäuschende Endergebnis. Wir waren im wahrsten Sinne des Wortes in Wetzlar untergegangen. Die Enttäuschung stand uns allen ins Gesicht geschrieben. Erschöpft stützte ich mich auf meinen Oberschenkel ab und wischte mir den Schweiß mit meinem Trikot von der Stirn. Es fühlte sich wie eine Ohrfeige an. Wir hatten uns so viel für dieses Spiel vorgenommen und am Ende mussten wir eine enttäuschende Niederlage und die ersten zwei Minuspunkte in dieser Saison hinnehmen. Ein harter Rückschlag im Kampf um die Meisterschaft. Ich spürte wie jemand der anderen an mir vorbeilief und mir aufmunternd auf die Schulter klopfte. Ich schaute auf und konnte Niclas erkennen, der genauso niedergeschlagen den anderen in die Kabine folgte. Auf der anderen Spielfeldhälfte feierten die Spieler der HSG lautstark ihren Heimsieg: "Meisterbezwinger", hallte das Gebrüll der Jungs durch die Halle, während diese wie kleine Kinder überglücklich im Kreis hüpften und sich von den wenigen Trommler die in der Arena als Zuschauer zugelassen waren, feiern ließen. So war es im Sport - Freud und Leid lagen oft sehr nahe zusammen.   

Seufzend ließ ich nochmal meinen Blick durch die Halle schweifen, bevor ich dann zur Bank lief, um meine Trainingsjacke, die dort noch lag zu holen, bevor ich mich auch in Richtung Kabine verziehen wollte. Am Spielfeldrand konnte ich noch Filip entdecken, der gerade ein Interview für Sky gab. Ich war so froh, dass ich gerade nicht in seiner Haut stecken musste. Es war immer verdammt schwer nach Niederlagen sich den Fragen der Presse stellen zu müssen. Noch ein Grund, weshalb ich mich so schnell wie möglich verziehen wollte. Nicht das noch jemand von den Reporter auf die Idee kam mich auch noch ansprechen zu müssen. Ich lief den Gang zu der Kabine entlang und so langsam begann die Erkenntnis über die Niederlage einzutreffen. Nach einer solchen Niederlage fühlte es sich in den ersten Sekunden nach Abpfiff immer erst wie ein schlechter Traum an. Mit der Zeit begann man dann das scheußliche Ergebnis zu realisieren. Und dann trat diese tiefe Enttäuschung ein. Dieser Zustand war nun bei mir eingetreten und ich spürte wie sich unter diese Enttäuschung nun etwas Wut mischte. Ich realisierte nun, was wir für ein miserables Spiel soeben gezeigt hatten. Es fing von der ersten Sekunde an. Wir kamen absolut nicht gut in die Partie. Gleich die ersten Würfen hatten wir nicht im Tor untergebracht. Mit einem 4:0 Lauf zwischen der vierten und der sechsten Spielminute hatten wir uns sofort einen fünf Tore Rückstand eingefangen, dem wir dann das ganze Spiel hinterhergelaufen waren. Am Ende wurden wir dann mit 31:22 bildlich aus der Halle geschossen. Es hatte einfach nichts funktioniert.

Wir hatten uns so viel vorgenommen - aber nichts von dem hatten wir umsetzen können. Gefühlt war in dem Spiel alles falsch gelaufen was hätte falsch laufen können. Wir haben in der Abwehr keinen Zugriff bekommen und deswegen unseren Torhütern nicht geholfen, dass sie dem Spiel ihren Stempel aufsetzen konnten. Im Angriff waren wir einfach zu standhaft und haben es deswegen selten geschafft uns gegen die gut stehenden Abwehr der Hessen Chancen erspielen zu können. Und wenn wir es dann mal geschafft hatten, waren wir meistens auch noch an dem überragenden Torhüter der HSG Wetzlar Tim Klimpke gescheitert. Durch die gesamte Mannschaft hinweg hatte sich diese Miese hindurchgezogen. Egal was wir versucht hatten. Es wollte einfach nicht funktionieren. Ich wollte gar nicht wissen, was für eine miserable Quote ich heute im Angriff hatte. Ich konnte mich nicht mal daran erinnern überhaupt ein Tor erzielt zu haben. Gefühlt waren alle meine Würfe irgendwo anders gelandet aber nicht im Tor. Dementspechend rutschte meine bereits eh schon nicht sonderliche gute Laune noch weiter in den Keller.

Als ich die Tür zur Kabine aufriss, herrschte diese unangenehme Stille wie immer nach Niederlagen. Keiner traute sich nur ein Wort zu sagen, weil alle befürchteten, dass dies in einer verbalen heftigen Auseinandersetzung enden könnte. So saßen alle schweigend da und versuchten mit sich selbst die Niederlage auszumachen. Die meisten gingen bereits sofort duschen, um so schnell wie möglich sich dieser unangenehmen Stimmung entziehen zu können. Gefrustet warf ich meine Trainingsjacke auf die Bank und ließ mich enttäuscht auf meinen Platz fallen. Wütend riss ich mir das Tap von den Fingern und ließ es wortlos vor mir einfach auf dem Kabinenboden fallen. Ein genervtes Stöhnen entfuhr meiner Kehle, während ich mir übers Gesicht fuhr und nun begann mich zu fragen, wie es zu dieser unterirdischen Leistung hat kommen können. Natürlich gehörten Niederlagen und Rückschläge zum Profisport dazu, trotzdem konnte ich keine Erklärung für diesen Totalausfall finden. Den anderen schien es nicht anders zu ergehen. Wir hatten die ganze Woche gut trainiert. Die Stimmung innerhalb der Mannschaft war ausgesprochen gut gewesen. Ich hatte mich vor dem Spiel abgesehen von dem Streit mit Filip richtig gut gefühlt. Beim Aufwärmen hatte ich auch noch den Eindruck gehabt, dass dies heute ein gutes Spiel werden würde. Wir waren motiviert gewesen. Wir hatten uns vorgenommen nicht nochmal gegen Wetzlar unterzugehen, wie bereits in der Saison zuvor. Damals sogar vor eigenen Publikum. Letztendlich hatten wir uns wohl alle getäuscht.

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