7: Diese Leere

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Steffen:

Noch nie zuvor war ich so erleichtert gewesen, als das Training endlich beendet wurde. Ich war einer der ersten der sich in die Kabine zurückzog und fix und fertig auf seinen Platz fallen ließ. Zwar war ich von oben bis unten durchgeschwitzt von den ganzen Laufeinheit, trotzdem hatte die Sache, dass ich die ganze Zeit in Filips Nähe war, mir mehr Kraft geraubt, als das gesamte Training. Noch immer spürte ich dieses nervige Kribbeln in meinem Bauch, von welchem ich mir so sehr wünschte, dass es endlich verschwinden würde. Ich hatte zwar damit gerechnet, dass es nicht leicht werden würde, jeden Tag Filip gegenübertreten zu müssen und das Vergangene zu ignorieren. Dass es jedoch so schwer werden würde, davon war ich nicht ausgegangen. In diesem Moment fragte ich mich, wie ich die nächsten Wochen bloß überstehen werde. Wieso kann ich ihn nicht einfach vergessen? Wieso? Wieso kann ich nicht einfach mit dieser Sache anschließen? Warum machte sich mein bescheuertes Herz wieder Hoffnungen? "Sieh es endlich ein! Er hat eine Familie! Will ich wirklich schuld daran sein, eine Familie zu zerstören?", redete ich in Gedanken auf mich ein, während ich einen großen Schluck aus meiner Flasche nahm. Nach und nach trudelten die anderen ein. "Man bin ich am Ende", stöhnte Niclas und ließ sich neben mir auf seinen Platz fallen. "Du sagst es", stimmte ich ihm zu und ließ meine Flasche in meiner Tasche verschwinden.

Erneut wurde die Kabinentür aufgerissen und dieses Mal brauche ich nicht einmal aufzusehen, um zu wissen, wer so eben durch die Tür getreten war. "Super Jungs! Ihr habt heute richtig gut mitgezogen! Ich hoffe, dass es die nächsten Tage genauso ablaufen wird. Wir sehen uns dann morgen um 10 Uhr wieder. Wir treffen uns gleich draußen auf dem Sportplatz und ich bitte alle pünktlich zu erscheinen", resümierte er die erste Trainingseinheit. Ich spürte wieder dieses seltsame Gefühl in meiner Brust, als ich spürte, dass sein Blick wieder kurz in meine Richtung gewandert war. Wieso war ich bloß zu spät gekommen? Wieso hatte ich ihm eine Möglichkeit gegeben, dass er mich immer wieder anschauen konnte? Ich atmete erst wieder erleichtert auf, als er die Kabine verlassen hatte. Erst jetzt entspannte sich mein Körper wieder. So kann das nicht weitergehen! Ich musste mich auf wichtigere Dinge konzentrieren! Die Mannschaft braucht mich vollkommen bei der Sache und nicht halbherzig abgelenkt durch Gefühle, die eh nur reine Zeitverschwendung waren. Ich musste mit Filip reden. So viel stand fest! Wir mussten diese Sache endgültig aus der Welt schaffen! Für einen Moment überlegte ich ihm hinterherzulaufen, doch dann überkam mich die Angst. Angst ihm gegenüberzutreten. Angst mit ihm alleine in einem Raum zu sein. Es würde eh wieder darauf hinauslaufen, dass wir uns anschweigen und beide verzweifelt einen Weg suchten, diese Sache anzusprechen, aber uns nicht trauen. Vielleicht brauche ich einfach noch etwas Zeit. Aber eins stand fest: Irgendwann musste ich mich der Wahrheit stellen! Irgendwann musste ich die Sache endgültig aus der Welt schaffen! Und eins war mir auch bewusst, dass ich das so bald wie möglich in Angriff nehmen sollte. Doch jetzt war ich einfach noch nicht dazu bereit. Zu viele unterschiedliche Gefühle jagten durch meinen Körper, die ich mittlerweile gar nicht mehr zuordnen konnte. Ich hoffte einfach, dass dieses Chaos in meinem Kopf irgendwann verschwinden würde. Ich hoffte einfach, dass es einfach daran lag, dass es heute unsere erste Begegnung seit fünf Jahren war. "Dass wird sich schon geben", versuchte ich mir Mut zu machen. Eins stand fest: Ich würde alles dafür gegeben, gegen diese Gefühle anzukämpfen. Für mich zählte nur eins: Die Meisterschaft! Alles andere war mir vollkommen egal!

"Steffen?", ließ mich die Stimme des Österreichers neben mir erschrocken zusammenzucken. Er hatte sich neben mir auf die Bank fallen gelassen und schaute mich mit seinem typischen Blick an, wobei er für mich immer eine sehr große Ähnlichkeit mit einem Eichhörnchen hatte. Ich musste mir ein Schmunzeln verkneifen. Das ganze Training über hatte ich ihm die kalte Schulter gezeigt und war jeglichem Entschuldigungsversuch von ihm ausgewichen, obwohl ich eigentlich gar nicht mehr sauer auf ihn war. Er hatte ja Recht gehabt. Ich hatte selbst keine Ahnung wie man sich in solchen Dingen verhalten sollte. Ich hatte seit Jahren kein Date mehr gehabt. Wieso sollte er sich dann meine Ratschläge zu Herzen nehmen? Es gab da in unserer Mannschaft eindeutig bessere Ansprechpartner. Beziehung und ich - zwei vollkommen unterschiedliche Welten. "Hörst du mir überhaupt zu?", riss mich seine mittlerweile genervte Stimme erneut aus den Gedanken, wobei sofort wieder alle Augenpaare in meine Richtung gerichtet war. "Mensch Steffen, wo bist du heute nur mit deinen Gedanken?", wollte nun auch Bammbamm besorgt wissen, was mit mir heute los ist. "Vielleicht hat er ja eine geheimnisvolle Verehrerin", liebäugelte Miha und grinste frech. "Steffen und eine Verehrerin? Wer's glaubt?", hörte ich Rune sagen. "Ja, Miha hat Recht: Wieso hätte er sonst so beleidigt auf Nikos Kommentar reagieren sollen?", mischte sich nur auch der junge Schwede ein. Weil mir die Spekulationen etwas auf die Nerven ging, meldete ich mich nun auch zu Wort: "Vielleicht habe ich so reagiert, weil mich Nikos Kommentar verletzt hat. Schonmal daran gedacht Luki?", fragte ich den Schweden vorwurfsvoll, während ich spürte wie Niko neben mir einen gefühlten Kopf kleiner wurde und mich ängstlich visierte, als würde ich ihm gleich eine scheuern wollen. "Und Miha nein ich habe keine Freundin: Ich gehöre genau wie Magnus und Niko zu denen, auf die niemand zuhause wartet", fuhr ich mit meiner Richtigstellung fort. "Und jetzt zu dir Niko", ich warf dem Österreicher neben mir einen Blick zu: "Ich bin nicht mehr sauer auf dich! Ja, mich haben deine Worte verletzt, aber du hattest Recht: In Sachen Liebe bin ich nicht gerade der beste Ansprechpartner also hol dir lieber bei irgendwem anderen Tipps, wie du es schaffst nicht mehr Single zu sein", sprudelte aus mir heraus, bevor ich mir wortlos meine Trainingsklamotten vom Körper streifte und an verwirrten Gesichtern vorbei im angrenzten Duschraum verschwand. Und ich spürte etwas erleichterndes, dass ich soeben dies alles losgeworden war.

Nachdem ich geduscht hatte, wollte Rune noch wissen, ob ich noch zu ihm kommen würde und mit ihm und ein paar anderen Jungs einen gemütlichen Männerabend verbringen wollte. Doch ich winkte ab mit der Begründung ich musste meinem Mitbewohner Toby einen ordentlichen Arschtritt dafür verpassen, dass er sich einfach so mein Auto genommen hatte ohne zu fragen. Also packte ich meine Sachen in meine Trainingstasche und verließ nachdem ich den anderen einen schönen Abend gewünscht hatte, die Kabine. Zielstrebig lief ich den Gang entlang und versuchte so schnell wie möglich das Gebäude zu verlassen. Mein gesamter Körper war vollkommen angespannt, weil ich Angst hatte, Filip könnte mir jeden Moment über den Weg laufen und ich hätte keine Ahnung wie ich mich verhalten sollte. Zum Glück erreichte ich die Ausgangstür ohne weitere Zwischenfälle. Als ich an die frische Luft gelang atmete ich erstmal erleichtert auf. Tag 1 von hundert weiteren war geschafft! Ich schloss mein Rad ab und fuhr dieses Mal etwas entspannter den Weg zurück nach Hause. Gute zwanzig Minuten später erreichte ich das Mehrfamilienhaus, in welchem ich die oberste Wohnung bewohnte. Ich stellte mein Fahrrad abgeschlossen im Gemeinschaftskeller ab, bevor ich die ganzen Treppenstufen nach oben zu meiner Wohnung lief. Auf dem Weg nach oben begegente ich dem jungen Ehepaar, dass im zweiten Stockwerk wohnte und vor kurzen ein Kind bekommen hatte. Ich grüßte sie freundlich, bevor ich die restlichen Stufen nach oben lief. Oben angekommen schloss ich die Wohnungstür auf und stellte erstmal frustriert fest, dass Toby seine Dominosteine immer noch nicht aufgeräumt hatte. "Ich bring ihn um", fauchte ich innerlich. "Toby", rief ich einmal laut durch die Wohnung, bekam jedoch keine Antwort. Ich stellte meine Tasche im Flur ab und lief nach drüben zu seinem Zimmer. Doch auch dieses war leer. Ein Blick aus dem Fenster reichte, um zu sehen, dass mein Wagen immer noch weg war. Seufzend begann ich meine Sportsachen aus der Tasche zu räumen und schmiss eine Waschmaschine an. Anschließend blieb mir nichts anderes übrig als selbst Tobys Sauerei zusammenzuräumen, bevor ich mir noch den Fuß breche.

Es war bereits 21 Uhr, als ich mich mit der Lasagne von gestern auf die Coach pflanzte und durch durch die Fernsehrsender zapte ohne etwas Interessantes zu finden, weshalb ich ihn bald wieder ausschaltete. Und auf einmal kam mir meine gesamte Wohnung so leer vor. Es war mucksmäuschenstill und ich kam mir vollkommen erbärmlich vor. Ich bin 34 Jahre! Wenn ich nach Hause kam, war da niemand, der auf mich wartete. Und zum ersten Mal in meinem Leben fragte ich mich, ob ich nicht einen Fehler gemacht hatte. Was wenn es ein Fehler gewesen war, mich Jahre lang zu verstecken, nur für meine Karriere. Irgendwann würde ich auch die Handballschuhe an den Nägel hängen und wen hätte ich dann noch. Einen gestörten Psychologe mit viel zu hohem IQ, der mich in den Wahnsinn treibt. Alle meine Mitspieler hatten jemanden, der sich freute, wenn sie nach Hause kamen. Sie hatten Kinder, die zu ihnen aufschauten und sich freuten, wenn ihr Vater vom Training nach Hause kam. Und was hatte ich: Eine leere Wohnung, ein gebrochenes Herz und niemanden, der sich über meine Anwesenheit freute. Und auf einmal war ich sauer: Sauer auf mich, dass ich vor Angst erneut verletzt zu werden, mich die letzten Jahre vollkommen verschlossen hatte. Wütend auf mich, dass ich mein gesamtes Leben lang nur für den Sport und meine Karriere gelebt hatte. Für was? Dass ich irgendwann alleine auf meine Coach enden würde. Und wütend auf Filip, dass er Grund dafür war, dass ich aus Hoffnung, dass irgendwann doch etwas aus uns werden könnte, mich nicht auf die Suche gemacht habe, nach jemanden der meine Anwesenheit zu schätzen weiß. Da draußen sind bestimmt genug andere schwule Männer, die darauf warten den richtigen zu finden und wer weiß vielleicht war ich der richtige für sie. Eins stand fest: Ich wollte nicht so trostlos alleine auf meine Coach sitzen. Ich zog mein Handy aus meiner Tasche und schrieb Rune an: "Hey, macht es euch was aus, wenn ich doch noch rüber komme?" Keine zwei Sekunden später kam: "Beweg deinen Arsch hier rüber, du Vollidiot" Schmunzelnd steckte ich mein Handy ein und verließ das Haus, um zu Rune zu fahren.

Moin! So ich melde mich auch mal wieder🥰. Hoffe das Kapitel hat euch gefallen😍😊. Für alle noch mal als Ankündigung: an Weihnachten kommt ein Special-Kapitel für eins meiner alten Storys also lasst euch überraschen😍😊. Mittlerweile habe ich gut vorangeschrieben, dass ich denke, dass im Laufe der Woche nochmal ein neues Kapitel hochgeladen wird🥰🙃.

Hatte es bei euch dieses Jahr auch schon Schnee? Bei uns war es zweimal morgens etwas weiß😍🙈.

So jetzt muss ich mich aber wieder hinsetzen und noch für das Kolloquium vor dem Praktikumsversuch heute Mittag lernen🤯😂. Euch einen schönen Tag😍. Bis bald🥰.

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