43: In die Heimat

204 9 12
                                    

755 km - neun Stunden Autofahrt - zwei Zwischenstopps lagen hinter Steffen, als er am Nachmittag am Ortschilds des kleinen Ortes Zirndorf in der Nähe der Stadt Fürth vorbeifuhr. Er ließ die Fensterscheibe hinunter, um den Duft seiner Heimatstadt einzuatmen. Ein vertrautes Gefühl durchfuhr seinen Körper. Automatisch bildete sich ein Lächeln auf Steffens Lippen, wie immer, wenn er nach langer Zeit wieder nach Hause kam. Dieses Mal waren es zwar nur acht Wochen, trotzdem fühlte es sich bereits wieder wie eine halbe Ewigkeit an. Auch wenn sich Steffen im Norden Deutschlands seit vielen Jahren eingelebt hatte und sich an der Ostsee wohl fühlte, freute er sich immer wieder nach Hause zu kommen. Noch immer hing sein Herz an seinem Heimatort. Schließlich gab es hier immer noch das beste Bier.



Als er in die Zielstraße einbog und es nur noch wenige Meter bis zur Einfahrt seines Elternhauses war, durchfuhr Steffens Körper ein nervöses Kribbeln. Wie würden seine Eltern auf seinen unerwarteten Besuch reagieren. Er hatte nicht mal angekündigt, dass er vorbeischauen wollte. Waren seine Eltern überhaupt zuhause? Die alte Dame Hildegard von nebenan, die Steffen als Kind immer ihren Hund ausführen lassen hat, erkannte ihn, als er an ihrem Garten vorbeifuhr und winkte freudig. Auch Steffen winkte der alten Dame freundlich zurück. Sie war immer total nett zu ihm gewesen, auch wenn er und seine Freunde ihr den ein oder anderen Streich gespielt hatten. Einmal haben sie auch ausversehen ihren Briefkasten in Brand gesteckt, als sie in diesen Böller geworfen hatten. Schmunzelnd ließ Steffen die ganzen Kindheitserinnerung revoue (wie schriebt man das?) passieren. Er fuhr in die Einfahrt und an dem alten Golf, der seine besten Jahre mittlerweile gesehen hatte, an welchem Steffens Vater aber hing, erkannte er, dass seine Eltern wohl vermütlich zuhause sein mussten. Er stellte seinen Wagen ab und packte sein Gepäck zusammen, bevor er aus dem Wagen ausstieg und nochmal eine große Menge der Heimatluft einatmete.

Mit der Reisetasche auf den Schultern, der Bäckertüte aus Kiel in der Hand, die mittlerweile geleert wurde steuerte er die Haustür an und drückte auf die Klingel. Es dauert nicht lange, bis seine Mutter die Haustür öffnete. "Steffen?", sie schaute ihren Sohn an, als hätte sie einen Geist gesehen. Sie hätte mit jedem Besuch gerechnet, aber nicht, dass ihr Sohn vor der Haustür stehen würde. "Hey Mama", begrüßte er seine Mutter mit einer herzlichen Umarmung und einem Kuss auf die Wange, bevor er sich an der versteinerten Mutter vorbei ins Haus schob. Seine Mutter war noch immer so sprachlos von der Überraschung, dass sie es immer noch nicht geschafft hatte, ein Wort über die Lippen zu bringen. Es polterte auf der Treppe und sein Vater kam aus dem Keller ins Erdgeschoss. Als er seinen Sohn im Flur sah, fragte dieser erstmal erschrocken: "Was treibt dich bitte hierher? Du hast dich wohl etwa nicht verletzt oder?" Steffen musste fast schmunzeln über die Reaktion seiner Eltern. "Schön dich zu sehen Papa", lachte dieser und umarmte auch seinen Vater, ohne auf dessen Frage zu antworten. Mittlerweile hatte seine Mutter es geschafft die Haustür zu schließen und der anfängliche Schock wandelte sich in pure Freude um. "Na lass dich mal anschauen mein Großer, wie geht es dir?", wollte sie sofort wissen und begutachtete ihren Sohn neugierig. Unterdessen witterte sein Vater weiterhin, dass irgendwas nicht stimmte, wenn ihr Sohn mitten in der Saisonvorbereitung vorbeischaute. "Was machst du hier? Müsstest du nicht in Kiel sein?", hackte dieser weiter, doch seine Ehefrau unterbrach ihn sofort. "Jetzt lass unseren Jungen doch erstmal ankommen", forderte sie ihren Ehemann auf, sich noch etwas zu gedulden. "Bist du mit dem Auto hier?", erkundigte sich sein Vater unterdessen. "Jo schöne neun Stunden", berichtete Steffen und konnte sich ein erschöpftes Gähnen nicht verkneifen. "Dann räum doch mal deine Sachen hoch in dein Zimmer und komm erstmal an, willst du ein Kaffee - ich hab vorhin auch eine Fränkische Erdbeertorte gemacht - willst du ein Stück?", bot seine Mutter Steffen bereits alles mögliche an.

Doch so ein leckerer Kuchen und ein warmer Kaffee war doch der perfekte Ort, um seinen Eltern zu erzählen, was ihm auf dem Herzen lag. "Gerne Mama", nahm Steffen das Angebot an. "Gut dann können wir ja zusammen mal wieder alle drei bei Kaffee und Kuchen sitzen", freute sie sich und war bereits in der Küche verschwunden. Steffen stellte unterdessen seine Schuhe im Hausflur ab und schulterte seine Tasche und wollte die Treppe nach oben zu seinem Kinderzimmer laufen, da hielt ihn sein Vater auf. "Steffen, was ist los?", fragte er seinen Sohn besorgt. "Kannst du dich bitte noch bis gleich gedulden ich muss nämlich ganz schnell mal aufs Klo", drückte sich Steffen vor einem frühzeitigen Gespräch mit seinem Vater. "Ok, dann helf ich mal deiner Mutter", schlug er vor und verschwand auch in Richtung Küche. Steffen atmete erleichtert durch, während er die Treppen nach oben zu seinem alten Zimmer lief. Als er die Tür öffnete schaute er in sein vertrautes Kinderzimmer. Überall an der Wand hingen irgendwelche Poster von Handball Spielern, zu welchen Steffen als Junge aufgeschaut hatte. Zwischendrinn zierten Bilder mit Freunden und Medaillen von sportlichen Erfolgen aus Jugendzeiten die Wände. Neben dem großen Fenster stand sein Bett mit Greuther Fürth Bettwäsche, die seine Mutter immer noch nicht rausgeworfen hatte. Im Eck sein alter Schreibtisch, auf welchem irgendwelche alten Schulordner rumlagen, die Steffen nie aufgeräumt hatte. Er stellte seine Tasche vor den großen Kleiderschrank neben der Tür ab und verschwand dann im angrenzenden Badezimmer. Dort begann er fieberhaft, wie er das Gespräch am besten anfangen sollte. Schließlich war: "Hey Mama und Papa ich bin übrigens schwul", zwar eine sehr kurze aber sehr gefühlskalte Vorgehensweise. Er spürte wie seine Hände vor Nervosität zu schwitzen begannen und auch auf seiner Stirn bildete sich Angstschweiß. War er überhaupt bereit?

Hidden KissesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt