acting like the ice queen

822 56 20
                                    

H A R P E R

"Und dann hat Kyle gesagt, dass Mrs. Pierce bestimmt selbst gar nicht weiß, was das heißt. Aber sie hat das gehört und dann hat sie ihm gesagt, was es heißt und er wusste nicht, was er antworten soll und war ganz still wie ein Fisch", erzählte Elliott lachend und ich gab mein Bestes, um amüsiert auszusehen.

Fragend sah ich meinen Sohn an.
"Und was lernen wir daraus? Dass man sich nicht über das Wissen der Lehrer lustig macht und das nach hinten losgehen kann."

Elliott nickte und ich stupste ihn leicht gegen die Nase, was ihn zum glucksen brachte, dann mischte Daniel sich in unser Gespräch mit ein.

"Die Besuchszeit ist gleich vorbei, dann wird die Schwester uns wieder rausschmeißen", stellte er fest und biss sich auf die Lippe, woraufhin ich verständnisvoll nickte.

"Den Ärger der Schwester möchte wirklich niemand auf sich ziehen, also solltet ihr euch jetzt besser auf den Heimweg machen. Außerdem hast du noch Hausaufgaben, oder Krümel?"

"Ja, aber Daniel hat erlaubt, dass wir vorher zu dir fahren", antwortete er widerwillig.

"Das war sehr nett von Daniel, aber die Hausaufgaben müssen trotzdem gemacht werden", sagte ich mit strenger Stimme, die keinen Widerspruch zuließ, dann tippte ich mir auf die Wange.

"Na los, gib mir noch einen Abschiedskuss."

Er tat, was ich ihm sagte, dann sprang er von meinem Bett und Daniel bat ihn, kurz draußen auf dem Gang auf ihn zu warten. Sobald mein Sohn die Tür hinter sich geschlossen hatte, wurden die Augen des Australiers von einem traurigen Schimmer überzogen, den er bisher zu verstecken versucht hatte.

"Wir konnten noch nicht wirklich miteinander reden", murmelte er und ich sah ihn emotionslos an.

"Ich wüsste nicht worüber."

Daniels Miene verzog sich verständnislos und es dauerte einen Moment, bevor er wieder Worte fand.
"Du weißt nicht worüber?
Dass du mir gerade eiskalt ins Gesicht gelogen hast, ist dir klar, oder?
Mir geht's beschissen, dir geht's beschissen, wir haben unsere Tochter verloren und darüber möchtest du nicht reden?"

Seine Stimme war mit jedem Wort lauter geworden und ich zuckte zusammen, als er mich beinahe anschrie. Er bemerkte es, ließ die Schultern sinken und seufzte tief.

"Tut mir Leid, ich wollte dich nicht so anfahren. Aber wir müssen darüber reden, was passiert ist. Wir trauern doch beide um sie."

"Ich trauere nicht", widersprach ich so ruhig wie möglich, "Fehlgeburten passieren, dagegen kann man nichts tun. Ich habe immer noch ein Kind, das lebt und mich braucht und um das ich mich kümmern muss."

Fassungslos starrte Daniel mich an, dann schüttelte er entschieden den Kopf.
"Du lügst schon wieder. Du machst einen auf Eiskönigin und tust so, als würde dir das alles nicht nah gehen, aber ich kenne dich mittlerweile viel zu gut, um dir das abzukaufen.
Du bist verletzt, genauso wie ich.
Du trauerst, genauso wie ich.
Du bist wütend auf die Welt, genauso wie ich.
Du fragst dich, was du hättest anders machen können, genauso wie ich.
Und ich glaube dir nicht eine Sekunde lang, dass du unsere Tochter schon abgehakt hast, denn das hast du ganz sicher nicht. Also warum bist du nicht endlich ehrlich zu mir und gibst zu, dass es dir auch beschissen geht?"

Ich spürte wie meine Augen zu zwicken begannen, als ob ich gleich weinen müsste, aber ich unterdrückte es gekonnt.

"Natürlich geht es mir beschissen. Ich hab Schmerzen und kann mich kaum bewegen, meine Stimmung ist im Tief, weil die Schwangerschaftshormone nachlassen. Ich bin also genug damit beschäftigt, mich um mich selbst zu kümmern. Da kann ich nicht auch noch einen jammernden Freund gebrauchen, der ständig mit mir über alles reden will.
Je schneller wir die ganze Sache vergessen können und zur Normalität zurückkehren, umso schneller wird alles wieder wie vorher."

Daniel schloss kurz die Augen und fuhr sich erschöpft durchs Haare, dann schluckte er hart und sah mich müde an.
"Die ganze Sache? Nenn es beim Namen Harper, wir haben unsere Tochter verloren!"

"Hör auf mich anzuschreien!", entgegnete ich ebenso laut und spürte, wie mein Herzschlag sich beschleunigte, "Warum kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?
Fahr mit Elliott nach Hause, rede meinetwegen pausenlos mit Max, wenn dir das hilft, aber lass mich in Gottes Namen endlich in Frieden, Daniel!"

Sprachlos starrte der Australier mich an, dann nickte er langsam und sein Blick klärte sich.
"Wie du meinst."

Er lief einige Schritte rückwärts, dann drehte er sich ruckartig um, riss die Tür auf und verließ den Raum. Kaum war die Tür ins Schloss geknallt, krallte ich meine Hände in die Bettdecke und stöhnte schmerzerfüllt auf.
Ich hasste das!

Ich hasste dieses Bett, an das ich gefesselt war, ich hasste die Schmerzen, die mir bei jeder noch so kleinen Bewegung durch sämtliche Glieder fuhren, ich hasste es mich mit Daniel zu streiten und ich hasste diese gähnende, allumfassende Leere.
Die Leere in meinem Bauch, weil dort kein Baby mehr war.
Die Leere in meinem Herzen, weil es sich anfühlte, als ob es mir jemand bei lebendigem Leibe rausgerissen hätte.
Die Leere in meinem Leben, weil ich schon wieder verlassen worden war.

Schon wieder hatte mich jemand, den ich geliebt hatte verlassen, und zurück blieb nur diese verschlingende Einsamkeit, die sich in jeder einzelnen Zelle meines Körpers ausgebreitet hatte und mir die Luft zum Atmen raubte.

Ich musste an Daniels Worte denken.
Du bist wütend auf die Welt, du fragst dich, was du hättest anders machen können.
Wie Recht er hatte.

Wenn ich mich bei der Arbeit mehr zurückgehalten hätte, wäre ich dann noch schwanger?
Wenn ich mich dem Stress entzogen und doch einige Tage Urlaub genommen hätte, würden wir dann jetzt über Namen für unsere Tochter diskutieren?
Wenn ich mich früher ausgeruht hätte, könnte ich mich dann jetzt darauf freuen bald die ersten Tritte der Kleinen zu spüren?

Ich wusste es nicht. Und diese Ungewissheit, diese Ohnmacht, nicht zu wissen, ob es wirklich meine Schuld war, dass ich das Baby verloren hatte, machte mich rasend. Sie raubte mir den Verstand und ließ mir keine Ruhe, schoss immer wieder wie Blitze durch meine Gedanken und erinnerte mich auf schmerzliche Weise an das verlorene unschuldige Leben, das noch vor wenigen Tagen in mir herangewachsen war.

Also ja, ich war wütend, und ja, ich fragte mich, was ich hätte anders machen können und müssen. Aber all diese Gedanken und Gefühle, all das Chaos in meinem Inneren, musste dort drinnen bleiben.
Denn wenn ich es an die Oberfläche kommen ließ und dem Ganzen in Form von Tränen ein Ventil gab, wusste ich nicht, ob ich wieder aufhören können würde.

Und das konnte ich mir nicht erlauben.
Also behielt ich sie bei mir, die Wut, die Verzweiflung, die Angst und all diese anderen Gefühle, die meinen Körper durchfluteten und beinahe zum Zerbersten brachten, genauso wie ich es gemacht hatte bevor ich Daniel kennenlernte.
Vor ihm hatte ich mich im Griff, ließ den Emotionen keine Chance die Überhand über meinen Verstand zu erlangen.
Aber er hatte mich verändert.

Daniel hatte die Mauern, die ich zum Schutz um mein Herz herum errichtet hatte, zum einstürzen gebracht und mir damit jegliche Deckung genommen, um diesen Angriff zu überstehen. Ich stand in den Trümmern meiner Festung, klein, verletzlich und hilflos.
War das Daniels Schuld, weil er mich weich gemacht hatte?
Oder war es meine Schuld, weil ich es zugelassen hatte?

Ich wusste es nicht.
Ich wusste nur, dass das Leben kein Nullsummenspiel war. Es schuldete einem nichts und die Dinge passierten, wie sie eben passierten. Manchmal gerecht, sodass alles einen Sinn ergab, und manchmal so ungerecht, dass man an allem zweifelte.

Seit dem Moment, in dem ich von der OP aufgewacht war, wusste ich, dass wenn ich dem Schicksal die Maske vom Gesicht ziehen, ich darunter nur den Zufall finden würde. Es war Zufall, dass ich eine Fehlgeburt gehabt hatte, eine Spielerei der Natur, für die ich den Preis zahlen musste.

Melt My Ice, Sunnyboy (Daniel Ricciardo FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt