Einige Gassen später, hielten die drei ungleichen Begleiter vor einer unscheinbaren Tür. Fisto klopfte einen kurzen Rhythmus und die Tür wurde geöffnet. „Eigentlich müsste ich euch jetzt töten, weil ihr das gehört habt. Aber zu eurem Glück verschwindet ihr von hier." Er grinste wieder. Fassungslos sah Nassia diesen Mann an. Gab es überhaupt etwas, was er nicht wusste?
„Was willst du im Bunker?", fragte Fisto.
„Risotatus hält dort wahrscheinlich fünf Gefangene fest. Die will ich befreien."
„Wahrscheinlich? Du bist dir nicht einmal sicher? Junge, du bist wahrhaftig irre. Du hast bestimmt zehn Schutzwustus, dass du mich heute angetroffen hast. Unglaublich!" Nachdenklich schaute Fisto zu Semio und fuhr dann murmelnd fort: „Also gut. Ich vermute mal, dass die ganze Angelegenheit wichtig ist. Tsato hat mich zwar raus gehalten. Wahrscheinlich hat er nicht damit gerechnet, dass Risotatus die Gefangenen aus dem Schloss bringen würde. Das Schloss ist jedenfalls Tsatos Reich. Aber hier draußen sieht das anders aus, Junge." Er zwinkerte Semio dabei belustigt zu und brüllte dann unvermittelt: „Tau, Gau und Dau! Kommt her!" Zwei Sekunden später tauchten die Köpfe von drei Kindern in der Tür auf. „Ihr Rotzbengel. Geht mal auf Erkundungstour im Bunker und prüft, ob es da neue Gefangene gibt? Und bitte unverzüglich das Ganze!"
Nassia sah erstaunt den sich vor Eifer überschlagenden Kerlchen hinterher. Sie waren schon wieder hinaus geeilt. Amüsiert fragte Semio Tsato: „Tau, Gau und Dau? Hast du viele Jungs, die für dich arbeiten?"
„Von ihrer Sorte gibt es viele. Niemand fühlt sich verantwortlich, nicht einmal die Eltern. Das ist einer der Gründe warum ich für die Eingeweihten arbeite", er sah kurz zu Nassia, dann fuhr er fort: „Risotatus schert sich einen Dreck um die Kinder. Er erlässt allerlei merkwürdige Gesetze. Zudem schaffen seine Vorfahren die Ehe ab, so dass nur noch der Verlobungstanz übrig bleibt und nur das Herrscherhaus selber heiraten darf. Keiner denkt dabei auch nur eine Sekunde über die Konsequenzen nach", brummend stand Fisto auf und holte ihnen etwas zu trinken.
Er goss Semio aus einer alten, verstaubten, braunen Flasche ein und fixierte ihn: „So, mein Lieber. Ich hab wirklich schon viel von dir gehört. Eigentlich würdest du nämlich viel besser in meine Bande passen als in Tsatos." Er grinste. „Allerdings hat Tsato Recht. Du bist ziemlich selbstgerecht, stur und du hast ein Problem mit Autoritäten, oder nicht?" Er schüttelte verärgert den Kopf. Semio wurde rot und nahm schnell einen großen Schluck des Gebräus. Er unterdrückte ein Husten. Fisto beobachtete ihn grinsend. „Nun Junge, Schwamm drüber. Vor mir musst du dich nicht rechtfertigen. Aber im Augenblick sollten wir uns um andere Dinge kümmern. Kommt."
Sie marschierten in einen großen Raum, in dem Fistos Leute feierten und laut jodelnd Späße rissen. Dort brüllte Fisto: „Männer", und mit einem kurzen Blick zu Nassia, „und Frauen. Hört zu. Wahrscheinlich werden wir heute Nacht fünf Eingeweihte aus dem Bunker rausholen. Ich brauche dafür zwei Freiwillige. Wer ist bereit, Semio und seiner Freundin, zu helfen?" Zu Nassias Überraschung meldeten sich alle von Fistos Leuten.
„Sinara und Waf. Ihr kommt mit", bestimmte der Nasik und zwei Zwerge lösten sich aus der Menge und traten zu ihnen. Sie musterten Semio und Nassia neugierig. Die Thronerbin betrachtete sie nicht minder interessiert. Wafs Kopf und auch sein Kinn waren von mehr braunen und verfilzten Haar bedeckt als sie überhaupt je an jemanden gesehen hatte. Das war für Zwerge typisch. Wobei Waf unordentlicher wirkte als andere seiner Art. Sinara hingegen war unfassbar schön nach menschlichen Schönheitsidealen. Diese Zwergin schien sich angepasst zu haben und war zwar so klein und breit gebaut wie ihre Artgenossen, aber sie hatte ihre Haare nicht so verfilzt wie andere Zwerge. Ein hinreißender rotbrauner, dicker Zopf floss ihr über den Rücken und sie hatte keinen Bart wie manche ihrer weiblichen Verwandten.
„Hab schon von dir gehört, Kleiner", sagte die Zwergin zu Semio und nickte Nassia zu. Fisto stellte die beiden vor: „Das ist die schöne Sinara und der neugierige Waf."
„Freut mich. Ich bin Semio der Dieb", ergriff der Tierhüter nun seinerseits das Wort.
Alle außer Nassia lachten schallend. „Du willst ein Dieb sein? Na, du wirst dein Können sicher noch zur Schau stellen dürfen", gab Sinara lachend von sich und erkundigte sich: „Wer ist deine hübsche Begleitung?"
„Eine Freundin", antwortete Fisto kurz. Niemand stellte nach dieser Ansage weitere Fragen.
Zurück in Fistos Raum warteten sie auf Tau, Gau und Dau. Semio brütete finster vor sich hin, während der Nasik, Sinara und Waf, nachdem sie von ihrem Anführer etwas genauer informiert worden waren, sich tanzend und singend die Zeit vertrieben.
„Fisto, Fisto, Fisto!", riefen die drei Jungen aufgeregt als sie in den Raum gestürmt kamen. „Na, da seid ihr ja endlich, ihr Nichtsnutze. Was habt ihr heraus gefunden?", fragte der Anführer.
„Es gibt nur drei Neue. Einer heißt Fanis, oder so ähnlich", erklärte einer der Jungen.
„Das sind sie!", rief Semio aufgeregt, Nassia nickte.
„Aber wo stecken die anderen zwei?", wollte Nassias Freund wissen.
Fisto sah den Tierhüter kopfschüttelnd an und fragte: „Wo sind sie genau?" Verunsichert biss sich Semio auf die Lippe, als ihm klar wurde, dass der Nasik wegen ihm den Kopf schüttelte.
„Im oberen Verlies. Man kommt nur schwer an sie ran. Aber sonst ist alles wie immer", berichtete ein Anderer.
„Gut. Hier für jeden Einen", bemerkte Fisto und warf ihnen drei Nan hin. Die Jungs strahlten übers ganze Gesicht und waren kurze Zeit später auf und davon.
„Wo sind die Restlichen?", fragte Semio erneut nervös.
„Liebchen", sagte Sinara, „bleib ruhig. Wir kümmern uns um die drei im Bunker." Fisto fügte hinzu: „Vielleicht haben deine anderen Freunde die zwei anderen Gefangenen gefunden."
„Aber...", wollte der Tierhüter erneut einwerfen.
„Nichts aber, Semio", kam Fistos prompte Antwort. Man sah ihm deutlich an, dass er langsam die Geduld mit ihm verlor. „Sollen wir die drei da herausholen, oder nicht? Dann darfst du nicht an die anderen denken. Wenn du nicht voll bei der Sache bist, haben wir keine Chance. Und dafür opfere ich keinen meiner Leute. Daher muss ich dich fragen: bist du voll und ganz bei uns?"
Semio sah Fisto an und nickte dann entschlossen. „Ich bin dabei."
Der Nasik schaute zu Nassia und auch sie stimmte mit einem Nicken zu.
„Wie spät ist es jetzt?", fragte der Tierhüter abermals dazwischen.
„Der Gong schlug gerade halb eins", flüsterte Waf ihm zu, während Fisto ihn finster ansah und dann weiter erklärte: „Gut. Wir bringen euch hin. Du", er zeigte auf die Thronerbin, „wirst uns Zugang verschaffen."
Nassia starrte den Nasik entgeistert an, der grinste und meinte: „Ich hab da ein paar Kleider, die einer Prinzessin würdig sind."
Sie stöhnte entsetzt.
Wenig später war sie ausgestattet, genauso wie Soldat Semio. Außerdem wurde sie von ihrer Hofdame Sinara und dem Wachmann Waf begleitet, Fisto würde sich im Hintergrund halten. Wenn alles nach Plan verlief, würde er sich gar nicht zeigen.
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Traumseher - 1. Teil der Traumtrilogie (1/3)
FantasyDie Geschichte beginnt mit einem Traum. Der Traumseher Josuan begibt sich gemeinsam mit magischen Gefährten auf eine Reise, um die Welt zu verändern. Er folgt dem Ruf des Traumpriesters, der ihn in eine ungewisse Zukunft führt.