Allesamt setzten sie sich kurz darauf in kleinen Gruppen in Bewegung, um nach Sendari zu gelangen. In der Pyramidenstadt würde sich ein Großteil der Gefährten, unter ihnen fast alle die im Traum vorkamen, abspalten und Mondola treffen. Die Bekannte Suasos würde sie über Umwege zu dem Schiff Victoria des Kapitäns Öbsidan bringen, das in einer verlassenen Bucht außerhalb der Stadt ankerte. Dort würden sie auf den Ausgang der Remo-Mission warten. Die Drachen und Fatuna begaben sich ebenfalls zu dieser Meeresbucht, aber sie planten, an der Küste zu bleiben. Nur Callo, Gabeas Hund, würde nicht mitgehen. Gabea hatte ihm befohlen zurückzukehren. Sie entschied dies nicht leichtfertig, doch sie weigerte sich, ihn bei Mondola zurücklassen, wie die anderen Tiere. Packesel war unter ihnen und der Traumseher klopfte ihm wehmütig zum Abschied auf die Flanke, bevor Nassia ihn mit sich nahm.
Suaso, Ateras, Bonsti, Waf, Massua und Josuan verbrachten den Rest der Nacht in einem Unterschlupf der Diebe. Dort trafen sie Mondola, die das Unternehmen anführen würde. Der Assassine hatte einigen von ihnen das Haus, in dem Remo sich aufhielt, gezeigt und sie schmiedeten zusammen mit der abgebrühten Frau die ganze Nacht Pläne für den folgenden Tag.
Josuan wusste nicht, was er von Suasos Bekannten halten sollte. Sie lächelte kaum und ließ sich nicht durch die unterschiedlichen Ansichten der Gruppe verunsichern. Suaso unterstützte sie in allem. Vermutlich war sie eine Assassine wie er.
Mondola hatte in Erfahrung gebracht, dass Remo jeden Tag gezwungenermaßen einen Spaziergang machte. Man gab ihnen die Möglichkeit den Pescator zu entführen – sie würden nicht darauf eingehen. Stattdessen verfolgten sie andere Pläne.
Am Nachmittag starteten sie unter Führung Mondolas zu Remos Haus. Eine Dienerin ließ sie herein. Im Inneren schlich die Anführern sich mehrfach von hinten an Wachen heran und betäubte sie in Bruchteilen von Sekunden mit einer Waffe, die Josuan schon bei Suaso beobachtet hatte. Sie folgten der kaltblütigen Frau, bis der Assassine sie an einer Treppe verließ, um Remo zu suchen, der sich laut Bediensteten unten aufhielt. Mondola führte sie den Aufgang hinauf, wo sie einige weitere Wachen ausschaltete. Niemand rechnete mit ihnen.
Sie betraten einen Raum, in dem Gindo gefesselt auf dem Boden lag. Josuan stürzte sofort auf ihn zu und schnitt ihm die Fesseln durch. „Gindo? Gindo? Wie geht es dir?", wollte er atemlos wissen.
Der Angesprochene stöhnte. „Josuan, bist du es wirklich?", fragte er ungläubig. Er richtete sich auf und rieb sich die Handgelenke. Massua kniete in dem Moment neben ihm nieder. Die anderen verließen das Zimmer, nachdem Mondola geflüstert hatte: „Ihr drei, wartet hier." Sie hatte auf ihn, Bonsti und den Befreiten gezeigt.
„Hast du Huti und Naraso gesehen? Sie müssten hier auch irgendwo sein?", erkundigte sich der gutmütige Mann fast ängstlich. Josuan sah beunruhigt zur Tür. Nach einer Weile trat Ateras mit einem weiteren der Verschollenen ins Zimmer. „Bennoli?", fragte der Traumseher vorsichtig. Gindo wirkte, als hätte er Furchtbares erlebt, aber der Neuankömmling sah aus wie durch den Fleischwolf gedreht. Es war ihm kaum möglich, sich auf den Beinen zu halten, während Ateras ihn stützte. Er nahm Bonsti und Josuan nicht einmal wahr.
Unversehens kamen Mondola und Waf mit Sinara in den Raum. Die Zwergin sah nicht besser aus als Gindo und guckte verstört von einem zum anderen.
„Wir müssen los", sagte die Anführerin von der Tür her. Suaso war nicht wieder zu ihnen gestoßen. Sinara flüsterte zitternd: „War Gindo auch hier? Das wusste ich nicht." Nur mit Mühe hielt sie die aufsteigenden Tränen zurück.
Josuan trieb die beiden Zwerge an und schob sie zur Tür. Massua kümmerte sich um Gindo und Ateras um Bennoli. Ihre Anführerin lauschte auf den Gang hinaus. Der Traumseher flüsterte leise: „Das ist übrigens Mondola." Diese reagierte gar nicht und Sinara murmelte nur etwas wie ein Hallo. Aber sonst blieb es still.
„Los jetzt!", zischte Mondola und der Rest folgte. Niemand bemerkte sie, als sie die Treppe hinunter huschten. Unten versammelten sie sich in einer Vorratskammer und warteten dort eine Weile. Irgendwann kam eine Frau und nickte Mondola zu, ohne jemand anderen anzusehen. Die Assassine übernahm daraufhin die Führung zu einer nahegelegenen Tür, wo Suaso lauerte. Er hatte sich einen Körper über die Schulter geworfen. Das war sicher Remo, der gefesselt und scheinbar bewusstlos war. Josuan entfuhr ein erleichtertes Seufzen – immerhin das hatte geklappt und es war der letzte fehlende Gefährte, wie er mit einem Blick feststellte.
Mondola führte alle wieder in die Freiheit. Dort warteten einige ihm unbekannte Leute und legten Remo in einen Schubkarren, den sie mit Stroh bedeckten. Dann brachten sie die Gruppe ein paar Straßen weiter zu einem Keller. Auf dem Weg versuchten sie sich, möglichst unauffällig zu verhalten. Sie bildeten Grüppchen, nahmen Bennoli, Gindo und Sinara in die Mitte und unterhielten sich über Belanglosigkeiten. Massua machte einen lahmen Witz, der die Zwergin hysterisch lachen ließ. Alle sahen sie erschrocken an. Sie konnte sich aber nicht beruhigen.
Die Leute begannen ihnen schon verwundert hinterherzustarren, als sie endlich an ein großes Haus kamen, wo sie erwartet wurden. Man brachte sie allesamt in den Keller. Sinara lachte unaufhörlich hysterisch weiter, während Waf beunruhigt um sie herumsprang. Stachelte sie jedoch mit seinen Fragen nur an. Es war Suaso, der dem Ganzen mit einer schallenden Ohrfeige ein Ende bereitete. Danach hörte Sinara endlich auf zu lachen, sank aber zitternd in sich zusammen und weinte still. Waf nahm sie in den Arm und starrte entsetzt Suaso an.
In dem Keller sprach sonst kaum jemand, nur gelegentlich ertönte ein leises Murmeln. Als es losging, blieben viele von den Dieben, aber auch Bennoli und Ateras zurück. Eilig verabschiedeten sich die Gefährten voneinander. Josuan beobachtete, wie Suaso in die Hand des beleidigten Nachtelben einschlug. Doch der hielt den Abschied absichtlich kühl. Rasch war beschlossen worden, dass der schwer verwundete Bennoli mit Ateras zurückkehrte, weil er unmöglich in seinem Zustand eine Schiffsreise überstand.
Durch versteckte Türen führte Mondola sie in unterirdische, dunkle Gänge. Josuan kam es wie Stunden vor, in denen sie herum irrten. Er hatte schon längst die Orientierung verloren. Manchmal machten sie kurze Pausen, aber ihre Führerin trieb sie immer wieder weiter. Irgendwann kam Remo zu sich und Massua und er erklärten ihm die Situation, wobei er zwar nicht gerade aufgeschlossen wirkte, aber vor Suaso schien er Angst zu haben und setzte gemeinsam mit ihnen ihren Weg fort. Etwas später hörte Josuan die Brandung und die Luft roch nicht mehr modrig, sondern nach frischer, salziger Meeresluft.
Kurz darauf traten sie endlich ins Freie und ein Strand lag vor ihnen. Weiter hinten ankerte ein riesiges Schiff. Nichts erinnerte mehr an die Stadt, in der sie vor gar nicht allzu langer Zeit noch gewesen waren. An dem Kiesstrand lag ein Boot. Daneben warteten Faniso, Semio und ein fremder Mann sichtlich ungeduldig auf sie.
„Ich gehe nicht auf dieses Schiff!", entschied die befreite Zwergin unvermittelt. Sie stemmte sich in den Boden, als würde ihr Leben davon abhängen.
Waf sah erschrocken zu ihr. „Aber Sinara, du musst. Ich gehe mit", versuchte er sie hilflos zu überreden.
Sie starrte ihn an. „Ich muss?", fragte sie drohend.
Sie machte einen Schritt rückwärts. „Wenn du willst, geh!", schrie sie und stürmte über den Kies davon, zumindest so gut, es ihre müden Füße erlaubten.
Mondola erklärte kalt: „Es ist keine Zeit mehr, du kannst ihr nicht hinterher und noch zurückkommen, um die anderen zu erreichen. Ich kümmere mich um sie, falls du gehen möchtest. Du musst dich jetzt entscheiden." Waf sah Sinara fassungslos nach, machte ein paar Schritte auf sie zu, dann sah er zum Schiff und wieder zurück. „Kümmerst du dich gut um sie?", fragte er Mondola hilflos. Die nickte nur knapp. Waf drehte sich um und stolperte kurzentschlossen zum Boot hinüber. Josuan sah Sinara traurig nach und erschüttert zu Waf.
Hätte es sich um jemanden gehandelt, der ihm am Herzen lag – Nassia – er wäre zurückgeblieben, aber auch er lief weiter.
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Traumseher - 1. Teil der Traumtrilogie (1/3)
FantasyDie Geschichte beginnt mit einem Traum. Der Traumseher Josuan begibt sich gemeinsam mit magischen Gefährten auf eine Reise, um die Welt zu verändern. Er folgt dem Ruf des Traumpriesters, der ihn in eine ungewisse Zukunft führt.