Harper's story

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H A R P E R

"Ich weiß nicht, ob du dich überhaupt noch richtig an Oliver erinnern kannst."

Theo nickte.
"Dunkel, aber ja. Ihr ward zusammen, richtig?"

"Ja, das waren wir. Und ich war sehr glücklich mit ihm, ich hab ihn geliebt. Dann begann es mir irgendwann immer schlechter zu gehen, erinnerst du dich? Mir war oft schwindelig und schlecht, ich wollte nicht mehr mit dir spielen, sondern mich nur noch dauernd hinlegen und schlafen."

Wieder nickte mein Bruder.
"Das war kurz bevor du gegangen bist."

"Stimmt. Ich war deswegen beim Arzt und habe erfahren, dass ich schanger bin. Nachdem ich es Oliver gesagt habe, hat er all meine Nachrichten und Anrufe ignoriert und mir über seine Eltern ausrichten lassen, dass er die Beziehung beenden will. Und Mum und Dad waren fuchsteufelswild und haben von mir verlangt das Baby wegzugeben.
Aber das konnte ich nicht.
Als ich beim Arzt zum ersten Mal den Ultraschall gesehen und den Herzschlag gehört habe, wusste ich, dass ich dieses Kind niemals weggeben könnte. Unsere Eltern waren damit nicht einverstanden, weil es Schande über unsere Familie gebracht hätte und deshalb haben sie mich rausgeschmissen."

Ungläubig starrte Theo mich an.
"Das kann ich nicht glauben, so sind die beiden nicht."

Mit einem beinahe ironischen Hochziehen der Augenbrauen erwiderte ich seinen Blick.
"Wirklich nicht? Hast du in den letzten Jahren nicht schonmal Mist gebaut und sie waren sauer auf dich, weil es dem guten Ruf der Familie schaden könnte? Du hast genauso wie ich erlebt, wie wichtig ihnen Ansehen und Prestige sind, leugne es nicht.
Die Bedienung nennt dich Theodore, also erlauben Mum und Dad noch nichtmal, dass dein Name abgekürzt wird. Sie haben es schon vor 17 Jahren gehasst, als ich es zum ersten Mal zu dir gesagt habe."

Theo schwieg und ich nahm es als Zustimmung. Also fuhr ich fort.
"Grandpa Benjamin hat mich bei sich aufgenommen. Mum und Dad fanden das falsch, aber das war ihm egal. Er hat mich bei sich wohnen lassen, sich um mich gekümmert und sich wahnsinnig auf seinen Urenkel gefreut.
Drei Wochen vor der Geburt ist Grandpa gestorben und Mum und Dad haben mir verboten an der Beerdigung teilzunehmen.
Ich geb's zu, in diesem Moment habe ich sie abgrundtief gehasst.
Grandpa war der Einzige, auf den ich mich verlassen konnte, ich hatte niemanden außer ihm. Er hat mir alles vererbt, was er noch hatte, aber er hat gerne gelebt, deshalb war es nicht sehr viel.
Nachdem mein Sohn geboren war, wurde das Geld schnell knapp und ich hab mich von da an jahrelang mit mehreren Jobs gleichzeitig über Wasser gehalten. Mein Studium konnte ich natürlich auch nicht fortsetzen, dafür hatte ich weder Geld noch Zeit.
Irgendwann hab ich eine Ausbildung zur Sekretärin gemacht, mit einer Spezialisierung auf Finanzmanagement. So konnte ich endlich einen besseren Job finden, aber leider wurde mir dort vor kurzem gekündigt.
Jetzt bin ich auf der Suche nach etwas neuem und dabei hab ich im Internet die Firma gefunden, die dir das Stipendium gibt. Auf ihrer Website gab es einen Artikel über dich und ich... ich wusste, dass ich dich finden muss, um nicht noch mehr von deinem Leben zu verpassen."

Ich verfiel in Schweigen und musste nach diesem Monolog erstmal durchatmen, dann nahm ich einen Schluck von meinem Tee, den Jane in der Zwischenzeit gebracht hatte. Auch Theo schwieg, dann biss er sich nachdenklich auf die Lippe.

"Wieso sollte ich dir glauben?"

"Wieso sollte ich lügen?", entgegnete ich voller Ernsthaftigkeit und entlockte meinem Bruder das kurze Aufblitzen eines Grinsens.

"Touché. Du hast von deinem Sohn gesprochen, er ist jetzt... sieben? acht?"

"Sieben. Er heißt Elliott und ist die schönste Überraschung, die das Leben für mich parat hatte. Warte, ich kann dir auch ein paar Fotos zeigen."

Schnell zog ich mein Handy aus meiner Hosentasche und öffnete die Galerie, die praktisch nur aus Fotos von Elliott, Daniel und mir bestand. Theo schaute sie sich an und begann zu lächeln und mit jedem weiteren Bild wurde dieses Lächeln breiter.

"Er sieht dir sehr ähnlich."

"Ja, zum Glück. Am Anfang hatte ich Angst, dass er aussehen könnte wie Oliver und das wollte ich auf keinen Fall. Er heißt übrigens Elliott Benjamin Theodore mit ganzem Namen. Es war mir wichtig ihn nach den Männern zu benennen, die mir im Leben am wichtigsten waren."

"Nicht Logan, so wie Dad?"

"Warum sollte ich mein Kind nach dem Mann benennen, der mich schwanger auf die Straße gesetzt hat?", entgegnete ich und Theo nickte verständnisvoll.

"Was ist mit deinem Freund, diesem Daniel?"

Automatisch begann ich zu lächeln.
"Er macht mich zu einem besseren Menschen.
Weißt du, ich hatte keine so leichte Zeit in den letzten acht Jahren und irgendwie hab ich dabei verlernt zu lächeln. Bei Elliott konnte ich es noch, aber bei allen anderen fiel es mir schwer und ich dachte, ich könnte niemandem vertrauen, weil ich alle verliere, die mir wichtig sind. Aber Daniel war das egal.
Er hat mich wieder zum Lächeln gebracht, ohne dass ich es wirklich gemerkt habe und er hat mir immer wieder gezeigt, dass er mich nicht verlassen wird und es okay ist, wenn ich ihm vertraue und ihn an mich heranlasse.
In gewisser Weise hat er mir mein Leben zurückgegeben und mein altes Ich."

Jetzt erwiderte Theo mein Lächeln.
"Du klingst so glücklich, wenn du von ihm und Elliott sprichst. Bist du glücklich?"

"Wenn ich an die beiden denke, ja. Aber ich bin im Moment arbeitslos und... und vor kurzem hatte ich eine Fehlgeburt und habe Daniels und meine Tochter verloren. Davon erhole ich mich noch und es macht mich traurig. Aber so ist das Leben, es gibt gute und schlechte Zeiten und sie koexistieren."

Wir verfielen wieder in Schweigen und ich aß einen Teil meines Blaubeermuffins, während Theo nachdenklich einen Schluck Cappuccino trank und dann plötzlich nickte.

"Ich glaube dir. Und ich denke ich kann nachvollziehen, wieso du dich die letzten acht Jahre nicht gemeldet hast. Du musst mir nur noch etwas Zeit geben, um dir zu verzeihen, denn ich hätte dich manchmal wirklich gebraucht und ich war lange sehr sauer und enttäuscht deinetwegen."

Verständnisvoll und erleichtert zugleich sah ich ihn an und nickte.
"Das ist doch klar und ich erwarte auch nicht, dass du mir schnell verzeihst. Es tut mir sehr Leid, dass ich keine gute große Schwester war und dich im Stich gelassen habe. Wenn du mir die Chance gibst, würde ich es in Zukunft gerne besser machen."

Sanft lächelte ich ihn an und er erwiderte: "Das wäre schön, ja. Ich hab dich nämlich wirklich vermisst, Harper."

"Ich hab dich auch vermisst. Aber ich lasse mich nicht wieder von dir fernhalten, nie wieder."

Melt My Ice, Sunnyboy (Daniel Ricciardo FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt