Josuan der Traumseher - Kapitel 1.6

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Ein paar Tage später am frühen Abend erreichte er endlich das Haus seiner Familie in Fengo

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Ein paar Tage später am frühen Abend erreichte er endlich das Haus seiner Familie in Fengo. Es war ein prächtiges Stadthaus. Sein Vater hatte schon vor vielen Jahren die Villa seines Großvaters verkauft und das neue Fachwerkhaus mit den Worten: „Man muss seinen Reichtum nicht zur Schau stellen", gekauft. Josuan schmunzelte, denn selbst diesem bescheideneren Haus sah man das dahinterstehende Vermögen an. Auf sein Klopfen öffnete ihm ein Diener und führte ihn in den Speisesaal. Massua saß bereits dort und freute sich über die Gesellschaft beim Abendessen. Zumindest sagte er das. Manchmal war sich Josuan nicht sicher, ob er hier willkommen war. Er fühlte sich, wie ein Eindringling in die Angelegenheiten, um die sich sonst nur Massua kümmerte. Wobei er sich fragte, um was für Aufgaben es sich genau handelte.

Seufzend setzte sich Josuan und schlug nach der anstrengenden Reise tüchtig zu. Es gab Anis-Ente – eines von seinen Lieblingsessen. Massua erzählte ein paar anregende Geschichten über ihren gemeinsamen Neffen Tumin, den er vor kurzem besucht hatte. Offensichtlich bemühte sein Halbbruder sich, die Stimmung aufzulockern. Der Traumseher hörte aber kaum zu, denn die Gedanken an seinen Vater beschäftigten ihn zusehends. Später setzten sie sich zusammen in den Salon ans Feuer. Der erstgeborene Tiguadade war unschlüssig, wie er beginnen sollte, da ergriff Massua das Wort: „Josuan, ich kenne dich jetzt schon so lange. Du hattest andere Pläne und doch bist du jetzt hier."

Als Antwort lächelte er und fragte: „Ach Blaui, kennst du mich wirklich so gut?" Er sah Massua belustigt an. Dann seufzte er schwer und erklärte, ohne seinen Bruder dabei aus den Augen zu lassen: „Ich habe Hinweise zum Verbleib unseres Vaters gefunden."

Überrascht und voller Hoffnung sah sein Nasikbruder ihn an. Da räusperte Josuan sich und erzählte ihm von seinem Traum: „Verzeih mir, dass ich für die ganze Geschichte so weit ausholen muss. Aber alles beginnt weit in der Vergangenheit.

Ich habe nie davon gesprochen, aber ich habe seit einiger Zeit immer wieder den selben Traum. Mir ist zwar klar, dass der Traum etwas bedeutet, aber nicht was. Ich habe es ignoriert, denn mit Magie wollte ich unser aller Leben nicht belasten." Zauberei und jede Form des Übernatürlichen wurde seit Generationen verpönt, selbst wenn die Tiguadades, wie die meisten Menschen auf Fagadasien, liberale Ansichten hatten. Dennoch war der Hass auf Mischwesen, an ihm nicht spurlos vorbeigegangen. War er etwa ein Wesen mit übermenschlichen Fähigkeiten? Diese Angst hatte ihn immer abgehalten über seinen Traum zu sprechen.

Josuan sah zu Massua, der seinen Blick gelassen erwiderte. Bei dem Wort Magie wäre jeder andere schreiend aus dem Haus gerannt, nicht aber sein Bruder.

„Der Traum beginnt immer gleich. Ich stehe auf einem Plateau über Sendari – es ist der Plateaublick. Vor mir hat sich eine Gruppe von Leuten versammelt und ein Drache schaut über die Klippen zu uns herüber.

Man hat einen herrlichen Blick auf die Stadt. Die Pyramide erhebt sich aus der Mitte der Häuser und weiter dahinter glitzert das Meer, wo wunderschön die rotgoldene Sonne aufgeht.

Die Leute sehen mich alle aufmerksam an. Die Vögel zwitschern, eine Möwe kreischt, ja selbst die Brandung kann man dort oben noch hören.

Ich weiß, dass ich Mischwesen vor mir habe, aber das stört mich nicht. Ohne dass man es ihnen ansieht, weiß ich, was für Wesen sie alle sind. Es gibt eine Kata-Stammesfürstin, einen Dieb, eine Nachtelbin, einen Pescator, einen Assassinen, einen Krieger, einen Fakir, einen Magier, eine Linguali, und einen Dragoner mit dem schon erwähnten Drachen. Ein friedliches Bild, aber jedes Mal wache ich urplötzlich schreiend auf! Unerklärliche Angst und Verzweiflung überwältigt mich fast."

Josuan sammelte sich kurz. Es war das erste Mal, dass er von seinen Traumbildern sprach, wodurch die Bilder zunehmend wirklicher wurden.

„Ich habe nie über den Traum gesprochen, weil", er zögerte. „Du weißt selbst wie die Dinge sind." Massua nickte und betrachtete ihn gespannt, denn er wartete vermutlich auf die Stelle, wo Josuan von seinem – ihrem – Vater berichtete.

„Vorgestern hatte ich wieder diesen Traum und war daher sehr aufgewühlt, als ich in Lakonade ankam. Mutter und Sania leiden so sehr unter dem Verschwinden von Vater. Schon oft habe ich mich gefragt, ob ich irgendetwas tun kann, um ihn zurück zu holen. Gibt es etwas, was ich übersehe? Ich weiß nicht, warum ich diesem Rätsel von Vater auf die Schliche kam. Aber ich habe das hier in einem Versteck gefunden." Er reichte Massua den Brief. Dann wartete er, denn sein Bruder las die Erklärungen Kanjus sogar ein zweites Mal. Als er fertig war, schaute er nachdenklich ins Feuer.

Endlich räusperte er sich und sagte: „Nicht nur du und Vater hatten diesen Traum. Es gibt noch mehr Leute, die den Traum haben."

Josuans Kopf schnellte hoch und er rief: „Du weißt davon!" Ungläubig sah er seinen Bruder an.

„Noch nicht lange", beschwichtigte der Nasik. „Du kennst doch Gindo – meinen Kumpel aus Fengo. Gelegentlich reist er mit mir in den Norden. Er hat es mir erzählt, weil ... naja, er ist auch ein Traumseher und wir haben den Krieger im Norden abgeholt."

Der Burgherr sprang auf.

„Josuan, beruhige dich bitte. Ich weiß zufällig, dass die Eingeweihten dich aufklären wollten. Mir wurde es aber untersagt. Die Eingeweihten wissen selbst noch nicht lange davon. Selbst dein Vater wurde nicht mehr informiert, bevor er verschwunden ist. Keiner hat geahnt, dass sein Verschwinden mit den Träumen zusammen hängen könnte. Davon hätte ich gehört." Massua sah ihn kritisch an. Josuan schaute wütend, doch sein Bruder kam ihm zuvor: „Bevor du urteilst, denk bitte daran, dass du mir auch nichts von deinem Traum erzählt hast. Du scheinst den Traum schon eine Weile zu haben. Ich aber weiß erst seit zwei Wochen davon." Josuans wollte los poltern, als ihn die Logik dieses Argumentes traf. „Du hast vielleicht recht, aber was ist mit den Eingeweihten. Von ihnen weißt du doch scheinbar auch schon Jahre", warf er zögernd in den Raum. Beide sahen sich befangen an.

Vorsichtig sagte Massua: „Ihre Geheimnisse hätte ich verständlicherweise nicht ohne weiteres weitergeben dürfen. Außerdem hast du nie Anstalten gemacht dich für die Mischwesen und ihr Schicksal zu interessieren."

„Wie konnte ich auch!", rief er empört, während er abweisend die Arme verschränkte. „Ich hätte nie gedacht, dass ich irgendetwas ändern könnte. Aber du...." Wütend starrte er vor sich hin und schluckte bittere Worte herunter. „Was weißt du über den Traum?", erkundigte er sich stattdessen.

Massua nickte abschätzig und erklärte: „Der Magier und der Krieger sind aus dem Traum bereits versammelt. Aber niemandem war klar, was das Ganze zu bedeuten hat. Die Träume der anderen fingen erst vor ein paar Wochen an. Und es hat gedauert bis sie ernst genommen worden sind. Dein Vater und du sind wahrscheinlich die ersten, die diese Träume hatten."

Josuan unterbrach ihn: „Ich wusste es." Als er Massuas irritierten Blick sah, erklärte er: „Ich wusste, dass die Leute aus dem Traum real sind."

Sein Bruder nickte gedankenverloren und berichtete: „Die Eingeweihten suchen schon seit einiger Zeit unauffällig nach Hinweisen. Aber es war schwer, weil es immer wieder wichtigere Dinge zu tun gab." Kurz zögerte Massua, dann fuhr er fort: „Schon seit einer Weile möchte uns jemand mit diesem Traum etwas sagen. Ich denke, dass wir dem Ganzen mit mehr Druck nachgehen müssen. Ich muss zugeben, dass ich bis jetzt auch nicht gerade überzeugt davon war. Dass du und Vater Kanju Traumseher mit demselben Traum seid, ändert alles."

Josuan stimmte Massua im Geheimen zu. Er fragte: „Wie geht es jetzt weiter?" Sein Bruder grübelte kurz und schlug vor: „Ich gehe jetzt zu Gindo. Warte hier, wir holen dich dann ab. Wir werden dich sicherlich in alles einweihen." Entschuldigend sah sein Nasikbruder zu ihm, aber er schaute rasch weg und brummte nur genervt etwas vor sich hin.

Massua war es, der sich offensichtlich um die Angelegenheiten mit den Eingeweihten kümmerte. Josuan ärgerte sich darüber, weil sein Vater ihn schon immer mit diesem wichtigen Auftrag betraut hatte. Auch wenn er kaum Interesse gezeigt hatte, hätte man ihn als Ältesten einweihen müssen. Es fiel ihm unheimlich schwer, seinen Ärger kommentarlos herunter zu schlucken. Daher erklärte er steif: „Ich zieh mich zurück. Informiere mich, wenn du wieder da bist." Dann stampfte er wütend hinaus.

Traumseher - 1. Teil der Traumtrilogie (1/3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt