hurtful truth

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H A R P E R

Michelles Worte bei dem Familienausflug hatten mich die ganze Nacht nicht losgelassen, weil sie mir eine völlig neue Sichtweise präsentiert hatte, die ich zuvor überhaupt nicht sehen konnte.
Stundenlang hatte ich Daniel im schwachen Licht des Mondes, das durch das Fenster ins Schlafzimmer schien beobachtet und pure Dankbarkeit verspürt, weil ich ihn kennen und lieben gelernt hatte.

Schon oft hatte ich so neben ihm gelegen oder gesessen und ihn einfach nur angesehen, mich gefragt wie mein Leben wohl gerade aussehen würde, wenn ich ihn nicht kennengelernt hätte.
In dieser Nacht fragte ich mich zum ersten Mal, wie sein Leben wohl gerade aussehen würde, wenn er mich nicht getroffen hätten.

Erst nach einer ganzen Weile hatte ich Schlaf finden können und war am nächsten Morgen dementsprechend gerädert. Nach dem Frühstück übten Theo und Jeff wieder das Skaten, Michelle ging mit ihrer Mutter spazieren, Joe spielte mit den Kindern und Daniel machte sich mit seinem Trainer Michael erneut auf den Weg zu einem anderen Gebäude auf der Farm, neben dem sie immer trainierten.

So kam es, dass ich plötzlich völlig allein im Haus war und gar nicht wirklich wusste, was ich mit dieser freien Zeit jetzt anfangen sollte. Eine Weile lief ich einfach nur herum, schaute mir die Bilder an den Wänden und die Bücher in den Regalen an, dann ruhte ich mich etwas aus, las ein paar Kapitel in meinem Krimi und beschloss irgendwann, Daniel ein wenig beim Training zu beobachten.

Motiviert schlüpfte ich in meine Schuhe und verließ das Haus, dann versuchte ich den Weg zu finden, den mein Freund mir irgendwann in den letzten Tagen mal beschrieben hatte. Es dauerte zwar eine Weile, aber dann erreichte ich endlich mein Ziel und ließ mich im Schatten versteckt auf den Boden sinken.

Es war beeindruckend zu sehen, zu welchen körperlichen Leistungen Daniel fähig war, doch nach einer knappen Viertelstunde konnte ich sehen, wie seine Arme zu zittern begannen und er schließlich erschöpft die Übung abbrechen musste, um sich keuchend mit den Händen auf den Knien abzustützen.
Ich konnte hören, dass Michael irgendwas zu ihm sagte, war aber zu weit entfernt, um es genau zu verstehen, weshalb ich mich unauffällig näher heranschlich.

"Du hast nicht gesagt, dass es immer noch passiert."

Daniel ließ den Blickkontakt der beiden abbrechen und sah zu Boden.
"Ich weiß nicht, was du meinst."

"Oh doch, das weißt du ganz genau. Das Zittern, du hast es immer noch. Obwohl du mir gesagt hast, es wäre weg, seit der Saison-Stress vorbei ist."

Michael klang wirklich angefressen und ich konnte es ihm nicht verdenken. Offensichtlich hatte Daniel ihn angelogen und ich spürte, wie sich mein Herzschlag vor Sorge um meinen Freund beschleunigte.
Was hatte es mit diesem Zittern auf sich und wieso wusste ich nichts davon, wenn es ja anscheinend schon öfter aufgetreten war?

Michael seufzte tief und kniete sich dann vor meinen Freund, der mittlerweile in die Hocke gegangen war und starr zu Boden sah.

"Dan, du kannst die Signale deines Körpers nicht einfach ignorieren, das weißt du. Diese Saison hat dich über dein Limit hinausgebracht und nochmal wirst du das nicht schaffen. Die ganze Unkonzentriertheit, der Schlafmangel, der zusätzliche private Stress, darunter hat deine Leistung enorm gelitten und das wird sie auch weiterhin tun, wenn du nicht irgendetwas änderst."

Jetzt hob Daniel doch den Blick und der verzweifelte Ausdruck seiner Augen jagte mir einen Schauer den Rücken hinunter.

"Was soll ich denn deiner Meinung nach bitte ändern?
Meine Karriere beenden?
Mich von Harper trennen?
Beides ist keine Option für mich und das weißt du ganz genau.
Natürlich war es ein hartes Jahr. Ich musste mich an das neue Team und das neue Auto gewöhnen, dann bin ich mit Harper zusammengekommen und es sind eine Menge Dinge passiert, die mich von Zeit zu Zeit aus der Bahn gebracht haben.
Aber so oft ich auch wegen Harper unkonzentriert war oder schlecht geschlafen hab oder mein Training vernachlässigt hab, um bei ihr und Elliott zu sein, ich würde es jederzeit wieder so machen und nächstes Jahr werde ich es auch wieder so machen."

Bestürzt riss ich die Augen auf und spürte, wie sich das schlechte Gewissen in mir breit machte. Natürlich hatte ich mich ab und zu gefragt, ob er gerade wirklich Zeit für Elliott und mich hatte oder ob er nicht eher hätte Trainieren oder anderweitig arbeiten sollen.

Aber dass es so extrem gewesen war, dass Michael es in dieser Art und Weise zur Sprache brachte, versetzte mir einen Stich in der Brust und ich begann mir beinahe zu wünschen, ich wäre den beiden nicht gefolgt und würde dieses Gespräch nicht mitbekommen.
Doch das schien noch nicht alles gewesen zu sein, wie mir bei Michaels nächsten Worten bewusst wurde.

"Du bist nicht Superman, das kannst du nicht schaffen. Allein schon das exzessive Fliegen kann so nicht weitergehen, du kannst nicht zwischen jedem Rennen nach England reisen so wie zuletzt. Das bringt dich aus dem Rhythmus, das haben wir in den letzten Monaten ja nur zu gut gesehen.
Ich weiß, dass Harper dich glücklich macht und natürlich will ich nicht, dass du dich von ihr trennst. Aber du musst irgendeinen anderen Kompromiss fürs nächste Jahr finden, wenigstens was das viele Reisen und dein Training angeht. Das sag ich dir sowohl als Trainer, als auch als Freund.
Ich will nicht, dass du dich zu sehr aufreibst, dein Limit überschreitest und zusammenbrichst. Sowas wie in Belgien will ich nie wieder erleben."

In Belgien?
Was meinte Michael damit?
Was war in Spa passiert, wovon Daniel mir nichts erzählt hatte?
Und überhaupt, von all den Dingen, die ich gerade gehört hatte, hatte ich keine Ahnung gehabt. Daniel hatte nicht ein einziges Mal erwähnt, dass er unseretwegen weniger Zeit zum Trainieren hatte oder unkonzentrierter bei der Arbeit gewesen war.

Ich spürte, wie mein Herz in meiner Brust etwas wilder zu pochen begann, weil ich mir Sorgen um ihn machte. Wenn er unkonzentriert fuhr, war er anfälliger für Fehler und Fehler konnten in der Formel 1 nur zu leicht über Leben und Tod entscheiden.

Eins stand fest, ich würde Daniel auf das ansprechen, was ich gerade gehört hatte. Ich hatte zwar keinen blassen Schimmer, wie eine Lösung für das alles aussehen sollte, aber so konnte es definitiv nicht weitergehen.

Ich beschloss, dass ich genug gehört hatte und trat unauffällig den Rückzug an. Während ich zum Haus zurücklief, spürte ich die Tränen in meinen Augen brennen und mein Herz ächzte.
Ich liebte Daniel, ich liebte ihn so sehr.
Und ich wusste, dass er mich genauso liebte und wie wichtig ihm Elliott war. Es hätte mich nicht gewundert, wenn mein Sohn meinen Freund bald mit Dad angesprochen hätte und dieser Gedanke machte mich unheimlich glücklich.

Aber das Gespräch, das ich mitangehört hatte, hatte mir deutlich gemacht, dass wir uns nicht immer gegenseitig gut taten. Und nach allem, was Daniel für meinen Sohn und mich getan hatte, wurde es jetzt vielleicht Zeit, dass wir ihm das zurückgaben.

Melt My Ice, Sunnyboy (Daniel Ricciardo FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt