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Levis p.o.v. (eine halbe Stunde später)

"Fremder in Sicht!", ruft ein junger Mann in die Runde und zeigt mit dem Finger auf eine Gestalt, die aus der Ferne in unsere Richtung geritten kommt.

"Fehlt jemand von uns und wollte uns einholen?", fragt Erwin an Hanji gerichtet. "Nein, es sind alle da und unverletzt. Es muss jemand von der Heimatfront sein.", antwortet die Braunhaarige.
Ihre Brille reflektiert das Licht, so dass man die Augen dahinter nicht erkennen kann.

"Das stimmt nicht!", ruft jemand, der etwas weiter hinter uns ist und nach vorne geritten kommt. Es ist diese verdammte Pferdefresse. "Kirstein, was zum Teufel meinst du damit!?", frage ich verwirrt.

"Bertholdt fehlt!", sagt er laut und sieht nach hinten. "Und wer soll das sein?!", frage ich genervt.

"Gefreiter Bertholdt Hoover. Ich könnte schwören am Anfang war er noch dabei!", sagt Jean überzeugt.

"Das stimmt, er gehört zu dem selben Jahrgang wie deine Einheit, weshalb er ebenfalls dabei sein sollte.", gibt Erwin nun von sich.

Peinlich, aber nicht sichtbar berührt, richte ich meinen Kopf wieder in die Richtung, wo man das Pferd in der nahen Ferne erkennen kann.

Ich kenne Personen aus meiner eigenen Einheit nicht, tch. Warum muss ich so schlecht im Namenmerken sein?!

"Kirstein, denkst du das da Vorne könnte Hoover sein?", frage ich dennoch.

"Ich weiß nicht, schließ-"

"Nein.", gibt Erwin ganz außer sich von sich. "Das ist er nicht... Das ist..."
Er reitet noch ein wenig schneller.
Jetzt erkenne ich es auch.
Wohl eher sie...

Ich starre ganz perplex nach vorn. Hanji ruft mir zwar zu, dass ich gefälligst meinen Arsch bewegen soll, aber ich kann nicht. Ich bin wie eingefroren.

Was machst du hier...?
Warum bin ich denn so starr?

Ich habe jedenfalls kein gutes Gefühl...

Ich schüttele meinen Kopf und nehme meine Zügel fester in die Hand. Erst jetzt realisiere ich das nervige Geschwätze aller anderen.
Ich merke erst jetzt, was wirklich hier vor sich geht und reite so schnell es geht zu meiner... Verlobten.

"Lia!", schreie ich und reite auf den zusammengesackten Körper im Sattel zu. "Was ist... passiert?", flüstere ich leise und will sie berühren, doch lasse es doch.

Sie sieht so fertig und brüchig aus wie noch nie.
Ich betrachte ihren ganzen zierlichen und schwachen Körper mit meinen stumpfen Augen.
Meine Augen weiten sich, als ich mit meinem Blick bei einem Blutfleck zwischen ihren Beinen hängen bleibe.

Ich höre Hanji gegenüber von mir weinen. Ich bringe mich nicht dazu hoch zu gucken. Ich kann in keine Augen sehen, weder in Hanjis, Erwins oder gar in Lias...

"Is-", ich muss mich räuspern und schlucke einen dicken Klumpen herunter, der mir sehr viel Luft abschnürt.
"Ist es... t-tot?", frage ich und meine Stimme bricht. Lias körperliche Verfassung ist nicht wirklich gut, aber ich musste dies fragen, ich muss es einfach wissen.

"Levi...", flüstert sie mit halber Kraft. "Ich weiß es nicht."
Du lügst.

Ich nicke einfach. Hanji würde nicht weinen, würde es gut aussehen. "Und... wie geht es dir?", will ich mit immer noch gesenktem Kopf wissen.

"Levi, sieh mich an.", sagt sie. "Los, sieh mich an!", sagt sie nun bestimmter und nimmt meinen Kopf in ihre kleinen Hände. Sie zwingt mich, sie anzusehen. Hätte sie dies nicht getan, hätte sie auch vielleicht nicht die Tränen in meinen grauen Augen bemerkt.

Sie schluckt und sieht mich eindringlich an.
"Für so etwas ist jetzt keine Zeit, Hauptgefreiter.", behauptet die Braunhaarige.

"Lia, Liebling...", fängt Erwin nun an und kämpft auch damit, so wenig Emotionen wie möglich zu zeigen. "Was ist passiert?"
Ich merke wie ein großer Kreis um uns gebildet wird. Die Stille ist nahe unerträglich in diesem Augenblick.

Sie nimmt einen tiefen Atemzug. Man sieht ihr die Schmerzen dabei an. Es bedeutet nichts Gutes, wenn das Atmen allein schon schmerzt.
Ich nehme ihre Hände von meinem Gesicht und ich schließe sie in meine.
"Der kolossale Titan. Er hat Mauer Rose eingebrochen. Nicht mehr lange und alle Titanen sind in das Gebiet eingedrungen. Ich konnte mich nicht auf Hoffnung verlassen, weshalb ich euren Trupp so schnell es geht informieren wollte, aber... ihr habt wohl ebenfalls bemerkt, dass etwas nicht stimmt.", sagt Lia laut, damit es jeder hört. Daraufhin kneift sie ihre Augen kurz zusammen und atmet nochmal langsam ein- und aus.

"Ich habe Armin Arlert die Position als Anführer überlassen, er ist schlau und führt meine Strategie weiter, trotzdem sind die stärksten Leute hier und wir müssen schnellstens zurück und die Bürger retten!"

"Nein, du wirst nicht weiterkämpfen, du bist verletzt und bringst dich in Sicherheit.", bestimmt der Kommandant hier vor allen.
Wäre ich nicht mehr unter Schock hätte ich eventuell Ähnliches von mir gegeben.
Mein Blick landet wieder auf Lias trotzigem Gesicht.

"Nein Kommandant, gleicher Umgang mit jedem. So lange ich in der Lage bin zu kämpfen, kämpfe ich verdammt!"
Sie hat kein Unrecht...

"Erwin, wir haben keine Zeit dafür, wir müssen den Bereich retten. Auch wenn sie deine Tochter ist, ist sie Soldatin im Aufklärungstrupp. Sie opfert ihr Herz.", gebe ich von mir.

"Danke, ich kann selbst für mich reden, Korporal.", sagt Lia trotzdem frech.
Diese Ziege!

"Aber Levi, was ist mit dem-", fängt Erwin an.
"Wenn du jetzt nicht deine verdammte Rolle als Kommandant einnimmst, nimmt sie jemand anderes ein, tch!", unterbreche ich ihn.

Er sieht noch einmal zu Lia hinter mir und seufzt.
Es geht ein Murmeln durch die Runde.
"Das ist der Levi, den ich kenne!", jubelt Hanji mir zu.

"Entschuldigt, ihr habt recht.", sieht er seinen Fehler ein.
"Alle auf Position, wir müssen unser Zuhause retten!", ruft er und streckt seinen Arm mit einer Klinge in die Höhe.Er reitet los, die Soldaten hinter ihm her. Lia und ich bleiben hinten zurück.
Wir bekommen viele unterschiedliche Blicke zugeworfen von den Leuten, die an uns vorbereiten.

"Er hat seinen 'Opfert eure Herzen' Spruch gar nicht abgelassen...", bemerkt die Braunhaarige und sieht der Truppe hinterher. Es dauert vielleicht noch eine halbe Stunde mit dem jetzigen Tempo, bis wir die Mauer Rose erreichen.

Er hat es tatsächlich nicht gesagt, ziemlich ungewöhnlich für Erwin. Ich seufze.

"Sag mal, das Mauertor wird für die Geflüchteten nicht geöffnet oder?", frage ich, obwohl ich die Antwort schon kenne. "Pff, nein natürlich nicht. Diese arroganten und reichen Schnösel nehmen doch keine Unter- oder Mittelschichten auf. Sie lassen sie lieber verrecken, damit deren eigenes Wohl nicht vernachlässigt wird.", bestätigt sie mir meine Gedanken.
Ich nicke lediglich.

"Ich denke, wir sollten nu-"

Lia beginnt zu husten und hält sich die Hand vor den Mund. Sie dreht sich um und spuckt.

"Ja, wir können los.", gibt sie mit einem Lächeln von sich, woraufhin ich wieder nicke.
Sie lächelt nur um abzulenken.

Ich bin nicht dumm, ich weiß, dass sie Blut gespuckt hat.

reflection / Levi x ocWo Geschichten leben. Entdecke jetzt