31. Mein Bruder

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Claire

Gegen viertel zehn betritt die Lehrerin nochmals die Bühne. "Bevor die Show weiter geht, will ich noch etwas ankündigen. Ich habe für eine Schülerin von euch, eine Überraschung." Mit diesen Worten verlässt sie die Bühne wieder. Alle sehen sie verwirrt an, als auf einmal Musik angeht.

"Vielleicht kommt eine Sängerin oder so herein. Selena Gomez." lacht Alenia leise. Ich muss ebenfalls leise lachen. "Total realistisch." gebe ich sarkastisch von mir und höre der Melodie zu. Moment... Ich kenne diese Melodie. Ich kenne dieses Lied! Das ist doch savin' me von Nicklback! Das habe ich, als ich kleiner war, mit meinem Bruder immer gesungen! Mein Bruder sitzt allerdings im Gefängnis wegen Drogenschmuggel. Ich habe ihn bereits seit fast zwei Jahren nicht mehr gesehen. Ich will ihn besuchen, aber meine Eltern wollen nicht, dass ich mit ihm in Kontakt stehe. Die Stimme des Sängers ertönt.

"Prison gates won't open up for me. On these hands and knees I'm crawlin'. Oh, I reach for you. Well I'm terrified of these four walls. These iron bars can't hold my soul in. All I need is you, come please, I'm callin'. And, oh, I scream for you. Hurry, I'm fallin', I'm fallin'." "Ist... Ist das nicht die Stimme..." Ich sehe zu der Lehrerin, die mich anlächelt. Sie zeigt auf den Geräteraum. Ohne noch länger zu warten, springe ich auf und stürmt zu diesem.

Ich reiße die Tür auf. Tränen strömen wie Wasserfälle meine Wangen hinunter. Ich sehe in den Raum und da steht er.

Mein Bruder.

Er lächelt und singt weiter. Ich ziehe die Tür hinter mir zu. Er strecke einen Arm nach mir aus. Ich falle ihm sofort in die Arme und fange nun richtig an zu weinen. Er schaltet das Mikro aus und legt es beiseite.

"Hey Kleines." flüstert er. Ich drücke mich noch mehr gegen ihn. Er hebt mich hoch. Ich vergrabe mein Gesicht an seinem Hals. "H-Hey." wimmer ich leise. Vorsichtig setzt er mich auf dem Stapel der Turnmatten ab. Ich lasse ihn jedoch nicht los. "Warum trägst du einen Verband?" fragt mein Bruder besorgt. "I-Ich habe eine Faust abbekommen." schniefe ich. "Von wem?" fragt er sofort angespannt. "Ich weiß nicht, wie er heißt, aber er geht nicht mehr auf diese Schule, da Freunde von mir ihm eingetrichtert haben, hier nicht mehr aufzutauchen." Mein Bruder entspannt sich wieder.

"Was machst du hier?" frage ich nach einiger Zeit. "Ich habe heute meinen dritten Freigang und hab mir gedacht, ich besuche mal meine Schwester." grinst er. "Woher wusstest du, dass ich hier bin?" "Das bleibt mein Geheimnis." Ich lächle ihn an. Er küsst mich auf die Stirn. "Ist die Überraschung geglückt?" "Du spinnst." flüster ich lachend und umarme ihn erneut. "Warum bist du mich nie besuchen gekommen?" fragt er traurig. Ich sehe ihn ebenso traurig an. "Unsere Eltern haben mir das nicht erlaubt." murmel ich. "Was?! Wieso?" Er sieht gekränkt und wütend aus. "Ich weiß es nicht." murmel ich. "Kommst du mich nächste Woche besuchen? Bitte." "Darf ich da überhaupt ohne Einverständnis meiner Eltern rein?" "Ich werde versuchen, das zu klären. Komm am besten Dienstag. Von zwei bis sechs Uhr ist Besuchszeit." "Mach ich." "Versprochen?" "Versprochen." "Ich hab dich lieb." flüstert er. "Ich dich auch." "Du darfst nicht deinen Eltern sagen, dass ich hier war, ok?" Ich nicke. "Wann musst du wieder zurück?" frage ich traurig. "Um spätestens zehn Uhr muss ich wieder im Gefängnis sein." Er seufzt und drückt mich gegen sich.

"Claire?" "Ja?" "Singst du eigentlich noch immer?" fragt er interessiert. "Ja, wieso?" "Nur so. Lass uns raus." "Darfst du zuschauen?" "Ja." "Ok, warte." Ich hole mein Handy heraus und sehe mich in der Kamera an. "Man sieht, dass ich geweint habe." sage ich. Mein Bruder stellt sich vor mich und wischt mir sanft unter die Augen. "Jetzt ist es besser." Erneut sehe ich in mein Handy. "Danke." flüster ich. "Nicht dafür." "Aber ich will da gar nicht raus." "Warum?" "Zu viel Aufmerksamkeit." Er schmunzelt. "Ignoriere die anderen einfach. Du musst dringend lernen, auf die Meinung anderer zu verzichten. Mach einfach dein Ding." Mit diesen Worten öffnet er die Tür. "Ok." hauche ich und folge ihm. Mindestens die Hälfte der Schüler schenken uns ihre Aufmerksamkeit.

"Bryan!" ruft Alenia glücklich und läuft zu uns, was uns die gesamte Aufmerksamkeit der Klasse einbringt. Bryan nimmt meine beste Freundin in die Arme. "Hey. Lange nicht gesehen. Wie geht's?" fragt er lächelnd. "Gut und dir?" Für Alenia ist Bryan wie ein Bruder und auch Bryan sieht Alenia als unbiologische Schwester an. "Kommst du mich auch mal besuchen?" fragt mein Bruder Alenia. "Klar." "Claire kommt nächsten Dienstag. Vielleicht kommt ihr zu zweit?" "Gerne." Alenia und ich sehen uns gegenseitig lächelnd an. "Sehr gerne." verbessert sich Alenia grinsend.

Wir gehen zu unserem Platz und setzen uns. Alenia lässt Bryan auf ihrem Polster sitzen, während sie sich mit mir auf einem setzt. "Wer bist du?" fragt Zayn Bryan unvermittelt. "Bryan." "Claires Bruder? Oder Cousin?" fragt Shan und sieht zwischen ihm und mir hin und her. "Bruder." antworte ich. "Sehen wir uns wirklich so ähnlich?" frage ich. "Eure Augenfarben sind beinahe identisch." antwortet Milo. Ich muss schmunzeln. "Aso." "Warum weiß ich nicht, dass du einen Bruder hast?" fragt Zayn. Gerade als ich antworten will, kommt mir Bryan zuvor. "Bist du ihr Freund?" Ich werfe Zayn einen warnenden Blick zu, doch als er leicht anfängt zu grinsen, weiß ich ganz genau, was er vor hat. "Ja." "Nein, bist du nicht. Claire hätte mir das sofort gesagt."

Ich liebe meinen Bruder!

"Diesmal nicht." grinse ich und sehe Zayn mit schief gelegtem Kopf an. Er lächelt und entblößt seine weißen Zähne. "Schade." "Wovon redet ihr?" fragt Bryan. "Dieser Dummkopf da, hat unserer Mutter gesagt, er sei mein Freund. Das war so peinlich." Zayn lacht los. "Adonis." bringt er hervor. "Bist du auf jeden Fall nicht." grinst Alenia. Zayn fasst sich mit der Hand theatralisch an die Brust. "Wie kannst du nur?" fragt er geschockt. Ich sehe zu meinem Bruder. Dieser schmunzelt belustigt.

"Bitte seid jetzt wieder leise! Der oder die nächste darf auf die Bühne." kündigt die Lehrerin an. Ich lehne meinen Kopf gegen die Schulter von Bryan und genieße die Zeit mit ihm. Er legt einen Arm um mich und zieht mich zwischen seine Beine. Ich lehne mich entspannt gegen seine Brust und sehe auf die Bühne, wo gerade eine der Willigen rauf gegangen ist. Sie heißt glaube ich Viola. "Idealerweise brauche ich noch ein zweites Mikrofon." spricht sie in das Mikrofon, das sich auf der Bühne befindet. Die Lehrerin gibt ihr ein zweites und sagt lächelnd: "Gut, dass ich ein zweites mitgenommen habe." "Wann musst du gehen?" frage ich meinen Bruder leise. "Um halb zehn ungefähr. Das Gefängnis ist nur zehn Minuten zu Fuß von hier weg." "Ich weiß." flüstere ich und lächle ihn an. "Wie lange noch?" frage ich schließlich mit traurigem Unterton. "Wenn es gut läuft, nur noch drei Monate." Nun muss ich auch lächeln. "Ich hoffe, es wird so kommen oder das du noch früher raus darfst." Er lächelt mich an. "Hoffe ich auch."

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