24: Chaotischer Morgen

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Filip:

"Gebannt warf ich einen Blick auf den Videowürfel oben am Hallendach. Nur noch wenige Sekunden standen auf der Uhr. Wir führten knapp mit einem Tor zuhause gegen die Rhein Neckar Löwen. Im Hintergrund verpasste mir der Fangesang von den Zuschauerrängen eine angenehme Gänsehaut. Wir mussten die restlichen Sekunden über die Zeit bringen. Kein Wurf mehr aufs Tor riskieren. Schnelle Beine und hunderporzentige Aufmerksamkeit waren von meinen Spielern gefordert. Das schlimmste war, dass ich absolut nichts mehr tun konnte, um das Spiel in die richtige Richtung zu lenken. Es lag in den Händen meiner Spieler. Aufgeregt hüpfte ich mit unverständlichen Gesten am Spielfeldrand auf und ab und versuchte die überschüssige Energie gemischt mit der Nervosität loszuwerden. Jedes Mal wenn es ihnen gelang den Angriff der Löwen zu unterbrechen und ein Stoppfoul zu kassieren, streckte ich meine Hände in die Luft als hätten wir bereits gewonnen. Nur noch fünf Sekunden standen auf der Anzeige. Sie würden werfen. So viel stand fest und Andi Schmid würde die Entscheidung treffen. Ich wusste, dass jeder meiner Spieler dies auch wusste, trotzdem wünschte ich, ich könnte irgendwie eingreifen. Die letzte Aktion. Der Block reckte die Arme in die Hände. Sie sprangen hoch und der Ball schaffte zwar irgendwo seinen Weg durch die zahlreichen Arme hindurch, doch Niklas schaffte es den Wurf zu entschärfen. Die Halle brach in ausgelassenes Jubeln aus. Die Erleichterung fiel mir von den Schultern ab und purer Stolz auf jeden einzelnen von ihnen durchfuhr meinen Körper. Wir hatten es geschafft. Wir hatten die zwei Punkte in Kiel behalten. Ein knapper Sieg war manchmal tausendmal besser als ein Kantersieg, auch wenn es einem das ein oder andere graue Haar bescherte. Zufrieden mit einem breiten Grinsen auf den Lippen lief ich zu meinen Spieler und klaschte mit jedem einzelnen ab. Kurz darauf versammelten diese sich alle und hüpften wie kleine Kinder im Kreis, während ich mich bei dem Trainer der Löwen für ein faieres Spiel bedankte und auch den Schiedsrichtern die eine gute Arbeit geleistet hatte, die Hand schüttelte. Im Hintergrund sang die Halle: "Ole Ole Ole Ole Ole von der Ostsee bis zur Isar immer wieder THW!" Es war ein unbeschreibliches Gefühl. Auf einmal machte meinen Herz einen unerwarteten Sprung in meiner Brust. "Hey", verpasste seine vertraute Stimme mir eine vertraute Gänsehaut auf dem Arm. Ich kam aus dem Grinsen gar nicht raus: "Hey", erwiderte ich seine Begrüßung während ich ihm verträumt entgegenlächelte und meine Augen seine Lippen suchten. Er schien meine Geste zu verstehen, den seine Hand wanderte an meine Wange und strichen liebevoll über diese. "Nach einem Sieg sind deine Küsse immer besonders gut", meinte dieser grinsend, bevor ich meine Lippen langsam seinen näherte..."

"Fuck Papa", hörte ich auf einmal einen panischen Schrei in der Ferne. Erschrocken zuckte ich zusammen und riss die Augen auf. Ich schaute in die strahlend blauen Augen meiner Tochter die sich gestresst über mich gebeugt hatte. Neben mir bewegte sich eine kleine Person. "Wir haben verschlafen", teilte uns Lucy mit und streckte uns ihr Smartphone entgegen, auf welchem ich gerade so entziffern konnte, dass es bereits 7:45 war. "Scheiße", fluchte ich und von einer Sekunde auf die andere war ich hellwach. Ich zwängte mich aus dem viel zu kleinen Bett von Matej und musste erstmal meine alten Knochen wieder in die richtige Position bringen. Was war geschehen? Erst jetzt kamen die Erinnerungen des letzten Abends wieder hoch: Der Streit mit Aneta - Matej, der nicht schlafen konnte. Ich musste wohl eingeschlafen sein. Während ich erstmal noch einmal Moment gebraucht hatte, um mich zu sammeln, hatte Lucy ihren kleinen Bruder ins Bad gescheucht. "Papa würdest du bitte deinen Arsch endlich bewegen: Ich muss in exakt 13 Minuten im Klassenzimmer sitzen", vorwurfsvoll schaute sie mich auf. "Jaja, stammelte ich und lief wie von einer Tarantel gestochen ins Schlafzimmer. So schnell hatte ich mich wohl noch nie angezogen. Als ich meinen Geldbeutel vom Nachttischchen nehmen wollte, fiel mir der Zettel auf. "F." stand auf diesem. Ich steckte ihn ohne ihn zu lesen ein bevor ich in den Flur lief, wo meine beiden Kinder bereits fertig angezogen mit ihren Schultaschen auf dem Rücken auf mich warteten. Blitzschnell sammelte ich den Haustürschlüssel und den Autoschlüssel ein und drückte ihn bereits Lucy in die Hand, bevor ich mir schnell auch Schuhe und eine Jacke überstreifte.

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