Die nächsten Tage flogen nur so dahin. Danu beobachtete die Drei genau. Nassia und Josuan verbrachten die meiste Zeit miteinander. Der Traumseher blieb immer bei der Höhle und schlief oft, da ihm seine Kopfverletzung zusetzte. Seine Reisegefährtin hingegen schwamm täglich im Milno-See. Zumindest nachdem Dunas sie genügend mit verächtlichen Kommentaren angestachelt hatte, sich doch zu trauen! So dass sie nicht mit der Wimper zuckte, als sie sich in die Wellen schmiss. Sie wanderte durch die Gegend, ritt auf Packesel und einmal nahm Dunas sie sogar auf Magto mit. Außerdem sorgte sie dafür, dass der Dragoner sich endlich die Haare schnitt und den Bart abrasierte. Wie lange Danu ihm damit in den Ohren lag, konnte sie gar nicht sagen. Aber bei Nassia reichte eine klitzekleine Provokation, dass er sich ja dann nicht mehr dahinter verstecken könne und schon war alles ab. Das schaffte sie sogar ohne Worte.
Für Nassia wollte Danu noch eine Sache anstoßen, um sie zum Sprechen zu bewegen. Deshalb traf sie die Prinzessin am nächsten Tag, als sie vom Schwimmen im Milno-See zurück war. Die Seherin entschied, wo sie sich zusammen hinsetzten, denn sie wusste, dass die Wüstenlöwin schlecht gewählt hätte. Sie unterhielten sich eine Weile auf Nassias umständliche Art, als sie Stimmen vernahmen. Nassia beabsichtigte Josuan und Dunas entgegengehen, doch Danu hielt sie auf.
Der Traumseher sagte: „Tja, das geht nicht. Es wäre zwar das sicherste für sie, aber ich glaube kaum, dass sie mit dir fliegt. Ohne dir zu nahe treten zu wollen, du hast sie ziemlich verärgert."
Dunas prustete los und erwiderte gelassen: „Ja, ich konnte ja nicht ahnen das Mylady so empfindlich sind. Aber gut, du hast recht. Ich hätte ehrlich gesagt auch nicht die größte Lust, Mylady die ganze Zeit zu bespaßen." „Komm schon Dunas, das ist wirklich nicht fair. Dein Spielchen war gewiss überflüssig. Aber egal, zu dritt beziehungsweise viert können wir auch nicht fliegen. Also bleiben sie und Fatuna am besten bei mir und du fliegst mit Magto. Du kannst uns ja von oben überwachen und so gelangen wir sicher nach Sendari", antwortete Josuan.„Hmm, oder sie bleibt gleich hier. Wir haben schließlich alle die Wahl, oder? Was wollen wir auch mit einer Stammeskämpferin, die kein bisschen kämpfen kann? Die anderen Gefährten sind doch alle irgendwie besonders? Was nützt eine Kämpferin, die stumm ist?", bemerkte Dunas provokant.
„Sie ist genauso wichtig wie du. Und zum letzten Mal, stumm ist sie nicht", erwiderte Josuan bestimmt. Den Rest hörten sie nicht mehr, denn die zwei waren weiter gegangen.
Nassia sah Danu geschockt an. Ohne die Seherin hätte sie den Satz des Adligen nicht gehört und ewig mit ihrer Rolle innerhalb der Gruppe gehadert. Außerdem wurde ihr in diesem Moment klar, dass sie endlich die Wahrheit sagen musste. Sie kehrte Nassia still den Rücken und ließ sie mit ihren eigenen Gedanken und Gefühlen alleine. Menschen waren so abhängig vom Zufall. Dabei hatten sie gar keine Wahl, wie Josuans Traum unter Beweis stellte.
Nur einen Tag später, die Dunkelheit der Nacht zog bereits herauf, war die Zeit der Abreise gekommen. Draußen hörte sie, wie der Adlige das Wort ergriff: „Morgen gehen wir." Danu lehnte sich an den Höhleneingang, um die beiden zu beobachten.
„Woher weiß du, dass ich sprechen kann?", fragte Nassia als Antwort. Dunas und Josuan sahen verblüfft die Prinzessin an. Der Traumseher hatte zwar gewusst, dass sie sprach, aber alle hatten sich daran gewöhnt von ihr nichts zu hören. Er war regungslos verharrt und sah Nassia unverwandt an.
„Du sprichst im Schlaf", erklärte er dann. „Außerdem tuschelst du in meinem Traum mit Semio."
Die Prinzessin sah betreten zur Seite und Josuan fragte zögernd: „Du hast gelauscht?"
Schockiert riss Nassia den Kopf herum und stotterte: „Ich – ich war in der Nähe. Ganz gewiss habe ich euch nicht absichtlich bespitzelt – so wie du uns in der Wüste hast belauschen lassen." Ohne mit der Wimper zu zucken, hielt sie, Josuans Blick stand.
„Dann sind wir wohl quitt", sagte er schmunzelnd. Nassia zog die Augenbrauen hoch und erwiderte: „Das war nicht dasselbe und das weißt du."
Josuan nickte, während sie ihn kritisch beäugte, und fragte: „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du über das Sprechen Bescheid weißt?"
„Weil ich dachte, dass du schon selber damit herausrücken wirst", beantwortete Josuan die Frage knapp.
Nassia sah zu Danu und rief: „Und warum fühle ich mich jetzt so manipuliert?" Wütend stand sie auf und rannte in die Nacht hinaus.
Die Seherin winkte ihr in Gedanken und wandte sich an Josuan: „Ich weiß nicht viel, aber es ist wichtig, dass Nassia, Fatuna und du zusammen bleiben." Dann drehte sie sich zu ihrem Bruder: „Und du solltest alleine fliegen und die andere Gruppe in Giptos suchen." So würde sie dafür sorgen, dass er sich vorerst von diesem Gnomling fernhielt. Sie hörte sein wütendes Schnauben und dann stürmte er an ihr vorbei. Ihn würde sie erst am Morgen wiedersehen, hoffentlich nicht das letzte Mal. Sie richtete ihre Konzentration auf Josuan. Der sah sie durch schmale Augen an. Er traute ihr nicht, das hatte sie schon in Erfahrung gebracht. Sie wusste, was nötig war - sie wartete.
Er zischte: „Ich gehe, aber nicht, weil du das so willst."
„Ich weiß, die Worte waren für Dunas. Nicht für dich. Es... es tut mir leid", Josuan reagierte mit Unverständnis und Danu erklärte weiter: „Die Dinge sind kompliziert und ab jetzt halte ich mich aus allem raus. Ich kann euch alle sowieso nicht mehr lange sehen, weil Gnomlinge auftauchen und durch sie entstehen schwarze Lücken in meinen Visionen." Überrascht sah Josuan sie an. Sie erzählte ihm das, damit er vorsichtig blieb. „Ich warne dich vor den Gnomlingen. Sie besitzen Mächte von denen wir keine Ahnung haben. Aber das ist das Letzte, was ich für euch tun kann, außer..." Sie lächelte matt und warf ihm ein Fläschchen mit Schlafsaft zu, darauf war geschrieben: Für Nassia. „Sie braucht ihren Schlaf und etwas Zeit habt ihr noch. Wenn ihr morgen Abend abreist reicht das völlig", sagte sie mit fester Stimme. Josuan nickte knapp und erhob sich, um zu packen.
„Wir werden nicht zurückkommen", erklärte er.
„Ich weiß", flüsterte Danu. Warum nur hatte Magto die Drei gefunden? Im Grunde war die Lawine schuld, die dafür gesorgt hatte, dass sie sich begegneten. Aber Josuan hatte von Dunas geträumt. Wenn sich ihre Wege nicht gekreuzt hätten, dann wäre das Schicksal durch andere verschlungene Pfade an sein Ziel gekommen. Die Gefährten lockten ihren Bruder von ihr weg, das war nicht mehr aufzuhalten.
Josuan würde packen und dann Nassia in den Wald folgen, die inzwischen auf einer Anhöhe bei Danus Höhle sah. Sie wirkte unentschlossen, aber der Traumseher würde die richtigen Saiten bei ihr anschlagen, wenn er auf sie stieß. Danu kannte den Weg, den die Zwei nehmen mussten, um Fatuna wieder zufinden. Es war nicht mehr allzu weit bis dahin. Einige Wunder warteten auf sie, aber das hatte nichts mit ihr zu tun. Sie hatte alles arrangiert, was in ihrer Macht stand, und sie zum perfekten Zeitpunkt losgeschickt.
Sie wollte Nassias und Josuans Geschichte bis zu dem Moment, wo sie Fatuna wiedertrafen, nicht ein zweites Mal sehen. Am Ende der Vision sah Danu den Gnomling, was an sich schon überraschte. Aber schlimmer war die Tatsache, dass dieses kleine unscheinbare blaue Gnomlingwesen Danus Blick mit einer unausgesprochenen Drohung in den Augen erwidert. Erschrocken hatte die Seherin die auf sie einstürzenden Bilder beim ersten und einzigen Mal beendet. Niemals zuvor hatte jemand sie in ihren Visionen bemerkt. Es war unheimlich und für Danu völlig unnatürlich. Deshalb beschloss sie sofort, nicht weiter nach den Gnomlingen in ihren Gedanken zu suchen. Sie hatte ihre eigene Rolle akzeptiert und ließ Nassia und Josuan ohne jedes Bedauern ziehen.
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Traumseher - 1. Teil der Traumtrilogie (1/3)
FantasyDie Geschichte beginnt mit einem Traum. Der Traumseher Josuan begibt sich gemeinsam mit magischen Gefährten auf eine Reise, um die Welt zu verändern. Er folgt dem Ruf des Traumpriesters, der ihn in eine ungewisse Zukunft führt.