Zwei Tage später standen Bonsti und Gabea vor ihrer Hütte, als gerade die Sonne über den Hügeln aufging, und verabschiedeten sich gemeinsam im Stillen von ihrem bescheidenen Zuhause. Callo war bei ihnen und schaute zu Kanju, der bereits auf einem nahe gelegenen Kamm wartete. Der Hund hatte ein gutes Gefühl bei ihrem Auftraggeber, ermahnte sich Gabea, um sich nicht doch umzuentscheiden.
Sie setzten sich ruckartig in Bewegung und marschierten auf die Pferde zu, die ihnen Kanju am Tag zuvor gekauft hatte. Die Linguali hatte sie in Giptos mit ausgesucht. Es war ein kleiner Test von ihrem neuen Begleiter gewesen. Sie hatte einen widerspenstigen Hengst auserkoren, den sein Besitzer zu einem Spottpreis verkaufte, weil er ihn nicht beherrschte. Nach nur einem kurzen Gespräch mit dem Tier war Gabea klar, dass das Pferd sich nur nicht für Hilfsmittel wie Kandare, Peitsche und Sattel begeisterte. Das war alles.
Sie raunte ihm zu: „Und was wenn ich dich ohne reite? Willst du mich dann bis nach Sendari und weiter bringen?" Der Hengst sah sie mit traurigen Augen an und reagierte kaum auf Gabeas Ansprache. Kritisch betrachtete Gabea seinen alten Besitzer, der brutal an dem Halsband einer Ziege zerrte, um sie jemand anderen zu verkaufen. Das Tier war stattlich und vermutlich brauchte es nur eine liebevolle Hand, die es respektvoll behandelte. Deshalb entschied die Linguali sich für den Hengst Patoa, trotz seines zurückhaltenden Verhaltens. Bonsti bekam eine prächtige Stute namens Ingta, die sie sicher zur Not beide tragen würde.
Sie saßen auf und ritten los ins Ungewisse. Kurze Zeit später schloss sich ihnen Kanju an. Ein paar Tage reisten sie ohne Zwischenfälle, Patoa hatte sich schnell an Gabea gewöhnt und hatte inzwischen sogar den Sattel akzeptiert.
Am fünften Tag stieß Callo auf eine Spur, die er nicht zuordnen konnte. „Sie riecht beängstigend", sagte er, „und groß."
Da dachte Gabea zum ersten Mal wieder an ihre Begegnung mit Hikto. Sie erzählte Bonsti davon, aber der winkte nur ab und fragte sie, wie das zusammen hängen sollte. Wahrscheinlich hatte bloß ein Bär ihren Weg gekreuzt. Callo der zugehört hatte, erhob sich, schüttelte sich und trottete weg, während er brummte: „Das war kein Bär, das hätte ich erkannt." Beunruhigt sah Gabea ihm hinterher.
Callo stieß in den nächsten Tagen wiederholt auf diese Spur und wann immer die Pferde sie rochen, wurden sie ebenfalls unverhältnismäßig reizbar. Unglücklicherweise führte die Fährte in die gleiche Richtung, die sie einschlugen. Allerdings verlief die Spur an verschiedengroßen Siedlungen vorbei und mied, wann immer es möglich war, die Straße. Ihre eigene kleine Reisegruppe nahm hingegen keine Umwege in Kauf. Kanju merkte, dass sie beunruhigt waren, aber er fragte nicht genauer nach, was los war.
Als sie wieder einmal ein Dorf hinter sich gelassen hatten, kamen sie an eine Kreuzung und Callo flippte fast aus, weil die Spur noch deutlicher und frischer war als bisher. Wütend bellte er das Gebüsch an, aber Gabea verstand nicht, was er sagte, da er so wild kläffte und seine Stimme sich überschlug. Kanju mahnte zur Vorsicht, denn ihn verwunderte das Verhalten des Hundes ebenso. Sie sah sich beunruhigt um. Dann rief sie: „Hikto? Bist du hier?"
Derselbe Mann, den Gabea schon einmal beim Weideunterstand getroffen hatte, trat auf die Straße. Er schimpfte wütend: „Was soll das? Was willst du von mir? Warum folgst du mir? Hat es nicht gereicht mich ins Gefängnis zu bringen?"
In dem Moment schrie jemand: „Kanju? Kanju! Bist du es wirklich?" Derjenige brach durch das Gebüsch und rannte auf ihren Begleiter zu, der nach einem kurzen Zögern vom Pferd sprang und demjenigen entgegen lief. Sie umarmten sich herzlich und Gabea schaute verunsichert zu Bonsti. „Kanju! Was machst du hier? Kannst du dir vorstellen, wie besorgt wir alle waren?", sagte derjenige.
„Massua, ich glaub es kaum dich hier zu treffen", erwiderte ihr Begleiter und murmelte eben hörbar: „Ich bereue manche meiner Entscheidungen, aber zu dem Zeitpunkt erschienen sie notwendig. Ich wollte euch da nicht mit reinziehen. Wo ist Josuan? Ist er auch hier?"
Kanju schaute sich um, inzwischen waren weitere Leute aus dem Gebüsch getreten. „Nein. Leider nicht, wir wurden von ihm getrennt", beteuerte der Nasikmann Massua. Alle sahen bei diesen Worten betreten zu Boden.
Ein hochgewachsener, schwarzer Mann trat vor, streckte die Hand aus und stellte sich vor: „Kanju Tiguadade. Ich bin mir nicht sicher, ob ihr euch an mich erinnert, aber ich bin Faniso. Eure Söhne haben eurem Namen alle Ehre gemacht."
„Faniso? Hoch erfreut", meinte ihr Begleiter und sah zu Massua. „Ihr seid also fleißig gewesen?" Der Nasik bestätigte dies stolz lächelnd. Ihr Auftraggeber sah sich unter den Gefährten um und deutete dann auf sie: „Ich war auch nicht ganz untätig, das ist Gabea – sie ist etwas ganz Besonderes." Die Linguali hatte es geahnt: Kanju war doch ein Häscher! Sie spürte, wie Bonsti neben ihr sich anspannte und rief: „Was geht hier vor?"
Dieser Faniso sah verunsichert zu ihnen. „Ihr habt den beiden nichts gesagt?", fragte er ungläubig. Kanju erwiderten Fanisos Blick erbarmungslos: „Was hätte ich denn sagen sollen? Glaubst du sie wären mitgekommen?"
Ein junger, braun gebrannter Mann trat vor und meinte: „Wie auch immer, aber ich schlage vor, dass das jetzt endlich nachgeholt wird. Sonst könnte ich mir vorstellen, dass die zwei sich auf und davon machen." Er hatte Recht, Gabea wäre am liebsten fortgeritten, aber die Fremden versperrten ihr den Weg.
Massua trat vor, nahm Patoa am Zügel und bat: „Bitte lasst uns erklären. Ich verstehe, dass ihr gerade wahrscheinlich das Schlimmste befürchtet."
Kanju nickte. „Er hat Recht, aber ich kann euch beruhigen: ihr seid hier in guter Gesellschaft." Ihr Begleiter deutete zu Faniso und betitelte ihn mit: „Magier". Dann schaute er wieder zu Hikto und bemerkte: „Und der Dragoner und vielleicht gibt es ja hier irgendwo noch seinen Drachen?" Es war eine Frage. Gabea sah zu Bonsti und flüsterte: „Das ist der Mann, den ich getroffen habe. Ich hab dir doch gesagt, dass uns das hätte beunruhigen sollen."
Kanju fuhr derweil unbeirrt fort: „Gar nicht schlecht muss ich sagen: drei oder vier Gefährten habt ihr schon gefunden. Ich habe gerade mal eine Person aus dem Traum zustande gebracht – die Linguali." Gabea zog scharf die Luft ein, als er das sagte. Hilflos drückte Bonsti ihre Hand. Ohne mit der Wimper zu zucken, fragte Kanju: „Zumindest nehme ich an, ihr seid auf der gleichen Suche, wie ich?" Die Frage wurde von Massua nickend beantwortet. Er sah immer noch argwöhnisch zu ihrem Begleiter. Traum, Suche? Gabea wollte endlich wissen, was hier los war.
Der Dragoner, der sich Hikto bei ihrem ersten Treffen am Weideunterstand genannt hatte, sah Gabea ungläubig an: „Na getroffen haben wir uns auch schon. Aber das konnte ja keiner ahnen. Also entschuldige, wenn ich dich irgendwie blöd behandelt habe. Ich hatte zu dem Zeitpunkt wirklich andere Sorgen. Ich heiße eigentlich Dunas."
Gabea nickte ihm fassungslos zu. „Akzeptiert", erwiderte sie dennoch betont lässig und der Mann grinste nur.
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Traumseher - 1. Teil der Traumtrilogie (1/3)
FantasyDie Geschichte beginnt mit einem Traum. Der Traumseher Josuan begibt sich gemeinsam mit magischen Gefährten auf eine Reise, um die Welt zu verändern. Er folgt dem Ruf des Traumpriesters, der ihn in eine ungewisse Zukunft führt.