Der Abgesannte trat aus dem Zimmer und überließ Äsnats rechter Hand die Führung. Schweigend verließen sie das Haus, marschierten ein paar Straßen entlang und kamen zu einem eindrucksvollen Gebäude. Geisun erklärte ihm dazu nur, dass es das Bürgerhaus war. Hier trugen brave Bürger ihre Anliegen vor und reichten Beschwerden ein. Beeindruckt betrat Trochian das riesige, sechs Stockwerk hohe Haus. Er hatte nie zuvor davon gehört, dass Untertanen Angelegenheiten in eigener Sache vorbringen durften. Bei Problemen wandte man sich an die Stadtwache und wenn diese Interesse zeigte, klärten die Soldaten simple Sachverhalte. Nur in wichtigen Fällen leiteten sie die Anliegen an den Statthalter weiter.
Nach Betreten des Gebäudes kamen sie in einen kleinen Saal, von dem haufenweise Türen und Gänge abgingen. In der Mitte saßen vier Frauen, die alle schwarze Roben übergeworfen hatten und mit dem Rücken zueinander arbeiteten. Vor ihnen waren Schreibtische aufgebaut mit Papierstapeln, von denen sie immer wieder einzelne Papiere nahmen und etwas darauf kritzelten. Vor den Tischen standen Leute brav hintereinander in Schlangen und warteten, dass eine der Frauen ihnen einen Zettel gab, nachdem sie ihr Begehren genannt hatten. Trochian hörte, wie sie sich über Nachbarn, Freunde und Familienmitglieder beschwerten. Die Angestellten gaben ihnen die nötigen Dokumente und kurze Richtungsanweisungen. Ungläubig beobachtete er die Szene.
Geisun stellte sich nicht an. Zielsicher begab er sich zu einem kleinen Podest, von dem aus er eine gute Sicht hatte und früher oder später eine der Frauen ihn sehen musste. Unverwandt schaute er abwartend in ihre Richtung. In der Zwischenzeit rannten Boten, die ebenfalls schwarz gekleidet waren, aus den Gängen und Türen zu den Tischen, nahmen Stapel von Papieren mit und brachten neue. Diese Laufburschen unterschieden sich von den Frauen, weil sie alle verschiedenfarbige Bänder um ihre Handgelenke gewickelt hatten. Trochian fragte sich, was die Farben bedeuteten, aber konnte kein Muster erkennen. Es war ein ständiges hin und her.
Nachdem die Frau, die ihm am nächsten saß, drei Papiere bekritzelt hatte, schaute sie auf. Erschrocken blinzelte sie Geisun an, dann nickte sie kurz. Sie nahm ein rotes Blatt, kritzelte etwas darauf und winkte einem Boten, der kein buntes Band trug, zu sich heran. Dieser brachte das Schriftstück zu seinem Begleiter, der es sich sichtbar an den Gürtel hängte und sich sofort wieder in Bewegung setzte.
Geisun führte ihn nicht in die Gänge, die von den meisten Bürgern aufgesucht worden waren. Stattdessen lief er geradewegs in den prunkvollsten und größten Flur. Am Ende gab es eine ausladende Treppe, die nach oben und in den Keller wies. Geisun wählte den Weg in das Kellergeschoss und als sie die Stufen runter gestiegen waren, kamen sie in Gewölbe, in denen Unmengen an Papier gelagert wurden. Wachen saßen hier an Tischen, aber behelligten sie nicht weiter. Trochian fiel auf, dass sie ebenfalls schwarz gekleidet waren. Genau wie die Boten, die mit rotgrauen Armbändern herumrannten. Die Laufburschen schienen überhaupt überall im Gebäude unterwegs zu sein. Wobei er sich jetzt fragte, ob unterschiedliche Farben für verschiedene Bereiche zuständig waren. Geisun und Trochian durchquerten eine Tür und dahinter standen sie in einem dunklen mit Fackeln beleuchteten Raum, von dem abermals mehrere Gänge abgingen. Äsnats rechte Hand schlug zielsicher eine Richtung ein und führte ihn wortlos weiter. Sie kamen immer wieder an Zellentüren vorbei, manche hatten Gitterstäbe, durch die man die karg eingerichteten Zellen sah. Vergitterte Fenster wiesen auf die Straße, und aufgrund des einströmenden Lichtes erkannte Trochian sogar den einen oder anderen Gefangenen.
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Traumseher - 1. Teil der Traumtrilogie (1/3)
FantasiaDie Geschichte beginnt mit einem Traum. Der Traumseher Josuan begibt sich gemeinsam mit magischen Gefährten auf eine Reise, um die Welt zu verändern. Er folgt dem Ruf des Traumpriesters, der ihn in eine ungewisse Zukunft führt.