Josuan der Traumseher - Kapitel 1.2

55 11 14
                                    

Die allerersten Sonnenstrahlen tauchten in diesem Moment über dem Horizont auf und die kühle Morgenluft weckte die Lebensgeister von Reiter und Pferd

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.

Die allerersten Sonnenstrahlen tauchten in diesem Moment über dem Horizont auf und die kühle Morgenluft weckte die Lebensgeister von Reiter und Pferd. Die Stunden flogen nur so dahin.

Schließlich begegneten ihnen an einer Weggabelung sechs unterschiedliche Gestalten, die eindeutig nach Bergarbeitern aussahen. Drei kleinere, kräftige Zwerge, ein Riesenmensch und zwei Nasiks, welche den Menschen äußerlich ähnlich sahen, nur dass sie eben blau waren. Sie alle trugen Kleidung, die man unter Tage benutzte. Sie grüßten freundlich und Josuan kam mit ihnen ins Gespräch. Er stieg von Troll und schlenderte zusammen mit der Gruppe bis zum nächsten Dorf. Einer der Nasiks erzählte, dass sie von ihrer Arbeit in den nahen Bergwerken von Bosnos unterwegs in ihre Heimatstadt Talunas waren, um ihren ersten freien Tag seit Wochen mit ihren Familien zu verbringen. Ihr zu Hause war einmal ein winziges verschlafenes Küstenstädtchen gewesen, das früher nur von den Minen gelebt hatte. Vor ein paar Jahren waren aber die Fischbestände im See bei der Hauptstadt Fengo so zurückgegangen, dass viele kleinere Hafenstädte die gesamte Küste entlang davon profitierten. Talun hatte inzwischen einen großen Fischereihafen und immer mehr Menschen kamen, um hier zu leben.

Fengo lag in der Mitte des salzigen Fengosees und war eine der schönsten Wasserstädte, die Josuan kannte. Allerdings hielt er sich nicht gerne außerhalb seines Heimatdorfes auf und vermied jede überflüssige Reise.

Der See teilte die Insel und die Stadt war als Verbindung zwischen Nord- und Südfagadasien angelegt worden. Viele nannten die Hauptstadt auch Pupille, weil der See wie ein Auge geformt war. An den jeweiligen zwei schmalen Enden trennten riesige, kaum zu überquerende, zerklüftete Felsen den See vom Ozean Gato. Jeder noch so kleine Sturm spülte die Wellen in den See und Josuan fragte sich, warum die Leute das Gewässer See nannten. Für ihn war es ein und dasselbe.

Der Burgherr genoss die Gesellschaft der sechs Bergleute. Er beobachtete sie und ihr harmloses Geplänkel. Der eine Nasik prahlte: „Bald habe ich genug Geld zusammen, damit ich mir ein eigenes Boot leisten kann! Dann werde ich auch Fischer und kann bei meiner Familie bleiben." Josuan grinste ihm zustimmend zu, aber die Zwerge feixten nur und einer rief: „Ja genau und versäufst wie alle Fischer dein Geld in der Taverne." Ein anderer Kumpel ergänzte: „Deine Familie hat am Ende weniger davon als jetzt! Und wer weiß schon, wie lange der Fischfang im Fengosee noch so schlecht läuft. Vielleicht findet man ja irgendwann die Ursache dafür." Alle lachten und der Nasik grummelte unverständliche Worte. Der Mensch rief: „Ich habe gehört, dass ein Seeungeheuer den ganzen Fisch frisst." Josuan schmunzelte und provozierte: „Ach was, ein Seeungeheuer, sagst du. Es ist ein erstes Zeichen dafür, dass bald der ganze See austrocknet!" Das hatte er tatsächlich aufgeschnappt, aber er glaubte nicht daran und machte sich nur einen Spaß daraus die anderen zu erschrecken. Er lachte herzlich und spekulierte gut gelaunt: „Nein, nein. Meine Freunde, ich glaube es gibt eine ganz simple Erklärung, nur kennen wir sie nicht. In solchen Fällen entstehen die absurdesten Geschichten. Glaubt nicht alles, was die Leute erzählen. Also, ich wünsche euch noch eine gute Reise. Hier trennen sich unsere Wege. Alles Gute!" Damit schwang er sich zurück auf Troll und überließ die Sechs sich selbst.

Gegen Mittag betrat er den großen Hof Lakonade – sein Zuhause. Josuan sprang gewandt vom Pferd und sah sich glücklich um. Er liebte diesen Ort und versuchte, nicht so oft zu reisen, was leider immer seltener gelang.

Überall standen landwirtschaftliche Geräte herum, Hunde trotteten über den Hof, die Katzen lagen müde in der Sonne und an einigen Stellen sprossen die ersten bunten Blumen. Ein Pferd wieherte, ein Wolfshund bellte und in der Ferne krähte ein Hahn. Gleichzeitig hörte er Wortfetzen von Gesprächen, Kinderlachen, eine Mutter rief ihren Sohn, jemand schlug mit einem Hammer auf Holz und über allem lag ein konstantes Vogelgezwitscher. Als er tief einatmete, roch es nach Frühling auf dem Land und Essen, das vorbereitet wurde. Der Geruch von frisch gebackenem Brot wehte in seine Richtung und Josuan merkte, wie ihm das Wasser im Mund zusammenlief.

Die Leute begrüßten ihn respektvoll. Er war schließlich der Burgherr, seit dem Verschwinden seines Vaters Kanju Tiguadade vor ein paar Monaten. Man hatte damals die gesamte Gegend durchsucht, aber er und sein Pferd waren wie vom Erdboden verschluckt geblieben. Josuan konnte sich bis heute nicht erklären, was passiert war. Bei einem Unfall hätte man seinen Vater sicher in den Feldern oder Wäldern gefunden. Deshalb fragte er sich, ob Kanju sie freiwillig verlassen hatte? Falls nicht: war es seine Pflicht, ihn zu suchen? Ein Mysterium, über das er sich schon oft den Kopf zerbrochen hatte. Wie immer schob er diese Gedanken schnell zur Seite, weil ihn der Verlust und die Ungewissheit zu heftig schmerzten. Auch wenn er seinen Vater suchen wollte, hätte er nicht einmal einen Hinweis, wo er anfangen sollte. Er musste sich um seine Familie kümmern, sie brauchte ihn hier und jetzt. Obwohl der Nasik Massua – sein Adoptivbruder – ihn bei vielen Angelegenheiten unterstützte und ihm die Arbeit ungefragt abnahm, wurde er gebraucht, dachte er grollend. Er würde nicht zulassen, dass sein Nasikbruder die Zügel auf Lakonade oder den dazugehörigen Höfen in die Hand nahm.

Seine kleine Schwester Sania trat ihm in dem Moment mit Helm, Schild und Holzschwert entgegen. Sie war ihm am ähnlichsten von seinen drei leiblichen Geschwistern, nicht nur im Charakter, sondern vor allem im Aussehen. Sie hatten beide die helle Haut, die lockigen braunen Haare, graue Augen und den drahtigen Körperbau ihrer Mutter geerbt. Ihre Zwillingsgeschwister Jusi und Tani kamen mehr nach ihrem Vater mit ihrem blonden Haarwuchs, hellbraunen Irisfarben und jede Menge Sommersprossen. Sie waren kleiner und etwas rundlicher als Josuan. Sein Bruder beschwerte sich immer über seine Wurstfinger und ärgerte sich, dass er nicht die wohlgeformten Hände seiner Mutter geerbt hatte. Keiner von den Kindern hatte das. Als sie jünger waren, hatte Massua vor allem Jusi mit seinen dicken Fingern aufgezogen, aber er musste immer aufpassen, dass Tani ihn nicht bei seinen Sticheleien erwischte. Denn dann gab es ein ordentliches Donnerwetter und selbst sein forscher Nasikbruder ging dem lieber aus dem Weg. Mit ihr legte man sich besser nicht an, obwohl sie jünger war als Josuan oder Massua.

Sania sorgte sich niemals um ihr Äußeres und lief mit einer schmuddeligen Hose herum, während ihre dunkle Bluse von Flecken übersät war. Es hatte offensichtlich Marmelade zum Frühstück gegeben. Sie hob ihr Schwert und rief laut: „Schurke, jetzt hab' ich dich! Du entkommst mir nicht! Ich bin der schwarze Ritter."

Josuan hob abwehrend seine Hände und brüllte ironisch: „Gnade, oh großer Ritter. Ich ergebe mich, so wehrlos wie ich bin!"

Sania sah ihn enttäuscht an und erkundigte sich keck: „Kannst du dir nicht auch ein Schwert besorgen?"

Josuan lachte und erklärte: „Später vielleicht. Jetzt muss ich erst einmal was essen und Mutter begrüßen."

Voller Hoffnung guckte Sania ihn an: „Versprochen?"

Josuan tätschelte ihr den Kopf. „Ich seh mal was ich machen kann. Weißt du, wo Mutter ist?"

„Drinnen!", rief Sania ihm zu. Sie hatte sich bereits umgedreht und spurtete über den Hof davon.

Kopfschüttelnd reichte Josuan die Zügel von Troll einem Stallburschen, der sich inzwischen voller Unbehagen genähert hatte. Dann betrat er die Burg, um seine Mutter Tanala zu suchen.

Traumseher - 1. Teil der Traumtrilogie (1/3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt