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Lias p.o.v.

Mit einem Ruck, der mich aus der Leere holt, reiße ich meine Augen auf. Ich spüre unglaubliche Schmerzen in meinem ganzen Körper. Ich kneife meine Augen wieder zusammen und gewöhne mich an das grelle Licht.

Ich kann tatsächlich mein Zimmer ausmachen. Ich blicke verwirrt nach rechts und ziehe meine Decke etwas höher.
Ich erblicke Hanji auf einem Stuhl, die gerade zu sich kommt. Sie scheint geschlafen zu haben, allerdings sind all ihre Kleider dreckig und sie sieht wirklich erschöpft aus.

"...Hanji?", frage ich mit einer leisen, kratzigen Stimme. Sie sieht mich erleichtert an und setzt sich schnell richtig hin. "Gott sei Dank, du bist wach!", sagt sie lächelnd und streicht mir durch meine braunen Haare.

"Warum bist du so dreckig?", frage ich verwirrt.
"Du... Du weißt nicht mehr was passiert ist?", fragt die Braunhaarige ruhig, dennoch aufgebracht.
Nein... verdammt!

"Das letzte was ich weiß ist, dass ich Kräuter für dich sammeln war, weil...", ich mache einen nachdenklichen Gesichtsausdruck, weil ich kurz überlegen muss weshalb.
"...weil ihr... auf einer Expedition wart!"

"Du weißt also nicht, weshalb du hier liegst?", werde ich nochmal eine ähnliche Frage gefragt.
Ich überlege ein weiteres Mal und sehe an meinem Körper unter der Decke herab. Alles ist voll mit Verbänden und blauen Flecken. Das einzige was ich trage, ist meine Unterwäsche.
Oh mein Gott...

"Hanji, was ist mit meinem Baby?!", frage ich sofort, von dem Fakt abgesehen, dass ich wahrscheinlich einige Erinnerungen verloren habe. Sie atmet einmal ein und aus.

"Das kann ich dir nicht sagen. Du hattest innere Blutungen, aber in den letzten zwei Tagen, sind diese nicht wieder aufgetreten."

Ich war zwei Tage lang bewusstlos?
Verdammt, ich bin so egoistisch.

"A-...Verstehe... Hanji, bitte erzähl mir alles was passiert ist, auch wenn ich mich nicht daran erinnern kann."

"Natürlich, du verdienst es zu wissen."

Die Dinge, die Hanji mir erzählt, schockieren mich wirklich sehr. Das Einstoßen der Mauer, die Titaneninvasion, mein dummes Handeln, die verletzenden Worte meines Vaters, die Hilfe von Hanji und Levi, mein weiteres Handeln, das Handeln der anderen, meine Niederlage und abschließend Armins Plan durch Erens Erscheinen -weil er meinem Vater entkommen ist- und sein Erfolg, der alle rettete.

Das war... viel.

Meine Hand legt sich auf meinen Mund, ich starre geschockt drein. Eine gewisse Überforderung trifft mich. Am meisten wohl, dass ich mich an nichts dergleichen erinnern kann. Ich schlucke einen Klumpen in meinem Hals herunter und kämpfe mit den Tränen.

"Hey, es wird alles wieder in Ordnung, ich bin mir sicher, es gab viele Missverständnisse.", versucht die Brillenträgerin mich zu beruhigen und nimmt meine andere Hand in ihre. Ihr Daumen streichelt auf und ab über meinen Handrücken.
Pff, ich bin kein Kleinkind.

"Hanji. Wo sind die anderen jetzt?", frage ich ziemlich gefühllos, da ich nicht weiß, welche Emotion gerade angemessen wäre.

"Sie sind alle hier im Hauptquartier. Heute morgen wurde eine Trauerfeier für die Toten veranstaltet.", bekomme ich als Antwort. Ein leiser Seufzer folgt darauf.

"Ich will zu Levi.", sage ich stur und will mich aufsetzen. Bevor ich dies allerdings tun kann, werde ich wieder in mein Federkissen gedrückt.
"Du musst dich ausruhen und ersteinmal etwas essen. Danach kann ich Levi zu dir schicken."

Hanji steht auf, woraufhin ich ein Stöhnen von mir gebe. Normalerweise würde mein Vater nach mir sehen, doch seine Worte hatten wohl eine ernstgemeinte Bedeutung.

"Hanji.", sage ich kurz bevor sie mein Zimmer verlässt. "Danke, dass du immer für mich da warst."

"Du bist mir eine...", murmelt sie zu sich, bevor sie schließlich endgültig aus dem Zimmer verschwindet.

Ich fahre mit meinen Hände behutsam über meinen Bauch und lege meinen Kopf in den Nacken. Mein Blick liegt wiedermal auf meiner Zimmerdecke.

Verdammt, ich habe wirklich Hunger...
Ich hab schließlich seit zwei Tagen nichts gegessen.

Ich verweile ein paar Minuten so, bis die Tür plötzlich aufgeht. Das Erscheinen von Levi lässt meine Augen groß werden. Er hat ein Tablet mit Essen darauf in seinen Händen.

"...Levi.", kommt aus mir und ich spüre, dass sich Tränen in meinem Auge angesammelt haben.
"Scheiße bin ich froh, dass du wach bist.", sagt er schließlich und stellt das Tablet auf meinen Schreibtisch. Er kommt danach direkt auf mich zu und beugt sich herunter um mir einen langen, gefühlvollen Kuss auf die Lippen zu geben. Seine rechte Hand verweilt dabei auf meiner Wange.
Ich lächele drein und es läuft eine Träne meine Wange herab.

"Wie geht es dir?", fragt er leicht lächelnd und setzt sich auf den Stuhl, auf dem Hanji noch eben saß. Meine Hand liegt dabei in seiner.

"Mal davon ab, dass mir alles wehtut... weiß ich nicht wirklich wie ich meine Lage einschätzen sollte.", gebe ich als Antwort und lächele ebenfalls leicht, dennoch traurig. Er nimmt seine freie Hand und und wischt mir meine Träne weg.

"Erwin ist seit den letzten zwei Tagen kaum ansprechbar. Tch, nicht dass ich vorhatte mit diesem Arschloch zu reden.", sagt Levi etwas kälter die Wahrheit, wobei ich den weißen Verband um seiner Hand bemerke.

War diese Situation so beeinflussend?!

"Pff, ich muss mich verdammt nochmal daran erinnern können! Es kann doch nicht alles weg sein!", sage ich etwas verzweifelt und sehe dabei wieder an die Decke.

"Hanji hat mir erzählt, dass du dich nicht erinnern kannst. Wenn ich ehrlich bin, ist es vielleicht auch gut, wenn deine Erinnerungen niemals zurückkehren. Ich will nicht, dass dich so ein seelischer Schmerz nochmal durchfließt.", sagt Levi und hat höchstwahrscheinlich wieder meinen Vater im Kopf.

"War er... wenigstens heute bei der Trauerfeier dabei?", frage ich leise, wobei ich von Levi wegsehe. Ein paar Tränen fließen meine Wangen herab. Ich kann und will mir nicht vorstellen, dass Papa so etwas Scheußliches getan hat. Nicht nur die Worte zu mir, sondern auch, dass er alle im Stich gelassen hat.

"Das war er. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass er weiß, was er getan hat.", gibt er von sich und nimmt das Tablett von hinter sich hervor.

"Jetzt musst du aber etwas essen.", sagt der Schwarzhaarige und stellt mir das Tablett auf meinen Schoß. Ich drücke mich langsam mit seiner Hilfe hoch, so dass ich fast sitze.

"Sag mal, willst du nicht mitessen? Ich meine, ich hab seit zwei Tagen nichts gegessen, aber so viel krieg ich an einem ganzen Tag ja nicht runter.", sage ich und schaue das viele Essen an.

"Nein, ich habe ich schon gegessen. Und denk dran, du musst für eine Person mehr denken.", antwortet er mir und legt behutsam eine Hand auf meinen Bauch. Diese Situation ist ein wenig komisch, schließlich wissen wir beide nicht, wie man sich in solch einer Lage verhalten sollte.

Ich lächle einfach und lege meine Hände auf seine Hand. Danach fange ich an zu essen.

Ich beiße ein paar mal von einem Brot ab und seufze schließlich, als mein Blick wieder auf Levis Hand gleitet.

"Du hast dich ja auch verletzt. Was ist passiert?", frage ich aus Neugier und sehe in sein neutrales Gesicht.
"Nur verstaucht, nicht der Rede wert. Vierauge bestand auf einen Verband, als sie sah wie meine Hand umgeknickt ist. Wie auch immer so etwas möglich sein sollte."

"Es freut mich, wenn dir nichts Schlimmeres wiederfahren ist.", lächele ich leicht und trinke einen Schluck Tee.
"Tch, 'nichts Schlimmeres wiederfahren'...", murmelt er zu sich selbst.

"Oh, ist etwas Schlimmeres passiert?!", frage ich nach. "Natürlich! Ich hätte dich und mein Kind fast verloren, verdammt! Das war ein höllischer Schmerz!", kommt ernst von ihm und ich sehe einen Hauch von Reue in seinen Augen, den ich noch nie zuvor bei ihm sah.

Mein Vater hatte ihm damals einen Weg gezeigt, der mit Reue nicht funktionieren würde. Es berührt mich stark, dass er so anders bei mir ist.

"Ich...", hauche ich. "Womit habe ich dich nur verdient?"

reflection / Levi x ocWo Geschichten leben. Entdecke jetzt